In die "Sammlung von Monographien aus dem Gesa.mtgehiet.e der Neu rologie und Psychiatrie" soUen Arbeiten aufgenommen werden, die Einzel gegenstande aus dem Gesamtgebietc der Neurologie und Psychiatrie in mono· graphischer Weise behandeln. Jade Arbeit hildet ein in sich abgeschlossenes Gauzes. Das Bediidnis ergah sich einerseits II.US der Tatsache, daB die Redaktion der Zeitschrift fiir die gesamte Neurologie und Psychiatric wiederholt genotigt war, Arbeiten zllriickzuweisen nur aus dem Grunde. weil sie nach Umfang oder Art der Darstellung nicht mehr in den Rahmen einer Zeitsehcift paBten. Wenn dieso Arbeiten der Zeitschrift iiberhaupt angeboten wurden, so bowoist dor Umstand andererseits, daB fiir viele Autoren ein Bediirfnis 'Torliegt, solche Monographien nicht ganz isoliert erscheinen zu lassen. Es stimmt das mit der buchhandlerischen Erfahrung, daB die Verbreitung von Mono graphien durch die Aufnahme in eine Sammlung eine grOBere wird. Die Sammlung wird den Ahonoeoten der "Zeitschrift flir die ge samte Neurologie und Psychiatrie" zu einem urn ca. 20% ermaBigten Vorzugspreise geliefert. Angehote und nfanllskriptsendungen sind an eineo der Herausgeber. Professor Dr. A. Alzheimer, Breslau, AuenstraBe 42 oder Professor Dr. M. Lewandowsky, Berlin W 62, Lutherstralle 21 erbeten. Dic HOllorierung der ~fonographien arfolgt nach bestimmten, zwischen Herausgebern und Verlag genau festgolegten Grundsatzen und variiert nur je nach Hohe der Auflage. Ahbildungen und Tafeln werden in entgegenkommender Weise obne irgondwelche Unkosten fUr die Herren Autoren wiedergegeben. MONOGRAPHIEN AUS DEM GESAMTGEBIETE DER NEUROLOGIE UND PSYCHIA TRIE HERAUSGEGEBEN VON A. ALZHEIMER-BRESLAU UND M. IJEWANDOWSKY-BERLIN HEFT 10 DIE GE MEIN GE F AHRLI CHKEIT IN PSYCHIATRISCHER, JURISTISCHER UND SOZIOLOGISCHER BEZIEHUNG VON DR. JUR. ET Mlm. 1\'1. H. GORING PRIVATDOZENT FOR PSYCHIATRIE. ASSISTENZARZT AN DER KLINIK FOR PSYCHISCHE UND NERVOSE ...----------, KRANKHEITEN ZU GfESSEN In teo Domine. speravi: Hon confundar in aetemum. Ex libris P. Jacobi d. MS chauermann BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1915 ISBN-13:978-3-642-93810-8 e-ISBN-13:978-3-642-9421O-5 DOl: 10.1007/978-3-642-94210-5 Alle Reehte, insbesondere das der "Obersetzung in hemde Sprachen, vorbehaltell. Copyright 1915 by Julius Springer in Berlin. HERRN GEHEIMRAT PROFESSOR DR.R.SOMMER ZUM 25 JAHRIGENPSYCHIATERJUBILAUM UND 50. GEBURTSTAGE IN DANKBARER ERGEBENHEIT GEWIDMET Vorwort. Die folgende Schrift setzt sich zum Ziel, die umstrittene Frage der Gemein gefahrlichkeit auf klinisch-analytischem Wege zu lOsen. Die Krankengeschichten, aus denen die Auszuge veroffentlicht sind, stammen aus der Gr. Universitatsklinik fur psychische und nervose Krank heiten zu GieBen und sind vielfach schon im Hinblick auf die eventuelle Behand lung dieses Themas gefuhrt, die Strafanstaltsakten aus der Zellenstrafanstalt Butzbach. Zur Herstellung der Nachtrage wurden mir von allen Anstalten, in erster Linie den hessischen Landes- und hessen-nassauischen Provinzial Heil- und Pflegeanstalten, die entsprechenden Krankengeschichten bereitwilligst zur Verfugung gestellt. Fast alle Heimatbehorden, die ich urn Auskunft uber entlassene Kranke bat, sandten ausfuhrIiche Berichte. Allen Anstaltsdirektoren und Verwaltungsbehorden spreche ich meinen ergebensten Dank fUr ihr Entgegenkommen aus; ganz besonders danke ich Herrn Geheimrat So m mer fur die Anregung zu der Arbeit und die Unterstutzung, die er mir hat zuteil werden lassen. Das Erscheinen dieser Schrift, die schon im Juni vor. J. abgeschlossen vorlag, hat sich infolge des Kriegsausbruches verzogert. Der Yerfasser. Inhaltsverzeichnis. Seite Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. A bschni tt: Die zurzei t gel tenden und in En twiirfen vorgeschlagenen Bestimmungen, sowie eine Anzahl veroffentlichter Erklarungen iiber die Gemeingefahrlichkeit .......... . 2 1. Kapitel: Welche Voraussetzungen miissen gegeben sein? . 2 2. Kapitel: Welche Handlungen miissen befiirchtet werden? 4 II. Abschnitt: Besprechung der Gemeingefahrlichen an Hand von Krankengeschichten und Strafanstaltsakten .... 8 1. Kapitel: Gemeingefahrlichkeit infolge von Sinnestauschungen ..... . 8 2. Kapitel: Gemeingefahrlichkeit infolge von Wahnideen ..... . 15 3. Kapitel: Gemeingefahrlichkeit infolge von Dammerzustanden und plotzlich auftretenden Erregungszustanden . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4. Kapitel: Gemeingefahrlichkeit infolge von Schwachsinn . . . . . . 64 5. Kapitel: Gemeingefahrlichkeit infolge von verbrecherischer Neigung 68 III. Abschnitt: Die Einteilung der Gemeingefahrlichkeit 89 1. Kapitel: Bei welchen Handlungen kann man den Tater als gemeingefahrlich bezeichnen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Kapitel: Die Beurteilung der Zukunft aus Gesinnung und Krankheitserschei- nungen . . . . . . . . 92 1. Bei Geistesgesunden 92 2. Bei J ugendlichen . . 95 3. Bei Geisteskranken . 98 3. Kapitel: Die BeeinfluBbarkeit der Gemeingefahrlichkeit und das Auftreten partieller Gemeingefahrlichkeit . . . . . . . . . . . . 104 1. Reize, welche die Gemeingefahrlichkeit herbeifiihren oder erhOhen . 104 2. Die Gemeingefahrlichkeit fiir eine bestimmte Zeit . . . . . . . . . . 106 3. Die Gemeingefahrlichkeit gegen bestimmte Personen und an bestimmten Orten .............................. 108 Zusammenfassung ........................... 109 IV. Abschnitt: Die Behandlung und Bekampfung der Gemeingefahrlich- kei t. . . . . . . . . . . . 111 Allgemeines . . . . . . . . 111 1. Kapitel: Die Internierung 112 1. Allgemeines. . . . . . 112 2. Aufnahmen a) in Irrenanstalten 115 b) in Sicherungsanstalten 119 3. Entlassung a) aus Irrenanstalten . . 120 b) aus Sicherungsanstalten 125 2. Kapitel: Die Entmiindigung und Beaufsichtigung 126 3. Kapitel: Andere Mittel zur Behandlung und Bekampfung der Gemeingefahr- lichen ........................ 132 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Aufenthaltsbeschrankung; Ortswechsel ohne Internierung . . 133 2. Berufswechsel; Herbeifiihrung giinstiger Arbeitsbedingungen 135 3. Wirtshausverbot ......... 135 4. Heirat und Trennung der Ehegatten 136 5. Sterilisation (Kastration). . 137 6. Jugendschutz und Aufsicht 137 7. Allgemeinwirkende Mittel 138 Zusammenfassung 139 Literaturverzeichnis 141 Sachregister . . . . 147 Einleitung. Immer mehr Stimmen werden laut, welche verlangen, daB gemeingefahrliche Menschen, mogen sie geistesgesund oder geisteskrank sein, solange unschadlich gemacht werden, bis man annehmen kann, daB sie in der Freiheit keinen Schaden mehr anrichten werden. Es ist klar, daB die Entfernung einer Person aus der menschlichen Gesellschaft dieses einzelne Individuum schwer schadigt. Man muB sich also in jedem einzelnen Falle die Frage vorlegen: Werden die Mitmenschen dadurch, daB eine Person unter ihnen verweilt, derart durch diese geschadigt, daB die Interessen der Person zuruckstehen mussen? Urn diese Frage beantworten zu konnen, mussen wir versuchen, uns daruber klar zu werden, was der Ausdruck Gemeingefahrlichkeit bedeutet. Er ist, wie Hubner mit Recht sagt, "weder ein medizinischer noch ein juristischer". Er ist der Polizei sprache entnommen. - Unser geltendes Strafrecht gibt ibm eine ganz andere Bedeutung, als wir es heutzutage tun; es spricht in seinem 27. Abschnitt von "gemeingefahrlichen Vergehen und Verbrechen" und versteht darunter solche Delikte', die an sich eine besonders groBe Gefahr darstellen, wie Brandstiftung, Gefahrdung eines Zuges. Der Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch hat daher auch diese Bezeichnung fallen gelassen. 1m Gegensatz zum geltenden Strafrecht verstehen wir, wie schon Feuerbach im Jahre 1800, unter "gemein gefahrlich", einen Zustand, in dem sich ein Mensch befindet. Das eine ist natur lich selbstverstandlich, daB die Gesellschaft uber dem Einzelnen steht. Nacke (1912) sagt daruber in einem seiner letzten Aufsatze: "Die Humanitatsduselei ist von wahrhafter Humanitat weit entfernt. Sie berucksichtigt mehr das Individuum als das allgemeine Wohl und zeigt sich schon dadurch als moralisch minderwertig" . Urn die Frage: wer ist gemeingefahrlich? beantworten zu konnen, mussen wir sie in zwei Fragen zerlegen: 1. Welche Voraussetzungen mussen gegeben sein, 2. Welche Handlungen mussen befiirchtet werden, urn einen Menschen fur gemeingefahrlich erklaren zu konnen? Betrachten wir zunachst die geltenden Bestimmungen und die neuen Vor schlage. Goring, Gcmeingefiihrlichkeit. I. A b s c h nit t. Die zurzeit geltenden und in Entwfirfen vorgeschla genen Bestimmungen, sowie eine Anzahl veroifent· lichter ErkUirungen fiber die Gemeingefahrlichkeit. 1. Kapi tel. Welche Voraussetzungen miissen gegeben sein? Diese Frage ist besonders wichtig fur die geistesgesunden Verbrecher; denn ffir die Geisteskranken genugt im allgemeinen ihre Geiste/3krankheit als Voraussetzung fur ihre Internierung. Unser geltendes Strafrecht kennt eine Strafscharfung bei Ruckfall nur fur einige Eigentumsdelikte: Diebstahl, Raub, Hehlerei, Betrug und Bettel. Man darf wohl annehmen, daB diese yom Gesetzgeber herausgegriffen wurden, weil sie am haufigsten vorkommen, die Tater also in gewissem Grade fur die All gemeinheit besonders gefahrlich sind. Einen ganz ahnlichen Standpunkt ver tritt Oba, wenn er sagt, die Gemeingefahrlichkeit liege in erster Linie in der wiederholten Begehung von Verbrechen; die Delikte, die den groBten Prozent satz bildeten und in der Regel sehr oft begangen willden, seien fUr die Allgemein heit am schadlichsten, die Tater also am gemeingefahrlichsten. Von vielen wurde es als eine groBe Lucke empfunden, daB nur der Ruck fall, nicht aber andere Umstande, fur besonders schwere Bestrafung ausschlag gebend sein solIe. Kitzinger sagt in seiner Bearbeitung der Verhandlungen der 1. K. V.: "Der Ruckfall hat zweifellos im Strafrecht nur die Bedeutung eines auBeren Symptomes schwerer Verschuldung oder groBerer sozialer Gefahrlich keit des Taters und zwar eines nach der positiven wie negativen Seite hin leicht trugerischen Symptomes. Begreiflich daher die Versuche, von dem auBerlich und ungenugend unterscheidenden Symptom zu einem inneren und wesentlichen Unterschied unter den Straftatern und dadurch zu einer verschiedenartigen Behandlung dieser selbst vorzudringen". Man stieB aber auf erhebliche Schwie rigkeiten, als man diese anderen Umstande genauer begrenzen wollte. Aschaf fen burg (1908) spricht von psychologischer Eigenart, die durch Ergrunden der Gesamtpersonlichkeit yom Entscheidenden erkannt werden muB. Mitter maier (1908) verlangt, daB der gemeingefahrliche Verbrecher 3 selbstandige Verbrechen oder Vergehen begangen hat und nach seinen Taten, der ihnen zu grunde liegenden Triebfeder und der in ihnen sich offenbarenden Gesinnung erhebliche Straftaten wieder begehen wird. v. Liszt (1904) halt folgende Punkte Welche Vorraussetzungen mussen gegeben sein? 3 fUr besonders beachtenswert: das bisherige Verhalten, bereits begangene straf bare Handlungen, auch .AuBerungen, Drohungen und Vorbereitungen. .Ahnlich druckt sich Gar90n aus. J aspar wftnscht, daB der Richter diejenigen Ver brecher als gefahrlich erklaren konne, welche 1. unter Berucksichtigung des Vorlebens, ererbter Eigenschaften, Vorstrafen, 2. durch ihre Lebensart, 3. durch die Natur der begangenen Straftaten eine besondere Gefahr fur die Gesellschaft bilden. 1m AnschluB daran und die Referate von Gar90n, V. Liszt und van Hamel, welcher, ebenso wie Prins, entweder aus einem gewissen Ruck fall oder aus einem besonders schweren Verbrechen die Gemeingefahrlichkeit gefolgert wissen will, beschloB die 1. K. V. 1910: "Das Gesetz muB bestimmte MaBnahmen der sozialen Sicherung gegenuber den Verbrechern ergreifen, welche gemeingefahrlich sind, sei es infolge ihrer Ruckfalligkeit, sei es infolge ihrer Lebensgewohnheiten, welche yom Gesetz zu definieren sind, sei es infolge ihrer Anlage und ihrer Lebensfuhrung, wie sie durch die Begehung einer im Gesetz vorgesehenen Straftat in die Erscheinung getreten sind." Wir sehen, daB in diesem BeschluB in gewissen Fallen auf den Ruckfall ganz verzichtet wird. 1913 stellte sich die 1. K. V. auf Antrag Nabakoffs auf den Standpunkt: formelle Merkmale des Ruckfalls mit subjektiver Wertung. Auch in den Be schlussen des D. J. T. wird auf die Ruckfalligkeit nicht verzichtet. Unser V. E. legt, ebenso wie der G. E. noch das Hauptgewicht auf den Ruckfall; den Ausdruck "gemeingefahrlich" kennt er uberhaupt nicht. Er bestimmt in § 89, daB diejenigen Verbrecher zu besonders langen Zuchthaus strafen verurteilt werden sollen, die mehrfach zu erheblichen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind und nun aufs neue ein Verbrechen oder vorsatzliches Vergehen, "das ihn in Verbindung mit seinen Vorstrafen als gewerbs- oder gewohnheitsmaBigen Verbrecher erscheinen laBt", begangen hat. In der Begrun dung heiBt es, daB gerade dieses letzte Erfordernis -zum Ausdruck bringe, daB der Ruckfall an sich nicht genuge, daB er vielmehr seinen Grund in der verbreche rischen Gesinnung, in einem eingewurzelten Hange zum Verbrechen haben musse. Das allgemeine burgerliche Strafgesetzbuch fur das Konigreich Norwegen yom 22. Mai 1902 geht in § 65 weiter als unser V. E.; bei einer groBen Zahl von Ver brechen kann das Gericht beschlieBen, "den Geschworenen die Frage vorzu legen, ob der Tater in Anbetracht der Beschaffenheit dcr Verbrechen, der ihnen zugrunde liegenden Triebfeder oder der in ihnen sich offenbarenden Gesinnung, als besonders gefahrlich fUr die menschliche Gesellschaft oder fur das Leben, die Gesundheit oder das Wohl einzelner angesehen werden muB". Auch der osterreichische Entwurf spricht von "gefahrlich" und "gemeingefahrlich". In seinem § 43 verlangt er, daB in jedem Falle die Gefahrlichkeit gepruft werde: "Die Strafe ist nach dem Verschulden und der Gefahrlichkeit des Taters zu be messen". Unter gewissen Umstanden kann beim dritten Ruckfall nach den Bestimmungen des § 38 Verwahrung eintreten, wenn den Tater seine Verbrechen als gemeingefahrlich erscheinen lassen und anzunehmen ist, er werde sich von weiteren strafbaren Handlungen nicht abhalten lassen. Aus der Begrundung zu diesem Entwurf geht hervor, worauf Birk meyer (1914) hingewiesen hat, daB fur die Gemeingefahrlichkeit folgende Kriterien in Betracht kommen: Der Lebenswandel des Taters, die Eigenart der Tat, die Vielheit der Verbrechensbegehung, die Motive und gewisse Eigen schaften des Taters, sein Verhalten nach der Tat. 1* 4 Geltende Bestimmungen und neue Vorschlage. In Ungarn besteht noch ein eigenes Gesetz "Dber die Bestrafung der ge meingefahrlichen Arbeitsscheuen" von 1913. Dort werden zu den gemeingefahr lichen hauptsachlich solche Individuen° gezahlt, die infolge ihrer besonderen Eigenschaften selbst unter normalen Umstanden auf den geringsten Reiz mit widerrechtlichen Handlungen reagieren. Die Fassung erinnert an die Definition des gemeingefahrlichen Gewohnheitsverbrechers durch Liepmann (1907); er halt ihn fur einen Menschen, "der durch wiederholte Verbrechen gezeigt hat, daB ihn auch geringe Motive zum Verbrechen bestimmen". Zwischen den geistesgesunden und geisteskranken stehen die geistig minderwertigen Gemeingefahrlichen. Fur sie wird nach Kahl (1908) der Grund der Gemeingefahrlichkeit in der Tatsache der wiederholten Begehung straf barer Handlungen oder in der Natur ihres chronisch krankhaften Zustandes liegt. Wahrend der englische Entwurf zur Verwahrung geistig Minderwertiger sich nur nach dem Zustande des Individuums richtet, verlangt das niederlandische Psychopathengesetz die Dbertretung des Strafgesetzes. Wie schon oben erwahnt, wird allgemein anerkannt, daB bei Geistes kranken die Voraussetzung fur die Gemeingefahrlichkeit lediglich in der Er krankung selbst liegt; die Gegenwart ist maBgebend und samtliche Gesetze und Verordnungen, die fur die Irrenanstalten gegeben sind, drucken sich dem entsprechend aus. Nur die Ordnung fur die koniglichen Sachsischen Heil und Pflegeanstalten spricht merkwurdigerweise in der Vergangenheit; sie ver langt in § 14 zwar keine Straftat des Geisteskranken, aber immerhin, daB er fruher sich oder anderen gefahrlich oder fUr die offentliche Ordnung storend war. Fur folgenden Fall wurde also die Bestimmung nicht einschlagig sein: H. Uo, Maurer, geb. 27. VI. 1895, aufg. 14. VI. 13. Eine Schwester ist in einer Irrenanstalt, eine andere war nervos. U. war ein tiichtiger, fleiBiger Arbeiter. Von Februar 1913 an dumpfes Gefiihl im Kopfe, hatte im Marz cinen Unfall, fiel auf den Nacken, seitdem starkere Kopfschmerzen, Schwerfalligkeit im Denken, Mangel an Lebensfreude. Seit Pfingsten 1913 sah er aIle moglichen Erscheinungen am Himmel, horte Vogelstimmen und glaubte, daB die Leute ihn ausschelten, ohne jedoch etwas Bestimmtes dariiber angeben zu konnen. Er verhielt sich still und geordnet. - Auf Veranlassung der Krankenkasse wurde er hier aufgenommen. Anfangs war er zuganglich, frcundlich und ruhig. Anfang 1914 wurde er erregt, zerriB sein Bettzeug und griff ohne Grund ganz plotzlich Arzte und Pfleger an; die Sinnestauschungen nahmen zu. Mitte April 1914 erfolgte die Verlcgung in eine Irrenanstalt. Die Strafgesetze oder Entwurfe zu Strafgesetzen, welche Bestimmungen uber Sicherungen gegen Geisteskranke aufgenommen haben, mussen naturlich die Begehung irgend einer Straftat voraussetzen; sie fuhren aber keine bestimmten Straftaten an; nur das neue russische Strafgesetz verlangt in § 39 daB bei Per sonen, die einen Mord, eine sehr schwere Korperverletzung, eine Vergewaltigung oder eine Brandstiftung begangen oder versucht haben, die Unterbringung in eine Anstalt erfolgt. 2. Kapitel. Welche Handlungen miissen befiirclttet werden? Hier liegt die Schwierigkeit der Beantwortung der Frage gerade umge kehrt, wie im vorigen Kapitel. Bei Geistesgesunden wird ein neues Delikt erwartet, wenn die im ersten Kapitel besprochenen Voraussetzungen gcgeben sind, wenigstens was die Gesetze betrifft, die sich an den Ruckfall und nicht