Die Aktualisierung der Alchemie im Werk von Joseph Beuys – Der Beuys-Block als Manifestation eines okkultistisch geprägten Weltbildes Von der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie - Dr. phil - genehmigte Dissertation von Stephan Malaka geboren am 7. September 1965 in Höxter Erstreferent: Prof. Dr. phil. habil. Johannes Zahlten Korreferent: Prof. Dr. phil. Michael Glasmeier Tag der mündlichen Prüfung: 3. Juli 2008 Inhalt 0 Einführung 6 0.1 Thema der Untersuchung 7 0.2 Methode und Aufbau der Untersuchung 12 0.3 Anmerkungen zur Forschungslage 19 - Joseph Beuys und die Alchemie (19) - Joseph Beuys und Rudolf Steiner (23) - Beuys-Block und sonstige Literatur zu Beuys (26) - Alchemie (27) 1 Geschichte, Beschreibung und Gesamtkonzeption des Beuys-Blocks 28 Einführung 29 1.1 Zur Geschichte des Beuys-Blocks als Teil der Sammlungen des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt 32 - Die Sammlung des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt (32) - Die Einrichtung des Beuys-Blocks im Hessischen Landesmuseum (33) 1.2 Beschreibung und Gesamtkonzeption des Beuys-Blocks 35 1.2.1 Rundgang durch den Beuys-Block 35 - Raum I (35) - Raum II (37) - Raum III (45) - Raum IV (49) - Raum V (51) - Raum VI (53) - Raum VII (54) 1.2.2 Gesamtkonzeption des Beuys-Blocks 56 - Die beiden Oberlichtsäle (58) - Die fünf Kabinette (58) - Der Gesamtkomplex (59) - „Auschwitz Demonstration“ als mikrokosmisches Analogon der Gesamtkonzeption (61) 2 Der Beuys-Block als Manifestation eines anthroposophisch geprägten Okkultismus´ 67 Einführung 68 2.1 Christliche Religion und Okkultismus 70 2.1.1 Der Beuys-Block als christlicher Sakralraum 71 - Formale Übereinstimmungen (71) - Geschichte, Funktion und Bedeutung des christlichen Sakralraums (72) - Vergleich zwischen Beuys-Block und christlichem Sakralraum (76) - Zusammenfassung (86) 2 2.1.2 Beuys´ Auffassung vom Christentum in der Nachfolge Rudolf Steiners 87 - Steiners Menschenbild (88) - Die Einbindung der Menschheitsentwicklung in die kosmische Entwicklung (91) - Die Erlösungstat Christi (95) - Wie Beuys an Steiners Vorstellungen vom Christentum anknüpft (96) - Zusammenfassung (100) 2.2 Wissenschaft und Okkultismus 102 2.2.1 Der Beuys-Block als Kunst- und Wunderkammer 103 - Ursprung der Kunst- und Wunderkammern (104) - Erscheinungsbild und Theorie der Kunst- und Wunderkammern (109) - Das „plastische Prinzip“ als einendes Moment in der Vielfalt der Erscheinungen (114) - Der Beuys-Block als Labyrinth (122) - „Szene aus der Hirschjagd“ als Analogon der Kunstkammerschränke (124) - Das Kunstmuseum als Kirche und Universität (127) 2.2.2 Beuys´ Erkenntnisbegriff in der Nachfolge Rudolf Steiners 129 - Steiners Erkenntnisbegriff (130) - Steiners Freiheitsbegriff 136) - Beuys´ Erkenntnis- und Kreativitätsbegriff in der Nachfolge Steiners (138) - Zusammenfassung (142) 2.3 Kunst und Okkultismus 144 2.3.1 Beuys´ Stellung zur Avantgarde 145 - Genese der Avantgarde (146) - Beuys´ Assoziation mit Fluxus (147) - Duchamps Ready-mades (151) - Beuys´ „erweiterter Kunstbegriff“ in Opposition zu Duchamp (156) - Beuys´ Werke als Manifestation eines okkultistischen Weltbildes (158) - Avantgarde und Okkultismus (164) - Zusammenfassung (170) 2.3.2 Beuys´ Kunstbegriff in der Nachfolge Rudolf Steiners 171 - Steiners Kunstbegriff (173) - Wie Beuys an Steiners Kunstbegriff anschließt (175) 3 Goethe als Mittler alchemistischen Gedankengutes 178 Einführung 179 3.1 Goethes hermetisch geprägtes Weltbild 181 - Beginn der Lektüre hermetischen Schrifttums und der alchemistischen Studien (181) - Hermetik und Aufklärung (183) - Goethes Bekenntnis zum Naturheiland und zur Panazee (185) - Goethes Metamorphosenlehre (189) - Der hermetische Ursprung der Metamorphosenlehre (192) - Metamorphose und künstlerische Schöpfung (194) 3.2 Steiners Goethe-Rezeption und ihr Einfluss auf Beuys 196 - Steiner als Erbe des hermetischen Gedankengutes Goethes (197) - Der Einfluss der Goethe-Rezeption Steiners auf Beuys (202) - Zusammenfassung: Die historische Viererkette Beuys - Steiner - Goethe – Alchemie (207) 3 4 Geschichte, Theorie und Praxis der Alchemie 208 Einführung 209 4.1 Die historische Entwicklung der Alchemie und ihre theoretische Fundierung 211 4.1.1 Vorgeschichtliche Metallurgie und graeco-ägyptische Alchemie 212 - Magisch-mythische Metallurgie (212) - Hermetica, Gnosis und Anthroposophie (215) - Die Gnosis (217) - Die „Tabula Smaragdina“ des Hermes Trismegistos (223) - Die aristotelische Naturphilosophie (225) 4.1.2 Mittelalterliche Alchemie 227 - Arabische Alchemie (228) - Mittelalterliche Alchemie des christlichen Abendlandes (232) - Paracelsische Alchemie (234) - Goethe, Steiner und Beuys als Erben paracelsischer Alchemie (243) 4.1.3 Alchemie der Neuzeit 245 - Alchemie nach Paracelsus (246) - Das Rosenkreuzertum (248) - Rosenkreuzertum und Anthroposophie (256) - Der Künstler als Erbe des Alchemisten (259) 4.2 Die Alchemie als wissenschaftliche, religiöse und künstlerische Praxis 261 4.2.1 Die Alchemie als wissenschaftliche Praxis 262 - Persönliche Eignung und theoretische Ausbildung des Adepten (262) - Praktische Laborarbeit (263) - Erfolglosigkeit der praktischen Laborarbeit und deren Konsequenzen (266) 4.2.2 Die Alchemie als Heilsweg 267 - Alchemie und Christentum (267) - Spekulative Alchemie der nachreformatorischen Zeit (270) - Alchemie und Psychologie (272) - Zusammenfassung (274) 4.2.3 Die Alchemie als künstlerische Praxis 274 - Alchemie als „heilige Kunst“ (275) - Alchemistischer und künstlerischer Prozess (277) - Zusammenfassung (280) 5 Der Beuys-Block als Manifestation eines alchemistisch geprägten Okkultismus´ 282 Einführung 283 5.1 Unmittelbare Hinweise auf die Alchemie 284 - Beuyssche Äußerungen zum Stichwort Alchemie (284) - Direkt wahrnehmbare Hinweise auf die Alchemie(284) 4 5.2 Einzelne Objekte des Beuys-Blocks als Manifestation alchemistischer Vorstellungen 291 5.2.1 Vergegenwärtigung vorgeschichtlicher Metallurgie und graeco-ägyptischer Alchemie 291 - Mythisches (291) - Gnostisches (295) - Hermetisches (299) - Aristotelisches: Stoff und Form (302) - Zusammenfassung (304) 5.2.2 Vergegenwärtigung mittelalterlicher Alchemie 305 - Die alchemistischen Prinzipien: Sulphur-Mercurius-Sal (305) - Signaturenlehre (312) - Heilkundliches (321) - Zusammenfassung (332) 5.2.3 Vergegenwärtigung neuzeitlicher Alchemie 333 - Christliche Alchemie (333) - Alchemie als ästhetisches Erleben (338) - Zusammenfassung (343) 5.3 Die Gesamtheit des Beuys-Blocks als Manifestation eines alchemistisch geprägten Weltbildes 345 - „Auschwitz Demonstration“ (346) - Der Beuys-Block (353) - Zusammenfassung (361) 6 Der Stellenwert der Alchemie im Werk von Joseph Beuys 363 Literatur 369 - Beuys: :Interviews, Gespräche, Texte, Reden (370) - Kataloge (chronologisch) (373) - sonstige Literatur ( 374) 5 0 Einführung 6 0.1 Thema der Untersuchung „Wenn es sich um die Darstellung anderer Themen als biblischer Geschichten oder historischer und mythologischer Szenen handelt, die dem durchschnittlichen ‘Gebildeten’ zufällig bekannt sind, sind wir alle australische Buschleute. In solchen Fällen müssen auch wir versuchen, uns mit dem vertraut zu machen, was die Urhe- ber jener Darstellungen gelesen hatten oder sonstwie wußten“, schreibt E. Panofsky in seinem Aufsatz „Ikonographie und Ikonologie“.1 Die Erfahrung des „australi- schen Buschmannes“, dem, ob des fehlenden Wissens um den kulturhistorischen Hintergrund, das Sujet des letzten Abendmahles als „erregte Tischgesellschaft“ er- scheint2, wendet sich angesichts Beuysscher Kunst vom Hypothetischen ins Reale: Wer wollte leugnen, dass man, hineinversetzt in den Beuys-Block, das Schicksal von Panofskys australischem Buschmann teilt? Folgen wir den Ausführungen Panofskys weiter, so schließt an diese Erfahrung die Frage an, was Beuys als der „Urheber“ der Darmstädter Installation „gelesen hat oder sonstwie wußte“. Sich mit dem vertraut zu machen, was die Beuyssche Kunst maßgeblich geprägt hat, ist aber keineswegs so einfach. Ein Blick auf die äußerst reichhaltige Sekundärliteratur zum Werk von Joseph Beuys offenbart das Problem: Mythos und Ritual, Fetischismus und Schamanismus werden als mögliche Nährbö- den seiner Aktionen, Zeichnungen, Objekte und Installationen ebenso ins Feld ge- führt wie die griechische, keltische und germanische Mythologie; Christentum und Frühromantik sind als Quellen der Inspiration gleichermaßen im Gespräch wie der Existentialismus oder die Philosophie Heideggers. Beuys´ Kindheits- und Kriegser- fahrungen, seine Krisen und Kämpfe - maßgeblich von ihm selbst zu geradezu ex- emplarischen Erzählungen mythisiert - werden nicht selten zu Schlüsselerlebnissen emporstilisiert. Dazu gesellt sich sein früh entwickeltes Interesse an den Naturwis- senschaften, sein scheinbar unerschöpfliches Wissen über Mineralogie, Pflanzen- kunde, Zoologie und Anthropologie, über Fragen der Medizin, der Politik, Ökono- mie und Ökologie. Sein Kenntnis- und Erfahrungsreichtum, so will es scheinen, war gleichermaßen umfangreich und komplex wie sein bildnerisches Werk. Beuys´ Auskunftsfreudigkeit, seine wortreichen und vielfältigen verbalen Äuße- rungen haben nicht unwesentlich dazu beigetragen, der These von seiner umfassen- den Bildung und Erfahrenheit Vorschub zu leisten. Zumeist aber geben sich seine mündlichen oder schriftlichen Aussagen ebenso fremdartig und rätselhaft wie seine bildnerischen Schöpfungen. Als „die Erweiterung des Objekts ins Verbale“ sind sie Teil seiner Kunst und als solche in diese integriert.3 Infolgedessen bedürfen auch sie einer erläuternden Interpretation, wird man eine direkte Antwort auf die Frage nach den Quellen des Künstlers auch in seinen wörtlichen Mitteilungen nicht ohne Schwierigkeiten finden. Mögen die Anregungen, die Beuys erfahren hat, auch vielfältig sein, mögen sei- ne bildnerischen und verbalen Äußerungen auch von einem umfassenden Kenntnis- reichtum zeugen, so ist doch inzwischen unbestritten, dass ihn eine Person und de- ren Lehre ganz besonders faszinierte: Rudolf Steiner (1861-1925) und dessen Anth- roposophie. V. Harlan ist es zu danken, dass die Wissenschaft inzwischen Kenntnis hat von der nahezu einhundert Titel umfassenden Steiner-Bibliothek von Joseph 1 Panofsky 1975, S. 45 2 Panofsky 1975, S. 45 3 Vgl. Wedewer 1972, S. 36 7 Beuys.1 Es wäre zu wünschen, dass die Beuys-Forschung sich stärker als bisher dieser für den Künstler so zentralen Quelle zuwenden möge, denn wir stimmen mit denjenigen überein, die das Beuyssche Welt- und Menschenbild als ein wesentlich durch Steiners Anthroposophie geprägtes kennzeichnen.2 Den Einfluss Steiners auf Beuys im einzelnen nachzuweisen, wird die Beuys-Forschung noch auf längere Zeit fruchtbar beschäftigen können. Wir äußern hier die - wie wir meinen - begründete Vermutung, das solche Untersuchungen zu einer Relativierung der These vom phantastischen Kenntnisreichtum des Joseph Beuys führen werden. Der unbestritte- nen Größe seines bildnerischen Werkes täte dies im übrigen keinen Abbruch. Wenn wir aber in der Anthroposophie Rudolf Steiners die vornehmste Quelle für das Beuyssche Schaffen erkennen, was vermag dann eine Untersuchung seiner Auseinandersetzung mit der Alchemie, die das Thema der folgenden Arbeit ist, in diesem Zusammenhang zu leisten? Wozu sich auf Nebenschauplätzen tummeln, wenn doch das für das Beuyssche Schaffen maßgebliche Gedankengut so offen- sichtlich woanders zu suchen ist und gleichzeitig der Einfluss Steiners auf Beuys innerhalb der Forschung noch keineswegs hinreichend erörtert wurde? Die Steinersche Anthroposophie ist eine Geheimwissenschaft. Als solche will sie „über Nichtsinnliches in derselben Art sprechen, wie die Naturwissenschaft über Sinnliches spricht“, schreibt Steiner in seinem opulenten Werk „Die Geheim- wissenschaft im Umriß“. „Alle Geheimwissenschaft“, fährt er kurz darauf fort, „muß aus zwei Gedanken hervorkeimen (...). Diese beiden Gedanken sind, daß es hinter der sichtbaren Welt eine unsichtbare, eine zunächst für die Sinne und das an diese Sinne gefesselte Denken verborgene Welt gibt, und daß es dem Menschen durch Entwickelung von Fähigkeiten, die in ihm schlummern, möglich ist, in diese verborgene Welt einzudringen.“3 Die Anthroposophie als eine Geheimwissenschaft ist eine Lehre vom Verborgenen, sie ist eine Lehre vom Okkulten, sie ist Okkultis- mus. „Jede Lehre, die sich mit Dingen beschäftigt, die unsere Sinnesorgane nicht wahrnehmen können, die also transzendent sind, das heißt die Grenzen der Erfah- rung und der sinnlich erkennbaren Welt überschreiten, müssen wir als eine Lehre vom Verborgenen oder über das Verborgene bezeichnen“, schreibt K.R.H. Frick. Eine solche Lehre, „ist eine Lehre vom Okkulten, ist Okkultismus im weitesten Sinne.“4 Der Begriff Okkultismus erscheint erstmals 1533 im Titel der „Occulta Philo- sophia“ des Agrippa von Nettesheim (1486-1535). Erst viele Jahre später findet er durch das Wirken des Pariser Esoterikers Eliphas Lévi (1810-1875) Verbreitung.5 Als ein Sammelbegriff für jene Lehren, die sich damit beschäftigen, Erkenntnisse über das Unsichtbare, das Geheime und Verborgene zu erlangen, hat der Okkultis- mus aber eine sehr viel weiter in die Geschichte der Menschheit zurückreichende Tradition. Eine dieser älteren, traditionellen geheimwissenschaftlichen Lehren ist die Alchemie, deren erster, historisch greifbarer Verfechter Zosimos von Panopolis war, der um 300 n.Chr. in Ägypten wirkte. 1 Vgl. Harlan 1991a, S. 292-295 2 So schreibt V. Harlan: „Wer sich also, wenn er über Beuys´ Alchemie spricht, nicht zuerst auf Steiner rück- bezieht und dann erst auf andere Autoren, wird kaum die Prozesse nachvollziehen können, mit denen wir es bei Beuys zu tun haben. Das geschieht leider immer wieder.“ Harlan 2002, S. 158. Vgl. dazu außerdem: Harlan u.a.1991, S. 94, , Moffitt 1988, S. 144, Mennekes 1996, S. 5 3 Vgl. Steiner GA 1959 -1994, Bd. 13, S. 36 u. S. 41 4 Vgl. Frick 1973, S. 3 5 Vgl. dazu: Miers 1970, S. 300 8 Was aber verbindet die für Beuys so wichtige Anthroposophie mit der Alche- mie, außer, dass sie beide Geheimlehren sind, deren es aber noch viele andere gibt? Wir wissen, dass sich Steiner bereits in jungen Jahren mit den naturwissen- schaftlichen Schriften Goethes beschäftigt hat, mit deren Bearbeitung er für Joseph Kürschners „Deutsche National-Literatur“ betraut war. Viele Schriften und Aussa- gen Steiners bezeugen seine intensive Auseinandersetzung mit Goethe.1 Goethe aber hat sich im Anschluss an seine wundersame Heilung durch den alchemistisch interessierten Arzt Johann Friedrich Metz (1720-1782) im Dezember des Jahres 1768 intensiv mit dem ihm verfügbaren hermetischen Schrifttum auseinanderge- setzt, und darüber hinaus alchemistisch laboriert. Diese frühen Studien sollten das Weltbild des jungen Goethe maßgeblich prägen. Die berühmte Metamorphosenleh- re Goethes atmet ganz den Geist der hermetischen Naturphilosophie. Kurz und gut, wenn wir nach den für das Beuyssche Werk maßgeblichen Quel- len fragen und dabei unweigerlich auf Steiners Anthroposophie stoßen, so treffen wir ebenso unvermeidlich auf die Traditionen des Okkultismus´. Wir geraten über Steiner an Goethe und dessen alchemistisch geprägte Spekulationen. Mit anderen Worten, die Frage nach der Rolle der Alchemie im Werk von Joseph Beuys ist die Frage nach der geheimwissenschaftlichen Tradition, in der er steht. Diese aber ist die der über Goethe und Steiner vermittelten Alchemie. Der Beuys-Block als eine der wichtigsten Beuysschen Schöpfungen - so die These unserer Untersuchung - ist die Manifestation eines in der Kunst wiedererstandenen alchemistisch geprägten Okkultismus´. Wir leugnen hiermit keineswegs, dass das Beuyssche Schaffen glei- chermaßen auch mit Mythen und Mythologien, mit ritualistischen, magischen und schamanistischen Praktiken in Verbindung zu bringen ist, das seinen Objekten der Charakter von Fetischen oder Totems eignet, denn all diese kulturhistorischen Phä- nomene weisen am Ende gleichermaßen in den Bereich des Okkultismus´. Wir be- haupten lediglich, dass das Werk von Joseph Beuys seinen historischen Quellgrund vornehmlich im alchemistisch geprägten Okkultismus findet, der über die Vermitt- lung der von den hermetischen Spekulationen Goethes angeregten Anthroposophie schließlich bis zu Beuys gelangte. In der Auseinandersetzung mit der Darmstädter Installation Argumente für die Richtigkeit dieser These an die Hand zu bekommen, ist die Absicht der vorliegenden Arbeit. Die Alchemie ist hervorgegangen aus der Verknüpfung der magisch-mythischen Metallurgie mit vornehmlich gnostisch-neuplatonisch geprägten Kosmologien und Erlösungsvorstellungen und einem von der griechischen Naturphilosophie gepräg- ten naturkundlichen Wissen über die Schöpfung. Von Anbeginn vermischte sich in der Alchemie religiös motiviertes Erlösungsstreben mit dem Versuch, zu verifizier- baren Erkenntnissen über die Natur zu gelangen. Das „Große Werk“, die Transmu- tation minderer Metalle zu Gold, galt als experimenteller Nachweis der alchemisti- schen Doktrin von der Vervollkommnung der Schöpfung durch die Kunstfertigkeit des Adepten. Die Frage, ob es sich beim Beuysschen Wirken um einen Religionsersatz han- delt, wie etwa sein schärfster Kritiker an der Düsseldorfer Akademie, nämlich Nor- bert Kricke, im Dezember 1968 unterstellt2, ob seine Objekte überhaupt als Kunst 1 Vgl. Goethe-Rezeption, S. 1 2 Vgl. hierzu: Norbert Kricke in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ vom 20.12.1968: „Er (Beuys / d. V.) nimmt es auf sich für uns alle. Das ist sein Anspruch: Vertreter im Leiden, er spielt den Messias, er will uns bekehren, er will die Akademie die Rolle der Kirchen übernehmen lassen - das ist für mich Jesus-Kitsch.“ Zitiert nach: Stachelhaus 1987, S. 119 9
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