Die Bundestagswahl 2013 Karl-Rudolf Korte (Hrsg.) Die Bundestagswahl 2013 Analysen der Wahl-, Parteien-, Kommunikations- und Regierungsforschung Herausgeber Univ.-Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte NRW School of Governance Institut für Politikwissenschaft Universität Duisburg-Essen Duisburg, Deutschland Redaktion: Jan Schoofs M.A. (Leitung) und Jan Dinter B.A. (NRW School of Gover- nance, Universität Duisburg-Essen) ISBN 978-3-658-02914-2 ISBN 978-3-658-02915-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-02915-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi- bliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Lektorat: Dr. Jan Treibel, Monika Mülhausen Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Fachmedien Wiesbaden ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com) Inhalt Karl-Rudolf Korte Die Bundestagswahl 2013 – ein halber Machtwechsel: Problemstellungen der Wahl-, Parteien- Kommunikations- und Regierungsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Teil I: Wahlforschung Matthias Jung/Yvonne Schroth/Andrea Wolf Wählerverhalten und Wahlergebnis: Angela Merkels Sieg in der Mitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Gerd Strohmeier Die Bundestagswahl 2013 unter dem reformierten Wahlsystem: Vollausgleich der Überhangmandate, aber weniger Erfolgswertgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Ossip Fürnberg Stimmensplitting bei der Bundestagswahl 2013: Beendet das neue Wahlsystem den Trend zu mehr Stimmensplitting ? . . . 79 Armin Schäfer/Sigrid Roßteutscher Räumliche Unterschiede der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013: Die soziale Topografie der Nichtwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 6 Inhalt Ulrich Rosar/Hanna Hoffmann Einflüsse der Bewertung der Kanzler kandidaten Steinbrück und Merkel auf die Wahlchancen ihrer Parteien bei der Bundestagswahl 2013: War er der Falsche, war sie die Richtige ? . . . . . . 119 Teil II: Parteienforschung Frank Decker Zur Entwicklung des bundesdeutschen Parteiensystems vor und nach der Bundestagswahl 2013: Überwindung der koalitionspolitischen Segmentierung . . . . . . . . . . 143 Steffen Bender/Matthias Bianchi/Karina Hohl/Andreas Jüschke/ Jan Schoofs/Susanne Steitz Die ideologisch-programmatischen Positionen der Parteien bei der Bundestagswahl 2013: Eine Analyse mit dem Duisburger-Wahl-Index (DWI) . . . . . . . . . . . . 165 Uwe Wagschal/Pascal König Die Links-Rechts-Positionierung der Parteien bei den Bundestagswahlen 2005 bis 2013: Eine empirische Analyse anhand des Wahl-O-Mat . . . . . . . . . . . . . 185 Andreas Blätte Die Stimmen der Migranten im Bundes tagswahlkampf 2013: Wahlkampf in der Einwanderungsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . 211 Sebastian Bukow Das innerparteiliche Kampagnen management im Bundestagswahlkampf 2013: Angebotsbasierte Steuerung als Antwort auf die parteiliche Stratarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Hendrik Träger Innerparteiliche Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zur Bundestagswahl 2013: Eine Urwahl, zwei Mitgliederentscheide und neue Verfahren der Wahlprogrammerarbeitung . . . . . . . . . . . 269 Inhalt 7 Teil III: Kommunikationsforschung Matthias Bianchi/Karl-Rudolf Korte Die Wahlkommunikation zur Bundestagswahl 2013: Perspektiven der Parteien- und Mediendemokratie . . . . . . . . . . . . 293 Bettina Westle/Christian Begemann/Astrid Rütter Wahlprogrammatik und politische Berichterstattung: Vermittlung politischer Themen und Issues durch Tageszeitungen . . . . . 317 Stephanie Geise/Klaus Kamps Negative Campaigning auf Wahlplakaten: Konstruktion, Operationalisierung, Wirkungspotentiale . . . . . . . . . . 343 Sebastian Jarzebski Wahlkampf als Erzählung: Metaphern und Narrative im TV-Duell . . . . . 367 Andreas Elter/Andreas Köhler Kollektiverzählungen und mythische Narrative in Politikerreden: Angela Merkel und Peer Steinbrück im Wahlkampf 2013 . . . . . . . . . . 387 Kay Hinz Wahlkampf auf Facebook und Twitter: Einflussfaktoren auf die Informationsaktivität der Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Teil IV: Regierungsforschung Daniela Kallinich/Frauke Schulz Eine Regierungsbilanz der schwarz-gelben Koalition 2009 – 2013: Erklärungsarmer Pragmatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 Eric Linhart/Susumu Shikano Koalitionsbildung nach der Bundestagsw ahl 2013: Parteien im Spannungsfeld zwischen Ämter-, Politik- und Stimmenmotivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 8 Inhalt Martin Florack Regierungsbildung der Kernexekutive: Institutionelle Transformationsprozesse der Regierungsorganisation zur Herstellung kollektiver Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . 485 Timo Grunden Das Programm der Großen Koalition: Eine Regierung der sozialstaatlichen Restauration ? . . . . . . . . . . . . 509 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Die Bundestagswahl 2013 – ein halber Machtwechsel: Problemstellungen der Wahl-, Parteien- Kommunikations- und Regierungsforschung Karl-Rudolf Korte Abstract Trotz ihrer an manchen Stellen historischen Einschnitte wird die Bundestags- wahl 2013 in der Geschichte der Wahlforschung vermutlich keine signifikanten Spuren hinterlassen. Angesichts der deutschen Stabilitätskultur, dem ausgeprägten Sicher- heitskonservatismus und dem hohen Wohlfahrtsniveau erscheint die Große Koalition im Rückblick als absolut verlässlich erwartbare Konstellation. » Sorgenvolle Zufrieden- heit «, » entspannter Fatalismus « – in solchen Formulierungen kulminiert eine Form von stabiler Ambivalenz, die sich durch Einstellungen, Wahlabsichten, Entscheidungen und Verhandlungen von Akteuren zieht. In sechs Aspekten lassen sich markante Befunde aus Sicht der Wahl-, Parteien- Kommunikations- und Regierungsforschung struktu- rieren. 1 Die Bundestagswahl aus Sicht der Wahl-, Parteien-, Kommunikations- und Regierungsforschung » Merkel plus X « – so stellte sich für die meisten Wähler die Wahloption für die Bundestagswahl am 22. September 2013 dar. Über viele Monate hinweg zeichnete sich für keines der beiden traditionellen Lager von Union und FDP auf der einen sowie SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf der anderen Seite eine eigene Mehr- heit ab. Die extrem hohen und stabilen lagerübergreifenden Zustimmungswerte zur Programm-Person der Kanzlerin machten die Bundestagswahl dieses Mal zu einer ausgeprägten Personenwahl: Angela Merkel fungierte als Orientierungs- Auto rität in Zeiten relativer Zufriedenheit. Merkel – plus eine ergänzende, mehr- heitsbeschaffende Partei, so wollten es die meisten Wähler. Die Kanzlerin konnte im Parteienwettbewerb triumphieren: Die hohe Zufriedenheit mit ihrer Leistung steht dabei im Kontrast zu einer gleichermaßen ausgeprägten Unzufriedenheit mit der Regierungsperformanz. Offenbar lag nur ein partieller Wechselwunsch Karl-Rudolf Korte (Hrsg.), Die Bundestagswahl 2013, DOI 10.1007/978-3-658-02915-9_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015 10 Karl-Rudolf Korte vor. Umfragen dokumentierten erstmals, dass als Wunsch-Koalition eine Große Koalition der Favorit war (Neu 2013). So kam es zum dosierten Machtwechsel, bei dem kontinuitätsverbürgend jeweils ein Koalitionspartner aus der vorherge- henden Regierung auch einen Teil der neuen Regierung stellt. Dieser Typus eines » halben « Machtwechsels ist der Favorit in Deutschland (Korte 2013a). Die Kanzlerin nutzte auch in diesem Wahlkampf die Dramaturgie der Ge- wöhnung an eine ausgeprägte Krisen-Dialektik: » Weiter so ! « und » Keine Expe- rimente ! « waren die Kernbotschaften. Mit einem Vermeidungswahlkampf auf Samtpfoten erzwang Merkel auf diese Weise wie bereits bei der Bundestagswahl 2009 systematisch und strategisch professionell eine Demobilisierung der SPD. Potenziell konfliktträchtige Themen wie der Mindestlohn und die Mietpreis- bremse übernahm die Union in ihr Programm, so dass die Wettbewerber früh der Merkel-Mimikry erlagen. Merkel agierte als Kanzlerpräsidentin mit hohen per- sönlichen Sympathiewerten. Mit forcierter Passivität (Korte 2012a) navigierte sie durch den Wahlkampf wie auch durch die Krise. Den Wählern genügte das. Fak- tisch lagen in zentralen innen- und gesellschaftspolitischen Fragestellungen wich- tige Unterschiede zwischen den Parteien vor, die aber medial kaum eine Rolle spielten (Bianchi u. a. 2013; Bender u. a., Wagschal/König und Linhart/Shikano in diesem Band). 1.1 Das Überraschende am Wahlergebnis 1.1.1 Parteien und asymmetrisches Parteiensystem Unerwartet legten die Volksparteien in der Wählergunst zu. Sie profitierten erst- mals seit 2002 wieder von Stimmenzuwächsen. Dass die Stimmengewinne der einen Volkspartei nicht zu Lasten der anderen Volkspartei gingen, sondern beide zeitgleich zulegten, trat zuletzt bei der Bundestagswahl 1965 ein (Bundeswahl- leiter 2013: 10). Angela Merkel siegte 2013 in historischen Ausmaßen. Zeitweilig schien am Wahlabend sogar eine absolute Mehrheit möglich, wie es bislang ledig- lich Konrad Adenauer 1957 gelang. Nur Adenauer und Kohl schafften es zudem, nach einer Bundestagswahl zum dritten Mal wiedergewählt zu werden. Merkel ist die erste Kanzlerin, die drei Legislaturperioden in Folge mit jeweils anderen Ko- alitionspartnern eine Regierung bildet: Schwarz-Rot, Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot. Doch die Große Koalition von 2005 ist mit der von 2013 nur formal vergleich- bar. Damals trennten beide Volksparteien knapp 440 000 Stimmen. Diesmal wa- ren der Abstand deutlich größer (6 913 231 Stimmen) und die Koalition erwart- bar. Erstmals in der Geschichte der Wahlumfragen wünschten sich die Deutschen mehrheitlich die Große Koalition (Jung/Schroth/Wolf in diesem Band).