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Deutschland in den Schatten 1: Das zerissene Land PDF

237 Pages·2008·1.48 MB·German
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HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 06/5104 Redaktion: Rainer Michael Rahn Copyright © 1994 by Hans Joachim Alpers Die Kapitelüberschriften sind Zitate aus: Michael Immig & Thomas Römer (Hrsg.), Deutschland in den Schatten (Copyright © 1992 by Fantasy Productions, Erkrath) Umschlagbild: Jim Nelson Die Karten auf Seite 4 und 5 zeichnete Dietrich Limper Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Technische Betreuung: Manfred Spinola Satz: Schaber Satz- und Datentechnik, Wels Druck und Bindung: Elsnerdruck, Berlin ISBN 3-453-07756-3 2 Inhalt Prolog ›The Times They Are A-Changin’‹ .......................6 1. KaPitel ›Motorpsycho Nightmare‹ .............................13 2. KaPitel ›One More Night‹ ....................................18 3. KaPitel ›This Wheel’s On Fire‹ ................................32 4. KaPitel ›Like a Rolling Stone‹ ................................51 5. KaPitel ›Subterranean Homesick Blues‹ .........................64 6. KaPitel ›Only a Pawn in Their Game‹ ..........................81 7. KaPitel ›Masters of War‹ ....................................100 8. KaPitel ›Let Me Die in My Footsteps‹ ......................... 119 9. KaPitel ›Wanted Man‹ ......................................143 10. KaPitel ›Gates of Eden‹ .....................................167 11. KaPitel ›All Along the Watchtower‹ ...........................182 12. KaPitel ›Just Like a Woman‹ .................................205 13. KaPitel ›It’s Alright, Ma (I’m Only Bleeding)‹ ...................219 glossar .................................................228 3 4 5 ›The Times They Are A-Changin’‹ Prolog Michail Waleczky wird am 13. April 1996 in einem Container in Buchholz in der Nordheide geboren. Der Container ist die neue Wohnung der Walecz- kys und bildet zusammen mit einundreißig anderen eine kleine Siedlung nahe der Bahnstrecke. Dieses Dorf ist das Geschenk des deutschen Bundeskanzlers an die Fremden. Das zumindest glauben Igor und Irena Waleczky, Michails Eltern, als sie aus einer Kolchose in der Nähe von Nowosibirsk nach Deutschland kommen. Sie sind dankbar dafür. In Rußland gab es mehr Platz, aber sonst von allem we- niger. Beide haben vorwiegend deutsche, aber auch einige polnische, russische und jüdische Vorfahren. Ihre neuen Nachbarn sind Flüchtlinge aus Bosnien so- wie Asylanten aus Rumänien, hauptsächlich Sinti und Roma, und es gibt täglich Streit um irgend etwas. Die Waleczkys sprechen und verstehen nur wenig Deutsch und wissen noch weniger über ihre neue Heimat. Aus Angst, abgewiesen zu werden, weil sie kein Geld hat, ist Irena weder zu Schwangerschaftsuntersuchungen noch ins Kranken- haus gegangen, als die Wehen einsetzen. Igor schneidet die Nabelschnur durch, und erst als Irenas Nachblutungen nicht aufhören wollen, rennt er zur nächsten Telefonzelle und ruft in seiner Verzweiflung die Polizei an. So gelangen Irena und ihr zwei Stunden alter Sohn schließlich doch noch in das Kreiskrankenhaus. Zwei Monate später wird die Familie Waleczky, zu der noch drei weitere Kinder gehören, in ein Containerdorf im Hamburger Stadtteil Nienstedten umquartiert. Ergebnis des Austauschs eines Kontingents von Asylsuchenden und Aussiedlern zwischen den Bundesländern Hamburg und Niedersachsen. Das neue Dorf ist ausschließlich deutschstämmigen Umsiedlern vorbehalten. Das macht es für die Bewohner etwas einfacher. Igor hat Schlosser gelernt und auf der Kolchose die Traktoren gewartet. In Hamburg ist er lange arbeitslos, arbeitet dann als Hand- langer auf dem Bau und findet schließlich eine Anstellung als Blechschlosser in einem Betrieb, der Wohncontainer für Aussiedler und Asylanten herstellt. Womit sich der Kreis in gewisser Weise schließt. Michail wächst zunächst im Containerdorf auf, aber als er eingeschult wird, hat die Familie eine schäbige Altbauwohnung im Hamburger Stadtteil Ottensen gefunden. Sie heißen jetzt Walez, ein nicht sehr tauglicher Versuch seines Va- ters, durch eine Namensänderung den Kindern die gröbsten Anfeindungen und abfälligsten Bemerkungen einiger Mitbürger zu ersparen. Immerhin hört sich Walez irgendwie spanisch oder portugiesisch an, was in einigen deutschen Ohren immer noch minderwertig, aber nicht mehr untermenschenhaft klingt. Als aller- dings während der ›Goblinisierung‹ die ersten Krauses, Hubers und Meiers zu Orks, Trollen, Elfen und Zwergen werden, ist das Thema weitgehend vom Tisch. Nur eingeschworenen Neonazis gilt deutsches Orkblut immer noch hochwertiger 6 als slawisches Normblut. Bei Orks gleich welcher Herkunft stoßen sie mit ihren Thesen allerdings auf wenig Verständnis und holen sich bei ihren Missionie- rungsversuchen meistens blutige Nasen. Ungefähr zu der Zeit, als Michail Walez eingeschult wird, kommt in einer Blankeneser Privatklinik Carolina Maria Catharina Barenkamp zur Welt. Ge- naues Geburtsdatum ist der 17. Februar 2002. Carolina ist die einzige Tochter eines erfolgreichen Holzkaufmanns und einer Professorin für Kunstgeschichte, die zwar nicht an der vornehmen Elbchaussee wohnen, aber eine alte Jugendstil- villa ein paar Straßen weiter in Othmarschen ihr eigen nennen. Carolina wird in ein unruhiges Jahr hineingeboren, das Hamburg in besonde- rem Maße in Mitleidenschaft zieht. Im Jahre 2002 kommt es in Deutschland zu dramatischen Umweltkatastrophen. Aus den Mülldeponien der früheren DDR sickern Gifte aller Art ins Grundwasser. Riesige Gebiete in Mecklenburg-Vor- pommern, Sachsen und Thüringen müssen gesperrt und für unbewohnbar er- klärt werden, die Ostsee kollabiert und wird ein totes Giftmeer. Wenig später wiederholt sich der Vorgang in den küstennahen Regionen der Nordsee. Die vorgezogenen Bundestagswahlen bringen einer Koalition von SPD und Bündnis 2000 die Mehrheit. Globaler Temperaturanstieg hat zu leicht gestiegenen Pegel- ständen der Nordsee geführt, und am 19. November 2002 kommt es bei einer Sturmflut zu den verheerendsten Überschwemmungen seit Menschengedenken. Weite Teile von Hamburg und West friesland werden von einer öligen Jauche überschwemmt. 30.000 Menschen kommen durch die Flut oder infolge von Ver- giftungen um. Wäre nicht in letzter Minute die Notabschaltung der KKWs an der Unterelbe erfolgt, hätte die Katastrophe noch ganz andere Dimensionen an- genommen. Und doch ist diese Flut nur ein bescheidenes Vorspiel für das, was neun Jahre in der Zukunft liegt. Sowohl Othmarschen als auch Ottensen entgehen dieser ersten Flut, während die Hamburger Innenstadt schwer in Mitleidenschaft gezogen wird. Othmar- schen bleibt auch eine Weile verschont von den bewaffneten Straßenkämpfen zwischen den Ordnungskräften und den Milizen der neuen anarchistischen Be- wegungen, Ottensen nicht. Die Bürger beider Stadtteile leiden unter der schwe- ren Wirtschaftskrise, die einen mehr, die anderen weniger. Igor Walez wird arbeitslos, und die Familie lebt von Sozialhilfe; Carolinas Familie verliert die Hälfte ihres Vermögens. Aber diese Hälfte ist immer noch weit mehr, als Igor Walez in seinem ganzen Leben je verdienen wird. Und die Jugendstilvilla bleibt den Bahrenkamps auch erhalten. Trotz aller Nackenschläge ist die Familie Walez froh, in Deutschland zu sein, als Rußland im Mai 2005 Grenzkriege mit den baltischen Staaten, Polen und der Ukraine anzettelt und wider Erwarten eine schwere Niederlage einstecken muß. Und in Norddeutschland zu leben statt in Schwaben, wo ihre Vorfahren zu Hause waren, erscheint ihnen als besonderes Glück, als es 2008 im KKW Cattenom zu einem Super-GAU kommt, bei dem über 30.000 Menschen sterben, 100.000 verstrahlt werden und Flüchtlinge aus den Katastrophengebiet in solchen Massen die süddeutschen Bundesländer heimsuchen, daß dort der Notstand ausgerufen 7 wird. Doch auch Norddeutschland entgeht nicht den politischen Folgen: Als Ant- wort auf den Versuch von Bayern und Baden-Württemberg, sich vom Bund und seiner Flüchtlingspolitik zu lösen, putscht das Militär und setzt einen Militärrat unter General Stöckter als Regierung ein. Dies ist das Ende der Bundesrepublik Deutschland in der bisherigen Form. Carolina ist sechs Jahre alt, als dies passiert, und wird gerade eingeschult. Sie interessiert sich mehr für Kuscheltiere als für das Militär. Michail ist vierzehn und besucht die Mittelschule, als am 9. Februar 2011 Or- kanböen der Stärke 13 das Wasser der Nordsee gegen die deutschen und nie- derländischen Deiche peitschen. Die Deiche brechen in Holland und Ostfries- land, ganze Landstriche verschwinden in den Fluten, die Küstenlinien bleiben dauerhaft verändert. Küstenstädte wie Bremerhaven, Cuxhaven, Wilhelmshaven und Emden versinken in den Fluten. Hunderttausende sterben oder verlieren ihre gesamte Habe. Die Elbe drückt weit hinein nach Hamburg, und die auf Dau- er erhöhten Pegelstände machen Hamburg zu einem schmutzigen Venedig des Nordens. Weite Teile bleiben überspült, die Straßenzüge der Innenstadt sind zu stinkenden Fleeten geworden. Auch die westlichen Stadtteile werden durch die Flut geschädigt, aber die mei- sten Häuser liegen hoch genug, um den Wassermassen zu entgehen. Das gilt für die Wohnung der Familie Walez ebenso wie für die Villa der Familie Barenkamp. Dann geschehen ungeheuerliche Dinge, die weltweit die Menschen in Atem halten. Im Dezember 2011 beginnt das neue magische Zeitalter. Die von den Mayas prophezeite Sechste Welt entsteht, deren Geburtshelfer die von den Men- schen verursachten Katastrophen werden. Die Geburtswehen bringen unsagba- res Leid über die Menschheit: Das Virusinduzierte Toxische Allergie-Syndrom (VITAS) beginnt seinen tödlichen Siegeszug rund um den Erdball. Ein Viertel aller Menschen sterben, darunter viereinhalb Millionen Deutsche. Zu den Toten gehören auch ein Bruder und eine Schwester von Michail Walez. Carolina Ba- renkamp erkrankt, kann aber von den Ärzten des Israelitischen Krankenhauses gerettet werden. Die Magie erwacht aus dem Dornröschenschlaf, und ein neuer Zyklus der Menschheit wird eingeläutet. Drachen und andere mythische Wesen brechen aus ihren Verstecken in der Erde und erweisen sich als intelligente, mächtige Wesen. Überall auf der Welt besinnen sich Menschen auf die Kräfte der beseelten Natur und entdecken den Astralraum. Auch Deutschland wird von dieser Welle erfaßt, als erstmals 2014 magiebegabte Menschen in Erscheinung treten. Zunächst sind es vor allem Sinti und Roma, deren Verhältnis zur Magie nie ganz verschüttet war, bald brechen die Phänomene aber auch in anderen Schichten auf, etwa bei Neofeministinnen, die sich bewußt mit Hexerei befassen. Verschiedene Schulen der Magie entwickeln sich, die magischen Kräfte von Schamanen und Magiern etablieren sich zu Machtfaktoren in der erwachten Welt, die Präsenz von Ele- mentar- und Tiergeistern ist unübersehbar. Aber der eigentliche Durchbruch der magischen Realität steht noch bevor. 8 Im Jahre 2021 ist Michail fünfundzwanzig Jahre alt. Er hat eine kaufmännische Lehre absolviert, in der Abendschule sein Abitur nachgeholt, ein aus eigener Kraft finanziertes Universitätsstudium abgeschlossen und beginnt ein Referen- dariat als Gymnasiallehrer. Othmarschen und Ottensen sind Stadtteile, die aneinandergrenzen und zu- gleich durch Welten voneinander getrennt sind. Aber in einem Studienseminar verschwimmen die Grenzen zwischen den Welten. Michail Walez lernt dort ein Mädchen kennen. Wie der Leser vielleicht schon ahnt, handelt es sich dabei um Carolina Maria Catherina Barenkamp. Die beiden verlieben sich ineinander. Eine der Seminarleiterinnen heißt Regina von Rhoden und ist eine vierzigjäh- rige, etwas distanziert wirkende, gepflegte, schöne Frau. Plötzlich verändert sie sich auf gräßliche Art. Sie beginnt rapide zu wachsen, bis sie zwei Meter siebzig groß ist. Überall an ihrem Körper sprießen die Haare, die Nase verbreitert sich, die Eckzähne werden immer größer und ragen schließlich wie mächtige Hauer aus dem Mund. Regina von Rhoden ist zu einem Troll geworden, wird vom Un- terricht suspendiert und erst drei Jahre später nach einem in der Revision gewon- nenen Prozeß vor dem Oberlandesgericht wieder eingestellt. Die zweite VITAS-Epidemie hat Deutschland erreicht. Diesmal sterben nur wenige, aber zwischen zehn und fünfzehn Prozent aller Menschen verwandeln sich in mythische Wesen wie Trolle, Orks, Elfen und Zwerge, Untergruppen ei- ner neuen Metamenschheit. Es sind zu viele, und ihre Talente sind zu ausgeprägt, als daß Versuche, sie zu verfolgen und zu internieren, auf Dauer Erfolg haben können. Sie wachsen allmählich als vertraute Bestandteile in die menschliche Gesellschaft hinein und sind in ihren Gattungen so willig und fähig zur Fort- pflanzung wie die sogenannten Norms. Irena Walez wird zu einem Ork und erhängt sich auf dem Dachboden der Ot- tenser Mietskaserne, als sie und ihre Familie mit der Umwandlung nicht zurecht- kommen. Dreißig der zweihundertvierzig Kommilitonen von Michail werden zu Zwer- gen, Elfen, Orks und Trollen. Michail verwandelt sich nicht, ebensowenig Ca- rolina, was beide mit großer Erleichterung erfüllt. Gegen den allerheftigsten Widerstand von Carolinas Familie werden die beiden schließlich ein Paar. Ju- gendstilvilla ade. Das Jahr 2022 findet die beiden Junglehrer fertig ausgebildet, aber ohne Stel- lung in einer Welt des Zusammenbruchs, der Neuorientierung und des Neuauf- baus. Carolina, die aus einer Laune heraus Türkisch studiert hat, findet schließ- lich eine Anstellung als Lehrerin im Türkisch-Deutschen Hilfswerk und zieht mit ihrem Mann nach Berlin. Sie kommen in eine von Unruhen und Aufständen aller Art erschütterte Stadt. Die aus inzwischen durchgeführten freien Wahlen hervorgegangene deutsche Regierung und das Parlament ziehen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Hannover um. Am 7. Juli 2023 kommt das einzige Kind von Michail und Carolina zur Welt, 9

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