Impressum © 2012 by Andreas Acker Covergestaltung und Illustration © by Jane Borg Alle Rechte vorbehalten [email protected] Dieser Roman ist ein Werk der Fiktion. Sämtliche Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Für Miriam Für Sören Für Bjarne Für immer Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Kapitel 2 Kapitel 3 Kapitel 4 Kapitel 5 Kapitel 6 Kapitel 7 Kapitel 8 Kapitel 9 Kapitel 10 Kapitel 11 Kapitel 12 Kapitel 13 Kapitel 14 Kapitel 15 Kapitel 16 Kapitel 17 Kapitel 18 Kapitel 19 Kapitel 20 Kapitel 21 Kapitel 22 Kapitel 23 Kapitel 24 Kapitel 25 Kapitel 26 Kapitel 27 Kapitel 28 Kapitel 29 Kapitel 30 Kapitel 31 Kapitel 32 Kapitel 33 Kapitel 34 Kapitel 35 Kapitel 36 Epilog Danksagung Kapitel 1 »Daniel, komm schnell! Das musst du dir reinziehen!« Thomas hatte den Kopf durch die Fliegengitterstreifen geschoben, die Daniels Wohnung vor Ungeziefer aller Art schützen sollten, und lachte. Die beschwerten Enden des Gitters klackten am unteren Rahmen der Verandatür. Er zog seinen Kopf aus der Wohnung und lief zurück zur Balustrade des Balkons, wo er mit einer zusammengerollten Zeitung in Richtung Straße gestikulierte. Daniel balancierte ein Tablett durch das Wohnzimmer, das er mit zwei Flaschen Bier, zwei Gläsern, einer prall gefüllten Schüssel Chips sowie einer Dose Erdnüsse im Teigmantel beladen hatte. Er stellte das Servierbrett auf dem Fernsehtisch ab und wandte sich zur Balkontür. Halt! Die Naschsachen konnten hier warten, aber so wichtig konnte das, was sein Freund ihm zu zeigen hatte, nicht sein, als dass er das Bier hätte stehen lassen. Er trat hinaus auf den Balkon und blinzelte, als er den abgedunkelten Wohnbereich verließ. Auch wenn die Augustsonne dabei war, hinter dem Feldberg zu verschwinden, besaß sie Kraft. »Was ist?«, fragte er, reichte Thomas eine Flasche Pils - immer Pils, nie Export - und lehnte sich mit den Ellenbogen auf das Balkongeländer. »Die Vorberichterstattung fängt gleich an.« Er selbst füllte sein Glas mit Weizenbier - immer Weizenbier, nie Pils - und fluchte, als er einen Teil der Flüssigkeit über sein weißes Poloshirt verteilte. Aber egal. Dann roch er eben nach Bier. Es war ja nicht so, als erwartete er heute Abend noch Damenbesuch. Oder nächsten Monat. Sein Freund grinste noch immer, als er über das Geländer deutete und auf einen Geländewagen zeigte, der drei Stockwerke tiefer mit laufendem Motor auf dem Bürgersteig parkte. »Schau dir das an«, sagte er. Thomas trug sein übliches T-Shirt mit Comicheldenmotiv und karierte Stoffhosen. Einer der Gründe, warum Daniel seinen Freund so sehr mochte, war der, dass er neben Thomas richtig gut angezogen wirkte, und das, obwohl er kaum je einen zweiten Gedanken an seine Kleidung verschwendete. Daniel warf einen Blick auf den unter ihm parkenden Wagen. »Wow, ein Auto«, sagte er. »So was habe ich noch nie gesehen. Was willst du mir noch zeigen? Ein Fahrrad? Oder, Gott bewahre, ein echtes Motorrad? Das wäre toll!« »Deinen Sarkasmus kannst du behalten«, sagte Thomas. »Du solltest besser hinsehen, bevor du einen auf weltgewandt machst.« Daniel nahm das silberne Auto genauer unter die Lupe. Es hatte ein einheimisches Kennzeichen, Alufelgen und vier Türen plus Heckklappe. Er konnte an dem Wagen nichts ausmachen, was ihn von Millionen anderer unterschied. Doch, Moment. Daniel kniff die Augen zusammen, was seine Brauen aussehen ließ, als seien sie zusammengewachsen, und sah durch das getönte Schiebedach des Autos. Er konnte kaum glauben, was er sah. Angewidert blickte er zu Thomas, seine blauen Augen voller Ekel. »Das gibt‘s doch nicht«, sagte er. »Sag mir bitte, dass der Typ da drin sich keinen runterholt.« Thomas nickte. Sein Lächeln würde operativ entfernt werden müssen, wenn er es irgendwann in ferner Zukunft nicht mehr benötigte. Seine durch gefärbte Kontaktlinsen unnatürlich grünen Augen lachten mit. »Doch, genau das tut er.« Daniel schüttelte den Kopf. »Was für ein Mensch macht sowas?« Thomas legte die Stirn in Falten, wie er es so gerne tat, ohne sein Grinsen auch nur einen Deut zurückzunehmen. »Ich würde sagen, wir haben es hier mit einem klassischen Fall von Wichser zu tun.« »Das glaube ich einfach nicht. Das ist krank. Törnt es den Spinner derart an, Auto zu fahren?« Thomas streckte den Arm aus und deutete mit der Zeitung ein Stück die Straße entlang. Sie führte zum außerhalb der Stadt liegenden Freibad, in dem heute Abend eine Liveband spielen sollte. Die beiden Freunde hatten überlegt, dort hinzugehen, sich jedoch für das Fußballspiel entschieden. Wahrscheinlich waren dort sowieso nur Teenies. Daniel hatte den sich aufdrängenden Gedanken von sich geschoben, ob es an seinem Alter lag, ein Freundschaftsspiel der Nationalmannschaft einer Party mit Livemusik den Vorzug zu geben. Darüber dachte er schon genug nach, wenn er morgens vor dem Spiegel stand und versuchte, seinen zurückweichenden Haaransatz durch kreatives Frisieren zu verdecken. Ebenso versuchte er die Tatsache zu verdrängen, dass er dieses Jahr noch die dreißig vollmachen würde. Als würde er die Zeit damit aufhalten können, wenn er sich weigerte, an sie zu denken. Vielleicht sollte er mal ein Bild von sich malen und hoffen, dass es für ihn alterte. Auf dem Bürgersteig, etwa fünfzig Meter vor dem Geländewagen, lief eine junge Frau. Daniel sah sie nur von hinten, doch das, was er erkennen konnte, war durchaus ansprechend. Lange braune Haare, die über ein gelbes, ärmelloses Oberteil fielen und bei jedem Schritt wippten. Sie trug eine weiße Dreiviertelhose, aus der gebräunte Beine ragten und in ebenfalls weißen Turnschuhen endeten. Daniel schätzte sie auf Anfang zwanzig, aber auf die Entfernung und bei Betrachtung lediglich ihrer Rückseite war das schwer zu sagen. Sie konnte ebenso gut sechzehn wie eine gut erhaltene Mittdreißigerin sein. Ein Auto überholte den Geländewagen, Sekunden später die Frau. »Du meinst, er spielt an sich herum, während er Frauen auf der Straße beobachtet?« »Pass auf, was gleich passiert.« Thomas nahm einen Schluck Bier und deutete mit der Flaschenöffnung in Richtung des parkenden Autos. Das Glas hatte er natürlich wie üblich ignoriert. Daniel wollte fragen, wie er das meinte, als der Geländewagen den Bürgersteig verließ, in gemäßigtem Tempo die Straße entlangfuhr und wenige Meter hinter der Frau am Straßenrand einscherte. »Er verfolgt sie«, flüsterte Daniel. »Richtig. So lange, bis er fertig ist, würde ich meinen.« Er schüttelte den Kopf. »Was für eine arme Wurst.« Daniel hörte nur halb hin. Er wechselte das Bierglas von einer Hand in die andere und wischte das Kondenswasser an seinem Hemd ab. »Sie bemerkt ihn nicht«, sagte er. »Sie weiß nicht, dass sie verfolgt wird.« »Vielleicht hört sie Musik. Bestimmt Techno. So wie sie aussieht, hört sie House, jede Wette.« Daniel verzog das Gesicht. »Hast du nicht was von Musikhören erzählt? Was hat Techno damit zu tun?« Thomas knuffte ihn am Oberarm. Er besaß die wahrscheinlich größte Technosammlung in ganz Hessen. Er war wie besessen von elektronischer Musik. Daniel dagegen bevorzugte Handgemachtes. »Du hast keine Ahnung, aber das sei dir verziehen. Vielleicht wirst du es irgendwann verstehen.« Daniel rieb sich gedankenverloren die Stelle, die sein Freund geboxt hatte. »Mir ist nicht wohl dabei«, sagte er und nickte mit dem Kopf in Richtung Frau und Geländewagen, darauf achtend, sich nicht auf eine Diskussion über Musik einzulassen. Die endete nämlich regelmäßig darin, dass Thomas in einen seiner Monologe über die Entwicklung der elektronischen Musik von den Anfängen bis heute verfiel. Und wenn er dann richtig in Fahrt kam, warf er sogar noch einen Blick in die Zukunft und stellte Thesen auf, wie die Evolution dieser Musikrichtung voranschreiten würde. »Wie meinst du das?« »Naja, wer weiß, was das für ein Typ ist? Vielleicht ist die Frau in Gefahr?« Thomas schüttelte den Kopf und bereitete einer bierdurstigen Wespe einen vorzeitigen Tod durch Morgenpost. »Ich gebe dir ja recht. Sie sollte wirklich nicht bei einsetzender Dunkelheit allein außerhalb der Stadt in Richtung Freibad unterwegs sein. Aber ich glaube nicht, dass ihr von dem Typen im Geländewagen Gefahr droht. Der wird, wenn er fertig ist, wieder nach Hause in sein trauriges Leben fahren und sich den Fernseher anmachen. Das jetzt wird der Höhepunkt seines Tages sein.« Er grinste anzüglich. »Im wahrsten Sinne des Wortes.« Daniel war nicht überzeugt. »Und wenn nicht? Was ist, wenn ihm das nicht reicht? Wenn er sie vergewaltigt, oder was weiß ich was sonst?« Thomas schnalzte mit der Zunge. »Unwahrscheinlich«, sagte er. »Sehr unwahrscheinlich. Nicht in der Öffentlichkeit.« »Der Kerl schüttelt sich einen in der Öffentlichkeit!«, fuhr Daniel auf. »Vielleicht fährt er wirklich nach Hause, sobald er fertig ist. Aber was, wenn nicht? Wir sollten hinter ihm herfahren, Thomas, zumindest so lange, bis er sie in Ruhe lässt. Und dann fragen wir sie, ob wir sie irgendwohin fahren können, und wenn es nur die paar Meter ins Freibad sind.« Thomas lachte und schüttelte die mit roten und gelben Flecken beschmierte Zeitung in Daniels Richtung. »Natürlich ganz selbstlos. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass die Dame einen fantastischen Hintern hat, oder? Du sorgst dich nur um sie, stimmt‘s?« »Und wenn schon. Wir sollten einfach nur sichergehen, dass ihr nichts zustößt. Wir können nicht dasitzen und Fußball gucken und so tun, als hätten wir nichts gesehen.« Thomas seufzte. »Mensch Daniel. Die Vorberichterstattung fängt gleich an, und du weißt, wie gerne ich die sehe. Außerdem habe ich einen riesigen Bierdurst. Und zwar von der übelsten Sorte.« Um seine Ansicht zu untermauern, trank er einen weiteren Schluck. Daniel breitete die Arme in einer Unschuldsgeste aus, das Bier vergessen in der Hand. »Ich sage doch, dass wir nur so lange hinter dem Typen herfahren, bis wir sicher sein können, dass er nicht über sie herfällt. Dann fragen wir sie, ob wir sie irgendwo absetzen können, tun das und fahren anschließend direkt nach Hause. Bis zum Anpfiff ist es noch eine Dreiviertelstunde. Bis dahin sind wir wieder hier. Versprochen.« Thomas legte den Kopf schief, so dass ihm eine Locke ins Gesicht fiel. »In Ordnung. Aber hurtig.«