DIE EISENBAHN 1M WIRTSCHAFTSLEBEN DIE EISENBAHN 1M WIRTSCHAFTSLEBEN VON KURT WIEDENFELD BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1 938 ISBN-13: 978-3-642-90577-3 e-ISBN-13: 978-3-642-92434-7 DOl: 10.1007/978-3-642-92434-7 AUe Rechte, insbesondere daa der Ober8etzung, vorbehalten Oopyright 1938 by Julius Springer in Berlin Vorworl Das Transportmonopol der Eisenbahn, das alliiberall reichlich ein halbes Jahrhundert den Aufbau und die Entwicklung des Wirtschaf.ts lebens maBgeblich bestimmt hat, ist gegeniiber dem gewaltigen Ausbau der WasserstraBen und vollends gegeniiber dem starken lfochkommen des Kraftwagenverkehrs in keinem Lande zu halten. Anfangs als "Staat im Staate" von den Volkern und von den Regierungen in gleicher Weis~ gefiirchtet, ist dieses Monopol durch die gesetzgebenden Gewalten zum Trager einer allgemeinen Beforderungspflicht und einer gleichmaBigen Tarifpflicht gemacht worden. Staatliche Handhabung oder wenigstens staatliche Aufsicht haben auch allenthalben dafiir gesorgt, daB diese Verpflichtungen wirklich erfiillt werden. Auf sie hat das Wirtschafts leben sich eingerichtet. Und niemand bleibt von der Frage unberiihrt, ob auch ohne Transportmonopol an der Beforderungs- und der Tarif pflicht festgehalten werden kann, was etwa zur Aufrechterhaltung einer so entscheidenden Grundlage des Wirtschaftslebens geschehen muB. Solche Frage zu beantworten, verlangt Klarheit iiber das Warum des Monopols. Wie hat es dazu kommen konnen, daB im Eisenbahn wesen (und nur in ihm) die dem Kapital innewohnende Monopoltendenz iiber aIle Widerstande so gut wie restlos Herr .geworden ist? In keinem anderri Wirtschaftszweige gibt es Unternehmungen, die auch nur an nahernd die Kapitalkraft der Eisenbahngesellschaften erreichen, und die Deutsche Reichsbahn gar ist nach KapitalgroBe und Beschaftigten zahl das bei weitem groBte Unternehmen der ganzen Welt. Mit der wirt schaftlichen Bedeutung verbindet sich also eine soziale Macht von un vergleichbarer Wucht. Und wkder.unList ·es "Jedermanns" Angelegen heit, urn die es bei den Eisenbahnen geht. Das Urteil endlich, wie Volksgemeinschaft und Staat zu den Eisen bahnen sich wohl stell en konnen, darf an den Leistungen nicht voriiber gehen, die in den vergangenen Jahrzehnten vollbracht worden sind; - an der Art und Weise, wie die Eisenbahnen in die Wirtschaftsentwick lung eingegriffen haben, wie sie zu' den wichtigsten Tragern solcher Entwicklung geworden sind. Wird in der Gegenwart auch in fast allen Staaten die wirtschaftliche Bindung an die Welt stark gelockert. zumeist sogar aus ihrer maEgeblichen Bedeutung herausgenommen, - dabei ist es doch geblieben, daE in allen Kulturstaaten das Leben der Gesamt bevolkerung sich auf regelmliEigem und allgemeinem, tagtaglich die Lebensnotwendigkeiten erfassendem Giiteraustausch aufbaut, und daE ein solcher lebenswichtiger Austausch ohne regelmaEige Transportvorgange auch iibernationaler Art sich nicht denken laBt. So gibt die Vergangen heit trotz anderer Betonung der Bedeutungselemente auch fiir die Gegen wart noch eine wichtige Urteilsunterlage ab, und auch sie muE kennen, wer sich ein solches Urteil bilden will. Diesen drei Fragenkomplexen sind die drei Abhandlungen gewidmet, die ich hiermit einer breiteren Offentlichkeit vorlege. Sie sind urspriing lich in Zeitschriften verOffentIicht worden; und zwar die beiden ersten im "Archiv fiir Eisenbahnwesen", Jahrgang 1938 und 1936, der dritte in der Zeitschrift "Die Staatsbank", Jahrgang 1935. Sie zu einemBuch zu sammenzufassen, scheint mir eben der Bedeutung wegen, die den Eisen bahnen beizumessen ist, und vor all em deshalb angebracht, weil das Ganze des Transportwesens im Deutschen Reich vor einer tiefgreifenden Umwalzung steht, iiber deren Richtung und Folgen nachzudenken nicht nur fiir die Fachkreise eine wichtige Aufgabe darstellt. Es vel'steht sich von selbst, daE in die alteren Aufsatze jeweils die neuesten Erscheinungen nachgetragen worden sind. Sollte aber die Ge schlossenheit del' einzelnen Abhandlungen aufrechterhalten bleiben, so waren in den Einzelheiten Wiederholungen nicht immel' zu vermeiden; dieselbe Erscheinung greift nun einmal in die .verschiedenen Betrach tungsweisen mit oft gleichem Gewicht ein, und dann diil'fte eine Wieder holung zur Klal'ung besser als eine Riickverweisung geeignet sein. Zum SchluE habe ich den Schriftleitungen und Verlegern der beiden Zeitschriften, in denen die Abhandlungen friihel' erschienen sind, fiir die Zustimmung zu dem Wiedel'abdl'uck ebenso aufrichtig zu danken wiedem Verlag, del' diesen Abdruck jetzt als Buch herausbringt. K. Wiedenfeld. Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort V 1. Die Verkehrsaufgaben zur deutschen Wirtschaftsgestaltung. Kapitel I: Die neue Wirtschaftsweise . 1 Die deutsche Volkswirtschaft und die Wirtschaft der Welt - die Fragen der Transportgestaltung in der Nationalwirt schaft. Kapitel II: Die Transportmittel in der deutschen Binnenwirtschaft 8 Die WasserstraBen - der Kraftwagenverkehr - der Luft verkehr und die besonderen Nachrichtenmittel - die Kiistenschiffahrt - die Eisenbahnen. Kapitel III: Die Transportmittel und die AuBenwirtschaft 22 Die aUflenwirtschaftliche Aufgabe der Verkehrstrliger - die Seeschiffahrt und ihre Hlifen - die binnenllindischen Transportmittel im ailgemeinen - die Binnenschiffahrt - der Kraftwagenverkehr - die Eisenbahn - die Luft fahrt - die Nachrichtenmittel. Kapitel IV: Die Frachtenfrage 39 Der Kostenvergleich die Gestaltung der Eisenbahn frachten - Binnenschiffahrt und Kraftwagenverkehr im Verhliltnis 'zu den Eisenbahnen. Kapitel V: Die SchluBfolgerungen 50 Die RegelmliBigkeit und Berechenbarkeit der Eisenbahn transporte - Monopol und Wettbewerb im Transport wesen - Eisenbahn und Kraftwagen - Eisenbahn und Binnenschiffahrt - die Bedeutung der Tariftreue. II. Monopoltendenz und Frachtengestaltung im Eisenbahnwesen. Kapitel I: Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Frachten gestaltung 61 Die Transportkosten als Wirtschaftselement - der Wett bewerb der Landschaften - die Staffelung der Kilometer slitze. Seits Kapitel II: Die Monopoltendenz bei den Eisenbahnen 68 Die ZusammenschluB-Bewegung - die Raumbeherrschung - die Monopolkrafte im allgemeinen - die Vergeblichkeit del' Wettbewerbskampfe - die Hemmungskriifte im allge meinen - das AuBenseitertum - die Grenzen del' person lichen Leitungsfahigkeit - die FahrplanmaBigkeit des Betriebes und die Statistik del' Leistungen - die Tarif maBigkeit del' Beforderungspreise und die Tariftreue - der Selbstandigkeitsdrang del' leitenden Manner - die andern Verkehrsmittel. Kapitel III: Die Ziele del' Eisenbahn~Frachtengestaltung 97 Die "kaufmannischen" Grundsatze und die Selbstkosten frage im allgemeinen - del' Kapitalaufbau bei del' Deut schen Reichsbahn - die Bedeutung del' Generalunkosten die Abhangigkeit del' Gestehungskosten von den Preisen - die Wah rung der allgemein-volkswirtschaft lichen Interessen in den Normaltarifen - die Wert klassifikation _ die Ausnahmetarife. Kapitel IV: Monopol und Tariftreue 110 III. Die Eisenbahn als Trager der neuzeitlichen Wirtschaftsgestaltung; Vorbemerkung: Das Jahrhundert dei· Eisenbahn 114 Kapitel I: Ein deutscher Pionier . 115 Friedrich List und die Leistungen del' Eisenbahn - Lists Netzgedanke - Lists Betonung des Gliterverkehrs. Kapitel II: Del' Entwicklungsgang 118 Die ErschlieBung del' Kontinente - die Bedeutung des europaischen Kapitals. Kapitel III: Eisenbahnen und Banken 122 Die Anfange del' Eise!lbahn-Banken-Beziehungen die europaischen Banken in der Eisenbahnentwicklung del' Erde - die Stellung del' nordamerikanischen Bankhauser. Kapitel IV: Die Wandlung im Wirtschaftsleben . 125 Del' neue Inhalt des Welthandels - Weltmarkt- und Binnenwirtschaft. Kapitel V: Del' Weg zur Verstaatlichung 131 Die Kapital-Zusammenballung - Stehendes Kapital und konstante Kosten - das Ergebnis del' Wettbewerbs kampfe -,- die Unterschiede gegenlibel' den andern Wirt schaftszweigeh - del' Staatsbahiigedahke. l. Die Verkehrsaufgaben zur deutschen Wirtschaftsgestaltung Kapitel I: Die neue Wirtscka/tsweise. 1. Verglichen mit der Vorkriegszeit, in der heiB und heftig urn den Ausbau des WasserstraBennetzes gestritten worden ist, weist das deutsche Wirtschaftsleben der Gegenwart eine so tiefgreifende Wandlung seines ganzen Wesens auf, daB auch fiir die Verkehrspolitik sich eigenartig neQe Aufgaben ergeben. Damals ganz und gar in die Weltmarktwirtschaft eingespannt und trotz seiner Schutzzolle von der Preisbewegung des Llindergesamts in der Gestaltung seiner Giitererzeugung und seines Giiterverbrauchs entscheidend bestimmt, hat sich das Reich unter dem Druck des Friedensdiktates und der AbschlieBungsmaBnahmen fast aller wichtigeren Staaten mehr und mehr darauf eingestellt, den lebenswich tigen Bedarf seiner Bevolkerung aus der Ausnutzung seiner eigenen Bodenkraft und seiner eigenen Bodenschatze bis zum Letzten der natiir lichen und technischen Moglichkeiten zu decken, nach dies em Bedarf also und nicht mehr nach dem internationalen Vergleich der Gestehungs kosten seine Giitergewinnung zu entfalten. Die Auslandsbeziehungen in Einfuhr und Ausfuhr konnen nur noch eine zwar wichtige und teilweise sogar unentbehrliche, aber doch nicht mehr eine den Gesamtgang regelnde Erganzung des heimischen Giiteraustauschs bilden. Was vor dem lediglich ein bequem zusammenfassender und deshalb leicht miEzu verstehender Ausdruck fUr die tatsachlichen Gegebenheiten des deutschen Wirtschaftslebens war, hat einen tiefen Sondersinn erhalten: es gibt jetzt eine deutscke Volkswirtscka/t des Inhalts, daB die Giitererzeugung und der Giiterverbrauch im Rahmen des deutschen Staatsraumes fiir die Lebens- und Schaffensnotwendigkeiten aufeinander abgestimmt werden, daB das Wirtschaftsleben selbst durch die einheitlich-staat liche Wirtschaftspolitik hindurch und iiber diese hinaus auf den ge· schlossenen Staatsraum bezogen erscheint und so - trotz der Aus landserganzungen - im wesentlichen auch in sich auf diesem Raume W i e den f e 1 d: Die Eisenbahn im Wirtschaftsleben. 1 2 Die Verkehrsaufgaben zur deutschen Wirtschaftsgestaltung. seinen Kreislauf vollendet. Der Staatsgedanke, wie er von bestimmtem Raume nicht zu trennen ist und wie er fiir das deutsche Yolk im Reich jetzt seiner Verwirklichung entgegengeht - er hat auch fiir die Wirt schaftsbeziehungen der Menschen dieses Raumes, fiir das wirtschaftliche Verhalten der Raumbewohner die Bedeutung der entscheidenden Grund lage angenommen. Dies ist gegeniiber aller Vergangenheit etwas durchaus Neues. Allerdings hat schon der Merkantilismus der werdenden GroBstaaten seine Wirtschaftspolitik ganz und gar auf den ZusammenschluB der mannigfachen, bislang nur durch die Person des Fiirsten zusammen gehaltenen Landschaften eingestellt und durch eine zentrale Verwal tungsleitung fiir die Durchfiihrung der gesamtstaatlichel1 Anordnungen zu sorgen unternommen; er hat auch, wo die Natur es erlaubte, durch Kanalbauten iiber immerhin schon groBere Entfernungen hinweg seine Landschaften tatsachlich miteinander zu verbinden und einen Giiter austausch zwischen ihnen herbeizufiihren versucht. Dennoch ist es sogar einem F r i e d ric h d e m G roB e n nur in dem eingeschrankten Rahmen seines mitteldeutschen Besitzes, den er durch das Netz der markischen WasserstraBen zwischen Elbe und Oder aufgeschlossen hat, und in schmalem Streifen langs des Warthe-Netze-Weges nach der Weichsel hin, nicht aber fiir das Gesamtgebiet gelungen, mit Hilfe seines Magazinsystems von Ost nach West einen regelmaBigen Ausgleich zwischen ortlichen MiBernten und andersortlichen "Oberschiissen an Getreide zu sichern; hat doch sogar der Bau des Plauer und des Finow kanals hauptsachlich dem Salzverkehr zwischen den magdeburgischen Gewinnungsstatten und Berlin-Stettin, dem Transport also eines gering massigen Luxusgutes dienen sollen. Ebenso lassen die zahlreichen Ge treide-Ordonnanzen des groBen franzosischen Kanalbauers Col b e r t deutlich erkennen, daB jener Ausgleich sich fast nur fiir benachbarte Landschaften und ebenfalls nicht, trotz giinstigerer Raumgestaltung des Staates, iiber das Gesamtgebiet hinweg bewirken lieB. In England standen noch nach den Napoleonischen Kriegen die Ausfuhr- und die Einfuhr Grafschaften filr Getreide nebeneinander, obwohl in der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts ein "Kanalbaufieber" das Mittelland ebenso mit London wie mit der Ost- und der Westkiiste verbunden hatte, und obwohl in Gestalt der beriihmten DrehkreuzstraBen auch befestigte Landwege schon. mannigfach das Gebiet durchzogen . . Trotz aller Wirtschaftspolitik war also vor dem Zeit alter der Eisen bahnen und Telegraphen nirgends in den groBen Staaten von wirklicher Die Verkehrsaufgaben zur deutschen Wirtschaftsgestaltung. 3 Geschlossenheit eines einheitIichen, in seinen Teilen sich erganzenden Wirtschaftskorpers zu sprechen. Sogar nach der Aufhebung der Binnen zolle, die uberall die Einheitlichkeit des Staates wirtschaftlich zum Aus druck bringen sollte - in Frankreich ein Ergebnis der GroBen Revolu tion und eine Erganzung der neuen Departements-Einteilung, in den neu gebildeten Staaten Suddeutschlands eine Folge des Reichsdeputations hauptschlusses von '1803, in PreuBen eine Wirkung der Staatserweiterung von 1815, und im Deutschen Zollverein von 1834 ab (bis 1888) allmahlich auf die GIieder des spateren Reiches ausgedehnt - sogar nach dieser bedeutsamen MaBnahme der Wirtschaftspolitik ist das Wirtschaftsleben noch lange Zeiten in allem Wesentlichen seinen alten Weg ortIicher Ge bundenheit weitergegangen, hat es in den einzelnen Landschaften sich mit der Erzeugung und dem Verbrauch der tagtaglichen Lebensnotwen digkeiten oder gar mit deren Preisbildung kaum nach den benachbarten Landschaften und schon gar nicht nach der Ferne, auch nicht nach der Ferne des eigenen Staatsraumes maBgeblich ausgerichtet. Und dies gerade kennzeichnet die Gegenwart: die Wirtschaftspolitik, die das Staatsganze umgreift, findet jetzt im Wirtschaftsleben ihre Entsprechung; der Guter~ austausch und damit die gegenseitige Erzeugungserganzung werden zu maBgeblichem Teil (wenngleich nicht restlos) in das Staatsgebiet g,ezogen, und auf der Unterlage heimischer Gestehungskosten findet die Preisbildung statt. Fur Deutschland ist aus der staatIichen Entwicklung noch ein zweites Neues entstanden. Obwohl Iiamlich schon durch den Zollverein seinen Mitgliedern und dann durch die Verfassung von 1871 dem Reich die Einheitlichkeit der AuBenzolle gegeben war und auch binnenwirt schaftlich wichtige Sachgebiete verfassungsgemaB durch Reichsgesetze geregelt worden sind, haben doch die einzelnen Bundesstaaten und Lander gerade auf wirtschaftlichem Gebiete ihre Selbstandigkeit sowohl in der Gesetzgebung wie namentlich in der Verwaltung sich in sehr hohem Grade bewahren konnen und auch zur Wirkung gebracht. Das galt vor all em fur die Tarifgestaltung der Eisenbahnen; denn wenn es auch zwi schen 1880 und 1890 nach und nach gelungen war, fur die siebenStaatsbahn netze und die elsaB-Iothringischen Reichsbahnen die sog. Normaltarife des Guterverkehrs auf einheitliche Satze zu bringen, so blieben doch die Aus nahmetarife von solcher Regelung vollig frei und hiermit groBenteils gerade diejenigen Gutergruppen, die als Massenstoffe von gehobener wirtschaftlicher Bedeutung sind - auf den preuBisch-hessischen Bahnen z. B. sind nicht'weniger als 60 % des gesamten Guterverkehrs schIieBlich nach solchen Sondersatzen abgewickelt worden, und mancher "Eisenbahn tarifkrieg" ist vor dem Weltkriege auf deutschem Boden von den Einzel- 1*