ARBEITEN ZUR FRÜHMITTELALTERFORSCHUNG ARBEITEN ZUR FRÜHMITTELALTERFORSCHUNG Schriftenreihe des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster In Zusammenarbeit mit Hans Belting, Hugo Borger, Dietrich Hofmann, Karl Josef Narr, Friedrich Ohly, Karl Schmid, Ruth Schmidt-Wiegand und Joachim Wollasch herausgegeben von KARL HAUCK 11. BAND DIE VOLKSSPRACHIGEN WÖRTER DER LEGES BARBARORUM TEIL II herausgegeben von RUTH SCHMIDT-WIEGAND w DE G_ 1991 WALTER DE GRUYTER • BERLIN • NEW YORK DIE BEZEICHNUNGEN FÜR SOZIALE STÄNDE, SCHICHTEN UND GRUPPEN IN DEN LEGES BARBARORUM von GABRIELE VON OLBERG w DE Cl 1991 WALTER DE GRUYTER • BERLIN • NEW YORK Diese Arbeit ist im Sonderforschungsbereich 7: ,Mittelalterforschung' entstanden und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung der ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt. CIP-Tiielaufnahme der Deutschen Bibliothek Olberg, Gabriele von: Die Bezeichnungen für soziale Stände, Schichten und Gruppen in den Leges barbarorum / von Gabriele von Olberg. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1991 (Die volkssprachigen Wörter der Leges barbarorum ; Teil 2) (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung ; Bd. 11) ISBN 3-11-012218-9 NE: 2. GT Die volkssprachigen Wörter der Leges barbarorum / hrsg. von Ruth Schmidt-Wiegand. — Berlin ; New York : de Gruyter. (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung ; ...) NE: Schmidt-Wiegand, Ruth [Hrsg.] Teil 2. Olberg, Gabriele von: Die Bezeichnungen für soziale Stände, Schichten und Gruppen in den Leges barbarorum. — 1991 © Copyright 1991 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin Inhalt 1. Historisch philologische Bezeichnungsforschung 1 1.1. Zum Gegenstand und zur Fragestellung 1 1.2. Zum Begriff ,Volkssprache' 2 1.3. Zur Methode 3 1.3.1. Die Kombination von Bezeichnungs- und Bedeutungsforschung 3 1.3.2. Interferenzlinguistik 8 1.3.3. Zur Kommunikationsfunktion von Wörtern 9 1.4. Zur Vorgehensweise 11 2. Die Leges als Quelle sprachwissenschaftlicher Untersuchung 14 2.1. Überlegungen zum Textbegriff von Linguisten und Historikern 14 2.2. Beobachtungen für eine textsortenspezifische Einordnung der Leges 18 2.3 Sprachhistorische Einordnung der Leges 24 3. ,Adel', .Freiheit', ,Halb-' und .Unfreiheit' in der historischen Forschung des 18., 19. und 20. Jahrhunderts 31 4. Corpus der Bezeichnungen aus dem sozialen Bereich 46 4.1. Zur Begründung von Auswahl und Gliederung 46 4.2. Freie (Edel-, Halb- und Minderfreie) 48 4.2.1. .(Freier) Mensch' — unter allgemein anthropologischem Aspekt und in der Abgrenzung zu ,Sache' 48 4.2.1.1. ags. wer lgbd., salfrk., alem., rib., bair., cham., sächs. wergeld . . 48 4.2.1.2. ags., salfrk. leod (leodinia\leodi), westgot., bürg, leudes 60 4.2.1.3. salfrk. frio, lgbd• frea, ags. jreo 74 4.2.1.4. lgbd. (h)aldius, (h)aldia 78 4.2.2. .(Freier) Mensch' — unter militärischem Aspekt (,Krieger, Waf- fenträger') 89 4.2.2.1. lgbd. (h)arimannus, (h)arimanna 89 4.2.2.2. lgbd., salfrk., alem., rib. baro (salfrk. sacebarö) 97 4.2.2.3. ags. folcfry, folgfrig, lgbd. ful(c)free, ful(c)frea 105 4.2.2.4. lgbd. gasindius (lgbd. gasindium) 112 4.2.2.5. salfrk. antrustio (salfrk. druht, frklat. trustis) 124 4.2.2.6. bürg, faramannus (lgbd. fara) 134 4.2.3. ,(Freier) Mensch' — unter dem Aspekt des Siedeins und der agrarischen Lebensweise (,Siedlungsgenosse, Nachbar') 141 VI Inhalt 4.2.3.1. frk., bair. commarcanus (frk., bair., alem., rib., lgbd. marca, frk., obd. commarca) 141 4.2.3.2. bair. calasneo 152 4.2.3.3. salfrk., alem. minoflidis (medioßidis) 155 4.2.3.4. salfrk. widrisittilo 158 4.2.4. .(Freier) Mensch' — unter politisch-rechtlichem Aspekt 161 4.2.4.1. salfrk., alem., rib., cham., fries. letus, leta (litus, Uta) 161 4.2.4.2. bair. frila^, frila^a 180 4.2.4.3. thür. adalingus 185 4.2.5. Zusammenfassung 191 4.3. Unfreie, Abhängige 193 4.3.1. ,Unfreie' — unter dem allgemeinen Aspekt des Dienens, der Abhängigkeit durch Dienstausübung 193 4.3.1.1. salfrk. theo, theuua (malberg. theotexaca, theoducco, theobardi, theola- sina, theomosido, theochreomosido, theoleodi, theodilind) 193 4.3.1.2. salfrk. (malberg.) ambahtunia (ahd. ambaht, mlat. ambactus, ambac- tia, malberg. [chJambistalie) 204 4.3.1.3. salfrk. (malberg.) horog(an)o, horogunia 213 4.3.2. ,Unfreie' — unter dem Aspekt der Ausübung einer bestimmten, fest umrissenen Tätigkeit, einer besonderen Verantwortung inner- halb von Haus und Hof 216 4.3.2.1. alem. stotarius 216 4.3.2.2. alem. (salfrk.) mariscalcus 221 4.3.2.3. alem. seniscalcus (siniscalcus) 226 4.3.2.4. fries. bortmagad 227 4.3.3. ,Unfreie' — unter dem Aspekt der Unmündigkeit 231 4.3.3.1. salfrk., alem. vassus 231 4.3.3.2. salfrk. (hi)smala, smala (chrocbro) 235 4.3.3.3. salfrk. rencus (bzw. rincus, malb. rencusmosido) 236 4.3.3.4. ahd. biwm (malb. honema, bonimo) 238 4.3.4. Zusammenfassung 240 5. Vorstellungen von Freiheit und Unfreiheit anhand der Personenbezeich- nungen der frühmittelalterlichen Leges 244 6. Literaturverzeichnis 247 6.1. Quellen 247 6.2 Sprach- und Sachwörterbuch, Handbücher 252 6.3. Weitere Literatur 261 6.4. Abkürzungen und Siglen 320 7. Register 324 Erstes Wortregister 324 Zweites Wortregister 329 Sachregister 331 1. Historisch philologische Bezeichnungsforschung 1.1. Zum Gegenstand und zur Fragestellung Die in lateinischer Sprache abgefaßten Leges — in der Forschungsliteratur werden sie auch als Leges barbarorum, Volks-, Stammes- oder Germanenrechte1 bezeich- net — gehören zu den frühesten Quellen, in denen volkssprachige Bezeichnungen für soziale Stände, Schichten und Gruppen in einem breiteren Umfang überliefert sind. In diesem Band, dem zweiten Teil des ,Corpus der volkssprachigen Wörter der Leges barbarorum'2, sind anhand der volkssprachigen Bezeichnungen für Freie, Fahrt- und Siedlungsgenossen, Nachbarn, Gefolgsleute und Rechtspersonen Grundzüge einer historischen Bezeichnungslehre erarbeitet worden, die für diese Wortgruppen Aussagen über Bedeutungsveränderungen, Bezeichnungswandel, Tra- dition und Innovation ermöglichen. Im Sinne einer kultur- und sozialhistorisch orientierten Wortforschung werden nicht allein die sprachlichen Erscheinungen, sondern auch die mit diesen in wechsel- seitigem Kontakt stehenden außersprachlichen Phänomene berücksichtigt3. Zwar soll anhand der Bezeichnungen aus dem Bereich der sozialen Stände, Schichten und Gruppen und an deren Bedeutung das Verhältnis von Sprach- und Gesell- schaftsentwicklung im Mittelalter, wie es sich innerhalb der Leges-Texte spiegelt, erhellt werden, jedoch kann und darf sich semantische Forschung nicht als Hilfswis- senschaft der sozial- bzw. sachhistorischen Forschung verstehen4. Der methodische Zugriff der historisch-philologischen Bezeichnungsforschung — die alternierende Verbindung von historischer Onomasiologie und Semasiologie mit Rückbezug auf 1 Vgl. hierzu: OLBERG, Freie, S. 37 und dort Antn. 4 (S. 304). 2 Die Ausführungen zum Bd. II des ,Corpus der volkssprachigen Wörter der Leges barbarorum' basieren auf den Vorarbeiten in: OLBERG, Freie; die Arbeit wurde im Juli 1982 von der philosophi- schen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster als Dissertation angenommen. Teil III des Corpus Werkes liegt bereits seit 1983 vor: NIEDERHELLMANN, Arzt. 3 Es wird der Wortbestand der kritischen Editionen zugrundegelegt, ergänzt durch die Betrachtung der handschriftlichen Überlieferung. Zu Arbeiten, die sich mit dem Wortschatz der Leges befassen, vgl. z. B.: TIEFENBACH, Edulcus, (h)idulgus, iddulcos, S. 957 — 971; GYSSELING, Germaanse woorden, S. 60—109; SCHÜTZEICHEL, Lex Ribuaria, S. 7 — 19; DERS., Staffulus regis, S. 138—167; vgl. auch Anm. 4 dieses Kapitels; BAESECKE, Worte, S. 1 — 101; HELTEN, malbergische glossen, S. 225 —542; KRALIK, Bestandteile, S. 13 — 55, 401 —449, 581—624; RHEE, Wörter; QUAK U. a., Tierbezeichnungen, S. 7-66. 4 Vgl. hierzu SCHÜTZEICHEL, Erforschung, S. 844 f.; siehe auch STEGER, Besprechung. Vgl. zum Verhältnis von Wort — Begriff — Sache, zur Verknüpfung wort- und sachgeschichtlicher Untersu- chungen, zur Geschichte und zur Weiterentwicklung des methodischen Prinzips .Wörter und Sachen': SCHMIDT-WIEGAND, Historische Onomasiologie; DIES., Wörter und Sachen; DIES., Neue Ansätze; HÜPPER(—DRÖGE), Schild und Speer u. a.; vgl. auch HUNDSBICHLER, Sprache, Wort und Begriff, S. 147 — 157; MUNSKE, Lexikologie und Wortgeschichte, S. 35 ff. und S. 43. 2 Historisch philologische Bezeichnungsforschung die sozial- und sachhistorische Forschung — entspricht vielmehr dem Wissen um die enge Verzahnung und um den Wechselbezug zwischen sprachlichen und außersprachlichen Phänomenen. Dabei werden auf der Seite der Wortuntersuchun- gen die Bezeichnungen mit Hilfe von — weitgehend quellenabhängigen — lexikali- sch-semantischen Feldern in ihrem textuellen und lexikalischen Kontext untersucht. Auf der Seite der „Sach"untersuchungen wird die historisch-kritische Methode ergänzt durch analytische Kategorien wie z. B. der Stratifikation und sozialen Differenzierung. Auf diese Weise soll eine Einordnung der Wörter in den sozialen Kontext ermöglicht werden. 1.2. Zum Begriff ,Volkssprache' Die Verwendung des Begriffes Volkssprache ist bei einem Untersuchungsgegen- stand wie dem hier gegebenen und für den Untersuchungszeitraum 5. —10. Jahrhun- dert keineswegs als aus sich selbst verständlich und eindeutig vorauszusetzen. Er bedarf vielmehr der Eingrenzung und Definition. Mit den Leges haben wir eine Quellengruppe vorliegen, die überwiegend in lateinischer Sprache abgefaßt ist. In den Text sind — in ihrer Anzahl abhängig vom Entstehungsraum und der Entstehungszeit — rein stammessprachliche oder zumindest latinisierte stammes- sprachliche Wörter eingefügt. Damit ist für die sprachliche Einordnung der Leges- wörter zunächst als Kriterium die Opposition zum Latein gewonnen: „Als Wörter volkssprachiger Herkunft sollen hier alle Appellative gelten, die der klassischen Latinität fremd sind und die sich innerhalb des mittellateinischen Textes ... in ihrer Herkunft als aus einer germanischen Volkssprache stammend erweisen lassen."5 Dieses weitgefaßte Verständnis des Terminus Volkssprache muß allerdings für das vorliegende Corpuswerk6 — das im Unterschied zu der Arbeit von Heinrich Tiefenbach auch vorkarolingische Quellen untersucht — noch näher erläutert werden. Von einem zunehmend auch politisch gesteuerten und bewußten Gebrauch der Volkssprache läßt sich frühestens wohl erst seit dem 8. Jahrhundert sprechen7. „In erster Linie dient die althochdeutsche Schriftsprache der Auseinandersetzung mit christlichem Gedankengut, damit zugleich auch der Verbreitung und Festigung des Christentums im Reich und in zweiter Linie der .Rezeption lateinischer Kultur- inhalte': Beides war nicht denkbar ohne die Klosterskriptorien und die kirchlichen Schreibschulen im Einsatz der auf einen höheren Bildungsstandard der Geistlichkeit zielenden Bildungsreformen, die von Karl dem Großen initiiert worden waren. Erst in dritter Linie weist die althochdeutsche Schriftsprache auf das eigene Volks- und Geschichtsbewußtsein, das sich in Spuren am ehesten in der .kaiserlichen Renaissance' manifestiert, dessen Fundierung in der Folgezeit allerdings noch lange 5 TIEFENBACH, Königsurkunden, S. 9; vgl. auch SCHMIDT-WIEGAND, Interferenz, S. 60 f.; DIES., Stammesrecht, S. 175. 6 Die Arbeit von Heinrich Tiefenbach befaßt sich im Unterschied zu dieser ausschließlich mit karolingischen Quellen. 7 Vgl. SONDEREGGER, Grundzüge, S. 8 f.; GEUENICH, Überlieferung, S. 127 ff.