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Die andere Bibel : Gottes verbotene Worte PDF

433 Pages·2004·11.927 MB·German
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Alfred Pfabigan D ie A ndere B ibel Gottes verbotene Worte Gottes verbotene Worte Was die Bibel verschweigt Gottes verbotene Worte Was die Bibel verschweigt Ediert und bearbeitet von Alfred Pfabigan ^Eichhorn. 12 3 °4 Erweiterte Ausgabe, ursprünglich unter dem Titel Die Andere Biebel in der Anderen Bibliothek, Eichborn Verlag, Frankfurt 1991, erschienen. © Eichborn AG, Frankfurt am Main, Juli 2004 Umschlaggestaltung: Christina Hucke, Bildmotiv: Kopie nach “Christus, das Kreut tragend” von Giovanni Bellini © Burstein Collection/CORBIS Satz: Fuldaer Verlagsagentur, Fulda Druck und Bindung: GGP Media, Pößneck ISBN 3-8218-5599-1 Verlagsverzeichnis schickt gern: Eichborn Verlag, Kaiserstraße 66, D-60329 Frankfurt am Main www.eichborn.de Vorwort I»Sie werden lachen: die Bibel!«, lautete die vielzitierte Antwort, die Bert • Brecht 1928 auf die Frage nach dem Buch gab, das ihn in seinem drei­ ßigjährigen Leben am meisten beeindruckt habe. Die überraschende Antwort entsprach der Wahrheit, Brecht - nicht gerade ein begeisterter Schüler - genoß den Bibelunterricht des Pastors Paul Desser im Augsburger Königlich Bayrischen Realgymnasium und hatte als Fünfzehnjähriger ein Drama mit dem Titel Die Bibel verfaßt. Doch niemals in seinem Leben hatte Brecht den Trost der Religion gesucht und die Kulturleistung, die in der Fixierung des Monotheismus liegt, galt ihm wenig; den Stückeschreiber, dem auch eine Begeisterung für Kriminalromane nachgesagt wird, faszinierten - so sein Bio­ graph Klaus Völker - »die drastischen Schilderungen und das prächtige Lutherdeutsch des Buches«. Lassen wir all die heiklen Fragen einer göttlichen Offenbarung der bibli­ schen Botschaft fürs erste beiseite und sprechen wir zunächst einmal von einem Buch, einer Kollektivarbeit unzähliger Autoren, der Gattung nach eine Anthologie, und zwar die berühmteste Anthologie aller Zeiten, deren Entste­ hungszeitraum mehr als tausend Jahre umfaßt. Die Geschichte des Buch­ drucks beginnt mit der Bibel, sie darf wohl den Status des meistgedruckten Buches für sich beanspruchen und ist heute in zahlreichen Versionen auch im Internet präsent. Druckquoten und Verkaufszahlen sagen wenig über die tat­ sächliche Zahl der Leser eines Buches aus; das gilt wohl auch für das »Buch der Bücher«. Die Zeiten, wo die Bibel als einziges Buch einer Haushaltung täglich (vor)gelesen wurde, sind lange vorbei, doch das Buch hat sich in sei­ ner großen Zeit einen heute noch wirksamen Einfluß erobert und ist auch in unserer religiös lauen Zeit und selbst dort, wo seine spirituelle Bedeutung mit allen ihren Konsequenzen geleugnet wird, ein Basistext unserer westlichen Kultur. Die Botschaft der Bibel ist in untergründiger Form selbst bei ihren Gegnern präsent - so gibt es etwa kaum eine politische Befreiungsphantasie, die nicht Spuren des Mythos vom Exodus aufweist, die Botschaft der Berg­ predigt liegt zahlreichen konkurrierenden politischen Konzeptionen zugrun­ de, die Erlösungsidee in ihrer trivialisierten Form steuert unser Verhalten gegenüber Konsumgütern, und die protestantische Mentalität gilt als ein Fundament des Kapitalismus. In der Bibel konstituieren sich vielfältige Vorwort 5 Archetypen, sie ist einer jener literarischen Orte, wo alles scheinbar das erste Mal geschieht: die Schöpfung der Welt, der erste Verrat, der erste Mord, kol­ lektive Rettung und Untergang. Was der Botschaft ihre Macht gibt, ist das sie illustrierende Netz von Bildern und Geschichten, das uns alle im Alltag umgibt und in der Hoch- und Populärkultur unentwegt reproduziert wird. Es scheint, als ob es erst der Avantgarde gelungen wäre, Kunst von der vielfäl­ tigen Bilderwelt der Mythologie im weitesten Sinne zu emanzipieren. So gibt es also mehrere Wege zur Bibel: den Weg des Gläubigen, der die Botschaft eines heiligen Textes in einer von der Amtskirche verkündeten Form oder in einer ihr gegenüber dissidenten sucht, den Weg des kulturhi­ storisch Interessierten, der den Einfluß des Christentums bis in seine private Existenz verfolgt, aber auch den desjenigen, der - wie Bert Brecht - sich an einer Fülle von archaischen Erzählungen, Briefen und Reflexionen erfreut. Dem Gläubigen kommt die Bibel von Gott, dem loyalen Mitglied einer Amts­ kirche ist sie das Produkt der Kanonisierung, einer autoritativen Auswahl unter den Texten, die sich mit prinzipiell biblischem Material beschäftigen. Die Kanonisierung der Schriften beider Teile der Bibel war ein mehr als tau­ send Jahre währender, folgenschwerer und bis heute mit zahlreichen Geheim­ nissen umgebener Prozeß. Die Kanonisierung der alttestamentarischen Schriften der hebräischen Bibel ereignete sich in etwa im Zeitraum von 300 bis 150 vor unserer Zeitrechnung, die endgültige Festlegung des alttesta­ mentarischen Kanons für Katholiken erfolgte 1545 während des Konzils von Trient. Der Kanon von Trient ist um sechs Bücher - die sogenannten deu- terokanonischen - weiter als der jüdische, er enthält auch jene Schriften, die in den protestantischen Bibeln als »apokryph« bezeichnet werden. »Apocry- pha: das sind Bücher, so der heiligen Schrifft nicht gleich gehalten/ vnd doch nützlich vnd gut zu lesen sind« - so Martin Luther. Die Kanonisierung der neutestamentlichen Schriften ist eng mit der Entwicklung des Römischen Reiches, dem Aufstieg des Christentums zur Staatsreligion und der Spaltung in ein westliches und ein östliches Reich verbunden. Die heute gültige Kano­ nisierung hat sich zunächst im Westen durchgesetzt, der Status des Neuen Testaments mit seinen 27 Büchern war um 400 fixiert und wurde am Tri- dentinum bestätigt. Hinter diesem bewußt farblos beschriebenen Prozeß ver­ bergen sich Kämpfe, deren Ausmaß das im Anhang unserer Edition abge­ druckte Gelasianische Dekret verrät. Das Dekret verwirft eine Unzahl von Autoren und Texten, schließt sie aus der Römischen und Katholischen Kir­ che aus und verdammt ihre Verfasser und deren Anhänger »unter der unauf­ löslichen Fessel des Anathema in Ewigkeit«. Die aggressive Sprache des Dekrets verrät uns: An vielen der apokryphen Texte klebt das Blut der Men­ schen, die einstmals an sie geglaubt haben. 6 Vorwort Für den Gläubigen mag der Kampf darum, welche Texte Bestandteil des Kanons werden und welche der Verdammnis anheimfallen sollen, ein spiri­ tuelles Ereignis gewesen sein. Für den historischen Blick stellt sich der Pro­ zeß der Kanonisierung als ein unauflösliches Amalgam institutioneller, poli­ tischer und schlicht geographischer Gegebenheiten dar, dessen genauer Ablauf heute nicht mehr feststellbar ist. Ohne Zweifel gibt es unter den Tex­ ten, die sich mit Themen und Personen aus dem biblischen Umfeld beschäf­ tigen, eine nachvollziehbare Hierarchie. Schon Origines - 250 im Zuge der Decischen Verfolgung gefoltert und 553 am 5. ökumenischen Konzil verur­ teilt, auch er ein Opfer des Kanonisierungsprozesses - hat zwischen allge­ mein anerkannten Schriften, bewußt lügnerischen und zweifelhaften unter­ schieden. Doch eine Legende illustriert die teilweise Willkürlichkeit der Kanonisierung treffend: Man hätte bei der Redaktion des endgültigen Textes der Bibel die fraglichen Bücher vor einen Altar gelegt; die »echten« hätten zu hüpfen begonnen, während die »unechten« auf der Stelle liegengeblieben seien. Das geographische Feld, in dem die Texte der jüdisch-christlichen Mythologie über Jahrhunderte hinweg entstanden sind, ist mit allen seinen partikularen politisch-kirchlichen Gebilden noch heute weitgehend unüber­ schaubar. Die Textmasse, aus der die Redaktoren in einem Prozeß, der letzt­ lich mehrere Jahrhunderte währte, ihre Auswahl trafen, war buchstäblich unendlich. Der Prozeß der Kanonisierung war sicherlich eine Kulturleistung, die Straffung eines Komplexes von heterogenen mythologischen Texten zu jener einen großen Erzählung, zu jenem einen Buch, das die geistige Grund­ lage der Weltgeltung der christlichen Religion bildete. Doch gleichzeitig ist die Bibel ein trügerisches Buch, die Harmonie und Zielgerichtetheit des Tex­ tes basieren auf Gewalt. Gestützt auf den mit der Kanonisierung verbunde­ nen Machtanspruch, sind unzählige Erzählungen eliminiert oder marginali­ siert worden, ein machtvoller Konformismus hat sich gebildet und die zwanglose Multikulturalität abgelöst, den Pluralismus der Traditionen in allen jenen Geschichten, die sich rund um biblische Figuren gruppieren. Betrachtet vom Standpunkt einer Ökonomie des Reichtums an Erzählungen und Standpunkten, bedeutet die Bibel einen kulturellen Verarmungsprozeß, in dessen Verlauf ein über mehrere Erdteile reichendes Netz von über Jahr­ hunderte entstandenen Dokumenten der jüdisch-christlichen Mythologie und Volkspoesie zerstört wurde. Die Kanonisierung hat ein wunderbares - virtuelles - Buch zerstört und an seine Stelle einen im Vergleich zum Origi­ nal ärmlichen Extrakt gesetzt, der auf Klischees basiert. Die Kirchen mit ihrer Mischung aus politischer und spiritueller Macht haben sich sozusagen den Leser der Bibel geschaffen, das Buch vermag zu beeindrucken, aber kaum zu überraschen. Die ungeheure Verbreitung der »siegreichen« Texte Vorwort 7 lief parallel zur völligen Marginalisierung ihrer erfolglosen Konkurrenten, die wir heute nur mehr an den schwer zugänglichen Orten spezieller Editio­ nen finden. Diese Editionen sind verdienstvoll, Texte, für deren Lektüre man früher verbrannt wurde, liegen jetzt zum Selbststudium auf, doch viele von ihnen sind an entlegenen Stellen erschienen, ihr primäres Erkenntnisinteresse ist ein historisch-quellenkritisches und in manchen herrscht eine dem poeti­ schen Wert der Texte gegenüber verächtliche sprachliche Verwilderung vor. Die Texte, die dieses virtuelle Buch bilden und die wir uns als potentielle Konkurrenten des Kanons denken können, zerfallen in unterschiedliche Kategorien. Der Begriff »apokryph« ist recht unbestimmt und wird heute eher abwertend verwendet: Er bezeichnet etwas Ungewisses, Verdächtiges, Unechtes oder gar Unterschobenes. Das griechische Verb »apokryphem« bedeutet allerdings zunächst einmal nur »verbergen«, »unsichtbar machen« und »verheimlichen«; das Wort »apokryphos« steht im Gegensatz zu dem Wort »phaneros«, das »offenkundig« oder »öffentlich« bedeutet - diese Bedeutungsverschiebung ins Negative hängt wohl eng mit dem Kanonisie­ rungsprozeß zusammen. Doch das Verborgene ist in der Tradition gleichzei­ tig etwas Besonderes: Schon die Sibyllinischen Bücher in Rom, die Annalen von Ägypten und Tyrus und die heiligen Texte der antiken Mysterienkulte blieben der Priesterkaste und einigen wenigen Eingeweihten Vorbehalten. Das gnostische Selbstverständnis knüpfte an diese Tradition an: Seine Geheimlehren waren wegen ihres anspruchsvollen Inhalts nur Eingeweihten, die sich ihres Inhaltes würdig erwiesen hatten, zugänglich und verzichteten durch eine bewußt rätselhafte Diktion auf die allgemeine Verständlichkeit. In einem hier unter dem Titel Der Brief des Petrus an Jakobus abgedruckten gnostischen Text, einem Bestandteil der Kerygmata Petri, warnt der Apostel seinen Amtsbruder, er möge die heiligen Schriften geheimhalten: »Denn fällt das Geheimnis, dann wird unser Glaube gemein; dann wird unser heiliges Wort der Wahrheit in viele abweichende Meinungen zersplittert werden. (...) Siehe darauf, daß die Neubekehrten die Glaubenssätze nicht verwirren, daß sie alles entsprechend der Überlieferung deuten und nicht durch Unwissen­ heit und Zweifel der Seele in den Irrtum hinabgezogen werden. Denn jeder irrende Lehrer reißt andere in den Abgrund des Verderbens mit.« Nicht zufällig entwickelte sich gerade in der Auseinandersetzung mit der Gnosis allmählich eine Gleichsetzung von »apokryph« mit »betrügerisch« und »ket­ zerisch«. Der erwähnte alttestamentarische Kanon galt vornehmlich beim palästi­ nensischen, hebräisch oder aramäisch sprechenden Judentum, während das um Alexandrien gruppierte hellenistische Judentum Texte benützte, die teil­ weise nie in einer hebräischen Urfassung existiert hatten. Im Prozeß der 8 Vorwort Kanonisierung bekam der Begriff »Apokryphen« eine gewissermaßen tech­ nische Dimension und meint seit Hieronymus, dem Übersetzer der lateini­ schen Vulgata, die im hebräischen Kanon fehlenden, in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments jedoch enthaltenen jüdischen Schriften, die nach dem Beschluß des Tridentinums mehrheitlich für den Katholizismus Geltung bekamen. Allmählich erweiterte sich der Begriff und umfaßt jetzt im weiteren Sinne jene Texte, die im Lauf der Jahrhunderte als unecht oder theo­ logisch nicht haltbar ausgeschieden wurden. Als Pseudepigraphen versteht ihr Sammler und Kommentator Emil Kautzsch jene Schriften, die »fälschlich irgendeiner hervorragenden Persönlichkeit des hebräischen Altertums zuge­ schrieben wurden«. Die pseudepigraphischen Texte laufen unter falschen Namen - das lädt dazu ein, die Art ihrer Entstehung als Fälschung zu bezeichnen. Doch dieser moderne Begriff wird den antiken Gewohnheiten der Autorschaft nicht gerecht. Tatsächlich war es nicht zeitfremd, einen Text mit einem fremden Namen zu signieren, und jener Presbyter, der unter dem Namen des Apostels Paulus die Thekla-Akten verfaßte, handelte im besten Gewissen und fühlte sich von seiner Liebe zum Apostel getrieben. So wurde der Begriff »Apokryphen« immer weiter und umfaßt heute genauso jene Texte, in denen sich die jüdische und die hellenistische Tradition miteinander konfrontierten, wie auch volkstümlich-legendäre Überlieferungen sowie Texte, die in den jeweiligen Regionalkirchen eine hohe Stellung hatten. Die Textmasse altjüdischer Schriften außerhalb der Bibel ist allmählich zu einer unendlichen geworden und wird durch die Funde der letzten Jahrzehnte von Texten der Essener bzw. der Gemeinschaft von Qumran vergrößert. Auch der Textkomplex neutestamentlicher Apokryphen ist gigantisch und wächst ständig. Schon im ersten und zweiten Jahrhundert wurden von Anhängern Jesu Herrenworte gesammelt, verändert, erfunden; Evangelien entstanden im pseudepigraphischen Verfahren, setzten sich in gewissen Regionen durch und verschwanden wieder; Briefe im Namen der Apostel tauchten auf und Weltuntergangsszenarien wurden entwickelt. Neubekehrte fühlten sich bemüßigt, ihre frühere Weitsicht in die Biographie des Jesus zu integrieren oder sich durch eine spezielle Ausformung dieser Biographie von gewissen Lehren der neuen Religion zu distanzieren. Je weiter sich die Texte vom ursprünglich hebräischen, später römischen Zentrum entfernten, desto stärker mischten sich die Berichte über Jesus und seine Lehren mit der jewei­ lig regionalen Mythologie. Anleihen bei der internationalen Mythologie wur­ den genommen, und der Figur des Jesus wurden plötzlich Taten zugeschrie­ ben, mit denen schon denkbare Vorgänger wie etwa der Buddha geprunkt hatten. Kurz: die Konfrontation zwischen den Kulturen lief in einem Zeit­ raum von mehr als einem Jahrtausend zu einem nicht geringen Teil über Vorwort 9 Texte, deren Authentizitätsanspruch im modernen Sinn prinzipiell fragwür­ dig war. Darin liegt wohl eine spezielle Würde und Bedeutung der apokry­ phen Texte: Sie sind ein Dokument eines Verständigungsmechanismus zwi­ schen den Kulturen, der sich unter anderem des Mediums der bildhaft aufgeladenen Erzählung bediente. Das wohl prägnanteste Beispiel ist das in unserer Ausgabe nur fragmentarisch abgedruckte Barnabas-Evangelium, das in Teilen ein gemessen am Kanon korrektes Bild des Leben Jesu und seiner Lehre zeichnet, diesen aber gleichzeitig in der Rolle eines Propheten Mohammeds auftauchen läßt; ein anderes wichtiges Beispiel eines interkul­ turellen Dialogs ist der lange für authentisch gehaltene Briefwechsel zwischen Seneca und dem Apostel Paulus, der eine Versöhnung der beiden Kulturty­ pen »Christ« und »Rhetor« versucht. Das hellenistische Judentum wiederum gab dem Moses zwar den ägyptischen Namen Moysos, insistierte aber dar­ auf, daß er unter den Griechen Musäus genannt wurde und unter diesem Namen den Orpheus in der Dicht- und Sangeskunst unterrichtete. So nimmt diese Zentralfigur des Alten Testaments gleichzeitig einen prominenten Platz in der griechischen Mythologie ein. Die Kanonisierung hat dieser Interaktion zwischen den Kulturen einen Riegel vorgeschoben. Unter den apokryphen Texten finden sich solche mit »hohem« intellektuellen Anspruch genauso wie »naive« Volkspoesie, solche, die eine milde Botschaft verkündeten, ko­ existierten mit fanatischen Strafphantasien, und schließlich bemächtigte sich auch der rätselhafte Skeptizismus der Gnosis des Lebens Jesu. Seit den Fun­ den im oberägyptischen Nag Hammadi wächst auch dieser Komplex ständig und hat eine ungeheure Konjunktur im öffentlichen Interesse erfahren. Vor allem das populäre Interesse an östlichen Religionen wirkt auch auf die christliche Mythologie, und die Idee, daß sich Jesus nach seinem Tod etwa nach Indien zurückgezogen habe, wird in mehreren Bestsellern mit fragwür­ diger Quellenbasis verkündet. Autoren wie der »Schreibknecht Gottes«, Jakob Lorber, und die Nähe gewisser Lehren Rudolf Steiners, der sein Wis­ sen aus einem virtuellen Werk, der sogenannten Akasha-Chronik bezog, zu den Apokryphen sowie die Stimmung des New Age haben Texte hervorge­ bracht, die eine extreme Ausdehnung des Begriffes »Apokryphen« provoziert haben. nAus dieser Konstellation, der Verarmung der poetischen Substanz der • jüdisch-christlichen Mythologie durch den Kanonisierungsprozeß, und dem Erlebnis der intensiven Suche vieler Menschen nach alternativen religiösen Ausdrucksmitteln ist das Projekt der Anderen Bibel entstanden, io Vorwort

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