Heinz LUneburg Die euklidische Ebene und ihre Verwandten Springer Basel AG Autor: Heinz Liineburg FB Mathematik Universitiit Kaiserslautern D-67653 Kaiserslautern Germany 1991 Mathematical Subject Classification 51 A05 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Luneburg, Heinz: Die euklidische Ebene und ihre Verwandten / Heinz Liineburg. Basel ; Boston; Berlin: Birkhăuser, 1999 ISBN 978-3-7643-5685-9 ISBN 978-3-0348-8873-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-0348-8873-8 Das Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Ubersettung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfăltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, biei ben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Verviel fâltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesettlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesettes in der jeweils geltenden Fassung zulăssig. Sie ist grundsăttlich vergiitungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ©1999 Springer Basel AG Urspriinglich erschienen bei Birkhăuser Verlag 1999 Umschlaggestaltung: Markus Etterich, Basel Gedruck auf săurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF 00 ISBN 978-3-7643-5685-9 987654321 Vorwort Your aid I want Nine trees to plant In rows just half a score, And let there be In each row three. Solve this. I ask no more. ( J. J ackson, Rational Amusements for Winter Evenings. London 1821) Beim Beweise vieler Sätze der Elementargeometrie nutzt man nur sehr unvollkom men aus, daß es der Körper der reellen Zahlen ist, welcher der Geometrie zugrunde liegt. Mal sind es nur die Körpereigenschaften, die man benötigt, mal daß die mul tiplikative Gruppe abelsch ist. Manchmal braucht man auch nur, daß die Charak teristik nicht zwei ist, ein andermal, daß R eine Anordnung besitzt. Gelegentlich genügt es sogar zu wissen, daß die euklidische Ebene eine affine Ebene ist. Diese wenigen Andeutungen machen schon ein wenig deutlich, worum es bei un serem Thema gehen wird: Wir werden uns einerseits erheblich einschränken, indem wir hier unter Elementargeometrie nur die ebene euklidische Geometrie verstehen, also auf alles Räumliche verzichten, andererseits eine wesentliche Erweiterung des Themas Elementargeometrie vornehmen, indem wir zumindest zu Beginn unserer Untersuchungen auch beliebige projektive Ebenen in sie einbeziehen, da wir uns dieses Hilfsmittels nicht werden begeben wollen. Wir werden jedoch nicht eine The orie der projektiven Ebenen entwickeln, wie sie etwa in den im Literaturverzeichnis aufgeführten Büchern von P. Dembowski, Hughes und Piper, Pickert oder auch von mir dargestellt wird. Wir werden uns vielmehr im wesentlichen darauf beschränken, solche affinen und projektiven Ebenen zu untersuchen, die sich mittels zwei- und dreidimensionaler Vektorräume über irgendwelchen Körpern beschreiben lassen, wobei immer die Frage im Vordergrund stehen wird, wie sich geometrische Eigen schaften der Ebene und algebraische Eigenschaften des Koordinatenkörpers gegen seitig bedingen. Dabei wird sich dann im Laufe unserer Untersuchungen für eine Reihe von grundlegenden Sätzen der Elementargeometrie herausstellen, welche Eigenschaften von R es sind, die ihre Gültigkeit nach sich ziehen. Erst ganz zum Schluß, im siebten Kapitel, werden wir dann sehen, welche geometrischen Eigen schaften dazu dienen können, die reelle Ebene unter allen übrigen affinen Ebenen auszuzeichnen. Ein Wort zu den Vorkenntnissen, die der Leser dieses Buchs mitbringen sollte, ist sicherlich vonnöten. Geläufigkeit im Umgang mit Vektorräumen und linearen vi Vorwort Abbildungen ist eine conditio sine qua non und Kenntnisse in Algebra sind wün schenswert. Zwar werden nur sehr wenige Sätze der Algebra in diesem Buch be nutzt, sein Aufbau und sein Charakter aber sind durch und durch algebraisch, so daß Vertrautheit mit den algebraischen Schlußweisen beim Durcharbeiten dieses Buches von großem Nutzen ist. Was die benutzten Sätze der Algebra anbelangt, so wird an gegebener Stelle auf sie hingewiesen werden. Es genügt, wenn der Leser sie ad hoc zur Kenntnis nimmt. Ein weiteres Wort noch an den künftigen Lehrer unter meinen Lesern. Ich habe an anderer Stelle über die Grundlagen der Geometrie im Zusammenhang mit dem Mathematikunterricht der Schule polemisiert. Ich möchte daher hier betonen, daß dieses Buch, abgesehen von dem ästhetischen Vergnügen, das es dem ein oder an deren bereiten mag, einzig dem Zweck dient, den Hintergrund aufzuhellen, vor dem sich Elementargeometrie abspielt. So wie die Dinge hier aufgeschrieben ste hen, eignen sie sich nicht für den Schulunterricht. Es bedarf also Ihrer geistigen Anstrengung nicht nur, um das hier Vorgetragene zu verstehen, sondern vielmehr noch, um das hier Dargestellte mit dem auf der Schule Gelehrten in Zusammen hang zu bringen, und dann dieses Ihren Schülern zu Nutzen mit noch besserem Verständnis unterrichten zu können. Es ist also an Ihnen, die Beziehungen her zustellen zwischen dem, was wir hier tun, und dem Hin- und Herschieben von Bauklötzen, dem Falten von Papier, dem Messen von Abständen, etc. Dies wird Ihnen nur schwer gelingen, wenn das vorliegende Buch Ihr einziges Geometriebuch bleibt. Konsultieren Sie also das Literaturverzeichnis und übersehen Sie dabei nicht die Bücher zur Darstellenden Geometrie. Sie bieten eine Fülle von Anschauungs material, wovon sich das ein oder andere sicherlich auch im Unterricht verwenden läßt. Diesem Buch liegt eine Auftragsarbeit zugrunde, nämlich ein Kurs von sieben Studienbriefen "Grundlagen der ebenen Geometrie" (Hagen 1980), den ich für die Fernuniversität Hagen schrieb. Dies erklärt Stil, Stoffauswahl und Umfang dieses Werkes. Daß ich mit dem unter so ungewohnten Bedingungen entstande nen Werk zufrieden war und bin, erkennt der Leser daran, daß ich keine größeren Überarbeitungen vorgenommen habe. Im wesentlichen habe ich nur die Einleitun gen der Kapitel neu geschrieben, da diese sich auf die ganz spezielle Situation der Hagener Studenten bezogen, sowie aus vertraglichen Gründen die Aufgaben weggelassen. Dennoch bleibt noch genug Stoff zum Üben, wenn Sie alle bewusst stehen gelassenen Beweislücken schließen. Sie werden auf diese Lücken im Buch hingewiesen. Zum Schluß möchte ich mich noch bei den Verantwortlichen der Hagener Uni versität dafür bedanken, daß sie es mir gestatteten, den oben genannten Kurs nun in Buchform einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Kaiserslautern, im Juli 1998 H einz Lüneburg Inhaltsverzeichnis Vorwort v I. Projektive und affine Ebenen 1 1. Definitionen und erste Resultate 1 2. Inzidenztreue Abbildungen 10 3. Affine Ebenen 15 4. Zentralkollineationen 18 5. Zentralkollineationen und der Satz von Desargues 22 11. Desarguessche Ebenen 29 1. Translationsebenen 29 2. Der Kern einer Translationsebene 35 3. Die Ebenen II(V, K) 39 4. Die zu II(V, K) duale Ebene 45 5. Die Struktursätze für desarguessche Ebenen 49 111. Pappossche Ebenen 57 1. Der Satz von Hessenberg 57 2. Die Gruppe der projektiven Kollineationen 68 3. Die Gruppe der Projektivitäten einer Geraden auf sich 72 4. Das Doppelverhältnis 78 5. Anhang 86 IV. Polaritäten und Kegelschnitte 89 1. Polaritäten endlicher projektiver Ebenen 90 2. Darstellung von Polaritäten 92 3. Kegelschnitte 97 4. Die Steinersche Erzeugung der Kegelschnitte 103 5. Segres Satz über Ovale 108 6. Die Kollineationsgruppe eines Kegelschnitts 116 V. Teilverhältnisse und Orthogonalität in affinen Ebenen 119 1. Teilverhältnisse 120 2. Das Mittendreieck und die Mittellinien eines Dreiecks 126 3. Orthogonalitätsrelationen papposscher Ebenen 127 4. Die Gruppe einer thaletischen Orthogonalitätsrelation 132 5. Orthogonalitätsrelationen, für die der Höhenschnittpunktsatz gilt 137 6. Das Winkelhalbieren 142 VI. Metrische Eigenschaften der Kegelschnitte 149 1. Projektive Ebenen über euklidischen Körpern 149 2. Kegelschnitte in affinen Ebenen 155 3. Kreise 158 4. Die Achsen der Kegelschnitte 166 viii Inhaltsverzeichnis 5. Die Brennpunkte der Kegelschnitte 169 6. Algebraische Beschreibung von Ellipse, Parabel und Hyperbel 173 VII. Die reelle Ebene 177 1. Zwischenbeziehungen und Anordnungen 177 2. Eine Charakterisierung der Anordnung eines Körpers 182 3. Zwischenbeziehungen in desarguesschen affinen Ebenen 185 4. Eine Kennzeichnung der reellen affinen Ebene 189 Literaturverzeichnis 199 Index 203 I Projektive und affine Ebenen In diesem ersten Kapitel werden die Grundlagen für alles weitere gelegt, dh., es werden die Objekte definiert, mit denen wir es in diesem Buche zu tun haben, und die grundlegendene Sätze über sie bewiesen, die wir später immer wieder benötigen werden. Es wird also genau das getan, was der Leser erwartet, wenn er in ein für ihn neues Gebiet eingeführt werden möchte. 1. Definitionen und erste Resultate. Sind Mund N zwei Mengen, so bezeich nen wir wie üblich mit Mx N das cartesische Produkt von Mund N, dh., die Menge aller geordneten Pa~re (m, n) mit m E Mund n E N. 1.1. Definition. Es seien P und g Mengen. Ist I ~ P x Q, so heißt das Tripel 'I = (P, g, I) Inzidenzstruktur. Die Elemente von P nennen wir Punkte und die Elemente von g Geraden von 'I. Die Punkte von 'I bezeichnen wir meist mit großen und die Geraden von 'I mit kleinen lateinischen Buchstaben. Ist (P, g) EI, so schreiben wir dafür in der Regel P I 9 und sagen: "P inzidiert mit g", "P liegt auf g", "g geht durch P", "g trägt P", etc. Statt (P,g) (j. I schreiben wir meist P Jg. Die Definition der Inzidenzstruktur ist so allgemein, daß man damit nur wenig anfangen kann. Wir sondern daher sogleich diejenige Klasse von Inzidenzstruk turen aus, die uns vor allem interessieren wird. 1.2. Definition. Die Inzidenzstruktur II heißt projektive Ebene, falls II den fol genden Bedingungen genügt: (PI) Sind P und Q zwei verschiedene Punkte von II, so gibt es genau eine Gerade von II, die mit P und auch Q inzidiert. (P2) Sind 9 und h zwei Geraden von II, so gibt es einen Punkt von II, der sowohl auf 9 als auch auf h liegt. (P3) Es gibt vier verschiedene Punkte von II, von denen keine drei auf ein und derselben Geraden von II liegt. Axiom (P3) ist eine Reichhaltigkeitsaussage. Es dient dazu, Entartungsfälle auszuschließen. So erfüllt ja z. B. die Inzidenzstruktur (0,0,0) offenbar (PI) und (P2) oder auch die Inzidenzstruktur (P, {P}, P x {P}). Diese und weitere Entartungsfälle, die noch vorkommen könnten, werden also durch (P3) ausgeschlossen. H. Lüneburg, Die euklidische Ebene und ihre Verwandten © Birkhäuser Verlag 1999 2 1. Projektive und affine Ebenen Sie werden bemerkt haben, daß (P2) nicht das genaue Gegenstück von (PI) ist. Es müßte lauten: Sind g und h zwei verschiedene Geraden von II, so gibt es genau einen Punkt von II, der mit g und auch mit h inzidiert. Man könnte auch diese Forderung an Stelle von (P2) verwenden. Welche der beiden Forderungen man nimmt, ist letztlich gleichgültig. Für die in (P3) verneinte Aussage, daß drei Punkte auf einer Geraden liegen, wollen wir noch einen Terminus technicus einführen durch die 1.3. Definition. Ist (P, g, I) eine Inzidenzstruktur und ist M ~ P, so heißen die Punkte aus M kollinear, falls es ein g E 9 gibt mit PI g für alle P E M. Entsprechend heißen die Geraden der Teilmenge H von 9 konftuent, falls es ein PEP gibt mit PIg für alle gEH. Nach diesen vielen Definitionen ist es an der Zeit zu fragen, ob es überhaupt projektive Ebenen gibt. Diese Frage ist natürlich nur eine rhetorische, da die Ex istenz dieses Buches schon die Existenz von projektiven Ebenen beweist. Dennoch erwartet auch eine rhetorische Frage eine Antwort. Das erste Beispiel bietet gleich eine Überraschung. Es zeigt nicht nur, daß es projektive Ebenen gibt, es zeigt darüberhinaus auch noch die Existenz von pro jektiven Ebenen mit nur endlich vielen Punkten und Geraden. 1.4. Beispiel. Es sei P = {I, 2, 3, 4, 5, 6, 7} und 9 = {{I,2,4},{2,3,5},{3,4,6},{4,5, 7},{5,6,I},{6,7,2},{7,I,3}}. Schließlich sei PI g genau dann, wenn P E g ist. Bevor wir uns überlegen, wie man nachweist, daß (P, g, I) eine projektive Ebene ist, möchte ich Sie auffordern, die Geraden schön säuberlich untereinan der aufzuschreiben. Dann wird nämlich ihr Bildungsgesetz deutlich. Und nun zum Nachweis, daß (P, g, I) eine projektive Ebene ist. Am raschesten liest man dies an Fig. I ab, welche sich wohl von selbst versteht. 6 Fig.l Wenn eine projektive Ebene mehr Punkte und Geraden hat, läßt sie sich nicht mehr so schön graphisch darstellen. Daher sei hier noch ein zweiter Nachweis erbracht, der sich zu einer Methode ausbauen läßt, wie wir später sehen werden. Dazu numerieren wir die Geraden aus 9 mit gl, ... , g7 in der Reihenfolge, wie 1. Definitionen und erste Resultate 3 sie oben aufgelistet sind, und definieren eine (7 x 7)-Matrix a durch aij = 1, falls i E gj, und aij = 0 in allen übrigen Fällen. Dann ist 1 0 0 0 1 0 1 1 1 0 0 0 1 0 0 1 1 0 0 0 1 a= 1 0 1 1 0 0 0 0 1 0 1 1 0 0 0 0 1 0 1 1 0 0 0 0 1 0 1 1 Bezeichnet man mit at die zu a transponierte Matrix und berechnet aat und ata, wobei Sie eingeladen sind, dies wirklich zu tun, so erhält man 3 1 1 1 1 1 1 1 3 1 1 1 1 1 1 1 3 1 1 1 1 ata = aat = 1 1 1 3 1 1 1 1 1 1 1 3 1 1 1 1 1 1 1 3 1 1 1 1 1 1 1 3 Diese Gleichungen muß man nun interpretieren. Es ist 7 3 = La~k k=1 für alle i. Nun ist a~k = aik, da ja aik E {O, I} ist. Also ist 3 = 2:r=1 aik und dies besagt auf Grund der Definition der aik, daß der Punkt i mit genau drei Geraden inzidiert. Ist i =I- j, so ist 7 1 = Laikajk. k=1 Nun ist aikajk E {O, I}, so daß es genau ein k gibt mit aikajk = 1. Dies heißt, daß es genau eine Gerade gibt, nämlich gk, die mit i und j inzidiert. Somit gilt (PI). Dies sind Folgerungen, die wir aus der zweiten der obigen Gleichungen ziehen. Nun ist 3 = E~=1 a~i = E~=1 aki, so daß jede Gerade 3 Punkte trägt. Also trägt jede Gerade gewiß einen Punkt, so daß (P2) im Falle 9 = h gilt. Ferner ist 1 = E~=1 akiakj, falls nur i =I- j ist. Dies besagt, daß zwei verschiedene Geraden mit genau einem Punkt inzidieren. Also gilt (P2) generell. Es bleibt nur noch die Gültigkeit von (P3) zu beweisen. Dazu betrachten wir die Punkte 2, 4, 5, 6. Die Punkte 2, 4 liegen auf g1 und 5, 6 liegen auf g5. Weil zwei verschiedene Punkte gleichzeitig nur mit genau einer Geraden inzidieren und zwei verschiedene Geraden