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Die amerikanischen und sowjetischen Vorschläge für eine allgemeine und vollständige Abrüstung und die Atomsperrverträge bis 1967; Englische und deutsche Texte PDF

247 Pages·1967·42.267 MB·German
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VEREINIGUNG DEUTSCHER WISSENSCHAFTLER E.V. Die amerikanischen und sowjetischen Vorschläge für eine allgemeine und vollständige Abrüstung und die Atomsperrverträge bis 1967 Englische und deutsche Texte Mit einem Vorwort von Prof. Dr. H. Glubrecht und einer Einführung von Prof. Dr. Ei Menzel VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN • TLUJ. will _. Beyene: Staatsbibliothek 1 Library of Congress Catalog Card Number 66-19340 © Vandenhoeck & Ruprecht, GÖttingen 1967. — Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gesuttet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu ver vielfältigen. — Druck: Guide-Druck Tübingen • Hüben 8c Co., Göttingen 8520 VORWORT Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e. V. veröffentlicht zum ersten Mal im deutschen Sdirifttum die vollständigen Originaltexte und deutschen Übersetzungen der amerikanischen und sowjetischen Vorschläge von 1962 (mit Änderungen von 1963 und 1964) über eine „allgemeine und vollständige Abrüstung" ("general and complete disarmament"). Sie ist der Meinung, daß erst die Kenntnis der genauen Quellen eine Beurteilung dieser für die Politik der großen Mädite und damit für den Aufbau der Welt wichtigen Dokumente ermöglicht. Der englische Originaltext, der bisher nur in wenigen fachwissenschaftlichen Biblio theken der Bundesrepublik eingesehen werden konnte, ist in den amtlichen Veröffent lichungen der Vereinten Nationen (Dok.-Kennzeichen: ENDC) abgedruckt. Der deut sche Text des sowjetischen Vorschlags war zunächst nur in einer von der Botschaft der UdSSR in Bonn herausgegebenen Form erhältlich („Die Sowjetunion heute", 1962, Heft 7, Beilage, S. 7 ff.); die Änderungen von 1964 fehlten hier also noch. Der ameri kanische Text war in der Bundesrepublik im vollen Wortlaut weder in Englisch noch in Deutsch publiziert. Eine überarbeitete deutsche Ausgabe, die alle Änderungen ein schließt, wurde im „Jahrbuch für Internationales Recht", Bd. 12 (1965), S. 405 ff. veröffentlicht; sie kommt mit Zustimmung des herausgebenden Instituts für Interna tionales Recht an der Universität Kiel auch hier zum Abdruck. Durch die Veröffentli chung gleichzeitig mit dem Originaltext liegt nunmehr wissenschaftlich einwandfreies Quellenmaterial vor. Die amtlichen Stellen der Bundesrepublik haben — im Gegensatz zur Tradition an derer Staaten — bisher nicht selbst diese vollständige Veröffentlichung vorgenommen. Auch das sonst dokumentierfreudige politische Schrifttum unseres Landes hat nur Aus züge oder Zusammenstellungen gebracht. Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler hat sidi deshalb entschlossen, das Versäumte nachzuholen. Wenn es zu den Eigentümlichkeiten der heutigen Weltlage gehört, daß trotz Auf rüstung gleichzeitig das Idealbild einer abgerüsteten Welt entfaltet wird, so muß die deutsche Öffentlichkeit audi über dieses Paradoxon unserer Zeit unterrichtet werden. Die Veröffentlichung zeigt u. a., welche Übereinstimmungen und welche Divergenzen über den Weg zu jenem zunächst utopisch erscheinenden Ziel zwischen den Ver einigten Staaten und der Sowjetunion bisher erkennbar geworden sind. Nicht Kennt nis, sondern Unkenntnis von Vorgängen, denen die Großmädite Gewicht beilegen, könnte die Erörterungen über den außenpolitischen Weg der Bundesrepublik in falsche Bahnen lenken. Herr Professor Dr. Eberhard Menzel, Kiel, hat es dankenswerterweise übernommen, die Herausgabe dieser Dokumentation zu besorgen und ihr einige erläuternde Bemer kungen beizufügen. Für den Vorstand der VDW Prof. Dr. H. Glubrecht 5 INHALT Vorwort 5 Prof. Dr. H. Glubrecht, Hannover Einführung: Abrüstung in Vergangenheit und Gegenwart 9 Prof. Dr. E. Menzel, Kiel I. Krieg und Abrüstung vor dem I. Weltkrieg S. 10 — II. Kriegsverbot und Ab rüstungsbemühen zwischen beiden Weltkriegen S. 14 — III. Gewaltverbot und Rüstungsbeschränkung in der Satzung der Vereinten Nationen S. 18 — IV. Das Scheitern der universalen Abrüstung in den Jahren 1945—1959 S. 21 — V. Das gelungene Experiment der europäisch-regionalen Rüstungsbeschränkung: Die Rü stungsbegrenzung im Rahmen der WEU S. 24. VI. Das atomare Patt und die sowjetisch-amerikanischen Vorschläge von 1962 S. 29 — VII. Zum Inhalt der Vorschläge: Übereinstimmungen und Gegensätze S. 32 — VIII. Maßnahmen der „Arms Control" und der Abrüstung S. 38 — IX. Wirtschaftliche und soziale Auswirkung der weltweiten Abrüstung S. 52 — X. Die abgerüstete Welt S. 60. Dokumentation I. Entwürfe für einen Vertrag über die allgemeine und vollständige Abrüstung 1. Vertragsentwurf der UdSSR vom 15.3. 1962 (mit Änderungen vom 24. 9. 1962 und 4. 2. 1964) 73 I. Allgemeine Bestimmungen (Art. 1—3) 75 IL Erste Etappe (Art. 4—20) 79 III. Zweite Etappe (Art 21—29) 93 IV. Dritte Etappe (Art. 30—39) 101 V. Die Struktur und Funktionen der Internationalen Abrüstungs organisation (Art. 40—45) 109 VI. Schlußbestimmungen (Art. 46—48) 113 2. Entwurf der USA über grundlegende Bestimmungen eines Abrüstungs vertrages vom 18. 4. 1962 (mit Änderungen vom 6. u. 8. 8. 1962 sowie 14. 8. 1963) 113 Ziele und Grundsätze 115 Stufe I 117 Stufe II 141 Stufe III 153 3. Gemeinsamer Entwurf der USA und UdSSR für die Präambel vom 17. 4. 1962 163 4. Gemeinsamer Entwurf der USA und UdSSR für Teil I des Vertrages vom 31. 5. 1962 165 7 5. Gemeinsamer Entwurf der USA und UdSSR für Art. IV des Vertrages vom 7. 8. 1962 . 171 6. Entwurf der USA für Art V—XII des Vertrages vom 10. 12. 1962 und 14. 8. 1963 173 //. Verträge und Entwürfe zur Regelung einzelner Gebiets- und Sachfragen 7. Vertrag über die Antarktis vom 1. 12. 1959 181 8. Memorandum über die Verständigung zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Errichtung einer unmittelbaren Nachrichtenverbindung vom 20. 6. 1963 („heißer Draht") 189 9. Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser von 5. 8. 1963 193 10. Entwürfe für einen Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen a) Der amerikanische Entwurf vom 17. 8. 1965 199 b) Der italienisdie Entwurf vom 14. 9. 1965 . 203 c) Das Memorandum der blockfreien Staaten vom 15. 9. 1965 . . 205 d) Der sowjetische Entwurf vom 24. 9. 1965 207 11. Vertrag über die Grundsätze für die Tätigkeit der Staaten bei der Erfor schung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und ande rer Himmelskörper vom 27. 1. 1967 215 12. Vertrag über das Verbot von Kernwaffen in Lateinamerika vom 14. 2. 1967 223 Bayerische 11 Staatsbibliothek München EINFÜHRUNG Abrüstung in Vergangenheit und Gegenwart Das Wort „Abrüstung" hat in deutschen Ohren keinen guten Klang. Deutschland scheint nämlich mit dieser Vokabel immer dann konfrontiert zu werden, wenn ihm nach verlorenen Kriegen eine Begrenzung seiner militärischen Rüstung auferlegt wird, während die Siegermächte sich ihren hohen Stand der Bewaffnung erhalten. So war es nach dem I. Weltkrieg, und so war es nach dem IL Weltkrieg. Kein Wunder also, daß die deutsche Öffentlichkeit mit dem Begriff „Abrüstung" weitgehend die Vorstellung verbindet, er diene nur der Aufrechterhaltung eines solchen Rüstungsgefälles. In deutscher Sicht mußte daher der Eindruck entstehen, die anderen Staaten verlangten vom deutschen Partner Opfer, die sie selbst zu bringen nicht bereit sind. In diesem Sinn wird auf die Tatsache hingewiesen, daß der deutschen Abrüstungs- Vorleistung durdi den Versailler Vertrag kein entsprechendes Flandeln auf der alliier ten Seite folgte. Auch die Verhandlungen auf der erfolglos gebliebenen Genfer Abrü stungskonferenz 1930/33 werden unter diesem Blickpunkt betrachtet. Alle diese Vor gänge haben jene skeptische Grundhaltung im deutschen Volk ausgelöst, die heute nodi wirksam ist. Deshalb sei hier mit aller Entschiedenheit betont: Die amerikanisch-sowjetischen Abrüstungsvorschläge unserer Tage bedeuten etwas radikal Neues. Es geht nicht mehr um Deutschland, das in den Entwürfen überhaupt nicht erwähnt wird. Es handelt sich auch nicht um eine Begrenzung, sondern um den völligen Abbau jeglicher militärischer Rüstung und damit um die Verwirklichung einer abgerüsteten Welt. Daß dem so ist, ergibt sich unmittelbar aus den klaren Bestimmungen der in dieser Hinsicht völlig über einstimmenden Entwürfe. Denn die letzte Stufe der Abrüstungsmaßnahmen soll die „allgemeine und vollständige Abrüstung" bringen: Es gibt dann keine Militärhaushalte mehr, keine Rüstungsfabriken, keine Generalstäbe, keine Truppen, keine Kasernen, keine militärische Forschung, keine Wehrgesetze, überhaupt keine militärischen Ein richtungen sachlicher oder personeller Art. Die Staaten der Zukunft würden also nicht mehr über militärische Machtmittel ver fügen. Ihnen verblieben nur noch Polizeiverbände für den inneren Schutz. Damit wäre die Anwendung der militärischen Gewalt aus den internationalen Beziehungen ver bannt und das Kriegsverbot realisiert. Immerhin sdieint man der militärischen Ver bände nicht ganz entraten zu können: Im Rahmen der Vereinten Nationen soll näm lich eine "United Nations Peace Force" entstehen. Sie würde als eine Art Polizei- rruppe auf Weisung der internationalen Instanzen gegen einen evtl. Friedensbrecher einzuschreiten haben. Ein solches Ziel erscheint in der Zeit nuklearer Raketenwaffen und einer sich stän dig steigernden Kriegstechnik seltsam unwirklidi, nahezu utopisch. Und fast gespen stisch wirkt die Vorstellung, daß die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion, also die erbittertsten Gegner in der Epoche des „Kalten Krieges", sich auf eine solche Idealwelt sollen geeinigt haben. 9 Die Kühnheit dieser Zielsetzung mag sogar die Frage aufkommen lassen, ob es sich nicht nur um einen schönen Traum handelt, der denen vorgegaukelt wird, die ein Le ben unter der Drohung des Kernwaffenkrieges nicht mehr lebenswert finden. Oder sollte es sich sogar um einen großangelegten Betrug handeln, wobei nur nicht klar ist, wer wen betrügt: die Vereinigten Staaten die Sowjetunion oder umgekehrt oder gar beide Supermächte die übrige Welt? Es fehlt zunächst jeder Beurteilungsmaßstab, um den Wirklichkeitswert dieser Vision von einer völlig abgerüsteten Welt richtig einzuschät zen. Bei genauerer Prüfung zeigt sich freilich, daß diese Vorstellungen gar nicht so sehr aus dem Rahmen der allgemeinen Entwicklung fallen wie das zunächst scheinen mag. Da Abrüstung und Krieg in einem engen und mehrschichtigen Verhältnis zueinander stehen, hängt alles von der Rolle ab, die der Krieg in einer bestimmten Epoche als Mittel der politischen Gestaltung auf dem internationalen Feld spielt. Gerade hierin haben sich in den letzten hundert Jahren entscheidende Wandlungen vollzogen. Die Kenntnis von diesen Veränderungen erleichtert auch das Verständnis für die in den amerikanisch-sowjetischen Vertragsentwürfen von 1962/63 zum Ausdruck kommende Forderung nach „allgemeiner und vollständiger Abrüstung". Deshalb sei im folgenden versucht, diese Wandlungen kurz zu umreißen. Daß dies hier nur skizzenhaft und vereinfachend geschehen kann, versteht sich von selbst. Als These sei die Behauptung vorangestellt, daß sich in der Einschätzung des Krie ges und damit auch der Abrüstung drei entscheidende Epochen ergeben, jeweils zeitlich getrennt durch die beiden Weltkriege: die Zeit bis zum I. Weltkrieg, die Zeit zwischen den beiden Kriegen und die Entwicklung nach dem IL Weltkrieg. /. Krieg und Abrüstung vor dem I. Weltkrieg Das 19. und das beginnende 20. Jahrhundert betrachteten den Krieg als eine Er scheinung, die es immer gegeben habe, die deshalb „natürlich" und aus den Beziehun gen zwischen den Völkern nicht wegzudenken sei. Jenseits dieses historischen Fatalis mus wurde der Krieg als der „große Beweger", sogar als der entscheidende Träger des Fortschritts angesehen. Die Bildung der modernen Nationalstaaten vollzog sich viel fach auf dem Schlachtfeld oder der Vorgang wurde wenigstens so dargestellt. Militäri sche Aktionen — von den französischen Revolutionsheeren und den Feldzügen Napo leons bis zu den Kriegen Preußens zwischen 1864 und 1871 und bis zum I. Weltkrieg — waren in der Tat ein nationaler Integrationsfaktor von großer Wirksamkeit. Der Krieg wurde von den Philosophen gerechtfertigt — lediglich Kant machte dabei eine Ausnahme —, von den Dichtern besungen, von den Militärs moralisch verteidigt und von den Politikern als ultima ratio eingesetzt. Diese Kriegs-„Ideologie" kommt in aller Klarheit in den Worten Hellmuth von Moltkes zum Ausdruck, die er in einem Brief an den Völkerrechts-Professor Bluntschli am 11. 12. 1880 äußerte1: „Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner, und der Krieg ein Glied in Gottes 1 Angeführt in Holtzendorff, Handbuch des Völkerrechts, Bd. 4, 1889, S. 209; in neuerer Zeit auch bei Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, Bd. 1, 1954, S. 271. Dort audi Zitate von Fichte (S. 263) und Hegel (S. 264) in ähnlichem Sinn. 10 \ Weltordnung. In ihm entfalten sich die edelsten Tugenden des Menschen, Mut und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit mit Einsetzung des Lebens. Ohne den Krieg würde die Welt im Materialismus versumpfen." Und ein Jurist — Prof. Dr. Lueder — erklärt im führenden „Handbuch des Völkerrechts" (1889) kategorisch 2: „In dem Aufhören der Kriege kann in der Tat nicht das richtige Kulturideal erkannt werden. Denn dies kann nichts sein, was der göttlichen Weltordnung widerspricht. Ist der Krieg göttlich, weil ein Weltgesetz, so steht er auch mit dem richtigen Kulturideal in Einklang und ist heilsam und gut." Das also war die vorherrschende Meinung der damaligen Welt. Infolgedessen war die zwischenstaatliche Rechtsordnung beherrscht von dem Grundsatz des freien Krieg führungsrechts und — als logische Folge — vom Grundsatz der Annexionsfreiheit. Jeder Staat hatte das Recht, seine politisdien Ziele mit Waffengewalt durchzusetzen. Der Sieger bestimmte das Schicksal des Besiegten, auch in territorialer Hinsicht. Gerade weil den militärischen Aktionen eine so große Bedeutung als Mittel der poli tischen Gestaltung zukam, mußte der Krieg kalkulierbar gemacht werden. Auf dem Gebiet der Strategie hatte Clausewitz die Gesetzlichkeit des Krieges seiner Zeit festzu legen versucht. Auch das Völkerrecht der damaligen Epoche war um eine solche klare Regelung der Kriegssituationen, nicht aber um die Abschaffung des Krieges bemüht. So entstanden die großen Kodifikationen: Die Pariser Seerechtserklärung von 1856 machte dem Kapereiwesen ein Ende und regelte das Bannwarenrecht. Die Haager Ab kommen von 1899 und 1907 legten die Pflichten der Neutralen fest, begrenzten die Rechte der Kriegführenden im besetzten Gebiet, entschieden über erlaubte und verbo tene Kampfmittel und verwiesen im übrigen auf die „Gesetze der Menschlichkeit" und die „Forderungen des Weltgewissens" (so im Rahmenabkommen zur Haager Land kriegsordnung). Ausgehend von der Initiative Henri Dunants kamen auch humanitäre Gesichtspunkte zur Geltung: Das Genfer Abkommen von 1864 eröffnete die Reihe der Regelungen des Verwundeten- und Kriegsgefangenenrechts. Zwar blieben einige Fra gen unbeantwortet, so im Seekriegsrecht oder bei der Auswirkung des Krieges auf das im Staatsgebiet des Feindes befindliche Privateigentum. Aber im wesentlichen war die Kriegführung rechtlidi kanalisiert. Damit wurden die militärisdien Aktionen kalku lierbar. Die Generalstäbe hielten Pläne für alle Möglidikeiten bereit, die politische Führung setzte dieses Mittel dann ein. Dem widerspridit auch nicht, daß man ganze Länder vom Kriegsgesdiehen ausnahm. Die Neutralisierung etwa der Schweiz, Belgiens oder Luxemburgs entsprang nicht der Vorstellung, Inseln des Friedens zu schaffen, sondern war die Schöpfung rivalisierender Großmächte, die sidi auf diese Weise dagegen sicherten, daß der Gegner sich dieser Län der bemächtigte und damit das mühsam hergestellte Gleichgewidit zerstörte. Das hat mit Abrüstung und Ausschaltung der militärischen Gewalt aus dem Staatsleben ebenso wenig etwas zu tun wie die Entmilitarisierung ganzer Staatsteile oder Grenzgebiete. Auch das Verbot militärischer Anlagen bei den internationalen Wasserstraßen und Kanälen — ausnahmsweise sogar bei Eisenbahnlinien — diente der Aufrechterhaltung des Verkehrs der gerade nicht kriegführenden Nationen, stellte aber keinen Versuch dar, den Krieg als solchen irgendwie zu beschränken. - Lueder in Holtzendorffs Handbuch des Völkerrechts, Bd. 4, 1889, S. 203. 11 Gewiß gab es auch vertragliche Verpflichtungen zur Rüstungsbegrenzung. Es gehörte sogar zur diplomatischen Technik der damaligen Zeit, etwa in Friedensverträgen zu vereinbaren, daß das militärische Ungleichgewicht möglichst lange aufrechterhalten wird. Freilich waren der Wirkung solcher einseitigen Einschränkungen Grenzen gesetzt, weil die Staatsordnung andererseits vom Grundsatz der Staatengleichheit und der Sou veränität ausging und derartige Ausnahmesituationen sich nur für eine gewisse Zeit aufrechterhalten ließen. Für die damalige Welt der militanten Nationalstaatlichkeit war der Krieg also ein durchaus legitimes und auch legales Mittel. Die Kriegführung selbst erforderte keine großen Opfer, die Zerstörungen blieben im wesentlichen auf die Schlachtfelder be schränkt und konnten schnell repariert werden, auch sonstige Belastungen traten nicht in einem das Leben des Volkes bedrohenden Maße ein. Der Krieg war nicht nur kal- kulabel, sondern auch operabel. Allerdings erforderte die militärische Rüstung durch die Entwicklung der modernen Kriegstechnik immer höhere finanzielle Aufwendungen. Und in diesem Punkt setzten in der damaligen Zeit die Vorschläge zur Abrüstung ein. Sie galten aber nicht dem Idealbild einer völlig abgerüsteten Welt, sondern entsprangen der Überlegung, daß die bestehende Machtverteilung auch auf rechterhalten werden könne, wenn sich alle Mächte bereit erklärten, sich auf eine oberste Grenze der Rüstungsausgaben zu einigen. In diesem Sinne hatte sich bereits Alexander I. im Jahre 1816 für eine Verminderung der Rüstungen ausgesprochen, dabei jedoch nur eine kühle Ablehnung durch Großbri tannien erfahren3. König Louis Philipp v. Frankreich machte 1831 einen ähnlichen Versuch, um „die Völker von der Last der außerordentlichen Rüstungen zu befreien", und in diesem Zusammenhang fiel audi der Ausdruck „allgemeine Abrüstung"4. Napo leon III. fragte bei der Eröffnung des Parlaments am 5. 11. 18635, ob die „übertriebe nen Rüstungen" aufrechterhalten werden sollten. Beinahe moderne Fragestellungen enthielt das Schreiben des russischen Außenmini sters Graf Murawjew vom 11. 1. 1899" mit der Aufforderung zur Abhaltung einer Friedenskonferenz. Hier ging es um den Vorschlag eines Rüstungsstops, das Verbot der Einführung neuer Kampfmittel (z. B. der „Taucher-Torpedoboote" und des Baus von „Kriegsschiffen mit Sporen"), die Verminderung der Effektivstärken und der Militär budgets. In der Tat war die Rüstungsbegrenzung auf der I. Haager Friedenskonferenz zum Verhandlungsgegenstand geworden. Der Präsident v. Staal sdiränkte allerdings sdion ein7: „Es handelt sich nicht um eine Abrüstung. Was wir wünschen, ist, daß wir zu einer Beschränkung kommen, zu einem Stillstand in dem aufsteigenden Gang der Rüstungen und Ausgaben." Der holländische Vertreter bemerkte8: „Also Heer und 3 Angeführt bei de Martens, La question du desarmement, Revue de Droit International et de Legislation Comparee, Bd. XXVI, 1894, S. 575. Weitere Hinweise bei Wehberg, Die inter nationale Beschränkung der Rüstungen, 1919, S. 169, und bei Morgenthau, Politics among Na tions, 1. Aufl. 1948, dtsch. Übersetzung: Macht und Frieden, 1963, S. 334. 4 Quelle: Desjardins, Le Desarmement, Etude de droit international, Revue des Deux Mon des, Bd. 149, 1898, S. 668, 670. Hinweis bei Morgenthau, aaO (Anm. 3) S. 334. 5 Quelle: Staatsarchiv (frz. Text), Bd. 5, 1863, Nr. 916, S. 436. 6 Angeführt bei Fried, Handbuch der Friedensbewegung, 2. Aufl. 1911, 1. Teil, S. 201. 7 Meurer, Die Haager Friedenskonferenz, 1907, Bd. 2, S. 588, 589. fl Meurer, aaO (Anm. 7) S. 589. 12

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