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Die Bedeutung von Konstellation und Kondition für ärztliches Handeln PDF

26 Pages·1975·1.246 MB·German
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Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Mathematisch-natu rwissenschaftl iche Klasse Die Jahrgänge bis 1921 einschließlich erschienen im Verlag von Carl Winter, Universitätsbuch handlung in Heidelberg, die Jahrgänge 1922-1933 im Verlag Walter de Gruyter & Co. in Ber/in, die Jahrgänge 1934-1944 bei der Weißschen Universitätsbuchhand/ung in Heide/berg. 1945, 1946 und 1947 sind keine Sitzungsberichte erschienen. Ab Jahrgang 1948 erscheinen die "Sitzungsberichte" im Springer-Ver/ag. Inhalt des Jahrgangs 1953/55: 1. Y. Reenpää. Über die Struktur der Sinnesmannigfaltigkeit und der Reizbegriffe. DM 3.50. 2. A. Seybold. Untersuchungen über den Farbwechsel von Blumenblättern, Früchten und Samenschalen. DM 18.00. 3. K. Freudenberg und G. Schuhmacher. Die Ultraviolett-Absorptionsspektren von künst- lichem und natürlichem Lignin sowie von Modellverbindungen. DM 12.00. 4. W. RoeIcke. Über die Wellengleichung bei Grenzkreisgruppen erster Art. DM 24.30. Inhalt des Jahrgangs 1956/57: 1. E. Rodenwaldt. Die Gesundheitsgesetzgebung der Magistrato della sanitA Venedigs 1486- 1550. DM 16.90. 2. H. Reznik. Untersuchungen über die physiologische Bedeutung der chymochromen Farb stoffe. DM 21.80. 3. G. Hieronymi. Über den altersbedingten Formwandel elastischer und muskulärer Arterien. (vergriffen). 4. Symposium über Probleme der Spektralphotometrie. Herausgegeben von H. Kienle. (vergriffen). Inhalt des Jahrgangs 1958: 1. W. Rauh. Beitrag zur Kenntnis der peruanischen Kakteenvegetation. (vergriffen). 2. W. Kuhn. Erzeugung mechanischer aus chemischer Energie durch homogene sowie durch quergestreifte synthetische Fäden. (vergriffen). Inhalt des Jahrgangs 1959: 1. W. Rauh und H. Falk. Stylites E. Amstutz, eine neue Isoetacee aus den Hochanden Perus. 1. Teil. DM 30.40. 2. W. Rauh und H. Falk. Stylites E. Amstutz, eine neue Isoetacee aus den Hochanden Perus. 2. Teil. DM 42.90. 3. H. A. Weidenmüller. Eine allgemeine Formulierung der Theorie der Oberflächenreaktionen mit Anwendung auf die Winkelverteilung bei Strippingreaktionen. DM 12.00. 4. M. Ehlich und M. Müller. über die Differentialgleichungen der bimolekularen Reaktion 2. Ordnung. (vergriffen). 5. Vorträge und Diskussionen beim Kolloquium über Bildwandler und Bildspeicherröhren. Herausgegeben von H. Siedentopf. DM 21.00. 6. H. J. Mang. Zur Theorie des ",-Zerfalls. DM 12.00. Inhalt des Jahrgangs 1960/61: 1. R. Berger. über verschiedene Differentenbegriffe. (vergriffen). 2. P. Swings. Problems of Astronomical Spectroscopy. (vergriffen). 3. H. Kopfermann. Über optisches Pumpen an Gasen. (vergriffen). 4. F. Kasch. Projektive Frobenius-Erweiterungen. DM (vergriffen). 5. J. Petzold. Theorie des Mößbauer-Effektes. DM 17.90. 6. O. Renner. William Bateson und earl Correns. DM 12.00. 7. W. Rauh. W~itere Untersuchungen an Didiereaceen. 1. Teil. DM 56.90. Sitzungs berichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Mat hematisch -na turwissenschaftliche Klasse Jahrgang 1975, 3. Abhandlung H. E. Bock Die Bedeutung von Konstellation und Kondition für ärztliches Handeln Mit 6 Abbildungen (Gehalten in der Sitzung vom 1. Februar 1975) Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH 1975 Prof. Dr. Dr. h. c. H. E. Bock 7400 Tübingen Spemannstr. 18 ISBN 978-3-540-07425-0 ISBN 978-3-662-06635-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-06635-5 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Über setzung, des Nachdruckes, der Entnahme der Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Bei Vervielfältigung für gewerbliche Zwecke ist gemäß § 54 UrhG eine Vergütung an den Verlag zu zahlen, deren Höhe mit dem Verlag zu vereinbaren ist. © by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1975 Ursprünglich erschienen bei Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 1975 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt wer- den dürften. Universitätsdruckerei H. Stürtz AG, Würzburg Die Bedeutung von Konstellation und Kondition für ärztliches Handeln H. E. Bock Medizinische Universitäts-Klinik, Tübingen I. Das Thema hat einen Doppelaspekt, je nachdem, ob man Konstellation und Kondition auf seiten des Patienten oder auf seiten des Arztes meint. Natürlich ist auch die Situation des Arztes für sein Handeln von großer Bedeutung. Beim Arzt ist, wie mir scheint, die gesamte Konstellation noch bedeutungsvoller geworden als seine persönliche Kondition, weil er heute mehr als früher von dem Vorhandensein eines größeren Instrumentariums und von einer günstigen Konstellation seiner zahlreicher und differenzierter gewordenen Hilfskräfte abhängig ist; auch ist es ein Unterschied, ob er in der einsamen Jägerhütte im Walde oder in einer modernen Klinik zu arzten hat, ob während seiner vorgesehenen Dienststunden oder nachts, aus dem Bett gescheucht. Zu seiner Kondition gehören Präsenz, Gestimmtheit und Geduld, Konzentration und Einfühlungsgabe ; sie sind so nötig wie ein hoher Leistungs- und Wissensstand. - In einer Universitätsklinik ist thera peutischer Erfolg selten das Verdienst eines Einzelnen; er wird konditioniert durch die Bereitschaft und Mitarbeit seiner Gruppe und deren Arbeits klima. - Seitdem "Therapie in der Gruppe" auch außerhalb psychiatrischer Bereiche oder chronischer Leidens- und Restzustände sich modisch mehr und mehr ausbreitet, und seitdem man "Personalisierung der Medizin" (Unschuld) als gesellschaftspolitisches Planspiel - als Kampf um Macht - auffaßt, wird Pluralismus zum konditionierenden Problem. War einst die Sorge beim seelischen Hospitalismus, den die Kinderkliniker Asperger, A. Nitschke und R. A. Spitz bei Heimkindern entdeckten, das Fehlen einer Bezugsperson, so fragt man sich heute, ob nicht das Über angebot an Bezugspersonen im Schichten-und Funktionswechsel ungünstige Voraussetzungen schafft. Das Unpersönliche, das sich aus der Ansammlung von Intensivpflegebe dürftigen und Apparaturen ergibt, das "Geworfensein" in das Labyrinth der Geräte und ihrer Funktionsträger, wirkt manchmal geradezu als Blockade der Kontaktfindung. Von Zwiegespräch kann kaum die Rede sein, wenn - 89 - 6 H. E. Bock viele Unbekannte mithören können. Der Arzt ist dann mitunter im Konflikt, z.B. ob er die Gunst des Augenblickes wirklich nutzen darf, aus der unter bewußten Gesprächigkeit seiner Patienten bei manchen Dämmerzuständen verborgene Motivationen oder Krankheitszusammenhänge zutagezuför dem, - bei einer Konstellation aus nicht zum ärztlichen Schweigen ver pflichteten Mitpatienten und sehr peripheren, oft recht jungen Funktions trägern. Bei der Konditionierung ärztlichen Handeins muß auch an die Sprachgrenze gedacht werden, die den Arzt oft vom Patienten trennt, - vielleicht auch an jene gesellschaftswissenschaftlich erkundeten Barrieren, hinter denen sich angeblich auf mehreren Ebenen sozialbewußte Gruppen von mehr oder weniger Herrschenden, von mehr oder weniger Ausgebeute ten ihre Gruppenkämpfe liefern. Diesem Aspekte will ich mich nicht weiter widmen. Nehmen wir daher einmal - in unkritischer Übersteigerung, gewissermaßen im Vorgriff auf ein kaum je erreichbares Ideal-an, Konstellation und Kondition seien auf der Seite des Krankenhauses, des ärztlichen und technischen, des pflege rischen, des Labor- und des Küchenpersonals und auch apparativ optimal! Noch einmal aber wollen wir uns besinnen auf die Aufgabe des Arztes, wie sie Richard Siebeck in Medizin in Bewegung 1949 beschrieben hat: "Es ist die Aufgabe des Arztes, vor allem Kranken, aber oft genug auch Gesunden, in den Grenzen und Befugnissen seines Berufes angemessene Hilfe zu leisten. Ärztliche Beratung und Behandlung ist Führung, Führung aus ,Berufung' in ganz nüchternem sachlichem Sinne. Aber dieses Wort - wir wollen es keineswegs anmaßend gebrauchen - soll uns doch zugleich hinweisen auf einen Auftrag und eine Bestimmung, die wir in aller Bescheidenheit, aber auch in erster Verpflichtung auf uns nehmen möchten." Wenn der Arzt zukünftig solcher Führungsaufgabe gewachsen sein will, muß seine Vorbildung in Psychologie und Soziologie ebenso vertieft werden wie sein Wissen und seine Kritikfähigkeit auf dem Gebiete der klinischen Pharmakologie. ll. Wir wenden uns nun dem zu, was ich als das eigentliche Thema ansehe: der Konstellation und Kondition des Patienten in ihrer Bedeutung für Erfolg und Sicherheit einer Therapie. Therapie besteht nicht nur aus Arzneiverordnung. Physikalische Medizin, Diätetik, Laboratoriums- und Röntgenmedizin leisten alltäglich ihre unent behrlichen Beiträge. - Von der operativen Therapie sehe ich als Internist heute einmal ab; obwohl sie in unserer Zeit nicht nur mechanistische Repara tur, sondern oft auch funktionsneugestaltende Lösungen kennt, also u.U. auch neue Konstellation und Kondition. - Aus unserem Arsenal rücke ich das Medikament in den Vordergrund, weil die Öffentlichkeit ihm gegenüber eine so außerordentlich unterschiedliche, oft geradezu bewußtseinsgespaltene - 90 - Die Bedeutung von Konstellation und Kondition für ärztliches Handeln 7 Gift Allergen ®----® Adjuvantien Complicantien ~ Physikal. Diät Röntgen "'" Psyche / Nuclear "'" / Abb. 1. Therapiemöglichkeiten Haltung einnimmt: Unschädlichkeit rangiert zur Zeit bei ihr vor Wirksam keit. Schäden durch Unterlassung einer wirksamen Therapie übersieht man. Schwach wirksam wird ohne weiteres als unschädlich betrachtet, stark wirksam als schädlich. Man unterschätzt, daß nur richtige Dosierung Erfolg verbürgt, und daß auch schwach wirksame Medikamente, auf lange Zeit gegeben, durch Kumulation Schäden verursachen können. Schon Paracelsus wußte, daß es die Dosis ist, die bestimmt, ob etwas Gift sei oder nicht. Nicht den Placeboanteiljeglicher wirksamer (oder auch unwirksamer) Medikation, die "Droge Arzt", gilt es zu ermitteln, sondern die reproduzierbare Dosis wirkungskurve über die Zeit, das Flächenintegral und die therapeutische Breite von Arzneistoffen. Manchmal vermitteln die Massenmedien den Eindruck, als ob Nichts-Böses-Ahnenden von einer Maffia gewinnsüchtiger Giftmischer und machthungriger Ärzte Arzneimittel aufgenötigt würden, von denen - frei nach Voltaire - der Arzt eigentlich nichts weiß, gegen Krankheiten, die man eigentlich nicht recht kennt (vielleicht nur den Menschen andichtet ?), und um deren wahre Wesenserkenntnis man sich aus naturwissenschaftlicher Voreingenommenheit auch gar nicht bemüht. Man sollte nicht vergessen, daß gerade die Medizin seit Voltaire einige Er folge aufzuweisen hat, z.B. in den letzten 35 Jahren soviel wie in 35 Jahr hunderten nie zuvor, - und daß nicht die Naturwissenschaft, sondern unsere soziale Entwicklung es leider mit sich gebracht hat, daß weite Kreise dem Medikament gegenüber eine libidinöse Konsumentenhaltung einneh men (die seiner Bestimmung widerspricht). Freilich gibt es -leider - auch Ärzte, die bereitwillig in der vom Patienten geforderten Währung "Tablette" mit differenten Drogen zahlen, wo es ein Placebo oder ein gesundheits erzieherischer Ratschlag auch täte. Es wäre Unsinn zu glauben, daß menschliches Leiden in toto je rational verstanden und also auch ausschließlich rational behandelt werden könnte. Die Erfolgserlebnisse einer naturwissenschaftlich betriebenen Medizin, die meiner Generation auf so vielen Teilgebieten der Medizin vergönnt waren, verpflichten uns aber, das Rationale soweit wie möglich zu treiben, und uns - 91 - 8 H. E.Bock keinesfalls mit einer mittelalterlichen Grenze des Magischen abzufinden, dessen Radius nun doch seit der naturwissenschaftlichen Aera zum Segen der Kranken ganz erheblich verkleinert worden ist. Manches peinvolle Pentagramma ist ausgelöscht. Manche Dämonen haben sich als klardefinierte bakterielle Lebewesen decouvrieren lassen, deren Stoffwechselstufenplan man kennt, deren eigene Infektionsfähigkeit mit Resistenzfaktoren recht weit analysiert und experimentell reproduzierbar ist. Ohne den Fehler zu machen, alles Machbare auch machen zu wollen, müssen wir uns um die volle Erhellung und Nutzanwendung des überhaupt rational Begreifbaren bemühen - freilich auch um dessen Sinnbezug und Folgen. Viele sind der Meinung, daß wir schon viel zu weit in der Rolle des Zauberlehrlings ver strickt sind. Der genetischen Manipulation müssen Grenzen gezogen werden. ill. Nun aber zur notwendigen Definition, der mehr klinischer Pragmatismus als philosophische Trennschärfe zugrunde liegt. Die Abb. 2 zeigt als End punkte links Konstitution, rechts Kondition. Wie die meisten Kliniker (F. Curtius, Krehl, Kraus, von Pfaundler, Siebeck u.v.a.) verstehe ich Konstitution als das Ererbte und unter Umwelteinflüssen Entfaltete und Gewordene, nicht nur im Bau, sondern auch in der Funktion. Konstitution schwingt in großer träger Amplitude; Kondition ist stärker kon stellations- oder situationsbedingt als Konstitution, schwingt schneller und in kleinerer Amplitude, ist störbar und trainierbar, gewöhnungs-, abhär tungs- und steigerungsfähig. Kondition ist juristisch "die in ein Rechts geschäft als Wirksamkeitsvoraussetzung eingeführte Bedingung". Für unser medizinisches "Geschäft" ist Kondition die Summe der Vorbedingungen, die Ausgangslage, - nicht statisch, sondern dynamisch gesehen - das Integral der Eingangsbedingungen eines betroffenen Organismus bei seinen jeweiligen Auseinandersetzungen, ein reaktionsbereites Potential. Kranksein bedeutet die Auseinandersetzung im Bereich oder an den Grenzen des Schädlichen, auf dem Boden der jeweilig letzterreichten Kondition. Kon ditionierung ist ein Prozeß, nämlich die jeweilige Vor- und Aufbereitung des Konstitutionellen unter einer gegebenen Konstellation. Und was ist Konstellation? Zunächst möchte ich sie nur als etwas Topolo gisches ansehen, also statisch (obwohl sich darin ihre Bedeutung nicht ganz erschöpft) - etwa so, wie sie der Astronom als naturwissenschaftlich be stimmbaren Stand der Planeten sieht, - nicht wie der Astrologe als geheim nisvolle Fernsteuerung bei der Erfüllung von Schicksalsweissagungen. Situation als Lage, Zustand oder Lageplan ist etwa identisch mit Konstella tion. Man kann äußere und innere Konstellation des Menschen und seines Lebensraumes unterscheiden, Umwelt- und Innenweltkonstellationen, wie sie sich z.B. aus Luft- und Wasserverschmutzung einerseits, aus oekologi- - 92 - Die Bedeutung von Konstellation und Kondition für ärztliches Handeln 9 lK~oillnsillti!!:!tu!!l!tioQ!:n!.- -----.. Kondition Konstellation (Situation) Risiko Eignung .indikatoren Präparation .faktoren Motivation Disposition lrainierbar steigerungsfähig "''"'-/'-'''. .......... -...,.~-gewöhnungsfähig abhärtungsfähig Abb.2 schen Veränderungen, z.B. im Magendarmkanal-etwa durch Antibiotika oder durch Abweichungen im "milieu interne" finden. Auch wenn wir in der Konstellation nur die Szenerie, nicht das Drama, nur die Figuren auf dem Schachbrett, nicht das Spiel selbst sehen, ist sie nicht ohne Bedeutung für seine Entfaltung wie für seine Begrenzung. Schwierig keiten einer strengen Trennung von Konstellation und Kondition drücken sich aus in der Unterscheidung von Risikoindikatoren und Risikofaktoren, wie sie heute bei den Coronarerkrankungen seit der Framingham-Studie als 1. Hypercholesterinaemie und Hypertriglyzeridaemie, 2. Nikotinabusus, 3. Übergewicht, 4. Hochdruck, 5. diabetische Stoffwechsellage, 6. überhöhte Harnsäurewerte, 7. Bewegungsarmut bekannt sind und in gewisser Weise auch lebensalter- und geschlechtsabhängig betrachtet werden müssen. Wenn Risikoindikatoren über ihre statistische Korrelation hinaus als wirk same Kräfte in die Rechnung eingehen, sprechen wir von Risikofaktoren (1. und 2. Ordnung - Schettler), sie konditionieren dann die coronare Erkrankung. Wie jeder Sänger und jeder Sportler weiß, ist seine Kondition störanfälliger als seine Konstitution. Am schnellsten wandelbar und am subjektivsten motivierbar ist die Disposition, die vom Verfügenkönnen bis zum Verfügen wollen reicht. Als praktizierendem Internisten steht es mir nicht zu, mein Thema als philo sophische oder religionsgeschichtliche Erörterung der "conditio humana" zu entwickeln. Ich könnte es auch gar nicht. Ich darf hier auf die biologische Anthropologie von Hans Georg Gadamer und Paul Vogler hinweisen. Natürlich muß ich als Arzt die conditio humana zu erkennen und nicht nur zu erahnen versuchen, muß sie nach Raum und Zeit, Herkunft und Ziel, Wesen und Sinn zu verstehen mich bemühen. Kranksein ist ein Geschehen, das sich fließend aus dem Gesundsein ent wickeln und in es zurückkehren kann. Weder Krankheit und Medikament, - 93 - 10 H. E.Bock noch Patient und Arzt wirken als konstante Größen wie im Rechenexempel aufeinander. Sie tun es dynamisch und auch in subjektivistischer Streuung auf ihrer lebensgeschichtlichen Basis und vor ihrem sozialen Hintergrund. Friedrich Curtius hat einmal gesagt, die Grundstruktur des Ursachenbündels in unserer Krankheit sei nur "konditionalistisch, plurikausal, multifakto riell" zu verstehen. Das gilt aetiologisch wie therapeutisch. Eine eindimen sionale lineare Betrachtung von Droge und Effekt, von Kranksein und Genesung genügt nicht mehr. Die Überwindung einer Krankheit ist ein Konditionierungsvorgang. Therapie erstrebt nicht nur, im Rahmen des Möglichen den status quo ante, sondern auch bessere Vorbedingungen zur zukünftigen Krankheitsbewältigung zu schaffen. Seltsam ist es, daß die Belastung des gut konditionierten Erwachsenen und Alternden eine geringere Gefahr birgt als die Entlastung, wie wir aus den überraschenden plötzlichen Urlaubstodesfällen wissen. Konditionierung will respektiert und "gepflegt" werden. Wenn Kondition der letzterreichte konstitutionelle Ausgangsstand beim Start eines Geschehens ist, so ist Konditionierung ein mehr oder weniger auch regelhaft erstrebbarer Vorgang. Beim Begriff ,Konditionierung' denken die meisten mit Recht an die Pawlowschen Experimente - manche vielleicht auch an die systematische sportliche Leistungskonditionierung. Pawlow zeigte, daß durch regelmäßige Verknüpfung von Bedingungen, in seinem Falle durch die Verknüpfung eines Schallsignals mit der Fütterung, ein Tier so weit konditioniert werden kann, daß es schließlich auf den Schall reiz allein die volle Speichel- und Magensaftsekretion für die Verdauung in Gang setzt, auch wenn gar keine Nahrung angeboten wird. Ein solcher gut funktionierender bedingter Reflex kann aber durch störende Experimen talanordnungen und Frustrationen auch wieder zum Erlöschen gebracht werden. Die Reichweite solcher bedingter Reflexe ist groß, ihre Herrschaft beim Menschen freilich nicht mächtiger als die Auswirkung angeborener Auslösemuster und Verhaltensweisen (Konrad Lorenz). Niemand kann sich ihnen ganz entziehen. Ihre Sublimierung zum individuell Wertvollen und zum menschheitlich Sinnvollen ist unsere Aufgabe. B. F. Skinner (1971) fordert die Verhaltenstechnik des Konditionierens durch Strafreiz und Belohnung, um den Menschen für sein Erleben zu formen (beyond freedom and dignity, New Y ork, Knopf)'. Er glaubt im Gegen satz zu Lorenz, Eibl-Eibelsfeldt, Hassenstein daran, daß der Mensch, nicht vorprogrammiert durch stammesgeschichtliche Anpassungen, exogen be liebig in seinem Sozialverhalten modifizierbar sei. Auch Eibl-Eibelsfeldt bestreitet nicht, daß bei uns Menschen die kulturelle Evolution - "ein gigantischer Akt der Selbstkontrolle" - die stammesgeschichtliche abgelöst habe. Lernvorgänge durch Bestätigung und Bekräftigung spielen in der Therapie eine Rolle - selbst solche durch Frustration. - 94 -

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