Die Dunkle Arche Version: v1.0 Der Korridor war breit wie ein Eisenbahntunnel. Seine Wände bestanden aus einer glatten, undefinierbaren Masse. Es gab weder Licht noch Dunkel; zumindest vermochten Duncan Luther und George Romano, die beiden so unterschiedlichen Toten, problemlos darin zu sehen. Was sie sahen, war ein in Wegrichtung leicht geneigter Korridor, lang wie die Ewigkeit, der hie und da finstere Torausgänge besaß – Schlupflöcher in die Epochen. Vom fernen Ende dieses Korridors aber lockte etwas Unwiderstehliches und erfüllte die Wanderer durch die Zeit mit bitterer, zwanghafter Sehnsucht … Was bisher geschah In einem rumänischen Dorf, das Lilith vor wenigen Wochen von der Knechtschaft einer Vampirsippe erlöste, trifft die Halbvampirin auf eine Dienerkreatur, ein Mädchen namens Laila. Sie überlebte als einzige, als Lilith die gute Vampirin Fee aus den Klauen der Sippe befreite, und terrorisiert nun das Dorf. Laila hat sich mit einem Artefakt der Sippe bewaffnet: einem Schlangenstab mit magischen Eigenschaften. Als Lilith ihn berührt, erlebt sie die blutrünstige Vision einer »Dunklen Arche« – ohne viel mit dem Begriff anfangen zu können. Sie tötet Laila und kehrt mit dem Artefakt nach Tokio zurück, wo sie zusammen mit Beth Zuflucht gefunden hat. Kurze Zeit später bittet der Geist einer schwangeren Vampirin, sozusagen eine Vorgängerin von Creanna, Lilith um Hilfe. Sie wurde von Landru einst an ein Grab gebannt, am Leben erhalten von der Seele des halb menschlichen Kindes, das nie zur Welt kam. Wieder erfährt Lilith Einzelheiten über das LICHT, das auch hinter ihrer eigenen Existenz zu stecken scheint, bevor sie die Leidende erlöst. Beth hat den Schlangenstab unterdessen eigenmächtig dem Sammler Tomaso zukommen lassen, der seine Herkunft bestimmen soll. Doch die Magie des Stabes zwingt den Mann, das Opferinstrument zu benutzen: Er mordet und stiehlt die Herzen der Leichen. Bevor Lilith den Sammler stoppen kann, sind die Tokioter Vampire auf ihn aufmerksam geworden. Zwar kann Lilith das Artefakt wieder an sich nehmen, doch Tomaso fällt in die Hände der Vampire. In Sydney beginnt unterdessen eine Entwicklung, die an die Anfänge von Liliths »Wirken« zurückreicht: Das Haus, in den sich die Kraft des LICHTS manifestiert hat, vereint die Seelen von Jeff Warner, Esben Storm und Virgil Codd zu einem unheimlichen Wesen, das nun, da die Zeit von Liliths einhundertstem Geburtstag naht, das nachholt, was sie aus Menschlichkeit versäumte: Das Wesen sucht Liliths Opfer auf – und tötet sie, damit ihr spezieller Keim wirksam werden kann! Gleichzeitig läuft Beth in Tokio in eine Falle der Vampire. Damit hat das Versteckspiel ein Ende; Lilith muß erneut fliehen. Beth, von Warner/Storm/Codd (rechtzeitig?) aus der Gewalt der Vampire befreit, begleitet sie … Die Hauptpersonen des Romans Lilith Eden – Tochter des Menschen Sean Lancaster und der Vampirin Creanna. Für 98 Jahre lag sie schlafend in einem lebenden Haus in Sydney, doch sie ist vor der Zeit erwacht. Sie muß gegen die Vampire kämpfen, die in ihr einen Bastard sehen, bis sie sich ihrer wahren Bestimmung bewußt wird. Der Symbiont – Ein geheimnisvolles Wesen, das Lilith als Kleid dient, obwohl es fast jede Form annehmen kann. Der Symbiont ernährt sich von Vampirblut und verläßt seine Wirtin bis zu deren Tod nie mehr. Der Scout – Ein magisches Tattoo in Liliths linker Hand, das sie vom Körper lösen und durch dessen Augen sie sehen kann. Doch was man dem Scout zufügt, spürt auch sie. Landru – Mächtigster der alten Vampire. Seit 268 Jahren jagt er dem Lilienkelch nach, dem Unheiligtum der Vampire, der ihm damals von Felidae gestohlen wurde. Felidae – Vampirin im Auftrag einer geheimnisvollen Macht, die Liliths Geburt in die Wege leitete und damit einen Plan verfolgt, der die Welt der Menschen und Vampire verändern wird. Beth MacKinsey – Gleichgeschlechtlich veranlagt, hat sich die Journalistin in Lilith verliebt und ist zur Zeit deren einzige Gefährtin im Kampf gegen die Vampire. Die Vampire – Noch kennt niemand ihre wahre Herkunft, doch sie leben seit Urzeiten neben den Menschen in Sippen zusammen. Um einen neuen Vampir zu schaffen, muß ein Menschenkind schwarzes Blut aus dem Lilienkelch trinken. Der Kodex verbietet Vampiren, sich gegenseitig umzubringen. Die Dienerkreaturen – Tötet ein Vampir einen Menschen mit seinem Biß, wird dieser ihm nicht ebenbürtig, sondern eine Kreatur, die dem Vampir bedingungslos gehorcht. Ihrerseits kann eine Dienerkreatur den Vampirkeim nicht weitergeben und wird – anders als die Ur-Vampire – mit zunehmendem Alter immer lichtempfindlicher. Der Mensch – ein Exempel der beispiellosen Geduld der Natur. Christian Morgenstern »Ich wüßte zu gern, was uns zwingt, in diesem Gang zu bleiben und seinem Verlauf zu folgen«, sagte Romano dumpf. Er hatte sich immer noch nicht völlig von dem Vorfall erholt, der ihren Aufenthalt im Ägypten des Pharao Amenophis IV. so abrupt beendet hatte. Wenn sie nicht in den Korridor zurückgekehrt wären, hätten sie sich in Nichts aufgelöst.* Ein unheimlicher Effekt – und eine erschreckende Erfahrung. Auch Duncan Luther war davon betroffen gewesen. Aber er hatte sich von der scheinbaren Auflösung seiner Substanz weit besser erholt als Romano. Er ahnte, warum. Er war anders. Und er hätte um nichts in der Welt mit Romano tauschen mögen, obwohl ihre Schicksale einander, zumindest oberflächlich betrachtet, so sehr ähnelten. »Es ist alles so hoffnungslos«, redete der Leichnam an seiner Seite weiter. »Die Gewißheit, tot zu sein. Daß mein Herz nicht mehr schlägt. Wenn ich schweige, ist mein Körper still wie ein Grab. Ich weiß nicht, wie die Worte, die ich ausspreche, ohne Atem entstehen können. Ich weiß nicht, wie das Denken in meinem Gehirn abläuft, wo doch weder Blut noch Sauerstoff darin zirkulieren …« Er verstummte. Duncan fröstelte. Er kannte Romanos Geschichte – eine Tragödie, von Blut und Gewalt geprägt. Und von der Begegnung mit einer *siehe VAMPIRA 29: ›Das dunkle Tor‹ einzigartigen Frau, deren Name Lilith war … Im Grunde, soviel hatten sie beide erkannt, war die Halbvampirin schuld an diesem Aufbruch ins Ungewisse. Luther war von Lilith gebissen worden, und Romano hatte ihr Blut aus einem Reagenzglas getrunken. In beiden Fällen hatte die Veränderung aber erst unmittelbar nach ihrem Tod eingesetzt. Es mußte ein Keim sein, der erst dann aktiv geworden war und falsches Leben in die Körper zurückgezwungen hatte. Duncan dachte mit Schaudern daran, wie er gestorben war, in Neu-Delhi, Indien. Vampire hatten ihn überfallen, ihm das Rückgrat gebrochen und … Ja, was? Irgend etwas war mit ihm geschehen, von dem er nichts wußte und mit dem er bis heute nicht umzugehen verstand. Er war gestorben, und doch fühlte er mit jeder Faser seines Körpers, daß er lebte. Anders als Romano atmete er, brauchte Nahrung, ertrug das Sonnenlicht. Er war keine Dienerkreatur – aber was dann? Auch Lilith hatte dies nicht verstanden … Seine Einstellung zu der Frau, in die er einmal verliebt gewesen war, hatte sich grundlegend geändert, ohne daß er den Unterschied jedoch in Worte hätte fassen können. »Du machst dir zu viele Gedanken«, sagte er an Romano gewandt. »Bald werden wir eine Antwort auf unsere Fragen und Zweifel erhalten. Ich glaube fest daran!« Romano winkte ab. Dabei bemerkte Luther, daß Mittel-und Ringfinger des Toten immer noch jene seltsame Transparenz aufwiesen, als befänden sie sich in einer anderen Dimension als der Rest seines Körpers. Duncan verzichtete, darauf einzugehen. Es hätte neue, ergebnislose Debatten nach sich gezogen. Statt dessen begann er, sich um sich selbst zu sorgen. Um seinen Hunger. Sein Organismus, das hatte sich in vielen Details gezeigt, war im Vergleich zu früher bedeutend anspruchsloser geworden. Aber er konnte immer noch nicht, wie es bei Romano der Fall war, völlig auf Nahrungsaufnahme verzichten. Da sich auch in weiter Ferne kein Ende des Korridors abzeichnete, würde er bald etwas unternehmen müssen. Je eher, desto besser. »Ich muß mir bald Proviant besorgen«, sagte er, »und das kann ich nur hinter einem der Tore.« Romano blieb stehen und sah ihn schweigend an. Seine Miene verriet Duncan, was er dachte. Seltsam, fuhr es ihm durch den Kopf. Können Tote Angst empfinden? Ein bizarrer Gedanke; und ein weiterer, über den nachzudenken sich nicht lohnte. »Ich werde allein gehen«, fuhr er fort. »Offenbar ertrage ich die Welt jenseits der Tore besser als du. Du kannst hier im Korridor warten. Es wäre überflüssig, dich erneut der Gefahr auszusetzen. Ich besorge mir genügend Proviant und komme so schnell als möglich zurück …« Der bestürzte Ausdruck in Romanos Zügen wich langsam wieder der Apathie. Er nickte. »Du hast recht; das wäre nicht gut für mich …« Duncan war erleichtert über seine Einsicht. Als das nächste Tor schwarz und unheimlich auf der rechten Seite des Ganges sichtbar wurde, trennten sie sich ohne übertriebenen Abschied. Es war pure Notwendigkeit … … und führte direkt in eine Katastrophe – eine Zeit, beklemmender als die düstersten ihrer Ängste und Visionen … * Susa, diesseits der Berge … Mizrajim verließ seines Vaters Haus zur zweiten Nachtwache und hetzte mit klopfendem Herzen dem nahen Gebirge entgegen.