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Deutsche Rokoko-Dichtung: Ein Forschungsbericht PDF

95 Pages·1963·6.646 MB·German
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Alfred Anger Deutsche Rokoko-Dichtung Ein Forschungsbericht DEUTSCHE ROKOKO-DICHTUNG ALFRED ANGER Deutsche Rokoko-Dichtung EIN FORSCHUNGSBERICHT MCMLXIII J.B. METZLERSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG STUTTGART Sonderdruck aus Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Jahrgang 36, 1962, Heft 3 und 4 ISBN 978-3-476-99330-4 ISBN 978-3-476-99329-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-99329-8 © 1963 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzlersehe Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1963 INHALTSÜBERSICHT Vorbemerkung ...... . 111 I. Bewertungen des deutschen Rokoko in der Literaturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Voraussetzungen für das Entstehen der Rokokoforschung 1111 III. Die deutsche Rokokoforschung seit dem ersten Weltkrieg 11 IV. Die Gattungen des Rokoko . 11 I. Anakreontik. Rokokolyrik . 11 2. Schäferdichtung. Drama 11 3· Verserzählung. Epik 11 Namen-Register ..... 11 (Manche Arbeiten mußten mehrfach, in unterschiedlichen Zusammenhängen an verschiedenen Orten behandelt werden. Um Raum zu sparen und ein unnötiges Herumsuchen zu vermeiden, verweist in solchen Fällen eine in eckige Klammern gesetzte Seitenzahl auf die Seite des Forschungsberichtes, wo der volle Titel der betreffenden Arbeit angeführt ist.) VORBEMERKUNG Dieser erste Forschungsbericht über das literarische Rokoko in Deutschland versucht, Vorgeschichte, Geschichte und Hauptprobleme der Rokokoforschung kritisch darzustellen. Daß dabei unter der Fülle der seit über hundert Jahren erschienenen Literatur, besonders unter der älteren, eine strenge Auswahl ge troffen werden mußte, versteht sich von selbst. Trotzdem dürfen wir hoffen, das Gesamtbild in seinen charakteristischen Zügen aufgezeigt zu haben. Die Akzente mußten freilich anders gesetzt werden, als es bei einem Literaturbericht zur Barockdichtung heute möglich ist. Untersuchungen des eigentlich Barocken in seiner Eigenart und in seiner Eigenwertigkeit sind seit der Neuentdeckung des Literaturbarock in den zwanziger Jahren völlig legitim geworden. Sie haben zu einer radikalen Umbewertung geführt, gegen die alle älteren Arbeiten über das 17. Jahrhundert rettungslos veraltet erscheinen. In der Rokokoforschung hingegen wirken sich die Wertmaßstäbe des 19. Jahrhunderts bis in die Gegen· wart immer noch hemmend aus. Um solche Nachwirkungen bei jüngeren und jüngsten Arbeiten nicht stets aufs Neue konstatieren zu müssen, soll deshalb ein erster Abschnitt die Kritik des 19. Jahrhunderts am literarischen Rokoko skiz zieren, ein zweiter auf die Geschichte des Rokokobegriffs sowie die Entstehung der Rokokomode im 19. Jahrhundert näher eingehen. Lediglich die Wieland forschung hat sich in den letzten Jahrzehnten aus der Zwangsjacke tradierter Vorurteile befreien können. Durch die Bemühungen ausländischer Forscher um eine neue Würdigung dieses Dichters entscheidend angeregt, hat sich inzwischen auch in Deutschland, namentlich durch die Arbeiten von Friedrich Beißner, Fritz Martini, Hans-Werner Seiffert, Friedrich Sengle, Hans Wolffheim und, neben einer ganzen Reihe bemerkenswerter Dissertationen, vor allem durch die große Wielandbiographie von Sengle, ein neues Verständnis und eine neue Wert schätzung Wielands angebahnt. Auf den eingehenden Bericht von MARTINI über die Wielandliteratur 1) und auf den allgemeineren Beitrag SEIFFERTS zur Wieland forschung 2) sei hier ausdrücklich verwiesen. 1) Fr. Martini, Wieland-Forschung, DVjs XXIV, 1950, S. z69-z8o. ') H. W. Seiffert, Wielandbild und Wielandforschung, in: Wieland. Vier Biberacher Vorträge 1953, 1954, S. 8o-1oz. 2. I DIE BEWERTUNG DES DEUTSCEN ROKOKO IN DER LITERATUR GESCHICHTSSCHREIBUNG DES I9. JAHRHUNDERTS Das I8. Jahrhundert gleicht einem gewaltigen Stausee. Aus allen Richtungen fließen hier über- und unterirdische Quellströme, Bäche und Flüsse zusammen, binden, stoßen oder mischen sich, bilden reißende Wirbel und windstillere Buch ten und erzeugen zusammen die einzigartige Hochflut, die wir als die Dichtung der Goethezeit bezeichnen. Einzelne Strömungen sind von der Forschung früh erkannt und auf ihrem Weg durch das Jahrhundert verfolgt worden, mit Vor liebe solche, die relativ unvermischt in die klassisch-romantische Dichtung mün den. Andere fanden dagegen nur mäßiges Interesse. Unter diesen wäre das lite rarische Rokoko in Deutschland wohl an erster Stelle zu nennen. Freilich fehlt es nicht an Einzeluntersuchungen. Und etwa seit dem Ende des ersten Welt krieges versäumt es kaum eine Literaturgeschichte, dem deutschen Rokoko ein flüchtiges Kapitel zu widmen. Das allgemeine Interesse blieb jedoch gering, und die Ergebnisse solcher gelegentlichen Beschäftigungen waren eher entmutigend als anregend. Mit Recht beklagt H. P. H. TEESING 1946 3) die völlig wider sprüchlichen Begriffsbestimmungen und zeitlichen Abgrenzungen des literari schen Rokoko bei den einzelnen Forschern; mit Recht weist MARTINI in seinem oben genannten Forschungsbericht auf die Notwendigkeit einer zuverlässigen Klärung des Rokokobegriffs hin; mit Recht stellt LüDER BEEKEN4) I954 fest: »Sich auf das Feld des literarischen Rokoko wagen, heißt auch heute noch, schwankenden Boden betreten.« Diese allgemeine Unsicherheit mag auch der Hauptgrund dafür sein, daß in P. Merkers und W. Stammlers 'Reallexikon' (1925/29) •), wie im 'Sachwörterbuch der Deutschkunde' (1930) von Hofstaetter und Petcrs oder in W. Koschs 'Deutschem Literatur-Lexikon' (1930) 6) ein Ar tikel 'Rokoko' fehlt, daß der sonst so reiche Literaturbericht BENNO VON WIE SES (I934/35) 7) das Rokokoproblem kaum streift und daß schließlich in dem ausgezeichneten Forschungsbericht von W. RASCH (I956) 8) die Rokokodichtung 8) H. P. H. Teesing, Wieland als Dichter van het Rococo, Neophilologus XXX, S. 166 bis 171. ') L.Beeken, Das Prinzip der Desillusionierung im komischen Epos des 18. Jh. Zur Wesensbestimmung des dt. Rokoko, Diss. Harnburg (Masch.). •) Die unvollendete 2. Aufl., hrsg. von W. Kohlschmidt und W. Mohr hat einen Ar tikel Rokoko angekündigt. 6) Erst die 2. Auf!., Bem 1956, führt unter dem Stichwort Rokoko (Bd. III, S. 2.2.90) ganze drei Arbeiten (Hecke!, Kind und Cysarz) auf. ') B. v. Wiese, Dichtung und Geistesgeschichte des 18. Jh. Eine Problem- und Lite raturschau, DVjs XII, S. 430-478 und XIII, S. 3II-355· ') W. Rasch, Die Literatur der Aufklärungszeit. Ein Forschungsbericht, DVjs XXX, S. 533-560 (Rasch gibt nur einen Verweis auf Martinis Bericht zur Wielandforschung von 1950). 2. völlig übergangen wird, was um so überraschender ist, als es in den beiden Be richtszeiten (1920-1935 und 1945-1955) nicht nur nicht an wichtigen Arbeiten zum Rokoko gefehlt hat, sondern gerade in diesen Jahren die eigentliche Rokoko diskussion entsteht. Die Erklärung für diese von der Rokokoforschung einhellig beklagte Ver nachlässigung ist jedoch nicht allein in dem mangelnden Interesse an einer lite rarischen Erscheinung zu suchen, die man, gernessen an ihrer relativen Be deutungslosigkeit für die Entwicklung der deutschen Literatur im 18. Jahr hundert, allgernein für ausreichend bekannt hält. Die wahre Ursache liegt tiefer. Hinter der Vernachlässigung verbirgt sich Geringschätzung, hinter der Nicht achtung eine unverhohlene Verachtung. Die vielgerühmte Literaturgeschichte von ALBERT KösTER 9) mag als Beispiel hierfür herangezogen werden. Schon der Wortschatz, mit dem Köster die deutsche Rokokodichtung beschreibt, läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: seicht, läppisch, gefühlsarm, banale Fröh lichkeit, Ungesundheit, unwahr durch und durch, erkünstelter Leicht,inn, Gymnasiasten Albernheit, fade Tändelei, süßlich, überwelk und entkräftet, unchristlich, gewissenlos, ebenso langweilig wie geil, lasziv, obsziin, impotente Sinnlichkeit, mit einem Wort: un erträglich. Die ganze Rokokokultur ist ihm verbildet und vermorscht, eine Epoche »sittlicher Zerrüttung« und »erschreckenden Tiefstandes«. Während in Frank reich das Rokoko wenigstens ein »folgerichtig erwachsenes Erbe« sei, fehle für eine Übertragung nach Deutschland »jede Vorbedingung«. Daß es trotzdem als »etwas Fremdartiges fertig übernommen« wurde, mache gerade seinen Wider sinn und seine innere Verlogenheit aus. Kösters Verurteilungen und Schmähungen, die er weit über hundert Jahre nach dem Ende der Rokokodichtung mit einer Donnerstimme verkündet, als gelte es, einer lange Zeit herrschenden Wertschätzung entgegenzutreten, sind jedoch nichts weniger als neu. Bis in die Einzelheiten der Schattierung entspricht sein düsteres Bild vom Rokoko vollkommen der negativen Haltung der Literatur geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts gegenüber bestimmten Dichtern und Werken, die man heute mit dem Begriff Rokoko zu bezeichnen sich gewöhnt hat. Vor allen anderen muß hier der protestantisch-liberale AuGUST VrLMAR ge nannt werden, dessen weitverbreitete 'Geschichte der deutschen National Literatur' (1. Auf!. 1845) 1905 bereits ihre z6. Auflage erreicht hatte, als »wahrer deutscher Haus- und Familienschatz« bis in die zwanziger Jahre gelesen wurde und an Verachtung der Rokokodichtung Albert Köster womöglich noch übertraf. Für Vilmar 10) sind Gellerts Schäferspiele und Lustspiele von »äußerster Langweilig keit«, seine Fabeln »platt und gewöhnlich«; Gleim und Weiße gelten ihm als die »Zerstörer unseres Volksgesanges«; J. G. Jacobis Rokokodichtungen hätten »ge rade so wenig Wert, wie die Gleimschen Sächelchen«; Ramlers Verse zeichneten sich durch »Inhaltslosigkeit und Leerheit« aus, und Geßners Idyllen sind ihm »so widerlich süß, daß ein gesundes Gemüt sich sehr bald mit Widerwillen weg wendet«! Schärfste Form nimmt die Kritik Viimars an Wieland an. Dieser pre dige den Materialismus und fadeste Tagesphilosophie. Seine 'Musarion' enthalte nichts als eine »Doctrin des Sinnenkitzels«, ihr Inhalt sei »üppige Näscherei, wenn nicht geradezu Gift, durch welches die edelsten Organe zerstört und die kommenden Geschlechter geschwächt, gelähmt, verkrüppelt werden«. Überhaupt 9) A. Köster, Die dt. Literatur der Aufklärungszeit, Hrsg. J. Petersen, 1925, S. zo-42 und S. 244-zn. 10) Hier zitiert nach der 5· Auf!., 1856. 11 habe dieser Dichter mit Vorliebe Stoffe gewählt, »denen sich nur das versunkenste Individuum, nur eine in Kraftlosigkeit, Ohnmacht und Fäulnis verkommene Ge sellschaft, nur eine der völligen Auflösung aller sittlichen, religiösen und politi schen Bande entgegengehende Nation zuwenden kann«. Dementsprechend be stehe sein Publikum nur aus Kreisen, »welchen Klopstock als Christ widerwärtig, als Dichter erhabener Ideen unausstehlich, Lessing durch die Klarheit seines Denkens lästig, durch die strenge Consequenz seiner Kritik vollends unerträg lich war« 11). Eine so radikale Verdammung der Rokokodichtung und Wielands aus sitt lichen, nationalen und religiösen Gründen 12) kennen wir am Anfang des 1 9· Jahr hunderts nur vom jungen Tieck und den Brüdern Schlegel. In den meisten Dar stellungen der deutschen Literaturgeschichte aus den ersten drei Dezennien des Jahrhunderts 18) wird man dagegen die Hagedorn, Gleim, Götz, Uz, Geßner, Wieland noch neben Klopstock, Lessing, Goethe und Schiller unter die »klassi schen« Vertreter deutscher Dichtung ruhmvoll eingereiht finden. Auch in den Anthologien, Almanachen und Taschenbüchern dieser Zeit behaupten sie noch lange einen anerkannten Platz an der Seite der Empfindsamen, der Klassiker und sogar der ersten Romantiker. Wie sehr die Rokokodichter damals noch in der Gunst des breiten Publikums standen, macht auch der buchhändlerische Erfolg vieler ihrer Gesamtausgaben nach 1 Soo deutlich. Entscheidend änderte sich das Bild erst in den dreißiger und vierziger Jahren, teils durch die Popularisierung der scharfen Kritik der Romantiker, teils mit dem Aufkommen des Jungen Deutschland und seiner antirestaurativen Bestrebungen. Aus einer mehr und mehr sich zeigenden Gleichgültigkeit wurde schließlich eine allgemeine Gering schätzung und Verachtung. Diese Entwicklung läßt sich selbst an einem Sonderfall wie dem WoLFGANG MENZELS gut beobachten. Noch in der zweiten Auflage seines Werkes 'Die deutsche Literatur' von 1836 U) überwiegen - bei schärfster Ablehnung der zweiten Schlesischen Schule und Gottsehecis-positive Urteile über das Rokoko. Sogar das ewige Einerlei der Themen in der deutschen Anakreontik wird hier mit einem bemerkenswerten und durchaus richtigen Hinweis auf den Minne sang in Schutz genommen: »Auch damals sangen unzählige Dichter und über dieselben Gegenstände.« Geßners Idyllen seien weit »treuer und zugleich natür lich schöner« als alle Schäferdichtung vor ihm, und »eben diesem Zauber einer 11) Gerade solche Urteile sind es dann, die mit Vorliebe von anderen Literatur geschichten wörtlich übernommen werden; vgl. z. B.]. Howald, Geschichte der dt. Literatur, 1903, S. 400. 12) »Glaube, Sittlichkeit, Nationalität« sind auch die Wertmaßstäbe, die E1CHEN DORFF in seinen literaturhistorischen Abhandlungen an die Geschichte der deutschen Dichtung anlegt. Man vergleiche dazu seine abfälligen Urteile über Gleim und die Ana kreontiker, über den »gänzlich in die Parfümwolke von Amoretten« vertieften Zachariae, über die Schäferwelt Geßners (»ohne Religion, ohne Staat, Nationalität und Physio gnomie«, dafür aber »Hirten mit Zopfperücken und Schäferinnen im Reifrock mit den Schminkpflästerchen der Unschuld, mit einem Wort: einen bal champetre des Herrn von Daphnis und Fräulein von Chloe«). Ebenso wie im protestantischen wird hier im katholischen Lager Wieland zum »Großmeister ... jenes galanten Kotillonordens«, zum charakterlosen »Repräsentanten und Sprecher der Charakterlosigkeit seiner Zeit« erklärt (Eichendorff, Neue Gesamtausgabe, Hrsg. G. Baumann, 1958, IV, S. 178, 181 ff., 761 ff., 807, 844 u. ö.). 13) Vgl. etwa Franz Horn, Geschichte und Kritik der dt. Poesie und Beredtsamkeit r8o5, oder K. A. Schaller, Handbuch der klassischen Literatur der Deutschen, Bd. I, !8!2. u) 111. Theil; die erste Auflage erschien r 8z8. 4 schönen Naturwahrheit« verdankten sie »den Ruhm ... , der ihnen bleiben wird«. Enthusiastisch geradezu ist das Lob, das Menzel Wieland spendet. Dieser habe den wahrhaft »antiken Geist«, »die plastische Klarheit, die natürliche Grazie und Feinheit der Griechen« auf die deutsche Poesie übertragen; er habe den »einseitigen Abweg« erkannt, »den Klopstock und Voß gingen«, denn Wieland war es, der die »Deutschen von deren ehrbaren Steifigkeit zu der anrnuthvollen Bewegung der griechisch-französischen Grazien zurück«-geführt habe. Deutlich sieht Menzel die Verbindungslinien, die von Wieland zu Goethe und schließlich zur Romantik führen, als deren unmittelbaren Vorläufer er ihn begreift. Und bei aller Ablehnung der französischen Frivolität verteidigt er entschlossen den deutschen Dichter: »Die Art, wie Wieland die französische Frivolität mäßigte, macht seinem Geschmack weit mehr Ehre, als seine Adoption derselben Vor würfe verdient. Man hat ihn oft hart darum getadelt, . • . und besonders die neualtdeutschen Nazarener und Seufzerer haben ihn eine Zeitlang ganz ver dammen wollen . . . 0 du holder, der Natur vertrauter Geist, durch dessen sonnenhelles Leben ein lächelnder Genius ging und mit Oberans Lilienscepter die Alltäglichkeit deiner Zeit in ein liebliches Wunder verwandelte, der du das Maß des Glückes in der Weisheit fandest ..., dich liebenswürdigen Gott unter deutschen Kleinstädtern, ... dich wollen sie mit hängendem Maule und blinzen den Augen und gefalteten Händen verlästern ... Nein, so lange die Welt noch lächeln und küssen kann, unsterblicher Freund Wieland, wird sie dich gegen diese mittelalterlichen Affen vertheidigen und wenn je eine Grazie auf Erden gewandelt, oder noch wandeln wird, so wird sie in Wieland ihren Liebling er kennen ... « 15). - Doch in der ersten Auflage der völlig umgeschriebenen 'Deut schen Dichtung von der ältesten bis auf die neueste Zeit' sagt Menzel 18 59 (Bd. li) von den Anakreontikern, sie seien »steif und pedantisch«, >>Unnatürlich, 15) Diese Würdigung Wielands ist, wenn man von der parteiischen Biographie J. G. Grubers (1815 f.) füglieh absieht, einzigartig im 19. Jh. und geht weit über die schwachen Verteidigungsversuche Joh. W. Loebells (C. M. Wieland, 1858) hinaus. Da sie einerseits von der nachfolgenden Literaturgeschichtsschreibung vollkommen vergessen wurde, sie andererseits jedoch in überraschender Weise mit demjenigen fast wörtlich übereinstimmt, was nach 1945 über Wieland geschrieben worden ist, seien hier ein paar Stellen aus führlicher zitiert. »Wieland trat auf, der heitere, liebenswürdige, feine Wieland, ein in Anmuth, Leichtigkeit, Scherz und Witz überfließender, unerschöpflicher Genius. Man muß nothwendig die ganze steife, verrenkte, manierliche, pathetische Zeit kennen, die ihm vorherging, um den freien Schwung dieses Genius recht würdigen zu können, und um zugleich, was wir vom höhem Standpunkt der heutigen Zeit, zu dem er uns auf seinen Achseln selbst gehoben hat, etwa an ihm noch auszusetzen hätten, billig zu ent schuldigen. Wieland gab der deutschen Poesie zuerst wieder die Unbefangenheit, den freien Blick des Weltkinds, die natürliche Grazie, das Bedürfniß und die Kraft des hei tem Scherzes. Keck, launig, imponierend, schnitt er die Zöpfe der Philister hinunter ... und lehrte die Deutschen ... in der Welt, wie sie ist, durch Entfernung der Unnatur die Natur von selbst wieder zu finden, und die entfesselten Glieder in leichter, sicherer Harmonie zu bewegen ... Darum fand er auch mit sicherem Tackte, was die Vorfahren und andere Völker in liebenswürdiger Grazie auszeichnet, allwärts heraus, und gewann leicht die schwere Kunst, den eigenen Geist daran zu verfeinern, der eigenen Poesie es einzuhauchen und die Musterhaftigkeit desselben den Deutschen klar zu machen ... Wieland machte die Harmonie und Grazie, von denen das ganze griechische Leben durchdrungen war, seinem Geiste eigen. Hatte vor Wieland wohl irgend ein neuer Europäer die griechische Grazie erkannt und in sich aufgenommen? ... Was Winckel mann hier für die plastische Kunst, das that Wieland für die Dichtkunst ... Die an muthige und lebendige Auffassung des griechischen Altertbums durch Wieland pflanzte sich auf die vornehmem Dichter des vorigen Jahrhunderts fort, insbesondere auf Göthe. Oder fühlt ihr nicht die sanfte ionische Luft, wenn ihr seinen Wilhelm Meister, seinen Tasso, seine Iphigenie lest? ...« 11

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