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«Die Folgen des Krieges»: Ein Alterswerk von Peter Paul Rubens PDF

36 Pages·1975·2.521 MB·German
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Rheinisch -Westfälische Akademie der Wissenschaften Geisteswissenschaften Vorträge· G 199 Herausgegeben von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften HERBER T EINEM VON »Die Folgen des Krieges« Ein Alterswerk von Peter Paul Rubens Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Gemeinsame Sitzung der Klasse für Geisteswissenschaften und der Klasse für Natur-, Ingenieur-und Wirtschaftswissenschaften am 25. September 1974 in Düsseldorf Leo-Brandt-Vortrag © 1975 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH Opladen 1975 Gesamtherstellung: Westdeutscher Verlag GmbH ISBN 978-3-531-07199-2 ISBN 978-3-322-89377-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-89377-2 I. In der Galleria Palatina des Palazzo Pitti in Florenz und zwar im Saale des Mars hängt eines der bedeutendsten Alterswerke von Rubens (Abb. 1): der "Krieg" oder die "Folgen des Krieges" (2,06: 3,46 m)l. Wie Rubens das Bild selbst genannt hat oder genannt haben wollte, ist nicht bekannt. Aber in einem italienisch geschriebenen Brief vom 12. März 1638 an Justus Suster mans, den Hofmaler des Großherzogs der Toskana Ferdinands 11., hat Rubens anläßlich der Versendung des Bildes von Antwerpen nach Florenz eine ausführliche Beschreibung gegeben2• In diesem Brief heißt es: "Die Hauptfigur ist Mars, welcher den geöffneten Tempel des Janus" (der nach römischer Sitte in Friedenszeiten geschlossen blieb) "verlassen hat und mit dem Schilde und dem blutbefleckten Schwerte, den Völkern ein großes Unheil drohend, einherschreitet; er kümmert sich dabei wenig um Venus, seine Gebieterin, die sich, von ihren Amoren und Liebesgöttern begleitet, ver gebens bemüht, ihn mit Liebkosungen und Umarmungen zurückzuhalten. Von der andern Seite aber wird Mars von der Furie Alekto, die eine Fackel in der Hand schwingt, vorwärtsgezogen. Dabei Ungeheuer, welche Pest und Hungersnot, die untrennbaren Genossen des Krieges, bedeuten. Auf dem Boden liegt, rücklings hingestreckt, ein Weib mit einer zerbrochenen Laute, welche die mit der Zwietracht des Krieges unvereinbare Harmonie veran schaulicht, ebenso auch eine Mutter mit ihrem Kinde im Arme, welche an deutet, daß die Fruchtbarkeit, die Zeugung und die elterliche Liebe durch den Krieg, der alles zerstört und vernichtet, behindert werden. Ferner sieht man P. P. Rubens. Des Meisters Gemälde. Hrsg. von Rudolf Oldenbourg, Stuttgart und 1 Berlin 1921, Tf.428. Im folgenden zitiert: Oldenbourg. - Erich Hubala, Peter Paul Rubens, Der Krieg. In: Argo. Festschrift für Kurt Badt, Köln 1970, S. 277 ff. - Die Münstersche Dissertation von Reinhold Baumstark über das florentiner Bild ist mir noch nicht zugänglich gewesen. - Verf. gedenkt dankbar der Gespräche über das Bild mit Justus Müller-Hofstede. 2 Die Briefe des P. P. Rubens. übersetzt und eingeleitet von Otto Zoff, Wien 1918, Nr. CCXVIII, S. 461 ff. - Das italienische Original überliefert durch Filippo Baldinucci, Notizie de' Professori deI Disegno 1681. Opere, Ausgabe 1812, Bd.12, S. 44 ff. und Bottari, Raccolta di Lettere sulla Pittura, Scultura ed Architettura, Roma 1754. - Vgl. auch Rubensbriefe, gesammelt und erläutert von Adolf Rosenberg, Leipzig 1881, Nr. CXIX, S. 213 ff. 6 Herbert von Einem einen Baumeister auf den Rücken gestürzt mit seinen Instrumenten in der Hand, um auszudrücken, daß dasjenige, was in Friedenszeiten zur Zierde und zum Nutzen der Städte erbaut wird, durch die Gewalt der Waffen zu Boden stürzt und zugrunde geht. Ich glaube, wenn ich mich recht entsinne, daß Sie am Boden unter den Füßen des Mars noch ein Buch finden werden sowie eine Zeichnung auf Papier, um anzudeuten, daß er die Wissenschaften und alles übrige Schöne mit den Füßen tritt." (Auf der Zeichnung sind die drei Grazien zu erkennen, mit dem "allen übrigen Schönen" sind hier wohl ganz allgemein die schönen Künste gemeint3!) "Es muß auch noch ein Bündel von Pfeilen da sein, deren Band, das sie früher zusammenhielt, aufgelöst ist, und die in ihrer Verbindung als das Sinnbild der Eintracht ("emblema della Concordia") angesehen werden, sowie ferner der Caduceus und ein Olivenzweig als Symbol des Friedens, welche ich daneben auf dem Boden liegend angebracht habe." Und nun folgen die großartigen Worte, die wie ein Schlüssel zum Verständnis des Werkes sind: "Jene schmerzerfüllte Frau aber im schwarzen Gewande und mit zerrissenem Schleier und aller Juwelen und sonstigen Schmuckes beraubt ist das unglückliche Europa, welches schon so viele Jahre lang Raub, Schmach und Elend erleidet, von denen ein jeder so nach teilig betroffen wird, daß es nicht nötig ist, sie näher anzugeben. Ihr Symbol ist jener Globus, der von einem kleinen Engel oder Genius getragen wird, mit dem Kreuze darüber, wodurch die christliche Welt angedeutet wird." "Quella matrona lugubre, vestita di negro e col velo stracciato, e spogliata delle sue e gioie e d'ogni sorte d'ornamenti, l'infelice Europa, la quale gia per tanti anni soffre le rapine, gli oltraggi e le miserie, che sono tanto novice ad ognuno, che non occorre specificarle." In der Mitte - so dürfen wir hinzu fügen - Durchblick in die Ferne mit einer Schlacht. Aus Rubens' Beschreibung erfahren wir den genauen Inhalt des Bildes. Zugleich wird schon aus ihr deutlich, daß es sich um ein Werk handelt, das von dem Herzblut des Künstlers getränkt wird. Wie sollen wir das Bild als Zeitdokument, als persönliches Lebenszeugnis, als Kunstwerk verstehen? Was wissen wir über seine Geschichte? Ist es Auf tragswerk oder nur Bekenntnis? Können wir in seinen Schöpfungsprozeß Ein blick gewinnen? Vgl. hierzu Julius Held, Rubens, Selected Drawings, Bd. I, London 1959, S.15, fig.5 3 und Justus Müller-Hofstede, Besprechung des Heldschen Buches, Kunstchronik 1962, S. 94 ff. ,.Die Folgen des Krieges« 7 11. Rubens schreibt an Sustermans von dem Bild, "welches ich in Ihrem Auf trage und zu Ihren Diensten ("per suo servizio") gemalt habe" und bestätigt den Erhalt der Summe von hundertzweiundvierzig Gulden und vierzehn Stüber "als Rest meiner vollständigen Bezahlung"4. Sustermans war freilich wohl nur der Vermittler für den Großherzog von Toskanas. Es könnte aber auch sein, daß Rubens das Bild auf eigene Initiative in einer bestimmten Ab sicht für den Großherzog gemalt und sich dabei der Vermittlung des toska nischen Hofmalers bedient hat. 1637 hatte der Großherzog geheiratet. Aus Anlaß seiner Hochzeit mit Vittoria della Rovere wurde zur Verherrlichung des Fürstenpaares für die Staats gemächer des alten Palazzo Pitti, der seit 1530 Residenz der Herzöge und zu diesem Zweck umgestaltet und erweitert worden war, ein umfang reiches Dekorationsprogramm entworfen und mit der Ausführung begon nen6• Aus Rom wurde Pietro da Cortona berufen, um zunächst die Camera della Stufa im ersten Geschoß mit Wandbildern der vier Weltalter zu schmücken7• Thema war hier wohl nicht so sehr der Ovidische Vorstellungs kreis wie der Gedanke der Rückkehr des goldenen Zeitalters unter der Herr schaft des Großherzogs, also eine höfische Huldigung. 1637 waren die bei den ersten Fresken, das goldene und das silberne Zeitalter, fertig. Dann war eine Pause eingetreten, da Pietro da Cortona nach Rom zurückkehren mußte, um die Decke im Salone des Palazzo Barberini zu vollenden. Erst 1640 war er wieder in Florenz und führte nunmehr die beiden letzten Fresken der Camera della Stufa, das bronzene und das eiserne Zeitalter (Abb. 2), anschließend die Dec:kenfresken einer Folge weiterer Staatsgemächer mit Tugendallegorien aus. Nicht unmöglich, daß der Großherzog 1637 nach dem Fortgang des Pietro da Cortona daran dachte, Rubens nach Florenz zu berufen, oder aber 4 Zoff (vgl. Anm. 2), S. 461. 5 Wolfgang Stechow, Rubens and the Classical Tradition, Carnbridge 1968, S.87, sagt: "Probably cornrnissioned to hirn by the Tuscan Court". - Aus Baldinuccis Vita Suster mans' (vgl. Anm. 2), S. 42, scheint indes hervorzugehen, daß sich das Bild einige Zeit "in casa de' suoi eredi" (des Malers Sustermans) befunden hat, ehe es in den Besitz des Großherzogs Ferdinand II. kam. 8 Vgl. hierzu H. Geisenheimer, Pietro da Cortona e gli affreschi deI Palazzo Pitti, Firenze 1909. - Rudolf Wittkower, Art and Architecture in Ttaly 1600-1750, Pelican History, 2. Aufl., 1965, S. 166 ff. - Walter Vitzthum, Pietro da Cortona a Palazzo Pitti. L'Arte raconta, Bd.21, Skira. - Maleolm Campbell and Myron Laskin, A new Drawing of Pietro da Cortona, "Age of Bronze", Burlington Magazine, Bd.l03, 1961, S. 423 f. - Walter Vitzthum and Maleolm Campbell, Letters, Burlington Magazine, Bd. 104, 1962, S. 120 ff. und Burlington Magazine, Bd. 107, 1965, S. 522. 7 Hermann Voss, Die Malerei des Barock in Rom, Berlin o. J., S. 246 f. und 539 ff. 8 Herbert von Einem daß Rubens selbst damals den Wunsch hatte, an der Vollendung des Schmuckes der Camera della Stufa beteiligt zu werden und aus diesem Grunde dem Großherzog sein Bild als eine Art Probestück übermitteltes. So viel zur Frage der Entstehungsgeschichte des Bildes. Ober hypothetisChe Er wägungen vermögen wir leider nicht hinauszukommen. Jedenfalls steht (das dürfen wir mit Sicherheit sagen) das Thema des Bildes in einem wohl kaum zufälligen Zusammenhang mit der Thematik des eisernen Zeitalters, das in der Folge der Wandbilder der Camera della Stufa damals noch fehlte. Wie geläufig Rubens die Ovidische Vorstellung der Zeitalter war, und daß er gerade die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, die das eigentliche Thema seines florentiner Bildes war, unter diesem Aspekt sah, geht aus einem Brief an Pierre Dupuy vom 22. April 1627 hervor: "Was mein Teil anbelangt, so wünschte ich, daß die ganze Welt in Frieden lebte und daß wir statt eines eisernen ein goldenes Zeitalter hätten. "9 IH. Rubens' Bild führt uns in die für die Menschen des 19. und 20. Jahrhun derts fremdgewordene Welt der Allegorie. Das Bedürfnis, sich alle - und gerade die schwierigsten - Vorstellungsgehalte bildhaft vor Augen zu stellen, war vom Mittelalter bis in den Barock von einer Kraft, von der wir uns heute kaum mehr einen Begriff machen können. Auf ihm beruht die überlegenheit der bildenden Kunst für diese Jahrhunderte. Die Allegorien waren im Barock durchaus noch Gemeingut der Zeit, für die Künstler wie für die Auftraggeber selbstverständlicher Bilderschatz. Sie fußten teils auf an tiker Mythologie, teils waren sie (ebenfalls von antiken und spätantiken Vorstellungen aus) Personifikationen abstrakter Begriffe und standen dem Betrachter als unmittelbar nacherlebbare Bildwelt anschaulich vor Augen. In Rubens' Bild gehören zu den mythischen Vorstellungen der geöffnete Janustempel als Kriegsfanal, Mars, der stürmische Gott des Schlachten getümmels, und seine Geliebte, die Göttin Venus, die Furie Alekto, eine der drei Erinyen, die den Menschen blutige Mordgedanken und Wahnsinn ein flößt, der Merkurstab Caduceus, das Attribut des Mercurius pacifer, zu den Personifikationen und begrifflichen Abstraktionen Europa, Harmonia, Con cordia, Discordia, Feconditas, Caritas, Wissenschaft und Künste, von denen in Rubens' Brief die Rede ist. Daß Europa eine Mauerkrone trägt und ein 8 So, wie ich glaube, mit Recht, Hubala (vgl. Anm. 1), S. 277 f. Zoff (vgl. Anm. 2), S. 204. 8 ,.Die Folgen des Krieges« 9 Globus zu ihr gehört, ist ebenso geläufig wie Bücher und Handwerkszeuge der Künstler als Embleme der Wissenschaften und Künste. Dennoch handelt es sich bei Rubens um mehr als nur eine Allegorie des Krieges als Kennzeichen des eisernen Zeitalters. Im Vergleich mit dem Fresko des "Eisernen Zeitalters" von Pietro da Cortona10, das freilich erst 1640 (im Todesjahr von Rubens) geschaffen, vermutlich aber schon vorher entworfen worden ist, wird ein tiefgreifender Unterschied deutlich. Auch bei Pietro da Cortona Mord und Zerstörung als zur Thematik des eisernen Zeitalters ge hörig: vor der Statue einer Göttin erschlägt ein Krieger einen Priester, vorn ein Krieger, der einen am Boden liegenden Greis mordet, eine Frau, die um Erbarmen fleht, wird von einem dritten Krieger angegriffen, im Hintergrund brennende Gebäude. Als Teil des Zeitalterzyklus ist das Fresko aber von einer nahezu unpersönlichen Objektivität. Nichts, was eine persönliche An teilnahme des Künstlers erkennen ließe. Rubens dagegen fügt die allegorischen Elemente in ganz freier und unkon ventioneller Weise zu einem leidenschaftlichen Ganzen zusammen, dessen persönlicher Bekenntnischarakter überdeutlich ist. Sein Thema ist nicht nur eine Allegorie des eisernen Zeitalters, sondern die Klage um das durch den Dreißigjährigen Krieg tief getroffene und verwundete Europa. Mars, zwi schen Venus und Alekto, ist die Hauptperson. Die Göttin der Liebe vermag den losstürmenden Gott des Unheils mit ihren Liebkosungen nicht zu halten ein Motiv, das weder die Antike noch die Renaissance in dieser Form kennt1oa• Die Furie Alekto reißt ihn zu Unheil und Zerstörung fort. Die Zier den der Friedenszeit (wie Rubens sie nennt), Harmonie, Fruchtbarkeit, Cari tas, Künste und Wissenschaften, liegen bereits am Boden. Völlig ungewöhnlich im Zusammenhang der Kriegsallegorie ist die Einführung der Europa. Wäh rend in Allegorien der Erdteile Europa als Herrscherin thronend gegeben wird, stürzt sie hier im Trauergewand mit klagend erhobenen Armen herbei. Ihre Attribute, die Embleme der Künste und Wissenschaften, werden von Mars mit Füßen getreten. Auch der am Boden liegende Baumeister gehört, ikonographisch gesehen, zu Europa. Wir erinnern uns noch einmal der Worte in Rubens' Beschreibung von "jener schmerz erfüllten Frau in schwarzem 10 Voss (vgl. Anm. 7), S. 247. 10a Vgl. hierzu Svetlana L. Alpers, Rubens Mythologies, Journal of Warburg and Cour tauld Institutes, Bd.30, 1967, S. 292 ff. - Geläufig dagegen ist in der Renaissance' (Botticelli, Piero di Cosimo, Paolo Veronese) die Darstellung der ruhenden Venus und des schlafenden Mars als Allegorie der Befriedung des Universums durch die Liebe. Vgl. Erwin Panofsky, Studies in Iconology, New York 1939, S. 63, Anm. 72 und Her bert v. Einem, Giorgione. Der Maler als Dichter, Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Abhandlungen der Geistes- und Sozial wissenschaftlichen Klasse, 1972, S. 21 f.

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