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Die Begriffsgeschichte und die Sprache der Philosophie PDF

26 Pages·1971·1.275 MB·German
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ARBEITSGEMEINSCHAFT FUR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN GEISTESWISSENSCHAFTEN 152. SITZUNG AM 15. OKTOBER 1969 IN DUSSELDORF ARBEITSGEMEINSCHAFT FOR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN GEl STE SWI S SEN SCHA FTEN HEFT 170 HANS-GEORG GADAMER Die Begriffsgeschichte und die Sprache der Philosophie HANS-GEORG GADAMER Die Begriffsgeschichte und die Sprache der Philosophie Springer Fachmedien Wiesbadcn GmbH ISBN 978-3-322-98037-3 ISBN 978-3-322-98664-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-98664-1 © 1971 hy Springer Fachmr<licn Wiesbodcn U. .. prunglkh e ... chienen bei WestdeulScherVerlag Gmbll, Opladcn 1969 Gcsamthc"teUung: We'ldeuloeher Vc,l~g GmhH Inhalt Hans-Georg Gadamer, Heidelberg Die Begriffsgeschichte und die Sprache der Philosophie . . . . . . . . . . . . 7 Anhang ................................................. 21 Die Rolle, welche wort- und begriffsgeschichtliche Untersuchungen im Felde der Philosophie spielen, wird im allgemeinen als eine untergeordnete angesehen. Man bewundert die AufschluBkraft, die etwa in Rudolf Euckens 1879 erschienenen "Studien zur Geschichte der philosophischen Terminolo gie" liegt, und hat in der gleichen Richtung inzwischen manches Neue und Gute getan, dessen Frucht wir in Joachim Ritters groBem Unternehmen eines Worterbuches der philosophischen Begriffe mit Spannung erwarten. Aber was so als ein Hilfsmittel historischer Forschung oder philosophischer Sach besinnung unschătzbar ist, ist als solches noch nicht Philosophie. Ja, das be griffsgeschichtliche Interesse als solches stellt noch nicht einmal einen Metho dengedanken dar, der der Geschichte der Philosophie philosophische Rele vanz zu verIeihen vermochte. Ein solcher Methodengedanke war die sog. Problemgeschichte gewesen, die im Neukantianismus das Interesse der Philosophie an ihrer Geschichte zu legitimieren bestimmt war und die Windelbands bekanntem, von Heimsoeth bis heute am Leben gehaltenen Lehrbuch der Geschichte der Philosophie als methodische Grundlage diente. Aber auch die Marburger, vor allem Nicolai Hartmann, der schărfste Kopf unter den jiingeren Systematikern der Mar burger Schule, und der groBartig gelehrte Historiker der Philosophie Ernst Cassirer, waren problemgeschichtlich orientiert, wie auch Richard Honigs wald, der seine scharfsinnigen Studien zur Geschichte der Philosophie aus driicklich problemgeschichtlich zu nennen liebte. Der methodische Anspruch der Problemgeschichte hatte etwas Einleuchtendes. Wenn die Identităt der Probleme gesichert ist, die sich durch die Geschichte der Philosophie als die sich bestăndig erneuernden Grundfragen des menschlichen Denkens hin durchziehen, dann ist gegeniiber dem Versinken in historischen Relativismus ein fester Boden gewonnen. Nun ist im Laufe des letzten halben Jahrhunderts an diesem Standpunkt der Problemgeschichte eine einschneidende Kritik geiibt worden, die nicht so sehr von Diltheys Gegnerschaft gegen den abstrakten Apriorismus der Neu kantianer als von der Aufnahme und Verwandlung der Diltheyschen An stoBe durch Heidegger inspiriert war. Indem Heidegger die ontologischen 8 Hans-Georg Gadamer Implikationen aufdeckte, die in dem fiir ihn durch Rickert und Husserl reprasentierten neukantianischen BewuBtseinsbegriff liegen, lehrte er uns, im Handwerk des philosophischen Denkens die Begrifflichkeit, in der sich das Denken ausspricht, zu kritischer Besinnung zu erheben. Die Begriffe der Philosophie erhalten ihre Sinnbestimmtheit nicht durch eine willkiirliche Be zeichnungswahl, sondern aus der geschichtlichen Herkunft und der Sinn genese der Begriffe selbst, in denen sich das philosophische Denken bewegt, weil es immer schon in sprachlichen Gestalten sich vollzieht. Einem oberflachlichen Blick kann diese neue kritische Position als die eines radikalen und perfekten Historismus erscheinen. Denn der feste Boden, den der Neukantianismus in der Identitat der Probleme zu besitzen meinte, erweist sich nun auch noch als schwankend und unsicher. Indessen, den kri tischen Einwanden gegen die Problemgeschichte ist nicht auszuweichen. Liegt nicht eine geheime unaufgeklarte Dogmatik in dem Problembegriff? Ein Bei spiel mag diesen Zweifel motivieren: Hat es Sinn, von der Identitat des Frei heitsproblems zu sprechen, als ob dieses Problem dem Denken je anders zu ganglich wiirde als in immer neuen, aktuellen Motivationen, die die Moglich keit oder Wirklichkeit der Freiheit in immer neuem und anderem Sinne zur Frage erheben? DaB Platos beriihmte Wendung cx.h·[cx. 'rOU EAo[J.evou (die Schuld liegt bei dem Wahlenden), mit der er zwar nicht die Handlungsfrei heit im Augenblick, aber die Zurechenbarkeit des eigenen Lebens im ganzen mythisch begriindete, einen anderen Sinn von Freiheit meinte als etwa der stoische Riickzug auf das, was bei uns steht ('ro €Ip' ~[J.iv) - und daB weder das platonische noch das stoische Freiheitsproblem, noch das Problem der Freiheit eines Christenmenschen etwas mit der Determinismusproblematik der modernen Naturwissenschaft zu tun hat, liegt auf der Hand. Hier die "Errungenschaften" der verschiedenen Denker auf das eine und selbe Pro blem der Freiheit zu verrechnen, iiberspringt offenkundig die geschichtliche Motivation aller. Was dabei fUr geheime Dogmatismen ins Spiel kommen, wird einem besonders fiihlbar, wenn man an die Praxis des Obersetzens philosophischer Texte denkt. Wenn wir zum Beispiel an die im Gefolge Scho penhauers aufgekommene Verwendung der Kantischen Begrifflichkeit bei Wiedergabe indischer Texte gerade auch angesichts des Freiheitsproblems denken, gilt wirklich: "Es ist der Herren eigener Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln." Insofern kann der Anschein entstehen, als handele es sich bei der Begriffsgeschichte um eine Radikalisierung des Historismus, indem man solche naive Selbstbespiegelung, wie sie in der Hypostasierung des "Pro blems" geschieht, kritisch zu iiberwinden sucht 1. 1 Vgl. im Anhang unter 2. Die Begriffsgeschichte und die Sprache der Philosophie 9 Indessen, es geht um anderes. Das legitime Motiv der "Problem geschichte", in der Geschichte die eigenen Fragen wiederzuerkennen, bleibt anerkannt. Die Auflosung des identischen Problems flihrt nicht zur totalen Haltlosigkeit beliebiger Meinungen und Lehren, in die die Geschichte der Philosophie auseinanderfăllt. Begriffsgeschichtliche Reflexion bedeutet viel mehr eine gesteigerte kritische BewuBtheit gegenliber der geschichtlichen Dberlieferung und eine Gewinnung ihres sachlichen Gehalts. Nicht das wird durch solche kritische Reflexion preisgegeben, daB Erkennen immer Wieder erkennen ist und nicht ein bloBes Spiel mit fremden Meinungen. Die von Nicolai Hartmann ehedem liberzeugend gegebene Ausdeutung des platoni schen Anamnesis-Gedankens bleibt flir alles philosophische Denken gliltig, ja gewinnt erst in hermeneutischer BewuBtheit ihre eigentliche Radikalităt. Der mythische Gedanke der Wiedererinnerung, wie ihn Plato aufruft, gibt der Wiedererkennung, die das Wesen aller philosophischen Erkenntnis aus macht, ihren einzigartigen Charakter. Wiedererkennung meint hier freilich nicht die eines selbst schon bekannten Sachverhalts, mit dem man schon ver traut ist, bevor man mit ihm durch einen philosophischen Text konfrontiert wird. Philosophische Erkenntnis ist vielmehr in dem Sinne Wiedererkennt nis, daB sie als Antwort auf eine Frage verstanden wird, die durch die Aus sage des Textes erst geweckt wird. Der Fragehorizont, in dem eine Frage sich stellt, erneuert sich, und das heiBt, daB auch hier das geschieht, was in jeder Frage geschieht, nămlich daB das Selbstverstăndliche aufgebrochen wird. Sol ches Aufbrechen des Selbstverstăndlichen bricht aber gerade auch die Vor gegebenheit der Probleme, von denen man weiB. Denn in Wahrheit wird da mit die Begrifflichkeit selber kritisch bewuBt, die alles Stellen von Fragen schon beherrscht. Eine Frage stellen heiBt ja, ihre begriffliche Ausarbeitung leisten, und zwar so weit, daB sie Antwort moglich macht. Das aber schlieBt ein, daB sie einen eindeutigen Richtungssinn gewinnt, auf den hin sich eine Antwort orientieren kann. Insofern ist die alte wissenschaftstheoretische Weisheit durchaus gesund, daB in der Wissenschaft nicht der Erfolg, sondern die Fragestellung das Entscheidende ist - und daB hier das Geniale liegt, das eben nicht zu erlernen, sondern nur zu finden ist. Gerade weil das richtig ist, verliert die Problemgeschichte den festen Boden unter den FliBen, dessen sie sich so sicher wăhnte. Denn philosophische Probleme, die als identisch sich durchhaltende Grundfragen des Denkens formuliert sind, sind liberhaupt nicht jeweils gestellte Fragen, durch die eine Beantwortung moglich und sinn voll wird. Es sind vielmehr jene Probleme, von denen schon Aristoteles erkannte, daB sie als dem Gegner in den Weg geworfene und unliberwind liche Hindernisse unlosbar sind Solche Probleme, die wir heute philoso- 2. 2 Vgl. Punkt 4 des Anhangs. 10 Hans-Georg Gadamer phisch nennen, sind aber offenbar gerade von der Art, daB sie keine angemes sene Fragestellung ermoglichen, und das, weil die angemessene Begrifflichkeit fehlt, die Frage zu fassen und zu stellen. Das bedeutet indes durchaus nicht, daB der Sinnlosigkeitsverdacht, wie ihn Wittgenstein oder Popper in allen solchen Făllen aussprechen wiirden, am Platze ist. Vielmehr scheint mir das Sinnkriterium dieser Denker auf philosophische Fragen unanwendbar, da schon die selbstverstăndlich schei nenden Begriffe, in denen wir eine Frage stellen, durch unsere philosophische Reflexion zu einer vorgăngigen Fraglichkeit zu erheben sind. DaB es einer solchen Kritik der Selbstverstăndlichkeit unserer Begriffe bedarf und daB solche Selbstverstăndlichkeit die allergroBte Macht von Vorurteilen darstellt, die uns die Erkenntnis verstellen, ist eine alte Einsicht, die wir schon der Idolenkritik Bacons verdanken. Bacon war es auch, der schon neben den anderen Vorurteilen das Vorurteil der Sprache denunziert hat, das hier die entscheidende Rolle spielt. Denn alle Fragestellung ist an die sprachlichen Moglichkeiten und damit auch an die schematisierenden Zwănge der Sprache, die wir sprechen, gekniipft. Nun ist dort, 'wo Erfahrung im Sinne der moder nen Wissenschaft iiber die Fruchtbarkeit und den Sinn einer Fragestellung zu entscheiden vermag, der Verfiihrung durch die Sprache eine sichere Grenze gesetzt. Kein Physiker wird etwa die geistreichen Metaphern, mit denen die Theoretiker der Kernphysik sich und uns Laien die Ergebnisse ihrer For schung verstăndlich machen, fiir etwas anderes halten als fiir bloBe Meta phern. Der exakte Gehalt ihrer Erkenntnisse ist in einer anderen, eindeutigen Sprache ausgedriickt, deren Bedeutungselemente Konstatierung von experi mentellen MeBgroBen sind. An ihnen weisen sich Recht und Grenze jener Metaphern aus. Dagegen ist in der Philosophie keine solche Gegeninstanz gegen die Sprache, in der sich das Denken vollzieht, anrufbar. Wir konnen nur innerhalb der Sprache iiber die Verfiihrungen Herr werden, die Sprache ausiibt. HeiBt das nun, daB Philosophie nichts anderes als Sprachkritik ist? DaB sie auch Sprachkritik ist, heiBt es gewiB. Aber Philosophie ist noch anderes. Sie ist auch Sprachfindung. Das wird zu begriinden sein. Es muB hier ein Wort iiber das, was in der Philosophie die Rolle der Terminologie ausmacht, gesagt werden. Angesichts der Eigenart ihres Frage bereims, die sie gegeniiber allen sogenannten positiven Wissenschaften aus zeichnet, ăndert sich in ihr auch der Sinn dessen, was man einen Terminus nennt. Bezieht sich ein Terminus in der Wissenschaft auf einen exakt beschrie benen Sachverhalt, dessen eindeutige Bestimmtheit wir durch den Gebrauch des Ausdrucks eindeutig bezeichnen und dessen Legitimation im Kontext der fortgehenden Erfahrung bestăndig auf die Probe gestellt wird, so ăndert sich Die Begriffsgeschichte uncl clie Sprache cler Philosophie 11 die Sachlage, wenn alle Bewahrung nur in abermals sprachlicher Form erfol gen kann, wie das in der Philosophie der Fall ist, die von "Sachen" handeIt, die nicht anders als sprachlich gegeben sein konnen. Johannes Lohmann 3 hat einmal gezeigt, welche pionierhafte Bedeutung die mathematische Be griffsbildung dadurch besaB, daB sie Worte der Sprache, z. B. das griechische Wort fiir Knie, aus seiner sinnlichen Sphare auf einen Sachbereich iibertrug, den es vordem iiberhaupt nicht gab, weil er lediglich durch rationale Kon struktion seine mathematische Idealitat erhalt. Die Bildung eines solchen Be griffs wie "Winkel" hat so aller Metaphorik seines Ursprungs zum Trotz einen eindeutigen Sinn erhalten. Zwar ist die mathematische Idealitat des Winkels auch "ganz im Gehirne", wie das, wovon die Philosophen reden. Aber die Bestimmtheit der Konstruktion ermoglicht hier die voIle Eindeu tigkeit des Terminus. Im Vergleich dazu ist der philosophische Terminus nicht nur aus dem sinn lichen Gebrauch der Sprache erhoben, sondern er hăIt in seinem Sinne seine Herkunft standig fest. Das mag fiir die Begriffe der modernen Philosophie, die in einer festgefiigten Tradition philosophischer Begrifflichkeit stehen und sich iiberdies vielfach nach dem Muster mathematischer Symbolik verstehen, ein wenig paradox klingen. Schwerlich wird man zugeben wollen, daB etwa der Sinn des Terminus "Subjekt" noch wirklich auf seinen Ursprung, das griechische subjectum (u1toxdfLEVOV), und dieses auf die Werkstatt zuriick weist, die Werkstatt der Hande oder die des urteilenden Verstandes, die das Vorliegende als das Vorfindliche auszeichnen. Aber gen au an solchen Fallen wird sich die philosophische Legitimitat der Begriffsgeschichte zeigen lassen, indem sie durch geschichtliche Sinngenese den Sinn der Begriffe selbst kritisch verstehen und gebrauchen lehrt. DaB es verdeckte und nicht bewuBte Zusammenhange sind, um die es sich bei solchen neuzeitlichen philosophi schen Begriffen handelt, ist kein Einwand gegen die Produktivitat ihrer begriffsgeschichtlichen Herkunftsbestimmung. Im Gegenteil: Aus solcher Verdeckung entspringen gerade Scheinfragen von der Art, die im Beispiels falle vorliegt: Wie gelangt "das Subjekt" - das damit als eine Art substan ziellen Seins behandelt wird - aus seiner Sphare des SelbstbewuBtseins in die Objektwelt hiniiber? Mir scheint, daB, vorbereitet durch die groBartigen Antizipationen der idealistischen Identitatsphilosophie und die deskriptive Sorgfalt der phanomenologischen Analysen Husserls und Schelers, in diesem Falle erst Heidegger Klarheit geschaffen hat, indem er den BewuBtseins begriff der metaphysischen Tradition einer ontologischen Kritik unterwarf. DaB BewuBtsein (und SelbstbewuBtsein) kein Seiendes, nicht von der Seins- 3 Archiv fUr Musikwissenschaft XIV, 1957, S. 147-155; XVI, 1959, S. 148-173.

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