Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft Band 10 Die Farben der Romantik Physik und Physiologie, Kunst und Literatur Herausgegeben von Walter Pape De Gruyter ISBN 978-3-11-036753-9 e-ISBN 978-3-11-036863-5 ISSN 1439-7889 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Walter Pape, Köln Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com Inhalt Vorwort...................................................... VII NATURWISSENSCHAFT, PHYSIOLOGIE UND PHILOSOPHIE Steffen Dietzsch Wie Farben ›hinter dem Spektrum‹ Gestalt annehmen: Von der Konstruktivität der romantischen Naturforschung .............. 3 Claudia Nitschke Sprache und Erkenntnis: Licht und Dunkel in Clemens Brentanos und Johann Joseph von Görres »Geschichte von BOGS dem Uhrmacher« ......................... 15 Yvonne Pietsch Schattenspielereien: Ästhetische und physikalische Experimente mit Licht und Schatten in Arnims Schattenspiel »Das Loch« ........... 31 MALEREI, WAHRNEHMUNG UND ÄSTHETIK Oliver Jehle »A kind of magick«: Gainsborough, Priestley und die Dynamik der Farben ....................................... 41 Saskia Pütz »Aufhebung aller Individualität« – Die Farbe Grau bei Philipp Otto Runge im Kontext seiner religiösen Anschauung ....... 57 Bernd Hamacher Grau und Braun – »Vorgefühl der Gegensätze des Kalten und Warmen«: Zur Rehabilitierung der ›farblosen‹, ›schmutzigen‹ Farben bei Goethe ..... 73 Walter Pape »Richtige Zeichnung und Charakter« und »reichergiebiger Farbenquast«: Umriss und Farbe in Literatur und Malerei um 1800 ................. 81 VI Inhalt Norman Kasper »in seiner ursprünglichen bunten Wunderbarkeit«: Aufgeklärte Wahrnehmungstheorie und romantisierte Wahrnehmung bei Novalis und Tieck ........................................ 101 Urs Büttner Klangfarbe – Zur Genese einer musikästhetischen Metapher in der romantischen Literatur ................................... 117 SYMBOLIK UND HEILSGESCHICHTE Irmgard Egger Blau und Gold: Chromatik der Sehnsucht bei Novalis ............... 127 Lothar Ehrlich »mit Farben bunt geschmückt« und »Ew’ger Liebe hohes Licht« Farbsymbolik in Arnims Drama »Halle und Jerusalem«.............. 137 Roswitha Burwick »Es kommen jetzt so schöne fremde Farben auf«: Arnims Spiel mit Licht und Farbe in »Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber« .................................... 145 FARBWÖRTER UND FARBREALITÄT Stefan Nienhaus Glänzender, schimmernder Schein: Zur Rolle der Farbbezeichnungen in Tiecks synästhetischen Phantasien ............ 163 Renate Moering Farben in der Lyrik Achim von Arnims .......................... 173 Gert Theile Grauzone des Realen: Annäherung an eine romantische Farbnuance .... 189 Literaturverzeichnis ............................................ 199 Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger ........................ 217 Vorwort Sandgelb, Signalgelb, Goldgelb, Honiggelb, Maisgelb, Narzissengelb, Zitronengelb, Schwefelgelb, Safrangelb, Zinkgelb, Olivegelb, Rapsgelb, Verkehrsgelb, Ocker- gelb, Leuchtgelb, Currygelb, Melonengelb, Ginstergelb, Dahliengelb, Pastellgelb, Sonnengelb, Gelborange – Farbbezeichnungen sind nur so präzise wie Farbvorstel- lungen, und Farbwörter beziehen sich auf Farbträger der Objektwelt, die zur Erfahrungswelt der Sprecher gehören. In der Literatur spielen Farben nicht die Rolle wie in der Malerei, was die Abschattungen, Nuancierungen und Übergänge betrifft. Selten finden wir Versuche die Farbnuancen sprachlich zu fassen in Heines Florentinischen Nächten; dort heißt es vom Gesicht einer Traum-Frau: »So viel erinnere ich mich, es war nicht weiß und rosig, sondern ganz einfarbig, ein sanft angerötetes Blaßgelb und durchsichtig wie Kristall.«1 Oder Siebenkäs berichtet in einem Brief, »daß er krank sei und so graugelb aussehe wie ein Schweizerkäse.«2 Im Jahr 1927 brachte erstmals der »Reichs-Ausschuss für Lieferbedingungen« Ordnung in den Bezug von Farbwörtern zu Farbträgern der Objektwelt, verfeinert wurde die Skala von 40 Farben erst durch »RAL gemeinnützige GmbH«, die u.a. eine Software mit allen 2.328 RAL Farben für Win oder Mac anbietet.3 Meine Gelborgie zu Beginn nahm die Bezeichnungen aus der RAL Classic Farbsammlung, die 213 Farben umfasst,4 und ich hätte statt der Vergleichsobjekte auch RAL 1002, 1003, 1004 usf. schreiben können. Der Ansatz, aufgrund der Grundfarben Rot, Grün, Braun (RGB) den gesamten Farbraum zu erfassen, gehört zu den Versuchen für Farben eine eigene Sprache zu finden, vergleichbar den HTML-Codes, wo zitronengelb etwa den Code F4FA58 haben würde. Und doch gibt es auch hier Probleme; RAL warnt nämlich: Die Darstellung der Farben am Monitor ist nicht farbverbindlich, da Helligkeit und Kontrast je nach Monitor variieren können. Auch eine Ausgabe am Drucker ist nicht farbverbindlich. Verbindliche Farbvorlagen finden Sie in unserem Online-Shop. Verbindliche RGB-Werte der RAL CLASSIC Farben entnehmen Sie bitte unserer Software RAL DIGITAL.5 Nicht nur die Objektwelt bestimmt die Farbwahrnehmung, sondern auch die Subjektivität eines Monitors oder besser gesagt, das menschliche Auge. Schiller misstraute bei einem Besuch der Dresdner Gemäldegalerie dann auch einer objekti- 1 Heine: Florentinische Nächte – Sämtliche Schriften, Bd. 1, S. 566–567. 2 Jean Paul: Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armen- advokaten F. St. Siebenkäs – Werke, 1. Abt. Bd. 2, S. 391. 3 http://www.ral-farben.de/PRODUKTE-SHOP/RAL-DIGITAL/ (1. März 2014). 4 Ebenda. 5 http://www.ral-farben.de/inhalt/anwendung-hilfe/alle-ral-farbnamen/uebersicht-ral-classic-f arben.html?&L=1 (1. März 2014). VIII Vorwort ven Farbwahrnehmung: »›Sie sehen z. B. dieses Tuch‹, sagte er, indem er auf ein rotes Umschlagetuch seiner Frau hinwies, das in der Nähe des Fensters lag. ›In diesem Augenblicke erscheint es rot, lassen Sie das Licht wechseln, und dasselbe Rot wird sich dann lila oder grau zeigen, und damit wird auch der Eindruck ein anderer werden müssen. Dagegen wie viel sicherer und entschiedener ist er nicht in der plastischen Kunst.‹«6 Solche ›Farbunsicherheit‹ gilt zweifellos auch für die Literatur; Farben sind natürlich kulturell und historisch codiert – jedoch nie eindeutig. Bernd Hamacher stellt zu Beginn seines Beitrags zu Goethes Farbverständnis zu Recht fest: »Rot ist demzufolge Farbe der Liebe wie des Hasses, Blau der Treue ebenso wie der Un- treue und des Betrugs, Grün der Hoffnung wie des Gifts. Selbst Weiß, bekanntlich keine Farbe, kann Gegensätzliches bezeichnen, das Brautkleid ebenso wie das Totenhemd«. Goethes Versuch der Einteilung in physiologische, physische und chemische Farben, ihr Verhältnis zu den Nachbarwissenschaften sowie die detail- liert beschriebene »sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe« zeigen vor allem eines: Sprachliche Farben oder Farbmetaphern können und wollen nicht wie visuelle Farben wirken. Poesie, die das versucht, verfiel bereits bei Lessing dem Verdikt. Am Beispiel einer Blumenschilderung in Albrecht von Hallers Die Alpen erläutert er das7: Die holde Blume zeigt die zwei vergöldten Schnäbel, Die ein von Amethyst gebildter Vogel trägt. Dort wirft ein glänzend Blatt, in Finger ausgekerbet, Auf einen hellen Bach den grünen Widerschein; Der Blumen zarten Schnee, den matter Purpur färbet, Schließt ein gestreifter Stern in weiße Strahlen ein. Smaragd und Rosen blühn auch auf zertretner Heide, Und Felsen decken sich mit einem Purpurkleide. Sein Fazit in dieser Diskussion ist, »daß sich das, was die Maler durch Linien und Farben am besten ausdrücken können, durch Worte grade am schlechtesten aus- drücken läßt.«8 Der minuziöse von Farbmetaphern überquellende Text des Albrecht von Haller schwelgt in spätbarocker Bilder- und Verweisfülle; ein ganz anderes Verhältnis von »Farben und Wörtern« (Jacques Le Rider) entsteht im Kontext von Gefühl und Empfindung. Höltys »Frühlingslied« beginnt: Die Luft ist blau, das Tal ist grün, Die kleinen Maienglocken blühn Und Schlüsselblumen drunter; Der Wiesengrund Ist schon so bunt Und malt sich täglich bunter.9 6 Siehe unten S. 83. 7 Lessing: Werke, Bd. 6, S. 111. 8 Ebenda, S. 134 9 Hölty: Werke und Briefe, S. 118. Vorwort IX Auch in der Kunsttheorie wurden die Farbe(n) traditionell der sinnlichen Seite der Kunst zugeschlagen, wenn es sich nicht um symbolische Qualitäten handelte. Be- rühmt sind die Worte aus dem Vortrag (1672) des Malers Charles Le Brun vor der Académie Royale de Peinture et de Sculpture: »[...] q’en un mot tout l’apanage de la couleur est de satisfaire les yeux, au lieu que le dessin satisfait l’esprit«10 In der Kunst waren für Goethe »Helldunkel, Colorit, Harmonie der Farben« schwer zu objektivieren, denn sie drehten für ihn »immer in einem wunderlichen Kreise sich durcheinander«.11 Auch für Kant sind im Rahmen der Kritik der reinen Vernunft »Farben, Töne und Wärme [...] bloß Empfindungen und nicht Anschauungen«.12 Solcher Negativierung steht eine beginnende ästhetische Positivierung der Farbe gegenüber: Aus Florenz schreibt Franz Sternbald angesichts der Malerei Tizians und Correggios: »Wie ist es möglich, wenn man diese Bilder gesehen hat, daß man noch vom Kolorit geringschätzend sprechen kann?«13 Für die um 1800 geführte Diskussion über subjektive/objektive Wahrnehmung sind die Farben das heikelste Thema, das im Wandel von Newtons ›physikalischem‹ zum ›physiologischen‹ Farbverständnis deutlich wird. Achim von Arnim und Lud- wig Tieck gehörten ebenfalls zu den vielen, die sich optischen Experimenten wid- meten und die Problematik der Licht- und Farbwahrnehmung in ihren literarischen Werken thematisierten. Der Farbendiskussion in Naturwissenschaft, Physiologie und Philosophie sowie deren Übertragung auf die Literatur widmen sich die ersten drei Beiträge des Ban- des. Steffen Dietzsch ordnet am Beispiel der Ritter’schen Entdeckung das Ultra- violette als unsichtbare Farbe und als unsichtbares Licht in das neue Denken über die Natur ein. Nach Werner Heisenberg vollzog damals die moderne Wissenschaft eine »Ablösung der Naturwissenschaft von der Sinnenwelt«14. Die Grenzen des Sichtbaren, eines der zentralen Themen um 1800, führen jedoch auch zu einem neuen Verständnis des Sehens, das nunmehr nicht als abbildender, sondern als reduktiv-konstruktiver Vorgang verstanden wird. Das hat auch Folgen für das Farb- verständnis. Claudia Nitschke setzt diese Diskussion fort in ihrem Beitrag über »Sprache und Erkenntnis: Licht und Dunkel in Clemens Brentanos und Johann Joseph von Görres Geschichte von BOGS dem Uhrmacher«, deren Grundstruktur eine Hell-Dunkel-Dichotomie ist, die ebenfalls mit dem Problem der ›Sichtbarma- chung des Unsichtbaren‹ spielt. Der ›Farbexplosion‹ bei der Visualisierung von Musik, der Sichtbarmachung von Tönen steht die »mit medizinischem Erkenntnis- interesse« erhellte Dunkelheit gegenüber. Wie sich selbst in Gelegenheitsarbeiten Spuren des Naturwissenschaftlers Achim von Arnim finden, macht Yvonne Pietsch in ihrer Untersuchung zu den ästhetischen und physikalischen Experimenten mit Licht und Schatten in Arnims Schattenspiel »Das Loch« deutlich. Auch hier bringen 10 Siehe S. 84–85. 11 Goethe: Zur Farbenlehre, 6. Abt., »Confession des Verfassers« – Werke (Weimarer Ausgabe) Abt. II, Bd. 4, S. 289. 12 Kant: Werke in zehn Bänden, Bd. 3, S. 76 (I. § 3: Transzendentale Ästhetik). 13 Tieck: Werke in vier Bänden, Bd. 1, S. 966. 14 Heisenberg: Die Goethe’sche und die Newton’sche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik, S. 269. X Vorwort die Schatten und ihre Dunkelheit ›beseelte Bilder hervor‹. Ähnlich – und damit fast ›romantisch‹ – sah Goethe übrigens auch die Funktion der Dunkelheit in seiner Farbenlehre: »Wir können in der Finsterniß durch Forderungen der Einbildungs- kraft uns die hellsten Bilder hervorrufen. Im Traume erscheinen uns die Gegen- stände wie am vollen Tage. Im wachenden Zustande wird uns die leiseste äußere Lichteinwirkung bemerkbar; ja wenn das Organ einen mechanischen Anstoß erlei- det, so springen Licht und Farben hervor.«15 Die zeitgenössischen ästhetischen Diskussionen im Bereich der Literatur, Male- rei und Musik sind stets von der Wahrnehmungsperspektive, aber auch, wie die Beiträge im ersten Abschnitt des Bandes, von der zeitgenössischen Naturwissen- schaft, Physiologie und Philosophie her gedacht. Wie die Funktion der Farben in der Porträtmalerei Gainsboroughs neu konzipiert und dynamisiert wird, zeigt Oliver Jehle. Gainsboroughs Gemälde seien, so seine Antwort auf Fragen der Optik, wie sie der Theologe und Chemiker Joseph Priestley thematisierte. Die Konkurrenz von Linie und Farbe wird verabschiedet und die Farben entziehen sich jeder Fixierung: Gainsboroughs »Farben erlöschen, kaum hat man sie mit einem Wort bezeichnet«. Saskia Pütz geht der Bedeutung und Funktion der Farbe Grau bei Philipp Otto Runge nach, und zwar, wie dieser selbst betont, gerade nicht vom Standpunkt der zeitgenös- sischen physikalischen Optik aus. Grau ist für ihn die Mischung aller Farben, was nicht durch Experimente ›bewiesen‹ wird wie bei Goethe, sondern durch ein religiö- ses Farbverständnis aufgrund der Polarität von Licht und Finsternis. Für Goethe erscheint das Grau, so Bernd Hamacher in seinem Beitrag, »als das Ende der Far- ben, die im Grauen und Trüben verschwinden«. Das Trübe jedoch gewinnt dadurch eine zentrale ästhetische Funktion: Es wird zur »Grundlage und Voraussetzung der gesamten Erscheinungswelt«, ähnlich der Schleiermetaphorik. – Umriss und Farbe in Malerei und Literatur um 1800 sind die Ausführungen von Walter Pape gewid- met. Ausgehend von der traditionellen Geringschätzung der Farbe in der theoreti- schen Diskussion und der Zuordnung der Farbe zur sinnlichen Seite der Kunst, des Umrisses oder der Kontur aber zur Abstraktionsfähigkeit des Verstandes und der Tatsache, dass die Begriffe Umriss, Zeichnung, Malerei, Farbe, Plastik in Bezug auf Sprache und Literatur nur metaphorisch gebraucht werden können, werden vor allem drei literarische Werke analysiert: Goethes Der neue Pausis, Oehlenschlägers Künstlerdrama Corregio und Goethes »Howards Ehrengedächtniß«. Dem Ursprung der romantisierten (Farb)Wahrnehmung bei Novalis und Tieck in der Wahrnehmungstheorie der Aufklärung geht Norman Kasper nach. Das ›Sehen- lernen‹, auch das von Farben, ist »eine neu zu erlernende Grammatik«, wobei die verschiedenen Sinne zusammenspielen, was auch und besonders in der Welt der Traumbilder bei Novalis der Fall ist. Einem ebenfalls zentralen synästhetischen Konzept wendet sich Urs Büttner mit seinem Essay über die musikästhetische Metapher der »Klangfarbe« zu. Er zeigt, wie die »Begriffsprägung ›Klangfarbe‹ durch die romantische Literatur vorbereitet wurde«, bevor sie zum musikästhetischen Terminus wird. Als zentrales Beispiel dienen E.T.A. Hoffmanns Kreisleriana. 15 Goethe: Zur Farbenlehre. Einleitung – Werke (Weimarer Ausgabe) Abt. II, Bd. 1, S.XXXII.