DIE ERREGER DES FLECK- UND FELSENFIEBERS BIOLOGISCHE UND PATHOGENETISCHE STUDIEN AUF GRUND GEMEINSAMER UNTERSUCHUNGEN MIT DR. MED. WANDA BLÜHBAUlU UND ELISABETH BRANDTt DARGESTELLT VON DR. PHIL. ET MED. MAX H. KUCZYNSKI AO. PROFESSOR FÜR PATHOLOGIE, ABTEILUNGSVORSTEHER AM PATHOLOGISCHEN INSTITU'l' DER UNIVERSITÄT BERLIN MIT 122 ABBILDUNGEN SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG GMBH 1927 ISBN 978-3-662-27554-2 ISBN 978-3-662-29041-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-29041-5 ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ÜBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN. COPYRIGHT 1927 BY SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG URSPRUNGLICH ERSCHIENEN BEI JULIUS SPRINGER IN BER.LIN 1927 DEM ANDENKEN AN }JLISABE'fH BRAND'r DIE AM 28. APRIL 1927 EINER IM LABORATORIUM ERWORBENEN INFEKTION ERLAG Vorwort. Wir wählten für die folgenden Untersuchungen die in sich ab geschlossene Form des Buches, weil wir auf gänzlich neue Befunde gestoßen sind, die es uns erlauben, mit größerer Berechtigung als zu vor eine einheitliche Betrachtung der .Ätiologie und Pathogenie der behandelten Krankheiten, des Fleckfiebers wie des Felsenfiebers, durch zuführen. Es erschien lohnend, ja, angesichts der immer noch herr schenden Verwirrung der Vorstellungen, notwendig, im Anschluß an diese Beobachtungen unsere eigenen älteren Erfahrungen und Vorstel lungen einer Prüfung zu unterziehen und zu versuchen, Taugliches von Untauglichem zu scheiden und zu einem möglichst befriedigenden Bilde des Naturgeschehens zu gelangen. Die Voraussetzung hierfür - das nötige Material - liegt soweit vor, daß ciie Ausführungen, die wir zu machen haben, durchaus auf einem breiten und möglichst analy sierten Beobachtungsmaterial ruhen. Der junge VIRCHOW hat einmal sehr treffend gesagt: »Jeder :Mensch, der die Tatsachen kennt und richtig zu denken vermag, ist befähigt, die Natur durch das Experiment zur Beantwortung einer .Frage zu zwingen, vorausgesetzt, daß er das Material besitzt, das Experiment einrichten zu können.« - Die wei tere Bearbeitung würde aber weiteres Material und neue Mittel er fordern. Damit ist zugegeben, daß wir auf unserem Gebiete keineswegs einem Abschluß nahe wiiren. Die Beantwortung jeder Frage eröffnet vielmehr neue; wie Hl'ME es ausgedrückt hat, rückt auch vollkom menste NaturwissensC'haft unsere Unwissenheit nur eine Wenigkeit zu rück. Unser besondet"es Wissen von den abgehandelten Fragen ist noC'h sehr weit von Vollkommenheit entfernt; aber wir sehen doch in den bisherigen Befunden etwas wie eine Grundlage für weitere Arbeit, und es hat sich zu erweisen, ob unsere Hoffnung richtig ist, daß sie so breit und tief ist, daß sie eine Zeitlang tragfähig bleibt. Schon die Überschrift kennzeichnet unsere Ausführungen als das Ergebnis eigener Untersuchungen, bei denen mich ELISABETH BRAXDT seit Jahren und mit seltener Beherrschung der Methodik dieses schwie rigen Gebietes unterstützt hat. Mit ihr zusammen habe ich auch meine Untersuchungen über den Flecktyphus in Sibirien 1923/24 durchgeführt. Uns verband sich neuerdings Dr. WANDA LACHs-BLt'HBAUll, dCI"en Mitarbeit der .Fortschritt unserer Arbeit sehr viel verdankt. Eine Reihe jüngerer Hilfskräfte stand uns bei, ohne deren überaus gewissenhafte Tätigkeit das gewaltige l\laterial wohl schwerlich hätte verarbeitet werden können. Da unsere Untersuchungen jetzt im elften Jahre geführt werden, ist es nur natürli<"h, daß si<"h zahlreiche für uns wertvolle Beziehungen zu anderen Untersuchungen ergaben, die VI Vorwort. in meinem Laboratorium im Laufe der Jahre durchgeführt wurden. Hier sind in erster Linie die Arbeiten aus der Strepto-Pneumokokken· gruppe gemeint, die ich gemeinsam mit E. K. WoLFF durchführte und die schon bei der Abfassung gedanklich viele Beziehungen zu meinen Fleckfieberarbeiten unterhielten, wie auch gelegentlich ausdrücklich betont wurde, wenn es auch ohnehin unschwer kenntlich sein dürfte. Bemerkt darf noch werden, daß meine gewebszüchterischen (explanta tiven) Arbeiten unmittelbar aus der Ji'leckfieberforschung erwachsen sind. So ergibt sich auch hieraus ein Grund mPhr für mich, zu einer geschlossenen Darstellung zu greifen, weil die Vielfältigkeit des Schrifttums heute sogar bei gutem Willen ein sorgsames und dem ein zelnen Forscher gerecht werdendes Studium sehr erschwert. Auch wirkt der Erkenntnis logischer Zusammenhänge einer größeren Arbeits· folge die Hast entgegen, zu der uns das Getriebe des Tages zwingt. Die Problematik dieser >>exantherTUltisclten Krankheiten<c rührt aber an die Grundfragen medizinischer Weltanschauung und ärztlicher Be· griffsbildung, sie betrifft den Arzt wie den Biologen. Eine klare Ein· sieht in die Biologie des Virus bildet die Grundlage zu ärztlichem Handeln, sofern es zielbewußt und auf neuen Wegen >>aetiotrop<• ein· setzt. Zugleich zeigt sich, daß auf diesem Gebiete keine Erfahrung für sich steht und sich auf ihr ureigenstes Gebiet beschränkt, sondern vielmehr oft ungeahnt weit auf Nachbargebiete übergreift. Wissen wir schon nicht, wie weit sich noch der Kreis der >>Rickettsiosen<< ziehen wird, so ergibt sich doch allein aus diesem Erfahmngssatz, daß das Studium und die Kenntnis dieser Krankheiten nicht als >>exotisch<< vernachlässigt werden darf. Wir erleben gerade hinsichtlich unserer Vorstellungen von den >>akuten Exanthemen<< einen revolutionär zu nennenden Wandel. Es gibt in Wirklichkeit keine natürliche Gruppe exanthematischer Krankheiten. Dennoch bietet die heute am ein· gehendsten untersuchte Gruppe der exanthematisehen Proteusinfektionen ein sehr wertvolles Vergleichsmaterial dar. Jahrhundertelang hat diese eindmcksvolle Erscheinung eines >>Ausschlages<• eine mystisch zu nen· nende Betrachtungsweise genährt. Wenn LINNE die Ursachen der Exanthemataseiner Gattung »Chaos<< eingliederte- etwas Chaotisches ist in unserem Wissen um die mit Exanthemen verlaufenden Krankheiten geblieben, mag auch Linnes Versuch längst der Geschichte angehören. Berlin, im Januar 1927. Seit der Niederschrift dieser Zeilen haben sich leider Ereignisse abgespielt, die eine schnelle Dmeklegung verhinderten. Bei der wei· teren Verfolgung unserer Aufgaben hat sich meine liebe langjährige Mitarbeiterin ELISABETH BRANDT in meiner Abwesenheit tödlich mit Rocky Mountain spotted fever infiziert, ohne daß eine befriedigende Aufklärung des WegeH der Ansteckung gelang. Sämtliche infektions· tüchtigen Zecken - die natürlichen Überträger der Krankheit - waren in der kritischen Zeit aus dem Institute entfernt. Da mich ELISABETH BRANDT vertrat, muß sie sich bei der Verarbeitung von Ver· suchstieren verletzt und angesteckt haben, ohne dall dies jedoch ihr Vorwort. VII oder ihren Helfern zum Bewußtsein gekommen ist. Zuvor ruhte diese Arbeit stets in meinen eigenen Händen, wobei ich von einer jüngeren Assistentin unterstützt wurde. ELISABETH BRANDT hat durch ihre ganz ungewöhnliche Erfahrung und Sicherheit im bakteriologischen und serologischPn Arbeiten, be sonders aber durch ihr hohes wissenschaftliches Verständnis und ihre tiefe Aufrichtigkeit und Peinlichkeit in menschlichen und wissenschaft lichen Fragen meine Tätigkeit am Berliner Pathologischen Institute vom ersten Tage an auf das wertvollste gefördert. Durch die harte Schule des Krieges gegangen, fand sie sich auch bewundernswert in die Lebens- und Arbeitsbedingungen unseres Studienaufenthaltes in Omsk (Sibirien). Sie scheute keine Arbeit, und sie fürchtete keine Gefahr. Sie hatte die große Zuversicht zur Sache, die es auch mir möglich gemacht hat, durch Jahre hindurch ohne viel ermutigendes Echo einen als richtig erkannten Weg so lange zu gehen, bis er ins Helle führte. So starb sie als eine treue Kämpferio für unsere Wissen schaft, auf die sie ein an Schicksalsschlägen reiches Leben verwiesen hatte. Diese Arbeit möge ihr ein ehrenvolles Gedächtnis sichern, da3 sie in unserem Kreise stets besitzen wird. - Kurz vor diesem tragischen Vorfall erkrankte ich selbst in Lw6w an Fleckfieber, nachdem ich mich etwa 14 Tage vorher an einer Läuse kultur geschnitten hatte. So wurde ich selbst fiir viele Wochen an der Arbeit gehindert. Obwohl hier vorwiegend die Ergebnisse der Zeit vom Oktober 1925 bis zum April 1927 Verwertung gefunden haben, ergab sich aus der mehrmonatigen Ausschaltung das Bedürfnis einer erneuten Durchsicht der Niederschrift, sowie einiger ergänzender Ver suche, zumal die gemeinsam mit R. WEIGL verlebten Wochen und der Austausch der gegenseitigen Erfahrungen mir den Mut gegeben haben, manche Darlegungen noch klarer und schärfer herauszuarbeiten, alsdies ur sprünglich erlaubt erschien. Insbesondere verhalf mir Herr WEIGL zu den als besonders wichtig erkannten frischen Infektionen an Laboratoriums tieren, ausgehend von seinen berühmten Zuchten •> Rickettsia Prowazeki <• haltiger Läuse. Ich möchte auch an dieser Stelle Herrn WEIGL herzliehst für seine Freundschaft danken, die sich mir nicht allein in der Arbeit, sondern vor allem auch in der eigenen Krankheit bewährt hat. Für die vorliegende Schrift kam sonst der sehr anregende Gedankenaustausch mit Herrn WEIGL nur als eine Bekräftigung gewisser eigener Vorstel lungen in Frage. Ich hoffe aber, daß sich unsere begonnene gemein same Arbeit zu weiterem Nutzen ausgestaltet. Dies veranlaßte mich auch, die großen Aufgaben, die Immunisierung und rirulenzproblcm darbieten, hier nur ganz grundsätzlich zu behandeln, weil sie weiterer gründlicher Durcharbeitung auch am Menschen unterzogen werden müssen, deren Abschluß erst nach längerer Zeit zu erwarten ist. Nachdem aber alle Ergebnisse seit Monaten mit Fachkollegen durchgesprochen sind 1 und die bemerkenswerten Vntersuchungen von 1 Die wesentlichen Ergt•bnisst• dieses Bucht•s hildt•ten dt•n Gt•genstand t•int•N Vortrages, den ich im Mär.~: 1927 vor der Antlichen Gesellschuft in Lwow hielt. VIII Vorwort. .ANIGSTEIN wie von Frau FEYGIN sich bewußt und unbewußt so stark meinen Wegen und Ergebnissen genähert haben, ohne daß jedoch meines Era.chtens bisher hinreichende Kriterien für die Beurteilung der erzielten Befunde herausgearbeitet wären, erscheint mir eine weitere Verzögerung dieser unserer Veröffentlichung um so weniger geraten, als die hier behandelten Fragen eine völlig selbständige Bedeutung be· sitzen, ohne deren Kenntnis die Weiterarbeit am Problem nach jeder Richtung hin äußerst erschwert sein müßte. Daher halte ich die eigene Darstellung unserer experimentell gewonnenen und immer wieder kritisch geprüften Ergebnisse für erlaubt und geboten. Die Durchführung dieser hier dargestellten neuen Untersuchungen wurde durch eine Unterstützung des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, der Notgemeinschaft Deutscher W isBenschaft, sowie durch Mittel ermöglicht, die uns Herr OTTO WoLFF· Berlin großzügig zur Verfügung stellte. Allen beteiligten Stellen möchte ich auch an dieser Stelle meinen wärmsten Dank aussprechen. Sehr verpflichtet bin ich den Reichert-Werken in Wien für mannigfache apparative Hilfe und besonders auch der Verlagsbuchhandlung JuLius SPRINGER für ihr großes Entgegenkommen bei der Drucklegung dieser Arbeit. Berlin, im Juni 1927. MAX H. KUCZYNSKI Inhaltsverzeichnis. I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I II. Der "Faul"-Versuch. Physiologische Faktoren der Kulturver fahren in ihrer biologischen Bedeutung für die Eigenart der gezüchteten Stämme . . 11 III. Versuche an Bettwanzen. . . . . . . . 64 IV. Das serologische Verhalten der Virusformen und Kulturen. Die Erscheinung der "Wirtseignung". . . . . . . . . . 130 V. Entwurf einer Pathogenese des Fleck- und Felsenfiebers auf Grund biologischer Eigenschaften des Virus 183 Zusammenfassung . . . 249 Kuczynokl, Fleck· und Feloenfteber. I. Einleitung. Die Untersuchungen, die in diesem Buche Darstellung finden sollen, nehmen ihren Ausgang von der grundlegenden Feststellung, daß sich Fleckfieber 1 und Rocky Mountain spotted fever auf Meerschweinchen übertragen und in ihnen durch Impfung von Blut oder Hirnbrei er krankter Tiere reihenweise weiterführen lassen, Kenntnisse, die in erster Linie den Arbeiten von NieOLLE, RICKETTS, ANDERSON und GoLD BERG ER, DA RocuA-LIMA zu verdanken sind. So besitzen wir zunächst ein Tier für Versuche, an dessen Seite noch Affen, Kaninchen, Pferde, Ratten und andere treten. Lange Zeit hindurch hat man besonders beim :Fleckfieber an dieser "Übertragung" gezweifelt, weil natürlich Fieber bewegungen ohne weitere Kriterien ~chwer ausreichen, eine gelungene Infektion über jeden Zweifel zu erheben. Man hat sogar die alten Bedenken wieder geltend gemacht, ob Fleckfieber überhaupt ein ein heitlicher klihischer Begriff, eine ätiologisch eindeutige Krankheit dar stelle. Heute sind diese Einwände widerlegt. Wir besitzen also die Möglichkeit, uns im Meerschweinchen ein "PaasageviT'U8" zu halten, mit dem wir unabhängig vom kranken Menschen und ohne Gefährdung von Menschenleben beliebig Studien treiben können. "Un mooecin ne con naitra les maladies que lorsqu'il pourra agir rationellement et experi mentalement sur elles." (C. L. BERNARD.) Die }'orschung am Fleckfieber ist in allgemein bekannter Weise ge kennzeichnet durch die Lehre von den "Rickettsien" einerseits, durch die Entdeckung und Erforschung der bei fleckfieberkranken Menschen im Blute auftretenden Proteus X 19-Agglutination, der sogenannten "WEIL-FELJXschen Reaktion" andererseits. Zunächst galt es wieder- 1 In Hinblick auf den deutschen Leser sprechen wir hier vom Fleckfieber, das ja in Europa, Asien, Mittelamerika en- bzw. epidemisch auftritt. Leider stellt sich beim Lesen fremdsprachiger Arbeiten dadurch leicht eine Verwirrung ein, daß vielfach in richtiger Würdigung der historischen Verhältnisse in Anleh nung an den englischen Sprachgebrauch Fleckfieber = "typhU8" genannt wird, während unser "Typhus" = AbdominaltyphU8 mit dem "typhoid fe1•er" gleich zusetzen ist. Ebenso wird nicht immer beachtet, daß Fleckfieber = typhus und das Fieber der Felsengebirge, das Rocky Mountain spoUed fe1•er, klinisch, epidemiologisch und ätiologisch wohl unterschiedene Krankheiten darstellen. Besonders im Falle des bevorzugten Versuchstieres, des empfänglichen Meer schweinchens, unterscheidet sich das Fleckfieber vom Felsenfieber sehr ein drucksvoll dadurch, daß allein bei diesem periphere Neh'osen, besonders an den äußeren Geschlechtsteilen und den Ohren, mit hoher Regelmäßigkeit beobachtet werden. Derartige Absterbeerscheinungen im Gebiete der Hautdurchblutung, die als Folge schwerer Gefäßveränderungen auftreten, bilden beim Tiere ein sehr sicheres klinisches Merkmal, während bekanntlich beim Menschen Gangrän man nigfacher Art infolge von Gefäßschäden auch bei Fleckfiebt>rkranken, mt>istl'ns allerdings am Ende der hochfieberhaften Krankht>it beobachtt>t wird. Doch dies kommt hier nicht in Betracht. Ktu·zynakl, Fl('('k· un<l l!'l'IBl'Dfll'hl'r. 1