Was die Entrüstung über die IMs
wirklich wert ist, haben uns die Exzesse von Rostock gelehrt. Es ist
bequem, sich als Opfer hinzustellen, aber wer auf Sündenböcke
angewiesen ist, wird schnell zum Täter. Das, worum es eigentlich
geht, was hinter dem hemmungslosen Spitzelwesen steckt, gerät nur
leicht in Vergessenheit, und dem Haß auf Asylanten ist es nur zu
nah. Aber die Stasi ist nur ein Symptom, der Ausdruck korrupter und
verkommener Lebensverhältnisse, im Staate wie im Privaten. Wir
brauchen praktisch unsere Stasi als Sündenbock, um vom eigentlichen
Dilemma, von den Tabus der wiedervereinigten Gesellschaft abzulenken.
Es ist die geschürte und manipulierte Entrüstung, damit wir uns
nicht wirklich entrüsten.
Hans-Joachim
Maaz, geboren 1943 in Niedereinsiedel (Böhmen), studierte Medizin
von 1962 bis 1968 in Halle. Seit 1980 ist er Chefarzt der
Psychotherapeutischen Klinik im Evangelischen Diakoniewerk Halle.
Gegen die Tabus und Widerstände des SED-Staates kämpfte er für
tiefenpsychologische und körperorientierte Therapieformen in der
DDR. Seit der Wende umfangreiche publizistische Tätigkeit. Durch
seine Bestseller »Der Gefühlsstau - Ein Psychogramm der DDR«
(Argon 1990) und »Das gestürzte Volk - die unglückliche Einheit«
(Argon 1991) hat Maaz entscheidend dazu beigetragen,
die psychologische Dimension der Vereinigung ins Zentrum der
Diskussion zu rücken.