Tim Hey Die außervertragliche Haftung des Herstellers autonomer Fahrzeuge bei Unfällen im Straßenverkehr Die außervertragliche Haftung des Herstellers autonomer Fahrzeuge bei Unfällen im Straßenverkehr Tim Hey Die außervertragliche Haftung des Herstellers autonomer Fahrzeuge bei Unfällen im Straßenverkehr Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Franziska Boehm Tim Hey Münster, Deutschland Zugl.: Münster (Westf.), Univ., Diss. der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, 2018 Erster Berichterstatter: Prof. Dr. Franziska Boehm Zweiter Berichterstatter: Prof. Dr. Thomas Hoeren Dekan: Prof. Dr. Klaus Boers Tag der mündlichen Prüfung: 5. Juni 2018 D6 ISBN 978-3-658-23956-5 ISBN 978-3-658-23957-2 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-23957-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Danksagung Ohne die Hilfe vieler Menschen hätte diese Arbeit nicht vollendet werden können. Ihnen möchte ich daher an dieser Stelle danken. Danken möchte ich zunächst meiner Doktormutter Prof. Dr. Franziska Boehm, die mir mit zahlreichen Anmerkungen und in vielen fruchtbaren Diskussionen gehol- fen hat, meine Gedanken zu strukturieren. Herrn Prof. Dr. Thomas Hoeren danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgut- achtens. Ein besonderer Dank geht an alle Kollegen des Instituts für Internet-, Telekom- munikations- und Medienrecht, an die ich mich jederzeit mit Fragen wenden konnte und die mit berüchtigten Kaffeepausen und Kickerspielen eine angenehme Abwechselung vom Schreiben geschaffen haben. Insbesondere möchte ich an die- ser Stelle meinem Bürokollegen Robert Ortner danken, der sowohl maßgeblich zur angenehmen Arbeitsatmosphäre beigetragen als auch für viele konstruktive Denkanstöße gesorgt hat. Danken möchte ich Roland Dudek, Antje und Jürgen Hey, sowie Patrick Schwent- ker für das Korrekturlesen dieser Arbeit. Ein ganz besonderer Dank gilt meiner Freundin Nina Jansen, die immer für mich da war und meine manchmal schlechte Laune liebevoll ausgehalten hat. Ebenso möchte ich Tristan danken, der mich allein durch sein Lachen immer wieder mo- tiviert hat. Schließlich möchte ich meiner Familie danken, insbesondere meinen Eltern und meinen Geschwistern, an die ich mich immer wenden konnte und ohne die diese Arbeit nie entstanden wäre. Geleitwort Zur Thematik Das autonome Fahren ist eines der meistdiskutierten Themen im Mobilitätsbe- reich. Zahlreiche Hersteller schicken immer mehr Testfahrzeuge in den Straßen- verkehr, damit diese bald vollkommen selbstständig fahren können und der Mensch zum Passagier wird. Dabei zeigt sich jedoch immer wieder auf tragische Weise, dass das, was das autonome Fahren verspricht, nämlich ein sicherer Stra- ßenverkehr mit weniger Toten und Verletzten, nicht bedeutet, dass es gar keine Unfälle mehr gibt. Aus diesem Grund wird das Thema autonomes Fahren auch in der Rechtswissenschaft kontrovers diskutiert. Die zentrale Frage lautet: Wer haftet für solche Unfälle. Zuletzt hat auch der Gesetzgeber, insbesondere mit den §§ 1a ff. StVG, erste Regelungen zu dieser Frage erlassen. Beitrag der Arbeit zum rechtswissenschaftlichen Diskurs Die Arbeit beantwortet diese Frage. Sie geht dabei zunächst auf die neu eingeführ- ten gesetzlichen Regelungen ein und liefert überzeugende Argumente, wie diese Norm zu interpretieren ist. Die zentrale These der Arbeit ist dann die in der rechts- wissenschaftlichen Literatur öfter vorhergesagte Haftungsverschiebung vom Hal- ter zum Hersteller. Um diese zu verifizieren, wird untersucht wie der Hersteller autonomer Fahrzeuge haftet. Dazu geht die Arbeit ausführlich auf die außerver- tragliche Haftung des Herstellers ein und stellt detailliert heraus, welche Pflichten dieser zu erfüllen hat. Dabei gelingt es der Arbeit gut, zum einen anhand eines generellen Haftungsmaßstabs sämtliche potentiellen Unfallsituationen zu beleuch- ten, und zum anderen auch konkrete Pflichten zu definieren. Hervorzuheben ist, dass der Autor sich auch den besonders kontrovers diskutierten Aspekten widmet und die Diskussion durch eigene, klug durchdachte, Lösungs- vorschläge bereichert. Zunächst ist in dem Zusammenhang der Umgang mit sog. Dilemma-Situationen zu nennen. Also Situationen, in denen das Fahrzeug zwangsläufig verunfallt, aber die Wahl hat, wer bei diesem Unfall zu Schaden kommt. In solchen Fällen gilt es, sich zu entscheiden, ob außenstehende Personen oder doch die Insassen des Fahrzeugs gefährdet werden sollen. Und wer sollte solch eine Entscheidung treffen. Speziell in dieser Frage, so scheint es, waren sich VIII Geleitwort auch die Mitglieder der Ethik-Kommission zum autonomen Fahren uneins. Ihre Antwort lautete, dass es eine breite gesellschaftliche Diskussion zu diesem Thema geben müsse. Die Arbeit liefert hier einen wertvollen Beitrag und stellt vor allem die Bedeutung dieser Frage für die Hersteller aber auch für die Rechtsordnung heraus. Ein weiterer viel diskutierter Aspekt ist die Auswirkung des sog. maschinellen Lernens auf die Steuerung autonomer Fahrzeuge und die daraus resultierenden Folgen für das Haftungsrecht. Beim maschinellen Lernen befolgt die Software ei- nes autonomen Fahrzeugs nicht stur vorgegebene Algorithmen, sondern entwi- ckelt diese auf Basis von Erlebtem und unter den Fahrzeugen stattfindenden Da- tenaustausch selbstständig weiter. Auf diese Weise reduziert sich nicht nur der Einfluss des Fahrers und des Halters, sondern auch des Herstellers. Das Fahrzeug wird im wahrsten Sinne des Wortes autonom. Insbesondere das außervertragliche Haftungsrecht basiert mit seinen Verkehrspflichten jedoch maßgeblich auf einer zumindest möglichen Einwirkung durch den Pflichtigen. Die Arbeit stellt sich die- ser Herausforderung für das Recht und zeigt überzeugende Lösungsmöglichkeiten auf, wie das Phänomen des maschinellen Lernens haftungsrechtlich gelöst werden kann. Fazit Die Arbeit bietet somit einen umfassenden Überblick darüber, wie der Herstel- ler autonomer Fahrzeuge nach dem geltenden Recht für Unfälle im Straßen- verkehr haftet. Sie beschränkt sich aber nicht darauf. Vielmehr wird ausführlich diskutiert, wer für Unfälle autonomer Fahrzeuge haften sollte. Dazu greift die Ar- beit verschiedene Lösungsansätze auf, die auch schon in der Literatur diskutiert wurden. Namentlich sind das die Einführung einer elektronischen bzw. e-Person, verschiedene Versicherungslösungen, eine Erweiterung der Verschuldens- oder der Gefährdungshaftung. An dieser Stelle zeigt sich der besondere Verdienst die- ser Arbeit. Bisher gab es nämlich keine Untersuchung, die zur Beantwortung der Haftungsfrage beim autonomen Fahren umfassend auf die dogmatischen und Wer- tungsgrundsätze des Haftungsrecht eingegangen ist. Dadurch gelingt es, die Vor- aber auch die Nachteile der vorhandenen Lösungsansätze hervorzuheben und zu Geleitwort IX kritisieren. Außerdem gelingt es dem Autor auf dieser Basis einen eigenen Lö- sungsvorschlag zu entwickeln, der durch seine wertungsmäßige Anknüpfung an die Grundsätze des Haftungsrecht überzeugt. Die Arbeit bietet somit sowohl Praktikern im Bereich des autonomen Fahrens wertvolle Anregungen als auch der wissenschaftlichen Diskussion im Hinblick auf die Frage, wie das Haftungsrecht auf selbstfahrende Autos reagieren sollte. Franziska Boehm Inhaltsverzeichnis 1.Kapitel Einleitung .................................................................................... 1 A. Gegenstand der Arbeit und dessen praktische Bedeutung............................... 1 B. Ziel der Arbeit ................................................................................................. 3 C. Gang der Untersuchung ................................................................................... 4 D. Grenzen der Arbeit .......................................................................................... 5 E. Anmerkungen zu den Begriffen ...................................................................... 6 2.Kapitel Grundlagen des autonomen Fahrens ....................................... 7 A. Der Begriff „autonomes Fahren“ .................................................................... 7 I. Abgrenzung ............................................................................................. 7 II. Bisherige Begriffsbestimmung ................................................................ 8 III. Kritik und eigene Definition ................................................................. 10 1. Bestehende Abgrenzungsschwierigkeiten ....................................... 10 2. Unklarheiten im Hinblick auf die Wortbedeutung ........................... 11 3. Ergebnis: Eine eigene Definition ..................................................... 12 B. Funktionale Anforderungen an ein autonomes Fahrzeug .............................. 13 I. Wahrnehmung und Interpretation ......................................................... 13 II. Kooperation und Kommunikation ......................................................... 14 III. Routenplanung und Lokalisierung ........................................................ 16 IV. Funktionale Sicherheit........................................................................... 18 V. Situationsbewertung und Ansteuerung .................................................. 18 C. Technische Umsetzung ................................................................................. 19 D. Zwischenergebnis .......................................................................................... 22 3.Kapitel Die Frage der Haftungsverschiebung beim autonomen Fahren ....................................................................................... 23 A. Haftung des Fahrers ...................................................................................... 23 I. Haftung nach § 18 Abs. 1 StVG ............................................................ 23 1. Haftung auf Level 5 ......................................................................... 24 2. Haftung auf Level 3 und 4 ............................................................... 24 a. Die Sorgfaltspflichten des Fahrers ............................................. 24 XII Inhaltsverzeichnis b. Beweislasterwägungen ............................................................... 28 II. Deliktische Haftung............................................................................... 29 B. Haftung des Halters ....................................................................................... 29 I. Haftung nach § 7 StVG ......................................................................... 30 II. Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB ........................................................... 31 III. Die Rolle der Pflichtversicherung ......................................................... 32 C. Folgen für den Hersteller .............................................................................. 32 4.Kapitel Die Haftung des Herstellers autonomer Fahrzeuge .............. 35 A. Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB ................................................................... 35 I. Das verletzte Rechtsgut ......................................................................... 35 1. Keine Auswirkungen bei den Rechtsgütern Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit .................................... 35 2. Auswirkungen beim Rechtsgut Eigentum bei sog. Weiterfresserschäden ....................................................................... 36 a. Rechtliche Bewertung sog. Weiterfresserschäden ..................... 36 b. Schlussfolgerungen in Bezug auf autonome Fahrzeuge ............. 39 II. Das rechtsgutschädigende Verhalten ..................................................... 40 1. Verkehrspflichten als Anknüpfungspunkt bei sich selbstständig verändernden Systemen ............................................. 40 2. Verkehrspflichten des Herstellers autonomer Fahrzeuge ................ 42 a. Allgemeiner Sorgfaltsmaßstab des Herstellers autonomer Fahrzeuge ................................................................................... 42 aa. Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und Größe der Gefahr beim autonomen Fahren ..................................... 43 bb. Sicherheitserwartungen des Verkehrs bezüglich autonomer Fahrzeuge ........................................................... 45 (1) Bestimmung des Verkehrskreises ................................... 45 (2) Sicherheitserwartungen bezüglich autonomer Fahrzeuge ........................................................................ 46 (a) Ausgangspunkt: Die Sicherheitserwartungen des Verkehrsteilnehmers an den Straßenverkehr ...... 47 (b) Der Einfluss sich selbstständig verändernder Systeme ..................................................................... 48 (c) Gründe für einen höheren Maßstab ........................... 49 (d) Die Irrelevanz der Preisgestaltung bei der abstrakten Feststellung eines Sorgfaltsmaßstabs ....... 51 (3) Zwischenergebnis ........................................................... 52