Deutschland im Wandel Wolfgang Glatzer, Ilona Ostner (Hrsg.) Deutschland im Wandel Sozialstrukturelle Analysen Ein Sonderband der Zeitschrift GEGENWARTS KUNDE Mit Beiträgen von Jutta Allmendinger, Wilhelm Bürklin, Uta Gerhardt, Wolfgang Glatzer, Roland Habich, Bemd Hamm, Richard Hauser, Thomas Hinz, Ursula Hoffmann-Lange, Elke Holst, Stefan Hradil, Jürgen Kohl, Elke Korte, Wolfgang Lauterbach, Stephan Lessenich, Rainer Mackensen, Heiner Meulemann, Hansgünter Meyer, Walter Müller, Rosemarie N ave-Herz, Hildegard M. Nickel, Heinz-Herbert Noll, Thomas ülk, Ilona üstner, Doris Rentzsch, Jürgen Schupp, Ingrid N. Sommerkom, Annette Treibei, Ansgar Weymann, Michael Windzio, Wolfgang Zapf gewidmet Bemhard Schäfers zum 60. Geburtstag Leske + Budrich, Opladen 1999 Gedruckt auf säurefreiem und altersbeständigem Papier. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Deutschland im Wandel: sozialstrukturelle Analysenlhrsg. von Wolfgang Glatzer; Ilona Ostner. - Opladen: Leske und Budrich, 1999 (Gegenwartskunde: Sonderband; 11) ISBN 978-3-8100-2255-4 ISBN 978-3-322-99707-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-99707-4 © 1999 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere ftir Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Leske + Budrich Inhalt Wolfgang Glatzer, llona Ostner: Sozialstruktur und Sozialer Wandel..... 7 Entwicklungstendenzen und Strukturbruche Roland Habich, Wolfgang Zapf' Wohlfahrtsindikatoren für Deutschland 1950 bis 1998............................................................................................ 31 Uta Gerhardt: Wandlungen der Sozialstruktur in Westdeutschland 1945 bis 1949 ............................................................................................ 49 Hansgünter Meyer: Transformation der Sozialstruktur in Ostdeutschland . ................................ ......... ......... .............. ..................... 65 Rainer Mackensen: Demographischer Strukturwandel............................. 83 Annette Treibei: Migrationsprozessse ....................................................... 101 Heiner Meulemann: Der Wert Leistung in Deutschland 1956 bis 1996... 115 Soziale Ungleichheit und soziale Schichtung Richard Hauser: Tendenzen zur Herausbildung einer Unterklasse?......... 133 Heinz-Herbert Noll: Subjektive Schichteinstufung .................................. 147 Ursula Hoffmann-Lange, Wilhelm Bürklin: Generationswandel in der (west)deutschen Elite ...................................................................... 163 Michael Windzio, Ansgar Weymann: Berufliche Mobilität im Transformationsprozeß ....... ................. ......... ................ ..... .................. 179 lutta Allmendinger, Thomas Hinz: Geschlechtersegregation im Erwerbsbereich..................................................................................... 191 Ingrid N. Sommerkorn: Ethnische Zugehörigkeit und Geschlecht............ 207 6 Inhalt Lebensformen und Lebensverhältnisse Thomas Olk, Doris Rentzsch: Die soziale Lage von Kindern ................... 219 Wolfgang Lauterbach: Familie und private Lebensformen ...................... 239 Hildegard Maria Nickel: Lebenschancen von Frauen in Ostdeutschland ... 255 Rosemarie Nave-Herz: Auswirkungen des neuen Namensrechts .............. 265 Elke Korte: Das neue Altern...................................................................... 275 Elke Holst, Jürgen Schupp: Erwerbsbeteiligung und Arbeitszeitwünsche 1993 und 1997 .................................................... 289 Europäischer und globaler Strukturwandel Stefan Hradil: Die Sozialstruktur(en) der Europäischen Union ................ 309 Jürgen Kohl: Wohlfahrts staatliche Regimetypen im Vergleich ................ 321 Walter Müller: Wandel in der Bildungslandschaft Europas ...................... 337 Stephan Lessenich: Strukturwandel in Transformationsgesellschaften..... 357 Bernd Hamm: Globale Entwicklungstendenzen und Krisen ..................... 371 Autorinnen und Autoren des Bandes ........................................................ 385 Sozialstruktur und Sozialer Wandel Wolfgang Glatzer, Ilona Ostner Sozialstruktur und Sozialer Wandel gehören zu den etablierten Schlüsselbegrif fen der Soziologie, wenn sich diese mit der Analyse von Gesellschaften befaßt (Schäfers 1998a: 330). Seit langem ist bekannt, daß die Beobachtung komple xer Gesellschaften zu einer beliebigen Anzahl von Fakten führt, wenn sie nicht von einer theoretisch angeleiteten Idee gesteuert wird. Das Konzept der Sozial struktur gehört zu den Komplexität reduzierenden Ideen, indem es auf die rela tiv dauerhaften Elemente von Gesellschaften verweist. Die nachhaltigen Re gelinäßigkeiten und Wirkungszusammenhänge der Gesellschaft stehen im Blickpunkt der sozialstrukturellen Analyse. Dementsprechend wird unter so zialem Wandel bzw. sozialstrukturellern Wandel nicht alles verstanden, was alltäglichen Änderungen unterworfen ist, sondern die Aufmerksamkeit wird auf den wesentlichen Strukturwandel gelenkt (Zapf 1979/Weymann 1998). Die Identifikation von Wandel setzt immer eine stabil gedachte Struktur vor aus, vor deren Hintergrund die Veränderung erfolgt, und bedarf der Vorstel lung von Triebkräften, die diesen Wandel bedingen. Wie bei anderen Kon zepten ist auch bei diesem ein Problem, daß es viele Fragen darüber offen läßt, was denn nun genau unter Sozialstruktur und sozialem Wandel zu ver stehen sei. Die theoretischen Ansätze, die von diesen Begriffen ausgehen, sind außerordentlich vielfältig (Schäfers 1998b, Geißler 1998, Glatzer 1989), und die soziologische Diskussion wird zum Teil als Kampf um die Interpre tationsvorherrschaft geführt. Den sozialstrukturellen Analysen des vorliegenden Bandes liegt ein Glie derungsschema zugrunde, das vier verschiedene Perspektiven beinhaltet: Ent wicklungstendenzen und Strukturbrüche (1), Soziale Ungleichheit und sozia le Schichtung (2), Lebensformen und Lebensverhältnisse (3), Europäischer und globaler Strukturwandel (4). Sie schließen an die bisherige Entwicklung der Sozialstrukturanalyse, ihre Ausgangspunkte und Erweiterungen an. 8 Wolfgang Glatzer, llona Ostner Das erste Kapitel dieses Buches beinhaltet breite Perspektiven für den mehr und weniger schnellen Wandel der Sozialstruktur sowie wichtige Entwick lungstendenzen in einigen Teilbereichen (demographischer Wandel, Migrati onsprozesse, Wertewandel). Phasen mit ruhigem (1949 bis 1990) und Phasen mit beschleunigtem Strukturwandel (1945 bis 1949 sowie ab 1990) werden in eigenständigen Beiträgen behandelt. Zugleich werden einige Debatten und Konzepte, die die Sozialstrukturanalyse der Bundesrepublik seit ihrer Grün dung begleitet haben, kritisch rekapituliert. Das zweite Kapitel behandelt das klassische Thema sozialstruktureller Analysen: soziale Ungleichheit und soziale Schichtung unter Betrachtung von objektiven Merkmalen sozialer Schichtungsgefüge sowie der subjektiven Wahrnehmung sozialer Ungleichheit und der eigenen Position im Schichtge füge. Ausgangspunkt sind Fragen zu den Veränderungen der sozialen Schich tung, z.B. den Tendenzen zu einer neuen Unterklasse. Die subjektive Schicht einstufung in Ost- und Westdeutschland wird ebenso behandelt wie die Frage der beruflichen Mobilität in der "Wende-Generation". Den Abschluß bilden zwei Beiträge, die die Sozialstrukturanalyse um die Dimensionen des Ge schlechts - am Beispiel der Geschlechtersegregation im Erwerbsbereich - und der Ethnizität bzw. des Zusammenspiels zwischen Geschlecht und Eth nizität erweitern. Beide Dimensionen haben als neue Schichtungskriterien zunehmend Aufmerksamkeit erhalten. Das dritte Kapitel wendet sich den Lebensformen und Lebensverhältnis sen zu und thematisiert damit eher mikrosoziale Strukturen. Die Lebensbe reiche (Familie, Arbeitsmarkt), die Phasen des Lebenslaufs (Kindheit, Eltern schaft, Ehe- und Partnerschaft, Erwerbstätigkeit, Ruhestand und Altsein) sowie die Rahmenbedingungen, die den Lebenslauf und seine Ausgestaltung in Ost- und Westdeutschland strukturieren, bilden dabei die Bezugspunkte der Analysen. Das vierte Kapitel greift Tendenzen zur Europäisierung und Globalisie rung in einigen ihrer zentralen Aspekte - vor allem Angleichung und Diffe renzierung - auf. Die fortschreitende Integration der Europäischen Union, die Herausforderung der noch andauernden politischen, ökonomischen und so zialen Transformation in Mittelost-und Osteuropa und die globalen Verflech tungen und Krisen stellen neue Komponenten der internationalen Sozial struktur dar. Der Schluß dieser Einleitung befaßt sich mit Zukunftsperspektiven, d.h. mit den Chancen und Restriktionen der zukünftigen Entwicklung der deut schen Gesellschaft, wie sie sich auf dem Hintergrund der vorgelegten Analy sen abzeichnen. Zunächst wird aber ein Blick auf die in der Vergangenheit vorgelegten sozialstrukturellen Analysen Deutschlands geworfen. Sozialstruktur und Sozialer Wandel 9 1. Sozialstrukturelle Analysen zu Deutschland Sozialstrukturelle Betrachtungsweisen werden sowohl bei allgemeinen theo retischen Fragestellungen als auch bei konkreten Gesellschaftsanalysen her angezogen. Die Analyse der Sozialstruktur einer bestimmten Gesellschaft verspricht, ihre typische Verfassung bzw. ihre charakteristischen Grundzüge offenzulegen. Damit verbunden ist meistens die Absicht, zu einem sozialwis senschaftlich angemessenen Gesellschaftsverständnis zu gelangen und zur Revision unzutreffender Behauptungen beizutragen. Daß damit der öffentlich Disput um die angemessene Gesellschaftsinterpretation nicht allzusehr ver ringert wurde, ist auf den Dissens zurückzuführen, den die Sozial wissen schaftler einschließlich der Sozialwissenschaftlerinnen unter sich aufrecht erhielten (vgl. Hradil 1987/Kreckel 1997). Was Deutschland betrifft, so kommt es - nachdem es zuvor nur verstreu te Beiträge gab - Mitte der sechziger Jahre zu einem Boom sozialstrukturel ler Analysen auf dem Buchmarkt. Dies läßt sich durchaus als Reaktion auf einen in Öffentlichkeit und Politik gestiegenenen Bedarf an wissenschaftlich gestützter Gesellschaftsdiagnose verstehen. In der "Sozialkunde der Bundes republik Deutschland" (Claessens/Klönneffschoepe 1965) wurden in enger Anlehnung an sozialstrukturelle Konzepte das politische, das wirtschaftliche und das sozialkulturelle System jeweils für sich und in ihren Wechselwirkun gen dargestellt. Im gleichen Jahr erschien Dahrendorfs Buch "Gesellschaft und Demokratie in Deutschland" (Dahrendorf 1965), das den Anspruch er hob, eine "soziale Gesamtanalyse" vorzunehmen, die als Leitfaden die Frage nach der Demokratie in Deutschland verwendet. Ein Jahr später folgte die "Deutsche Gesellschaft im Wandel" (Bolte 1966), in der sich mehrere Auto ren mit Strukturen und Wandlungen der deutschen Gesellschaft in ausge wählten Bereichen unter anderem mit Bevölkerung, Großstadt und Dorf so wie sozialer Schichtung befaßten. Es wurde 1970 in einem zweiten Band mit weiteren Bereichen wie Familie, junger Generation und Massenkommunika tion fortgesetzt (BoltelNeidhardtIHolzer 1970). In diesem Zusammenhang steht auch der stärker politologisch geprägte 1967 erschienene Sammelband "Der CDU-Staat", der seine Beiträge "Studien zur Verfassungswirklichkeit" nennt und das unvorhergesehene Ende der AdenauerlErhard-Ära markiert (SchäferINedelmann 1967). Diese Bücher wurden in den siebziger Jahren zum Teil neu aufgelegt, aber es kamen in diesem Jahrzehnt nur wenige neue hinzu, und darunter hat die Sozialstrukturanalyse von Bernhard Schäfers (1976) bald einen herausragenden Platz eingenommen. Schäfers Sozialstrukturanalyse war von thematisch verwandten Büchern eingerahmt, die teilweise andere Akzente setzten und gegensätzliche Interpre tationen aufrechterhielten. Dies gilt für die "Bausteine" zur Sozialstruktur, die in einer "Realanalyse" für die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf ih re Entstehung, Entwicklung und Struktur vorgestellt wurden (Narrffhränhardt 1979/1984). Stellvertretend für marxistisch orientierte Gesamtanalysen kann 10 Wolfgang Glatzer, Ilona Ostner die "Gesellschaftsstruktur der Bundesrepublik" (Krysmanski 1982) genannt werden, die soziologische Skizzen zum Zusammenhang von Produktionswei sen, Produktivkräften und Produktionsverhältnissen enthält. In den siebziger Jahren hat sich auch die Sozialindikatorenforschung herausgebildet und die Zielvorstellung einer sozialwissenschaftlichen Sozial berichterstattung ein Stück weit durchgesetzt. Der "Soziologische Almanach" (BallerstedtJGlatzer 1975) legt den Akzent auf problemorientiert aufbereitete Sozial- und Wirtschaftsstatistiken, um damit Aufklärung über gesellschaftli che Probleme und Entwicklungen zu leisten. Eines der bekanntesten Bücher war damals der Band "Lebensbedingungen in der Bundesrepublik" (Zapf 1978), in dem neben bereichsspezifischen Analysen auch das SPES-Indikato rensystem vorgestellt wurde. Das Indikatorensystem wird noch heute im So zialindikatorenzentrum beim Zentrum für Umfragen, Methoden und Analy sen (ZUMA) in Mannheim weitergeführt (Noll 1997). In diesem Zusammen hang steht auch die seit 1985 erfolgende Herausgabe des "Datenreports", in dem Querschnitts- und Längsschnittindikatoren aus der Datenproduktion der amtlichen Statistik, aus den Wohlfahrtssurveys und dem Sozio-ökonomischen Panel enthalten sind und interpretiert werden (Statistisches Bundesamt 1985). Auch für die neuen Bundesländer wurde die Idee der Sozialberichterstattung im erstmals 1990 erschienenen "Sozialreport" (Winkler 1995) aufgegriffen. Das vierzigjährige Bestehen der Bundesrepublik Deutschland war Anlaß für das "Deutschland-Handbuch" (Weidenfeld/Zimmermann 1989) mit seiner "doppelten Bilanz" für beide deutsche Staaten von 1949 bis 1989, die sich nach gesellschaftlichen Teilbereichen gliedert. Die Vereinigung Deutschlands regte kurz danach eine Vielzahl gesellschaftlicher Diagnosen des großen Realexperiments an. Aus dem umfassenden Untersuchungsprogramm der "Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandel" (KSPW) stehen wesentliche Teile in der Tradition der Sozialstrukturanalyse (vgl. Hauser/Glatzer u.a. 1996). Stellvertretend für weitere Bücher, die eine umfassende Gesellschaftsanalyse anstreben, soll hier der Band "Die Sozial struktur Deutschlands" (Geißler 1996) genannt werden, der eine gründliche Untersuchung von Sozialstruktur und sozialem Wandel mit einer Zwi schenbilanz der Vereinigung verbindet. Einen etwas anderen Charakter hat das "Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands" (Schäfers/Zapf 1998), das in 67 Artikeln einen Überblick über zentrale Handlungsbereiche, soziale Probleme und Entwicklungstendenzen im Lichte der vorhandenen soziologi schen Theorien gibt. Eine neue Entwicklungslinie sozialstruktureller Analy sen, nämlich ihre Ausdehnung auf den europäischen Vergleich, steht am An fang (Hradil/lmmerfall 1997). Die Überschreitung des nationalen Rahmens wird insbesondere von internationalen Organisationen geleistet, die social re porting für die Welt und Weltregionen vornehmen und dabei Deutschland im Rahmen internationaler Vergleiche einbeziehen. Seit den siebziger Jahren nimmt das Buch von Bernhard Schäfers "So zialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland", das 1998 in siebter, wiede rum überarbeiteter, Auflage erschien, einen besonderen Platz ein. Der Band Sozialstruktur und Sozialer Wandel 11 hat - wie wohl kaum ein anderer - das Feld für die jeweils laufende Debatte abgesteckt und über die Sachverhalte und Erklärungsansätze so informiert, wie es eine sachgerechte Diskussion erforderlich macht. Schäfers bietet eine integrierte sozialstrukturelle Analyse der Bundesrepublik Deutschland, be schreibt diese pointiert, ohne sie auf einen einzigen Leitbegriff zu reduzieren. Die lange Zeitspanne, in der die bisherigen Auflagen vorgelegt wurden, er öffnet die Möglichkeit, am Beispiel des Wandels in verschiedenen gesell schaftlichen Teilbereichen den sozialen Wandel zu untersuchen, wie er sich zwischen 1976, dem Erscheinungsjahr der ersten Auflage, und 1998, der ge genwärtig letzten Auflage, vollzogen hat. Freilich hat sich in dieser Zeit auch der Beobachter gewandelt: Realitätswandel der Gesellschaft und Perspekti venwandel des Autors sind nur schwer zu unterscheiden. (a) Aufbau und Ausführungen der ersten Auflage sind stark von den Debat ten und Konzepten der Modernisierungstheorie sowie den Soziologen ge prägt, die den Übergang der "verspäteten Nation" zu einer modernen Demo kratie und zur sozialen Marktwirtschaft kritisch begleitet haben. Bernhard Schäfers frühe Arbeiten zur Sozialstruktur der Bundesrepublik identifizieren die Elemente, die den friedlichen Aufholprozeß der 1950er und frühen 1960er Jahre gefördert haben: so z.B. die Nivellierung von Klassen- und Schichtunterschieden durch Flucht, Vertreibung und kollektiven Abstieg weiter Teile der Bevölkerung; die Integrationskraft der Institutionen Ehe und Familie, denen sich die materiell wie geistig entwurzelten Menschen, Junge wie Alte, noch bereitwillig unterordneten; den (entpolitisierenden) Willen der Menschen, durch Leistung und Verzicht aufzusteigen; die Stabilisierung, dann der allmähliche Ausbau der sozialen Sicherungssysteme; die - vor al lem auch im Vergleich mit der DDR - beeindruckenden wirtschaftlichen Er folge der Bundesrepublik, die zur Akzeptanz der freiheitlich-demokratischen politischen Ordnung wesentlich beitrug. (b) Daß der wirtschaftliche Erfolg der Bundesrepublik den nachträglichen oder nachholenden Ungehorsam (Odo Marquard) der Jugend provozieren würde, lag auf der Hand. Sofern man diese Pointierungen teilt, wurde die skeptische (Jugend-)Generation von der Unbefangenen der frühen sechziger, diese wiederum von den Verunsicherten der siebziger Jahre abgelöst. Wand lungen im Heranwachsen der Jugendlichen, ihrer Bildungs- und Erwerbs möglichkeiten, - also die Herausbildung einer neuen Generation, die das Le ben der Eltern!Ä lteren in Frage stellen wird, - bildeten für Bernhard Schäfers einen wichtigen Bereich seiner Sozialstrukturanalyse. Die nachfolgenden Auflagen (1979-1985) antworteten nun explizit auf die Herausforderungen der Kulturrevolution - konkreter: der Bildungs- und Rechtsreformen -, die die Achtundsechziger begleitete. Allmählich gewann auch die Geschlechter problematik an Gewicht. Die Angleichungsprozesse in der Bundesrepublik brachten gegen Ende der 1970er mit den alten Benachteiligungen auch neue
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