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Die amerikanische sicherheitspolitische Debatte und die Sowjetunion: Die fehlende Dimension PDF

164 Pages·1986·26.001 MB·German
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Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien Die amerikanische sicherheitspolitische Debatte und die Sowjetunion: Die fehlende Dimension Astrid von Borcke Die Meinungen, die in den vom BUNDESINSTITUT FÜR OSTWISSENSCHAFTLICHE UND INTERNATIONALE STUDIEN herausgegebenen Veröffentlichungen geäußert werden, geben ausschließlich die Auffassung der Autoren wieder. © 1986 by Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln. Abdruck und sonstige publizistische Nutzung - auch auszugsweise - nur mit vorheriger Zustimmung des Bundesinstituts sowie mit Angabe des Verfassers und der Quelle gestattet. Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien Lindenbornstraße 22, D-5000 Köln 30, Telefon 0221/5747-0 "i INHALT Seite Kurzfassung 1 "U.S. Global Defense Priorities": Ein Pro gramm der U.S. Information Agency 9 SDI und die Sowjetunion: Die fehlende Dimen sion 12 Die Argumente für SDI 14 Die Gegenargumente 21 Ein provisorisches Fazit 36 SDI und die Sowjetunion 43 Ist der "Wettbewerb der Systeme" vor allem militärischer Natur? 60 Die plausibelsten Kriegs-Szenarien 67 Die Supermachtsbeziehungen: Vor einer Wende? . . .. 69 Interne Systemprobleme der Supermächte bei der Formulierung einer politischen Strategie . . .. 70 Was tun? Ein Vorschlag zur politischen Bil dung 89 Anmerkungen 101 Bibliograhie 119 Ankürzungsverzeichnis 129 Anhang I: Das U.S.I.A. Programm 130 Anhang II 144 Summary 151 April 1986 Astrid von Borcke Die amerikanische sicherheitspolitische Debatte und die Sowjetunion: Die fehlende Dimension Bericht des BlOst Nr. 14/1986 Kurzfassung Anlaß dieser Reflexionen über SDI, die "Strategie Defense Initiative", und die fehlende "sowjetische Dimension" ist die Teilnahme der Verfasserin am ausgezeichneten Programm der U.S. Information Agency, "U.S. Global Defense Priori ties" vom 21. September bis 19. Oktober 1985. Ca. 40 Ge spräche mit prominenten Vertretern der Reagan-Administra tion, berühmter "think tanks", Universitäten und der engagierten Öffentlichkeit erlaubten es, einen in manchen Hinsichten wohl einmalig zu nennenden Überblick über den Prozeß der Formulierung der amerikanischen Sicherheitspo litik und ihre Probleme zu gewinnen. Der Aufsatz behan delt den Stand der Washingtoner Debatte vom letzten Sep tember. Ergebnisse 1. Der frappierendste Zug der laufenden amerikanischen sicherheitspolitischen Debatte - der bedeutendsten ihrer Art seit Ende der sechziger Jahre - ist ihre pri mär technische und insofern letztlich "apolitische" Aus richtung. Vor allem die Perzeptionen und Interessen der Sowjetunion werden in der Praxis weitgehend ausgeblendet. Ja, nicht einmal in dem vor allem interessierenden Be reich der Rüstungstechnologie werden laufend wirklich systematische Vergleiche mit den sowjetischen Verhältnis sen unternommen. Zweck dieses Aufsatzes ist es daher, nicht nur die Hauptargumente der Debatte zusammenzufas sen, sondern zugleich zu versuchen, die sowjetische Di mension zu "reintegrieren". 2 2. Die Hauptargumente für SDI sind die folgenden: In An betracht der sowjetischen nuklearen Parität ist die andauernde Effektivität der überkommenen amerikanischen Abschreckungsstrategie fragwürdig geworden, vor allem deren Effektivität als Mittel, die Sowjetunion von einem konventionellen Angriff auf Westeuropa abzuhalten; in der Tat, Abschreckung ist nicht einmal eine "Strategie" im eigentlichen Sinne; als Option ist sie für liberal-demo kratische Gesellschaften langfristig gar nicht tragbar; man kann nicht das überleben der eigenen Gesellschaft von der anhaltenden Rationalität der anderen Seite abhängig machen; technologische oder menschliche Fehlleistungen können nicht für alle Zeiten ausgeschlossen werden; die Sowjetunion arbeitet ohnehin schon an ihrem eigenen "SDI"-Programm. Ja SDI könnte den USA ihre neue "new frontier" weisen und weitreichende Auswirkungen auf die gesamte moderne Technologie - auch der zivilen Wirtschaft - haben. 3. Die Hauptargumente gegen SDI sind dagegen: Bis jetzt (und höchstwahrscheinlich bis mindestens zum Anfang des nächsten Jahrtausends) hat die Sowjetunion gar keine "SDI" im eigentlichen Sinne eines weltraumgestützten Systems der strategischen Verteidigung; die berüchtigte Radaranlage von Krasnojarsk ist allenfalls eine beginnen de Verletzung des ABM-Vertrages und kann womöglich durch einen Kuhhandel beseitigt werden; Reagans Vision einer globalen Städte-Verteidigung ist utopisch; die Verteidi gung gehärteter militärischer Installationen ist mit Technologien möglich, die bereits bekannt und billiger sind; ja warum soll man überhaupt so viel in die Vertei digung der landgestützten Minuteman-II und III-Raketen investieren - die bloße 25 % der amerikanischen strategi schen "Triade" ausmachen und im übrigen überholt sein werden zu der Zeit, wo SDI zu tatsächlichen Ergebnissen führt? SDI ist für den Gegner leicht zu unterlaufen und fördert eine "Maginof'-Mentalität. Die Kosten des Pro gramms sind gewaltig. Speziell der Übergang zur neuen Strategie ist gefährlich, da diese die Sowjetunion veran lassen könnte, in einer Krise an einen Präemptivschlag zu denken; zumindest droht SDI destabilisierende Folgen zu haben, da die naheliegendste sowjetische Reaktion hierauf darin bestehen dürfte, einfach das Offensivpotential zu verstärken und derart den Rüstungswettlauf weiter anzu heizen. SDI ist nicht in eine wirkliche, durchdachte Strategie eingearbeitet worden, die sowohl die wahr scheinlichen sowjetischen Reaktionen als auch die Inter essen der anderen Mitglieder des westlichen Bündnisses bereits voll mit einkalkuliert hat. Angeblich positive Nebeneffekte zugunsten der zivilen Wirtschaft werden 3 bestritten: die Hauptfolgen könnten sogar negativ sein (weiterer Anstieg des Haushaltsdefizits, die Möglichkeit eines "brain drain"). 4. Was ist aus einer Gegenüberstellung der Argumente bei der Schulen zu schließen? Was die amerikanische Tech nologie zu leisten vermag, das wird letztlich in der Praxis entschieden werden. Doch gewisse Folgen sind be reits klar. Die Verteidigung gehärteter militärischer und Kommando- Installationen ist machbar. In dem Maße, wie SDI die Kal küle möglicher <sowjetischer> "Kriegs-Planer" erschwert, ist ein solcher Schritt "stabilisierend", da er jegliche Anreize für einen sowjetischen Erstschlag weiter redu ziert und damit die Abschreckung stärkt. Um jedoch effektiv zu sein, muß SDI sowohl "überlebensfä hig" als auch grenzkosten-effektiv sein (P. Nitze). Dies aber setzt Rüstungskontroll-Vereinbarungen voraus und da her auch eine gewisse sowjetische politische Kooperation. Letztlich aber ist die Ost-West-Problematik eine politi sche und kann nicht mittels irgendeiner technischen "Pa tentlösung" aus der Welt geschafft werden. Wie aber sieht die sowjetische Seite dieser Beziehung aus? 5. Die Sowjetunion hat zunächst SDI als totale Heraus forderung verstanden (oder vorgegeben, diese so zu verstehen), nämlich als amerikanischen Versuch, die stra tegische Überlegenheit zurückzugewinnen und derart der Welt "diktieren" zu können; ja manche sowjetischen Kreise behaupten, SDI liefe auf Erstschlagsvorbereitungen der USA heraus. Derartige sowjetische "worst case scenarios" mögen für westliche Ohren zwar nicht sonderlich überzeugend klin gen; unbestreitbar ist jedoch, daß SDI die Sowjetunion zwingen würde, sich auf einen Wettlauf in militärischer "high tech" einzulassen, ein Bereich, in dem sie unterle gen ist. Auch würde eine derartige Reorientierung der Strategie erhebliche strukturelle Änderungen in ihrem Militärwesen erfordern, Änderungen, gegen die sich die konservative sowjetische Militärführung aller Wahrschein lichkeit nach mit Vehemenz sträuben würde. Die Sowjetunion hat ihren Supermacht-Status vor allem dank der Gewinnung der strategischen Parität sowie ihrer militärischen Macht im allgemeinen errungen. Sollte sie 4 diese Position nun wieder verlieren, würde das nicht nur einen internationalen "Gesichtsverlust" bedeuten; im In nern könnte es auch zu einer gewissen Legitimitätseinbuße des Parteiregimes führen. All diese Erwägungen würden darauf hinauslaufen, daß die Sowjetunion ihre bisherige Rüstung beschleunigen wird, sollten die Vereinigten Staaten mit SDI wirklich ernst machen. 6. Andererseits gibt es auch sowjetische Interessen zu gunsten einer gewissen strategischen Defensivstrate gie sowie einem Arrangement mit den USA. Trotz all ihrer verschiedenen Programme zur "strategischen Defensive" - "Zivil"schutz, Moskauer ABM-System, Luftverteidigung, Forschungsarbeit an exotischen Technologien - glaubt die sowjetische Führung nicht wirklich an die "Gewinnbarkeit" eines Nuklearkriegs und hat daher ein Interesse, die strategische (= nukleare) Beziehung unter Kontrolle zu behalten. Ein psychologisch extrem verunsichertes Amerika aber wäre kein guter Partner hierbei. Auch kann die sowjetische Führung nicht allzu glücklich mit der Ab schreckung als faktischem Zustand der heutigen Welt sein: Sie ist stets auf maximale politische Kontrolle bedacht gewesen, und es wird ihr schwerlich behagen, zunehmend von Computern und einer von militärischer Seite immer wieder geforderten operativen Autonomie beim Einsatz der Nuklearwaffen und damit weitgehend von im voraus festge legten Reaktionen abhängig zu werden. Die sowjetische Führung ist besorgt über die nukleare Proliferation und kann schließlich ebenfalls die Möglichkeit einer terrori stischen Attacke nicht für alle Zeit ausschließen. Die Kosten eines beschleunigten Rüstungswettlaufs sind wirt schaftlich wie sozial fast schon prohibitiv, mit schwer wiegenden Konsequenzen nicht nur für die so dringende Modernisierung der Wirtschaft, sondern womöglich gar für die politische Stabilität, vor allem in Osteuropa. 7. Doch eine plötzliche, radikale Änderung der Strategie ist mit dem sowjetischen Stil und den etablierten Strukturen dieses Regimes schwerlich vereinbar. Auch würde eine reine Defensivstrategie, die für die amerika nische Gesellschaft und ihre zivilen Werte so anziehend wirkt, vom professionellen sowjetischen Militär, dem Haupthüter des sowjetischen strategischen Denkens, schwerlich als der Stein der Weisen betrachtet werden. 8. Das westliche Bündnis wiederum muß darüber nachdenken, ob das unmittelbare Hauptproblem wirklich im nuklearen Gleichgewicht zu suchen ist. Es gibt andere Bereiche, die 5 sogar noch dringlicher wirken, mögen sie auch aus innen politischen Gründen weniger augenscheinlich "Patentlösun gen" zugänglich sein. In Europa besteht die militärische Hauptschwäche vor allem im Bereich der konventionellen Macht, mögen auch Visionen eines leicht zu gewinnenden sowjetischen Blitz kriegs eine Übertreibung sein. Doch die sowjetischen Hauptinteressen gegenüber Westeuropa sind vor allem poli tischer Natur. Hinzu kommt, daß Sicherheit gerade für Westeuropa auch eine soziale Dimension hat: In einer Rezession ist es jedenfalls sehr schwer, ohne eine als ganz unmittelbar empfundene Bedrohung die militärischen Ausgaben erheblich zu steigern. Im übrigen waren in den siebziger Jahren dieH auptkrisen herde in der Dritten Welt, wobei die Frage des nuklearen Gleichgewichts kaum eine Rolle spielte. 9. Unter den plausibelsten Szenarien eines großen Krieges ist der strategische "Schlag aus heiterem Himmel" (die Hauptsorge amerikanischer strategischer Theoretiker) zu gleich das unwahrscheinlichste; wahrscheinlicher ist, daß gravierende politische Destabilisierung in mehreren ost europäischen Ländern zugleich zu einer solchen Entwick lung führen könnte; noch wahrscheinlicher als Szenario ist die Möglichkeit eines Konfliktes in der Dritten Welt, der vitale Interessen der Supermächte tangiert und diese wider Willen in seinen Sog zieht: Ein neuer arabisch israelischer Krieg oder eine weitere Destabilisierung der Region des Persischen Golfes scheinen insofern heute die gefährlichsten Möglichkeiten zu sein. Auch sind mensch liche Fehleinschätzungen, falsche Perzeptionen oder pures technisches Versagen - und die sowjetische Technologie ist nicht so gut wie die amerikanische! - nicht für alle Zeiten auszuschließen. 10. All diese wahrscheinlicheren Szenarien sprechen zu gunsten eines Mindestmaßes andauernder Kommunikation zwischen den Supermächten. In der Tat, Reagan ist seit dem Beginn der Nixon-Administration wohl der amerikani sche Präsident, der noch am ehesten die amerikanisch-so wjetischen Beziehungen wieder verbessern könnte, eben weil er ein Konservativer ist und noch dazu innenpoli tisch sehr stark. Umgekehrt hat auch Gorbatschow keine geringen Anreize - nämlich zusätzlich zu denen, die oben berührt wurden, die Möglichkeit der Stärkung seiner per sönlichen Position auch in der Sowjetunion dank seiner 6 Rolle als anerkannter Staatsmann von Weltrang! In der Tat könnte der Genfer Gipfel insofern ein bedeutsamer Schritt gewesen sein. 11. Ein Grundproblem beider Supermächte scheint aller dings eine womöglich zunehmende Unzulänglichkeit ihrer jeweiligen Systeme zur Informationsverarbeitung und -auswertung im Interesse rechtzeitiger und rationaler Entscheidungsfindung zu sein: Die so verschiedenartigen politischen Systeme beider Staaten wurden zunächst einmal und vor allem im Hinblick auf die Anforderungen des in ternen "system management" entwickelt. In beiden mangelt es im Grunde an Spezialinstanzen, die die Supermachtsbe ziehungen als solche systematisch verfolgen und die Prämissen der eigenen Ost- bzw. West-Politik auch perio disch überprüfen, Beziehungen, die aber inzwischen zur zentralen Gegebenheit ihrer jeweiligen Sicherheitspolitik geworden sind. 12. Der "Ost-West-Konflikt" ist ein historisches Phäno men, das nicht mit einem Gipfel enden wird. Es ist also nötig, ihn auch langfristig anzugehen. Um den nöti gen Konsens für eine derartige langfristige, konsistente Politik gegenüber der Sowjetunion zu erhalten, zu schaf fen oder neuzuschaffen, ist es höchste Zeit (vor allem in den USA), von parteilichen oder "single-issue", also auf Einzelfragen fixierten Polemiken abzurücken und die Ost- West-Problematik in toto und im Zusammenhang neu zu durchdenken. Die wissenschaftliche Politikberatung, die Universitäten und vor allem die führenden Medien hätten hierbei eine Hauptverantwortung - zusätzlich zu den Re gierungen -, nämlich die öffentlichkeitswirksame Vermitt lung der nötigen Information. Zu diskutierende Grundfragen (bzw. wieder in Erinnerung zu rufende Grundeinsichten) wären u.a.: Worin besteht dieser Ost-West-Konflikt? Warum ist er entstanden? Wo sind die anhaltenden Antagonismen? Wo gibt es neue, ge wichtige gemeinsame Interessen? Das strategische Gleichgewicht sollte umfassend und kom parativ abgehandelt werden, unter Einbeziehung auch der sowjetischen Seite; ebenso sollte man die "Korrelation der Kräfte" im weiteren Sinne auch der relevanten politi schen, psychologischen und gesellschaftlichen Dimensionen diskutieren. Zweck eines solchen Unterfangens wäre es idealerweise, ausreichende Unterstützung für eine politische Strategie zu gewinnen, deren (wünschenswerte) Natur keinesfalls ein

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