Thomas Kron · Thomas Grund (Hrsg.) Die Analytische Soziologie in der Diskussion Thomas Kron Thomas Grund (Hrsg.) Die Analytische Soziologie in der Diskussion Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. . . 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werkeinschließlichallerseiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesond ere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei- cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16914-9 Inhalt ThomosKron(Aachen)/ ThomosGrund(Oxford): EinführungindieDiskussionzurAnalytischenSoziologie 7 Sozialtheorie MichaelSchmid(München): MechanismischeErklärungenund die,,AnatomiedesSozialen". BemerkungenzumForschungsprogrammderAnalytischenSoziologie 31 RainerGreshl!ff(Oldenburg): Wieaussage-underklärungskräftigsinddiesozialtheoretischen KonzeptePeterHedströms? 67 JürgenMacker!(potsdam) AufdenSchulternvonRobertMerton? ZuPeterHedströmsAnalytischerSoziologie 91 ChristoferEdling(Bremen) / JensRydgren(Stockholm) AufderSuchenachIdentität. AnalytischeSoziologieunddieMakro-Mikro-Verbindung ........................ 115 MarkusBaHm(Aachen): DersozialeWandelderAnalytischen SoziologieimLichte kritischerReflexion.................................................................. 133 Handlungstheorie GunnElisabethBirkelund(Oslo): DieKontextualisierungvonAkteurenundihrenPräferenzen 153 AndreaMaurer(München): DieAnalytischeSoziologiePeterHedströmsund dieTradition derrationalenSozialtheorie 165 5 AndreasDiekmann(Zürich): AnalytischeSoziologieund RationalChoice 193 Methodologie PeterAbell(London): SinguläreMechanismenundBayesscheNarrative................................. 207 PerArneTrifte(Oslo): KritikderAnalytischenSoziologie. ZurKombinationvonquantitativenundqualitativenMethoden zurErklärungdurchMechanismen................................................ 225 RiccardoBoero(Turin)/FlaminioSqua~oni (Brescia): AgentenbasierteModelleinderSoziologie. ÜbereineIntegrationvonEmpirieundModelIierung . 243 GianlucaManzo (paris): Populationsbasierteversus nachbarschaftsbasiertesozialeVergleiche. EinagentenbasiertesModellfürdasAusmaßunddie Gefühle relativerDeprivation .......................................... 265 Autoren................................................................................. 295 6 ThomasKron/ ThomasGrund Einführung in die Diskussion zur Analytischen Soziologie 1. Einleitung DieAnalytischeSoziologieisteinesich"herauskristallisietende"(Barbara2006)Be wegung, die sich die Aufgabe gestellthat, ein neues Forschungsprogramm zu ent wickeln, "eineStrategie, die sozialeWelt zu verstehen" (Hedström/Bearman 2009: 4). Auch wenn zentrale Anstöße bereits in "SocialMechanisms" (Hedström/Swed berg 1998) formuliert worden sind, gilt Hedströms ,,Anatomie des So~/en" (2008 [zuerst2005]) als Manifestdieses Programms, das nun allmählichgeschärftwerden soll,indem die systematischeVerwendungvon Mechanismenin den Sozialwissen schaften diskutiert (siehe Hedström/Bearman 2009) und zentrale Elemente des Forschungsprogramms zusammengestelltwerden (siehe Hedström/Ylikoski2010). Mit dem vorliegenden Sammelband wird dieser Diskurs aufgegriffen, indem ver schiedene Konzepte und Modelle innerhalb der Analytischen Soziologie kritisch diskutiertwerden. Ganz bewusstwird dabei keine "intellektuelle Lobpreisung" vor genommen- wiedies so häufigpassiert,wenneinForschungsprogrammverbreitet werden soll-, sondern es soll nach Möglichkeiten und NotwendigkeitenAusschau gehaltenwerden, dieAnalytische Soziologie fortzuentwickeln. InderMetapherdes "soziologischen Werkzeugkastens" (Schimank 2010: 349ff.) formuliert, liegt mit derAnalytischen Soziologie eine GebrauchsanweisungzurErklärungsozialerPhä nomenevor,dieaufganzbestimmtesoziologischeWerkzeuge rekurriert.Andieser Stelle sollen nun sowohl die Gebrauchsanweisungals auch die einzelnenWerkzeu geaufihreLeistungsfähigkeithinbefragtwerden: Was kanndieAnalytische Sozio logie und - noch wichtiger- was kann sie eventuell nichP. Und damitverbunden: Was füreineArtvonSoziologiebetreibenwir,wennwirderAnalytischenSoziolo gie folgen? Was gehtmitderAnalytischen Soziologieverloren? Welche sozialtheo retischen Grundlagen werden benötigt? Welche Art von Handlungstheorie muss eingesetztwerden?WierelevantsindmethodischeVerfahrenwiedieNetzwerkana lyseoderdieSozialsimulation?Usw. Zum einenwird mitdieser kritischen Diskussionan die Entstehungsgeschichte dieses"anafyticalturn" (Elster2007: 455) angeschlossen. DieAnalytische Soziologie speist sich aus verschieden philosophischen und soziologischen Traditionen und reichtinihrer theoretischen Fundierungbis zudenAnfängen soziologischenDen kens zurück. Dementsprechend beruht die zeitgenössische Analytische Soziologie 7 T. Kron, T. Grund (Hrsg.), Die Analytische Soziologie in der Diskussion, DOI 10.1007/978-3-531-92510-3_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 EiriführungindieDiskussionzurAna!JtischenSoifologie auchaufjenenKonfrontationen, die dieSoziologievon BeginnaninAuseinander setzungmitihrenGrundlagenbegleitethat. NichtzuHilligerscheintdieAnalytische Soziologieheuteals eineArtMittelwegoderBrückezwischenverschiedenensozio logischen Postionen. Und auch die jüngsten Publikationen zum Mechanismen Konzeptinden Sozialwissenschaften, aberauch zuanderenElementenderAnaly tischenSoziologie,dokumentierennichtnurdiegroßeAufmerksamkeit,die diesem Ansatzgeschenktwird, sondernverweisenaufdieinsgesamtsehrlebendigeDebat te (siehez.B. Ballarino2005;Barbano2005;Barbara2004,2005,2006;Bunge1997; Cherkaoui 2005; Demeulenaere 2010; Gross 2009; Hedström 2005; Hedström/ Bearman2009;Hedström/Swedberg1998;Hedström/Ylikoski 20lOb; Kron 2005, 2006; Lucchini 2007; Malsch 2006; Manzo 2007a, 20007b, 2007c, 2009, 2010; McAdam/Tarrow/Tilly2001;Maurer2009;Mayntz2002,2003;Tilly2001;Schmid 2006, 2010; 0sterberg 2009; Steel 2004). Trotz der Fundierung des analytischen Ansatzes in lange geführten Debatten und Theorietraditionen ist die Analytische Soziologiefolglich adinitium. Parallelzudiesem Diskurs institutionalisiertsich dieAnalytischeSoziologie zu sehends. Forschungsnetzwerke sowohl aufnationalerals auchinternationalerEbe ne haben sich mittlerweile gebildet. Ein wichtiger Knoten in diesem Netzwerk ist das "European Network 0/Ana!JticalSociologists" - gegründet 2007 von Peter Hed ström,Thomas Kron, Thomas Grund und Anderen,in dessen Rahmen alljährlich Konferenzen zur Analytischen Soziologie organisiert werden1 und in dem For schergruppen aus den USA, Großbritannien, Schweden, Deutschland, Norwegen, Italien,SpanienundFrankreichaktivsind. 2. Erklären als Kern derAnalytischen Soziologie Dreh- und Angelpunkt dieses internationalen Netzwerkes ist die Frage nach den Möglichkeitendes Erklärensvon sozialen Phänomenen. Auch wenn der Erklärung individuellenHandelns dabei einewichtige Bedeutungzukommt, sind es doch vor allem sozialeMuster,dievon Interesse sind und diese lassen sich eben nichtdirekt aufindividuelle Eigenschaften der Akteure reduzieren. Im Gegensatz zum deduk tiv-nomologischen Versuch, ein Explanandum mit empirisch validierten Gesetzen zuerfassenund dieses als erklärtzu betrachten,wennes durch einExplanans (sta tistisch) erwartbar ist, betont der analytische Ansatz die Notwendigkeit der Eifas sung des Prozesses der Genese des Explanandums. Zur Entschlüsselung dieser Pro zesse greift die Analytische Soziologie aufMechanismen zurück, um diese Entste- Die erste Konferenz hat 2008 in Oxford stattgefunden, gefolgt von Turin 2009 und Barcelona 2010.Für2011isteinTreffeninAacheninPlanung.Das,,EuropeanNetworkofAlIa!JlicalSociologists" isterreichbarüberhttp://www.analytical-sociology.org. 8 ThomasKron / ThomasGrund hungsprozessepräzise formulieren und modellierenzu können. GrößterWertwird dabeiaufdieNotwendigkeitvonPräzisionund Klarheitgelegt. IndenWortenvon Elster (2007: 455): Der"anafyticalturn" inden Sozialwissenschaftenberuht"aufei ner nahezu besessenen Betonungvon Klarheitund Präzision". Durch das Sei/eren soi/alerProzesse2wirdversucht,die"Zahnräder"dersozialenMaschinerieoffenzule gen. Trotz aller Unklarheiten über die genaue Definition eines Mechanismus ist allen Variationen dabei die Vorstellungder "Generierung" oder "Erzeugung" von Ergebnissen gemein (vgl. Epstein 2006; Boudon 1979). Das Credo lautet: Um etwas zu erklären, muss man zeigen, wie es zustande kommt, es also generieren odererzeugen(sieheBoudon1979;Harre1970;Kron2006;Manzo2010).3 2.1 DieRollevonAkteuren Der Forderung, für eine soziologische Erklärung den generativen Prozess eines sozialenPhänomenszu sezieren, führt dazu, dass dierelevantenAkteureindiesem Prozess identiftziertwerden müssen. Sofern Hedström Akteure inihrem handeln den Zusammenwirken als energetische Einheiten erforderlich zur Konstruktion eines Mechanismus erachtet, greift seine Analytische Soziologie methodologisch auf das Modell soziologischer Erklärung von Coleman (1990) zurück - die bekannte "Badewanne".DiesesModellschreibtu.a.vor, dass mansowohldieSituationslogik als auch die Selektionslogik des Handelns von Akteuren speziftsch darzulegen habe. Hedström schlägt dazu vor, als Handlungstheorie die DBO-Theorie zu ver wenden. Opportunitäten, Bedürfnisse und Überzeugen erklären dann, woraufein Akteurin einer Situation achtetund weshalb er dann die Handlung auswähltund vollzieht.4WennAkteurevonanderenAkteurenbeeinflusstwerden,dannebenfalls überOpportunitäten,BedürfnisseundÜberzeugungen. Wenngleich die DBO-Theorie durch ihre Einfachheitbesticht, so sehrlässtsie sich sicherlich in vielerlei Hinsichten kritisieren, und auch in diesem Band gibt es Einiges dazu zu lesen. Was eine Handlungstheorie im Vergleich zum empirischen Handeln von Menschen tatsächlich abdecken und erklären muss oder anders for muliert: Wie unvollständig die Handlungstheorie sein darf, ist abhängig von ganz 2 NichtumsonstnenntHedströmseinBuchimenglischenOriginal"DisseclingtheSocial'undzeigtim TitelbildeinenAnatomiesaal. 3 InderAnalytischen Soziologieschließtdas SeziereneineszuerklärendenPhänomens mittelsder FormulierungvonMechanismen konttafaktische Gedankene:xperimentemitein,d.h., dermecha nismenbasierteAnsatzlässtsichimSinnevonWoodwatds(2002, 2003;sieheauchMorgan/Win ship2007)VerständnisvonKausalitätverstehen,nachdemdieerklärendeKrafteinerGeneralisie runginihrerFähigkeitliegt,zuerfassen,wasunteranderenUmständengeschehenwürde. 4 DieSelektionundderVollzugderHandlungsindbeiHedsttäm(wieauchbeiColeman) ein(Mo dellierungs-)Schritt. Vor allem der Pragmatismus verweist darauf, dass diese (In der Regel still schweigend getroffene) Annahme möglicherweise nicht angemessen ist (siehe etwa Grass 2009; Joas1992). 9