DIE GERMANEN BEI CAESAR, TACITUS UND AMMIAN. EINE VERGLEICHENDE DARSTELLUNG. InauguralDissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der AlbertLudwigsUniversität Freiburg i. Br. vorgelegt von Paolo Andreocci aus Priverno SS 08 Erstgutachter: Prof. Dr. HansJoachim Gehrke Zweitgutachter: Prof. Leandro Polverini Vorsitzende des Promotionsausschusses der Gemeinsamen Kommission der Philologischen, Philosophischen und Wirtschafts und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät: Prof. Dr. Gisela Riescher Datum der Disputation: 10.09.2008 Meinen lieben Eltern, meiner lieben Schwester Inhaltsverzeichnis Einleitung...........................................................................................................................3 Teil I: Caesar....................................................................................................................16 I.1 DAS „NEUE“ VOLK.....................................................................................................18 I.2: DAS „BELLUM GERMANICUM“ UND ARIOVIST................................................................33 I.3: DIE SUEBENSKIZZE UND DER GALLIER UND GERMANENEXKURS.......................................54 I.4: GERMANEN IN DER CAESARISCHEN DARSTELLUNG: SCHLUSSÜBERLEGUNG...........................61 Teil II: Tacitus..................................................................................................................74 II.1: GERMANEN IN GERMANIA 127: DER VERGLEICH MIT CAESAR.......................................82 II.1.1: Religion.........................................................................................................85 II.1.2: Venatio und studium rei militaris .................................................................88 II.1.3: Regierungssystem..........................................................................................91 II.1.4: Gefolgschaften .............................................................................................95 II.1.5: Bewaffnung und Kriegswesen ......................................................................99 II.1.6: Landwirtschaft............................................................................................105 II.1.7: Pubertät und Geschlechtsverkehr ...............................................................113 II.1.8: Baden und Bekleidung ...............................................................................116 II.1.9: Gastfreundschaft.........................................................................................120 II.1.10: Münzprägung............................................................................................122 II.1.11: Siedlung und Behausung ..........................................................................123 II.1.12: Ehe.............................................................................................................128 II.1.13: Spiele und Spektakel..................................................................................131 II.1.14: Sklaven und Freigelassene ........................................................................134 II.1.15: Totenehrung ..............................................................................................136 II.2: GERMANIA 27,246: GERMANISCHE STÄMME UND RÖMISCHE AUSSENPOLITIK IN DER TACITEISCHEN DARSTELLUNG............................................................................................139 II.2.1: Germania 27,2............................................................................................140 II.2.2: Gallier und Germanen (Germania 2829)..................................................141 II.2.3: Eine augusteische Reminiszenz? (Germania 3037)..................................145 II.2.4: Die „anderen“ Germanen (Germania 3846)............................................167 II.3: DAS GERMANENBILD IN DER GERMANIA: SCHLÜSSE....................................................177 II.4: DAS GERMANENBILD IN DEN HISTORIEN....................................................................184 II.4.1: Nachrichten militärischen Charakters........................................................189 II.4.2: Nachrichten über die germanische Unberechenbarkeit..............................193 II.4.3: Nachrichten über die römischgermanischen Beziehungen .......................200 II.4.4: Schlussfolgerung über die Germanendarstellung in den Historien...........202 II.5: DAS GERMANENBILD IN DEN ANNALEN.....................................................................205 II.5.1: Charakterisierung der germanischen Heerführer......................................208 II.5.2: Informationen und Überlegungen militärischer Natur über Strategie und Taktik der Germanen im Vergleich zu der römischen Vorgehensweise.................226 II.5.3: Schlussfolgerung über die Germanendarstellung in den Annalen.............232 Teil III: Ammian............................................................................................................238 III.1: GERMANENPROBLEM UND MODERNE FORSCHUNG........................................................238 III.2 EINIGE PRÄZISIERUNGEN ZU AMMIANS GERMANENBILD...............................................248 III.3: ASPEKTE DES GERMANISCHEN CHARAKTERS (ÜBERHEBLICHKEIT, KÜHNHEIT, BESTIALITÄT, VERRÜCKTHEIT, GEWALTTÄTIGKEIT, FLEHEN, DEMÜTIGUNG, FEIGHEIT).................................256 III.4: ASPEKTE DER GERMANISCHEN ANGRIFFE (MENGE, HINTERHALT) UND TOPOGRAPHIE DER KRIEGSSCHAUPLÄTZE......................................................................................................268 III.5: GERMANEN UND ROM BEI AMMIAN.........................................................................276 III.6: DAS AMMIANISCHE GERMANENBILD: SCHLUSSÜBERLEGUNG.........................................283 Schluss...........................................................................................................................296 Riassunto in lingua italiana............................................................................................312 Introduzione.......................................................................................312 Cesare.................................................................................................315 Tacito..................................................................................................321 Ammiano...........................................................................................337 Conclusioni........................................................................................345 Quellenverzeichnis.........................................................................................................348 Literaturverzeichnis.......................................................................................................349 Einleitung Die vorliegende Arbeit versteht sich als Beitrag zur Untersuchung der Germanendarstellung in der römischen Geschichtsschreibung. Gegenstand der Arbeit soll die Beziehung zwischen dem Historiker und dem Germanenthema am Beispiel Caesars, Tacitus’ und Ammians sein. Wenn man sich heute mit der Darstellung der Germanen in der Antike auseinandersetzt, tauchen unvermeidlich noch offene Fragen auf. Die meisten Probleme beziehen sich auf die Rekonstruktion der geo ethnographischen Lage Germaniens in der Zeit zwischen den Anfängen des Germanenbegriffes in der Geschichte (Kimbern bei Poseidonios?)1 und dem Ende der Völkerwanderungszeit bzw. zwischen dem Ende des zweiten vorchristlichen und dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert. Besonders rätselhaft und offen sind einerseits das Problem der Ethnizität und die damit verbundene Frage der Ethnogenese bzw. Stammesbildung,2 andererseits die Frage des Endes einiger germanischen Stämme. So wird heute zum Beispiel noch eine Antwort auf die Fragen gesucht, wer die Alamannen wirklich waren,3 woher die Sueben kamen, wo und wann die Semnonen verschwunden sind, usw. Weitere Probleme beziehen sich auf das Leben der Germanen, auf ihre Hauptbeschäftigungen und auf die Struktur ihrer Gesellschaft. In der Fülle der offenen Fragen ist mir jedoch eine Lücke aufgefallen, nämlich das Fehlen nicht so sehr an theoretischen Studien zur Rolle der Germanen in der Antike, sondern einer aktuellen Diskussion über die Vielfältigkeit der Germanendarstellung. Diese Empfindung hat sich 1 Zum Problem des Auftauchens des Germanenbegriffes in der Geschichte (Schlacht bei Clastidium?) s. L. Polverini, Germani in Italia prima dei Cimbri?, in: B. Scardigli/ P. Scardigli (a cura di), Germani in Italia, Rom 1994, S. 110. 2 Für die Germanen, jedoch besonders für die gentes der Spätantike und des frühen Mittelalters gelten die Positionen Wenskus’ heute noch als bester Ausgangspunkt. R. Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, Köln/Wien 19772. 3 Vgl. D. Geuenich, Geschichte der Alemannen, Stuttgart/Berlin/Köln 1997, S. 9 f. Die Idee der vorliegenden Arbeit ist erst im Laufe der Untersuchung aufgetaucht und hat nach und nach Gestalt angenommen. Ursprünglich wollte ich mich auch ausschließlich mit Problemen und Fragen zur alamannischen Ethnogenese beschäftigen. Unter diesen spielte die Frage nach der römischen Darstellung der Alamannen eine entscheidende Rolle. Da ich eine Betrachtung sämtlicher Problematiken der römischgermanischen Kontakte für die Voraussetzung für meine Arbeit hielt, habe ich mich zunächst mit der Frage nach der römischen Wahrnehmung der Germanen bzw. der Entstehung und Entwicklung des ‚Germanenbildes’ befasst. Trotz der Fülle von Aufsätzen und Studien zu einzelnen Aspekten des Germanenthemas ist mir die geringe Zahl von umfassenderen Arbeiten zum gesamten Prozess der ethnographischen Wahrnehmung der germanischen Völker aufgefallen. In der Phase der Literaturuntersuchung musste ich mich auch mit dem Fehlen einer aktuellen Diskussion zur allgemeinen Bewertung des „römischen Germanenbildes“ auseinandersetzen. 3 verstärkt, als ich während der allerersten Phase dieser Arbeit auf den aussagekräftigen (jedoch noch fraglichen!) Begriff „römisches Germanenbild“ gestoßen bin. Der Begriff stellt an sich bereits ein Problem dar, da ihm eine Reihe von Fragen zwangsläufig innewohnt: Welche Römer werden in ihm implizit gemeint? Welche Germanen? Was wird mit Bild gemeint? Es ist eine Tatsache, dass alle Beschreibungen des alten Germanentums, die wir heute besitzen, auf römische bzw. mit der Geschichte Roms eng verbunden Autoren zurückzuführen sind.4 Altgermanien, wie wir es heute aus der klassischen Literatur kennen, muss zweifellos als Literaturprodukt der Antike verstanden werden. Autoren wie Caesar, Strabo, Velleius, Tacitus, Florus, Cassius Dio, Ammian, Aurelius Victor u. a. haben faszinierende Bilder des alten Germanentums hinterlassen. Ist also mit „römischem Germanenbild“ eine gemeinsame Grundidee des Germanentums gemeint, die alle erhaltenen römische Quellen zu den Germanen prägt? Angesichts der verschiedenen Herkünfte, Absichten, Erfahrungen, Motivationen und Kenntnisse der jeweiligen Autoren und aufgrund der unterschiedlichen Epoche und politischen Lage, aus der jede Germanendarstellung stammt, ist mir das Problem der Annahme einer römischen Grundidee des Germanentums sofort aufgefallen. Sind alle oder die meisten Angaben zu den Germanen derart schlüssig, dass man ein Germanenbild der Römer wirklich rekonstruieren kann? Oder sind sie derart verschiedenartiger Natur, dass es schwierig ist, von einem römischen Germanenbild zu sprechen? Veröffentlichungen von A. A. Lund, C. TrzaskaRichter und B. Günnewig5 stellen bis heute die modernsten umfassenden Schilderungen der römischen Wahrnehmung der Germanen und der darauffolgenden Gestaltung und Verwendung eines Germanenbildes dar. Möglicherweise enthalten sie auch den Schlüssel, um das Problem des Germanenbildes zu lösen. Deshalb stellen die erwähnten Arbeiten im Rahmen meiner Überlegungen einen optimalen Ausgangspunkt dar. Die Arbeit von Lund ist nicht nur ein kurzer «Überblick über den heutigen Stand 4 Die griechischen Autoren, die den Germanennamen erwähnt haben, haben sich hauptsächlich auf Rom bezogen. Für ein Verzeichnis der griechischen Quellen: A. Heine (Hrsg.), B. Neuwald (zsgest. U. erl. von), Germanen und Germanien in griechischen Quellen, Kettwig 1992. 5 A. A. Lund, Zum Germanenbild der Römer. Eine Einführung in die antike Ethnographie, Heidelberg 1990; C. TrzaskaRichter, Furor Teutonicus. Das römische Germanenbild in Politik und Propaganda von den Anfängen bis zum 2. Jahrhundert n. Chr., Trier 1991; B. Günnewig, Das Bild der Germanen und der Britannier, Frankfurt am Main 1998. 4 der Germanenforschung»6, sondern enthält persönliche Interpretationen der römischen Darstellung der Germanen. Nachdem der Gegensatz der Begriffe Hellenes und Barbaroi in Griechenland geschildert worden ist, werden vor allem die Germanenbeschreibungen bei Caesar und Tacitus betrachtet. Der Autor versucht zuerst Kriterien der antiken Ethnographie zu ermitteln, um sie danach auf beide römischen Geschichtsschreiber zu projizieren. Die Außenwelt sei ausschließlich «eine Wildnis, die von Wilden bewohnt war», gewesen.7 Die Darstellung der Andersartigkeit tendiere in einigen Fällen zur Karikatur.8 Lund konzentriert sich auf die Hervorhebung der primitiven Seiten der Germanen. Dabei unterstreicht er, daß die negativen Seiten der Germanen dazu dienen, im römischen Leser die Vorstellung der barbarischen Kulturlosigkeit zu untermauern. So werden jene Bräuche und Charaktermerkmale verzeichnet, die zu einer bestimmten Barbarentopik der Antike führen, und die eindeutig ein negatives Bild hervorrufen: einfaches Essen, übermäßiges Trinken, Überheblichkeit, Arroganz, Treulosigkeit, Unzuverlässigkeit, Promiskuität, Libido, Unmoralität, furchterregendes Äußeres, primitive Haartracht, Aggressivität, Grausamkeit.9 Lunds Aussagen neigen jedoch auch zur Verurteilung der römischen Germanendarstellung, da diese vereinfachend sei.10 Dies belegt er durch eine Reihe von interessanten Vergleichen zwischen verschiedenen Barbarendarstellungen der Antike. An dieser Stelle stellt sich aber zwangsläufig eine Frage: Inwiefern ist die Einstufung der römischen Werke in die griechische ethnographische Tradition nützlich, um die römische Betrachtungsweise der Barbaren zu verstehen? Dauge hatte schon in seinem berühmten Buch über die Barbaren vor der Einseitigkeit dieser Methodik gewarnt: «On a bien analysé la conception grecque de la barbarie, mais, par un préjugé trop longtemps répandu qui consistait à ne voir dans la pensée romaine correspondante qu’un appendice de l’idéologie hellénique, on n’a pas cherché à déterminer l’originalité de Rome en ce domaine, et l’on a pris l’habitude de considérer les textes latins dans une perspective grecque qui les trahit.»11 Wenn einerseits der Vergleich zwischen antiken Autoren dazu dient, sich ein «römisches 6 Lund (1990), S. 1. 7 Lund (1990), S. 16. 8 Lund (1990), S. 26. Hierfür wird die Germaniastelle zu den Sithonen (45,6) als Beispiel erwähnt. 9 Lund (1990), S. 58 f. 10 S. z.B. Lund (1990), S. 67: «Auch die Darstellung der Eßgewohnheiten der germanischen Barbaren, die ja letzten Endes mit der Wirtschaftsform zusammenhängen, unterliegt der gleichen Tendenz der Vereinfachung, was zu einer völligen Verzerrung des Bildes der geschilderten Fremdheit führt.» 11 Y. A. Dauge, Le barbare, Bruxelles 1981, S. 1314. 5 Germanenbild» vorzustellen, wie Lunds Buch zeigt, birgt dies andererseits das Risiko der Verallgemeinerung. Die ständigen Sprünge von Herodot zu Caesar und von diesem zu Tacitus sowie die Versuche, in den römischen Texten über die Germanen Spuren von griechischen Motiven zu erkennen, nützen m. E. allein dann, wenn davor alle Elemente der Analyse einzeln kontextualisiert und überprüft worden sind. In diesem Rahmen sind auch Anspielungen auf den Ansatz, die Absicht und vor allem die politische Motivation jedes einzelnen Autors unerläßlich. Es wäre also verkürzend, das römische Germanenbild allein anhand der ethnographischen Tradition darzustellen, ohne die Sichtweise der Autoren und die Einzigartigkeit der Themen von Fall zu Fall zu definieren.12 Lunds Arbeit enthält also keinen Schlüssel, um meine Grundfrage zu beantworten. Im Gegenteil fordert sie weitere Untersuchungen. Der Titel der Veröffentlichung TrzaskaRichters lautet «Furor Teutonicus – Das römische Germanenbild in Politik und Propaganda von den Anfängen bis zum 2. Jahrhundert n. Chr.». Gegenstand der Untersuchung ist «das Bild der Römer von den Germanen mit seinen Einflüssen auf Politik und Propaganda», wie die Autorin am Anfang ihrer Einleitung erklärt.13 Ein Bild setzte sich «aus einer Vielzahl verschiedener Vorstellungen zusammen. Die Vorstellungen ihrerseits können durch subjektive Erinnerungen an Erlebtes, durch kollektive Einschätzungen von Sachverhalten und durch Phantasien geprägt sein und zu den Inhalten kombiniert werden.»14 Trzaska Richters Ziel ist das «komplexe Beziehungsgeflecht von starren Vorstellungen, Vorurteilen und Feindbildern für das römische Germanenbild»15 zu untersuchen. Das Verdienst ihrer Arbeit ist durchaus, das Zusammenspiel zwischen der Beschreibung der Germanen und der römischen Innen und Außenpolitik thematisiert zu haben. In der Einleitung werden die Ansätze der modernen Literatur zum Germanenthema dargestellt und kritisiert.16 Die Autorin erkennt eine Lücke in den 12 D. Timpe, Rom und die Barbaren des Nordens, in: M. Schuster (Hrsg.), Die Begegnung mit dem Fremden – Wertungen und Wirkungen in Hochkulturen vom Altertum bis zur Gegenwart, Stuttgart/Leipzig 1996, S. 3450, S. 39, reflektiert zum Thema ‚Rom und die Barbaren des Nordens’: «Mit alledem möchte ich mein Thema nicht wegproblematisieren, wohl aber deutlich machen, daß es sich auflöst in einen Fächer von Einzelaspekten unterschiedlicher Herkunft, Zeitbedingung, Richtung, Tragweite und Höhenlage. Diese Aspekte kann man deshalb wohl nur einzeln skizzieren, will man nicht selbst der Gefangene von Klischees, literarischen Verengungen und Einseitigkeiten werden.» 13 TrzaskaRichter (1991), S. 11. 14 TrzaskaRichter (1991), S. 12. 15 TrzaskaRichter (1991), S. 13. 16 TrzaskaRichter (1991), S. 1121. Sehr hilfreich sind Auflistung und Kommentierung der wichtigsten Aufsätze zur römischen Germanendarstellung. 6
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