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Die geschichtliche Bedeutung des Hellenennamens PDF

65 Pages·1970·2.243 MB·German
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ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN GEISTESWISSENSCHAFTEN 149. SITZUNG AM 16. APRIL 1969 IN DüSSELDORF ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN GEISTESWIS SENSCHAFTEN HEFT 159 HAN S ERICH STIER Die geschichtliche Bedeutung des Hellenennamens HERAUSGEGEBEN IM AUFTRAGE DES MINISTERPRÄSIDENTEN HEINZ KüHN VON STAATSSEKRETÄR PROFESSOR Dr. h. c. Dr. E. h. LEO BRANDT HAN S ERICH STIER Die geschichtliche Bedeutung des Hellenennamens SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH ISBN 978-3-322-98045-8 ISBN 978-3-322-98672-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-98672-6 @ 1970 by Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Köln und Opladen 1970 . Inhalt Hans Brich Stier, Münster (Westf.) Die geschichtliche Bedeutung des Hellenennamens 1. Das Problem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Der Hellenenname seit byzantinischer Zeit ... . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Alt-Hellas' geographische Grundlagen.... . .... . . ... . .... . ... 13 4. Der Ursprung des Hellenennamens ......................... 18 5. Auswirkungen der Perserkriege ............................ 27 6. Der Hellenenname in klassischer Zeit ....................... 29 7. Angriffe sophistischer Kritik .............................. 34 8. Das Zeitalter Philipps und Alexanders des Großen ............ 36 9. Hellenenname und Weltgriechentum. Rückblick .............. 40 Diskussionsbeiträge Professor Dr. med. Werner Th. O. Porßmann,. Professor Dr. phil. Hatto H. Schmitt,' Professor Dr. phil. Hans Brich Stier,. Professor Dr. phil. Pranz K. Kiechle,. Dr. phil. Gustav Adolf Lehmann,. Professor Dr. phil. fohannes Straub,. Professor Dr. phil., Dr. theol. h. c. fosef Pieper..................................................... 49 1. Das Problem Der Hellenenname, der bald auf ein geschichtliches Alter von nahezu drei Jahrtausenden zurückblicken kann, ist heute die Selbstbezeichnung der tapferen Nation im gebirgigen Südostausläufer des europäischen Kon tinents, die in den Jahren 1821-1830 unter beispiellos schwierigen Um ständen ihre Freiheit von der fast vierhundert jährigen türkischen Herr schaft zu erkämpfen vermochte und sich ihren Staat durch alle Fährlich keiten der neueren und neuesten Geschichte hindurch zu erhalten verstand. Es handelt sich bei dem Namen, den das zur europäischen Welt neu hinzu getretene freie Staatsvolk sich gab, um einen echten Volksnamen, der jetzt die Angehörigen des auf althellenischem Boden konstituierten Staats wesens umfaßt. Dieser Name stellt sich nach Inhalt und Bedeutung gleich wertig neben die Ethnika der abendländischen Nationen wie 'Engländer', 'Franzosen', 'Russen', 'Deutsche' etc., von deren maßgeblichen Schichten und Persönlichkeiten ein großer Teil die griechische Erhebung mit Gut und Blut unterstützte, weil er als Ergebnis dieser Insurrektion auf der südlichen Balkanhalbinsel in erster Linie die Geburt - oder besser gesagt: Wieder geburt - einer 'Nation' ihres Stils, und zwar der für diesen Begriff geradezu vorbildlichen, fast wie eine Selbstverständlichkeit erwartete. Es war die seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Europa unter dem Voran tritt des englischen Geistes sich durchsetzende Bewegung mit dem Ziel der Rückkehr aus einer künstlich übersteigerten, erstarrten höfischen Zivili sation in den freien, schöpferischen Bereich des "Natürlichen", in deren Verfolg die Idee des "Volkes" als des durch keine 'leere' Konvention be schränkten und damit eminent produktiven Trägers wahren Menschentums für die sich herausbildende moderne Welt zurückgewonnen worden ist. Sie erhielt bekanntlich nach recht verschwommenen Anfängen, in denen man auf der Suche nach Vorbildern zunächst einmal nach den "Natur völkern" bis nach Amerika und zur Südsee hin Ausschau hielt, ihre drin gend notwendige Konkretisierung vom idealen Bilde des antiken Griechen tums her, das in Deutschland - um nur die wichtigsten Namen zu nennen - Winckelmann, Lessing, Herder, F. A. Wolf, Goethe, Wilhelm von Hum boldt, Hölderlin mit begeisterter und begeisternder Zustimmung der maß- 8 Hans Erich Stier geblichen Vertreter europäischen Geistes an Hand der begreiflicherweise einseitig, ja anachronistisch gedeuteten klassischen Überlieferung ent warfen und als beinahe religiös verklärte Zukunftsvision vor ihrem Zeitalter aufleuchten ließen. Diese nur dem oberflächlichen Blick weltfremd und irreal erscheinende Idee des Neuhellenismus erwies ihre Daseinsberech tigung mit ihrem entscheidenden geistigen Beitrage zum schließlichen Siege in dem langen, unerhört wechselvollen Kampfe gegen die Unter drückung der Freiheit Europas durch das Napoleonische Empire. So ist es nicht verwunderlich, daß man unter dem Eindruck des umwälzenden Erlebnisses auch die griechische Erhebung gegen das türkische Großreich unbedenklich mit modern-europäischen Augen sah, was später einen Kenner der Verhältnisse wie Ernst Curtius1 die harten, aber berechtigten Sätze aussprechen ließ: "Mit unklaren Sympathien und überspannten Er wartungen nahm man Anteil an der Erhebung des Volkes, welche man für eine nationalhellenische ansah, während sie vielmehr eine kirchliche war, welche ganz verschiedene Nationalitäten, wie namentlich die albanische und die neugriechische, umfaßte. Und als nun die wiedergeborenen Griechen nicht die idealen Hellenen waren, welche man in ihnen zu sehen wünschte, trat an die Stelle der Schwärmerei Gleichgültigkeit und Mißgunst." In der Tat bot unter der im befreiten Griechenland installierten Herrschaft der 'philhellenischen' bayerisch-wittelsbachischen Dynastie das Verhältnis von importierter Ideologie und rauher politischer Wirklichkeit zueinander fast das gleiche Bild teils versteckter, teils offener Gegensätzlichkeit wie das so mancher damals in dem zur neuen Residenz umgeschaffenen Athen als Schöpfungen eines manierierten westeuropäischen Klassizismus entstan denen säulen- und statuengeschmückten Bauten zur Realität des Parthe nons oder des sogenannten Theseions. Gewiß wird heute niemand bedau ern, daß Schinkels symmetrisch-axialer Plan für die Umgestaltung der Akropolis zu einer Schloßanlage mit Gärten etc., der (gegen die Absichten seines Schöpfers) den klassischen, eine Unterordnung unter Achsen oder gar Einordnung in sie keinesfalls vertragenden Bauten schlimmste Gewalt angetan haben würde2, nicht zur Ausführung gekommen ist. Solche Fest stellungen legen die Frage nahe, ob vielleicht auch die Übernahme des Hellenennamens für das befreite Neugriechentum die Tradition der Antike nur scheinbar wiederaufnahm und damit - angesichts des damaligen Standes althistorischer Forschung - wohl für Absichten und Auffassungen jener, wie gesagt, stärkstens unter dem Einfluß abendländischer Geistigkeit 1 Gesammelte Abhandlungen 2 (1894), S. 495. 2Vgl. G. Rodenwaldt, Die Akropolis2 (1935), S. 18f. Die geschichtliche Bedeutung des Hellenennamens 9 des frühen 19. Jahrhunderts stehenden Entwicklung im europäischen Teil des Ägäischen Raumes repräsentativ ist, nicht aber für die Wirklichkeit des griechischen Altertums. Damit gewinnt die Untersuchung von Inhalt und Herkunft dieses Namens erhebliches historisches Interesse, nicht zuletzt in methodischer Hinsicht, ist doch das Hineintragen anachronistischer, das heißt nur für die Gegenwart des Urteilenden charakteristischer Anschau ungen in die Vergangenheit die größte Gefahr für die Erfüllung der vor nehmsten Pflicht des Historikers, jener Vergangenheit in ihren Lebens äußerungen, wie es der Würde seiner Wissenschaft entspricht, nach jeder Richtung hin Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. 2. Der Hellenenname seit byzantinischer Zeit Es ist nun eine den heutigen Betrachter erheblich überraschende Tat sache, daß in der neugriechischen Nation - denn um eine Nation handelt es sich hier unstreitig - der Hellenenname erst im Befreiungskrieg seit 1821 überhaupt wieder populär zu werden begann. Bis dahin war die Selbst bezeichnung für die Bewohner des alten Griechenlands ,:PW(-tOC'i:oL", das heißt Römer3• Sie war die Auswirkung der fundamentalen Wandlung, die sich mit der Aufrichtung des römischen Weltreiches verband. Dessen eigentlicher Schöpfer Augustus hatte ihm zwar bewußt eine römisch lateinische Ausprägung gegeben und die bevorrechtete Stellung des herr schenden Volkes scharf herausgestellt. Aber das hinderte nicht, daß ange sichts der Vortrefflichkeit des neuen Weltfriedens staates die in ihm ver einigten Völkerschaften von sich aus sprachlich wie kulturell immer stärker in römisches Wesen und römische Gesittung hineinwuchsen. Schon am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. begann mit dem Spanier Trajan die Reihe befähigter Regenten aus dem Bereiche der Provinzen; zeitgenössische Stimmen aus dem 2. Jahrhundert, wie vor allem die berühmte Rede des kleinasiatischen Griechen Aelius Aristides auf Rom, belegen, wie erheblich damals bereits die Länder der Mittelmeerwelt zu einer lebendigen politi schen Einheit zusammengewachsen waren. Die Verleihung des römischen Bürgerrechtes an die gesamte Reichsbevölkerung 212 durch Caracalla be- 3 Die üblich gewordene Verdeutschung mit "Rhomäer" ist irreführend und nur ver wendbar für den, der dieses griechische Römerturn vom ursprünglichen, lateinischen, unterscheiden will. Aber der Sprache kommt hier in Wirklichkeit keine entscheidende Bedeutung zu. - Neben dem Römernamen hielt sich in kleineren Kreisen, namentlich der griechischen Diaspora Südrußlands, die aus dem Lateinischen übernommene Bezeichnung Graeci (geschrieben rp<xtXol). 10 Hans Erich Stier siegelte lediglich von oben her einen längst eingetretenen Zustand. Die Verschiebung des Schwerpunktes erst der Kultur, dann des Reiches in den griechisch geprägten und griechisch sprechenden Osten - die durch Kon stantin d. Gr. endgültig wurde und sich sowohl in der Hereinnahme des Christentums in den Staat wie in der Gründung der Konstantinsstadt am Bosporus als des neuen Sitzes des nun zur absoluten Monarchie gewordenen spätantiken Kaisertums und damit als eines zweiten, nunmehr griechischen Roms dokumentiert - verstärkte die Verbindung gerade der griechisch ge bliebenen östlichen Hälfte mit der Reichstradition. Sie erfüllte die grie chische Bevölkerung mit dem Stolz, zur eigentlichen Trägerin des römi schen Imperiums - und das hieß: der staatlichen Ordnung des größten Teils der damals bekannten Ökumene - berufen zu sein. Hinzu trat das Gefühl gerade dieser Menschen, gegenüber der Tiberstadt, also dem ersten, in seinen führenden Kreisen noch weithin mit dem Heidentum als dem scheinbaren Garanten seiner Weltherrschaft fest verbunden bleibenden lateinischen Rom als Anhänger des neuen, noch am Ende des 4. Jahrhun derts zur Staatsreligion aufsteigenden Glaubens die wahren Römer ge worden zu sein, deren Reich nach biblischer Weissagung bis zum Ende aller Tage Bestand haben sollte. Konstantin, der aus dem Westen stammte, gab seiner Osten und Westen gleichermaßen umspannenden und schützen den Herrschaft wie selbstverständlich nach außen hin lateinisches Gepräge, und noch unter Justinian blieb diese offizielle Form weithin lebendig. Aber sie umschloß den Osten des Reiches nur äußerlich. Im Innern verharrte er unangefochten in seinem griechischen Wesen, vor allem in der Sprache4• Rund drei Jahrhunderte nach Konstantin, als der Versuch einer Wieder aufrichtung des gesamten Imperium Romanum an der Gewalt der Ver hältnisse endgültig gescheitert war, dokumentierte Kaiser Heraklius auch äußerlich seine Herrschaft als griechisches Kaisertum. Der Römername engte sich auf die Benennung der Menschen griechischer Nationalität ein; "römisch" hieß nun ihre griechische Sprache. Gerade letzteres beleuchtet das Ausmaß der Wandlung, die das Ergebnis eines Zeitraums von mehr als einem halben Jahrtausend war und als solches endgültig sein mußte. Als 1453 das zum "Byzantinischen" Reich gewordene Imperium zur Beute der islamischen Türken geworden war, richtete sich die nationale Sehnsucht des nachantiken Griechentums nicht mehr auf die weit entlegene 'klassi- 4 Sehr einprägsam spiegelt sich der Sachverhalt in der Kunst, wo die großartigste Leistung der byzantinischen Periode, der Kuppelbau der Hagia Sophia, zwar eine Weiterführung der mit dem Pantheon im lateinischen Rom inaugurierten Bauweise ist, aber als Schöpfung christlich-griechischer Architekten den Rahmen "römischer" Baukunst sprengt. Die geschichtliche Bedeutung des Hellenennamens 11 sehe' Frühzeit, sondern wie selbstverständlich auf das als Ideal angesehene und verherrlichte griechisch-christliche Kaisertum und auf die Kaiserstadt, die einst dessen Herz gewesen war. Der europäische Klassizismus der Goethezeit war weder befähigt noch gewillt, dieser Realität im befreiten Griechenland Rechnung zu tragen, woraus sich die von Ernst Curtius in seinem oben (S. 8) angeführten herben Urteil angeprangerte Schwierig keit des Zusammenwirkens in der neuerrichteten Monarchie nicht zuletzt ergab. Immerhin hat dann ein Zeitgenosse und Freund Curtius', der be geisterte Philhellene Emanuel Geibel, eines seiner freimütigsten Gedichte dem byzantinischen Traum der neugriechischen Seele gewidmet. Und wie lebendig dieser Traum geblieben ist, hat wohl jeder Kenner des heutigen Griechenlands seit dem Balkankrieg 1912/13 erfahren. Die Übernahme des Römernamens als Selbstbezeichnung des Griechen tums ist zweifellos auch dadurch gefördert worden, daß der Hellenenname zur Benennung der "Heiden", der Anhänger des vom Christentum immer schärfer bekämpften Polytheismus als des Wurzelbodens antiker Kultur, herabsanko. Natürlich behielt dieser Name in den Kreisen gelehrter Kenner als eigentlicher Träger der weiterlebenden antik-humanistischen Tradition, unter ihnen hochgebildeter Christen wie beispielsweise des Bischofs Synesios von Kyrene, seinen alten Rang; aber für die breite Öffentlichkeit, die sich von der Bildungsschicht seit dem hellenistischen Zeitalter durch einen breiten Graben getrennt sah, war er schließlich so weit in Vergessen heit geraten, daß ihr die "Hellenen", worauf kürzlich J. Th. Kakridis als besonderer Kenner der Materie hingewiesen hat6, zu guter Letzt nur noch als mythisches, riesenhaftes Urvolk einer märchenhaften Vorzeit erschienen, dessen Angehörige, wie die Riesen unserer Sage, an Wuchs weit über menschliche Maße hinausgereicht und über unerhörte Kräfte verfügt haben sollten. Die Verbindung mit dem historischen Hellenentum war im Zwielicht der neugriechischen Sagendichtung nahezu völlig aufgelöst. In der griechisch-orthodoxen Predigt, dem letzten unerschütterlichen Rück halt griechischen Menschentums unter der Türkenherrschaft, hieß es bis ins 18. Jahrhundert hinein: "Ihr seid nicht Hellenen, ihr seid nicht un fromm, ketzerisch, gottlos, sondern ihr seid fromme, rechtgläubige Chri sten"7. Erst für die aktiven Kämpfer des Befreiungskrieges, deren Leistun gen gegen die Übermacht der Gegner begreiflicherweise ins Sagenhafte 5Vgl. J. Jüthner, Hellenen und Barbaren (1923), S. 87ff., Kap. VIII und IX, mit reichem Belegmaterial. 6 J. Th. Kakridis, Alte Hellenen und Hellenen der Befreiungskriege, Gymnasium 68 (1961), S. 315ff. 7 Kakridis, a.a.O., S. 322, Anm. 18.

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