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Die Aufteilung des Sinnlichen. Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien PDF

100 Pages·2006·1.57 MB·German
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Jacques Ranciere Die Aufteilung des Sinnlichen Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien PoLYpeN Jacques Ranciere Die Aufteilung des Sinnlichen Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien Herausgegeben von Maria Mühle b.books • Reihe PoLYpeN Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich. Dieses Buch erscheint im Rahmen des Förderpro- gramms des französischen Außenministeriums, vertreten durch die Kulturabteilung der französischen Botschaft in Berlin. Reihe PolYpeN bei b_books, herausgegeben von Sabeth Buchmann, Helmut Draxler, Clemens Krümmel und Susanne Leeb Aus dem Französischen von Maria Mühle sowie Susanne Leeb und Jürgen Link Originalausgabe des Textes „Die Aufteilung des Sinnlichen. Ästhetik und Politik": Le Partage du sensible. Esthetique et politique © La Fabrique Editions, 2000, Paris Gestaltung: Michael Dreyer Satz, Reinzeichnung: Kim Hannah Hörbe Coverbild: „Cinerary Urn of an Imperial Slave", aus: Jim Harter, Images of World Architecture, New York 1990 Druck: Albdruck, Berlin 1. Auflage, © 2006 b.books Verlag, Berlin ISBN 3-933557-67-4 • www.bbooks.de Inhalt Einleitung von Maria Mühle 7 Die Aufteilung des Sinnlichen. Ästhetik und Politik 21 1 Von der Aufteilung des Sinnlichen und den daraus folgenden Beziehungen zwischen Politik und Ästhetik 25 2 Von den Regimen der Künste und der mäßigen Relevanz des Begriffs der Moderne 35 3 Von den technisch reproduzierbaren Künsten und dem ästhetischen und wissenschaftlichen Aufstieg der anonymen Individuen 50 4 Ob daraus zu schließen wäre, dass die Geschichte eine Fiktion ist. Von den verschiedenen Weisen der Fiktion 56 5 Von der Kunst und der Arbeit. Warum die Praktiken der Kunst eine Ausnahme von den anderen Praktiken bilden und warum nicht 65 Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien 75 Einleitung von Maria Mühle Die Frage nach der „politischen Kunst" und nach der „ästhetischen Dimension der Politik" wird heute zumeist in Kategorien diskutiert, die nach einer repräsen- tativen, dokumentarischen oder interventionistischen Beziehung zwischen politischer und künstlerischer Theo- rie und Praxis suchen. Politik und Kunst werden mithin als zwei unabhängige Bereiche begriffen, die auf unter- schiedliche Art miteinander verbunden werden. Dieser Vorstellung widersetzt sich Jacques Ranciere von Grund auf: Kunst und Politik sind keine feststehenden und von- einander getrennten Wirklichkeiten, sondern zwei Formen der „Aufteilung des Sinnlichen", die von einem spezi- fischen Regime der Identifizierung abhängen. Ranciere zufolge gibt es weder immer Politik, obwohl es immer Machtformen gibt, noch gibt es immer Kunst, obwohl es immer Theater, Musik und Malerei gibt, denn Kunst und Politik werden als verschiedene Formen der Präsenz singulärer Körper in spezifischen Räumen und Zeiten verstanden. Dank einer fundamentalen Neubestimmung der zen- tralen Begriffe der Debatte - Politik und Ästhetik - zeigt Ranciere ihre grundlegende Interdependenz auf, um ein Verständnis dessen zu entwickeln, was er als „Ästhetik der Politik" fasst, in die sich eine „Politik der Ästhetik" ein- schreibt. In den beiden vorliegenden Texten wird diese Interdependenz in zwei Schritten untersucht: Auf die Ana- lyse einer Ästhetik der Politik in Die Aufteilung des Sinn- lichen. Ästhetik und Politik1 folgt in dem Aufsatz Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien2 eine Analyse dessen, was Ranciere unter Politik der Ästhetik versteht, nämlich die Art, wie die Praktiken und Formen der Sichtbarkeit der Kunst selbst in die Aufteilung und Neuanordnung des Sinnlichen eingreifen. In der Folge führt diese dann zu einer kritischen Untersuchung verschiedener Positionen der zeitgenössischen „politischen Kunst". Die Aufteilung des Sinnlichen (franz. 2000) nimmt innerhalb von Rancieres Werk insofern eine besondere Stellung ein, als die Frage nach der Politik und dem Politi- schen, die seit Rancieres anfänglicher Zusammenarbeit mit Louis Althusser und der darauf folgenden kritischen Auseinandersetzung mit dessen Marxismus explizit sein Denken bestimmt, hier direkt eine Ästhetik adressiert, die, so Ranciere, der Politik zugrunde liegt. Er nimmt damit die Ausformulierung einer „Ästhetik der Politik" wieder auf, die er in seinem Buch Das Unvernehmen3 (franz. 1995) vor einem primär historisch-politischen Hintergrund im Hin- blick auf eine Zweiteilung des gemeinschaftlichen Raums in Polizei und Politik diskutiert hatte, und die er in den neu- esten Arbeiten zu Film, Bildtheorie, Fotografie und zeit- genössischer Kunst erprobt {La Fable cinematographique, 2001, Le Destin des images, 2003) sowie im Zusammen- hang mit anderen zeitgenössischen ästhetischen Theorien diskutiert (L'lnconscient esthetique, 2001, Malaise dans 8 l'esthetique, 2004). Die Frage nach der Ästhetik der Politik knüpft weiterhin an Überlegungen aus den vielseitigen vorausgegangenen Untersuchungen an, durch die sich das Thema der Gleichheit und der Unterteilung des politischen Raums wie ein roter Faden zieht: angefangen bei den Stu- dien zur Identität der Arbeiter sowie zur Möglichkeit ihrer Emanzipation {La Nuit des proletaires, 1981 /1997) über die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der Intel- lektuellen in diesem Zusammenhang und mit dem traditio- nellen philosophischen Gegensatz zwischen der Notwen- digkeit der Arbeit und der Freiheit /Freizeit des Denkens (Le Philosophe et ses pauvres, 1983) bis hin zu einer weit an- gelegten Untersuchung der modernen Neuverteilung jener alten Aufteilung zwischen Freizeitmenschen und Arbeits- menschen, so wie sie sich einerseits in den Schriften zur intellektuellen Emanzipation finden {Le Maftre ignorant, 1987), und wie sie andererseits in den nun vorliegenden Abhandlungen über Ästhetik und Politik unter dem Begriff der Aufteilung des Sinnlichen verhandelt werden.4 Die Aufteilung des Sinnlichen ist also vor dem Hinter- grund von Rancieres politischer Theorie zu lesen. In Das Unvernehmen fasst Ranciere den Begriff des Politischen neu, indem er all jene gemeinhin als politisch geltenden Vorgänge - Vereinigung und Übereinstimmung der Gemein- schaften, Organisation der Mächte, Verteilung der Plätze und Funktionen sowie die Legitimierung dieser Verteilung - als „polizeiliche" Vorgänge bezeichnet. Politische Tätigkeit ist im Gegenzug jene Tätigkeit, die einen Körper von seinem natürlichen oder dem ihm als natürlich zugeteilten Ort ent- fernt, das sichtbar macht, was nicht hätte gesehen werden sollen, und das als Rede verständlich macht, was nur als Lärm gelten dürfte. Politik entsteht im Dissens, das heißt im- mer dann, wenn eine Aufteilung des Sinnlichen der polizei- lichen Ordnung mit einer anderen möglichen Aufteilung des Sinnlichen, also einer neuen Aufteilung des Sichtbaren und des Sagbaren - des sinnlich Wahrnehmbaren - innerhalb der Gesellschaft konfrontiert wird. „Es gibt Politik", so Ranciere, „wenn es einen Ort und Formen für die Begeg- nung zwischen zwei ungleichartigen Vorgängen gibt"5: der polizeiliche Vorgang und der Vorgang der Gleichheit. Der Begriff des Politischen nimmt also die aristotelische Aufteilung zwischen jenen, die logos haben, und jenen, die nur phone besitzen, auf und leitet daraus eine genuine Unterteilung der Gemeinschaft6 ab - in jene, die am Raum der politischen Sichtbarkeit teilhaben, weil sie über den logos verfügen, und jene anderen, die nicht daran teilhaben, weil sie nicht über ihn verfügen. Die Aufteilung des Sinn- lichen ist also ein System oder „Regime" von Normen oder Gewohnheiten, die implizit die Wahrnehmung der gemein- schaftlichen Welt bestimmen, wobei Wahrnehmung hier für eine Topologie steht, die in Abhängigkeit von den Plätzen, die die Individuen in Raum und Zeit einnehmen, ihnen be- stimmte soziale Funktionen, Tätigkeitsformen und Weisen zu sprechen zuordnet. Die politische Sichtbarkeit und Un- sichtbarkeit, das Gehört-Werden und Nicht-Gehört-Werden des Einzelnen verweist auf dessen Grad an politischer Teilhabe: Die Aufteilung des Sinnlichen legt fest, welche Orte innerhalb der Gesellschaft eine Teilhabe am Ge- meinsamen ermöglichen, das heißt, welche Subjekte an po- litischen Entscheidungen, Verhandlungen und Diskus- sionen teilhaben können und welche anteilslos sind - sie definiert die Ästhetik der Politik. Der Begriff der Ästhetik bezieht sich dabei (eher locker) auf Kants „transzendentale Ästhetik" aus der ersten Kritik. Ranciere zufolge liegt der Politik ein System „historisch-apriorischer" Formen der sinnlichen Erfahrung zugrunde, die sich auf die Situierung von Individuen im poli- tischen Raum bezieht. Er weist damit ein ausschließliches Verständnis von Ästhetik als reiner Wahrnehmungstheorie zurück und stellt ihre notwendigen politischen Implikationen heraus: Es ist unmöglich, über sinnliche Wahrnehmung und über ihre historisch-apriorischen Formen zu sprechen, 10 ohne über Politik zu sprechen. Ästhetik wird somit weder als individuelle Wahrnehmungsfähigkeit noch als erkennt- nistheoretische Grenze oder als Kunsttheorie verstanden, sondern verweist immer schon auf die Frage des Teilha- bens und Teilnehmens an einer kollektiven Praxis, die für Ranciere in der sozialen und politischen Konstitution der sinnlichen Wahrnehmung entschieden wird. Der Aufsatz Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien schließt an die Frage der Ästhetik der Politik an. Ranciere hebt hier noch einmal hervor, dass Politik sich nicht durch genuine Gegenstände oder Fragen auszeichnet, sondern überhaupt nur in der Auseinandersetzung mit der polizei- lichen Logik stattfindet, der sie eine Logik der Gleichheit entgegensetzt. Gleichheit ist dabei nicht das Ziel der Poli- tik, sondern ihre axiomatische Voraussetzung, und sie meint die Ermöglichung der Gegenüberstellung zweier Stimmen sowie zweier Aufteilungen der gemeinsamen Welt. In dieser Gegenüberstellung, dem Dissens, entsteht Politik: „Politik existiert dort, wo die Rechnung/Zählung der Anteile und Teile der Gesellschaft von der Einschrei- bung eines Anteils der Anteillosen gestört wird."7 Vor dem Hintergrund dieser Ästhetik der Politik fragt Ranciere nun in beiden Texten explizit nach einer Politik der Ästhetik, indem er die Frage nach dem strukturellen Ort der Kunst in der politischen Aufteilung des Sinnlichen stellt. Er unterscheidet drei „Regime", die eine jeweils andere Wahrnehmung von Kunst bestimmen: das ethische Regime der Bilder, das repräsentative Regime der Künste und das ästhetische Regime der Künste, deren Beschaffenheit historisch bedingt ist, ohne jedoch radikal voneinander abgrenzbar zu sein. Hier vollzieht sich die Entwicklung von einer allgemeinen Theorie der Bilder und ihrer didakti- schen Funktion, das heißt ihrer Beziehung zum ethos des Volks, über eine Identifizierung der Künste im Rahmen einer generellen Klassifizierung aller möglichen Tätigkeits- formen bis hin zur Auflösung der Bindung der Künste 11 an spezifische Regeln und Hierarchien der Gegenstände und Gattungen und der daraus hervorgehenden doppelten Spannung zwischen der Autonomisierung der Kunst einerseits und ihrem Aufgehen im Leben andererseits. Die Sichtbarkeit und Erkennbarkeit einer künstlerischen Form ist somit abhängig von einem historisch konstituierten Re- gime möglicher Erfahrung und Verständlichkeit. Diese Systematisierung dient Ranciere dazu, grund- legende Probleme der ästhetischen und politischen Diskussion auf eine neue Weise zu thematisieren und zwei Varianten des „großen Diskurses der Moderne" zu iden- tifizieren. Die eine Variante sieht die Modernität der Kunst in ihrer Autonomie, die sie sich durch die „anti-mimetische" Revolution und die Eroberung ihrer „reinen Form" erworben hat. Die andere Variante, die Ranciere als Modernitarismus bezeichnet, treibt in Anlehnung an Schillers „ästhetische Erziehung" die Identifizierung der Formen der Kunst mit den Formen des Lebens voran. Beide Varianten dieser Moderne - sowohl die reine Kunst, die sich an der greenberg- schen Theorie des Mediums exemplifizieren lässt, als auch die schillersche Erschaffung eines „ästhetischen Zustands" als sinnliche Erfüllung der unbedingten Freiheit des reinen Denkens in den Formen des Lebens - geben Aufschluss über die Paradoxien einer Politik der Kunst. Die Schwierig- keiten der so genannten „politischen" oder „kritischen Kunst" beruhen nicht darauf, dass sie zwischen Kunst und Politik verhandeln muss, sondern zwischen zwei Logiken, die beide innerhalb des ästhetischen Regimes der Künste existieren: die Logik, die die ästhetische Erfahrung von den anderen Formen der Erfahrung trennt, und jene, die die Kunstformen mit den Lebensformen identifiziert. Erstere entspricht der Vorstellung der ästhetischen Autonomie der Moderne bis hin zur Ästhetik des Erhabenen, als deren wichtigster Repräsentant Ranciere Lyotard gilt, während die zweite von den konstruktivistischen Anfängen über den Situationismus bis zur zeitgenössischen relationalen 12

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