Deutsche Exilliteratur 1933-1950 Band 1: Die Vorgeschichte des Exils und seine erste Phase Band 1.1: Die Mentalität der Weimar deutschen!Die »Politisierung« der Intellektuellen Hans-Albert Deutsche Wa~er Eri iteratur 19. 3 - 1 ~ l: Band Die Vorgeschichte des Exils und seine erste Phase Band 1.1: Die Mentalität der Weimardeutschen / Die »Politisierung« der Intellektuellen J. Verlag ß. Metzler Stuttgart · Weimar Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. ISBN 978-3-476-00536-6 ISBN 978-3-476-03183-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-03183-9 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2003 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 2003 www.metzlerverlag.de [email protected] Für Walter Jens und Fritz H. Landshoff Inhalt Editorische Vorbemerkung I Menschen in einer unfertigen Republik 1 Unfreiheit als geistige Lebensform 13 2 Trugbilder 101 2.1 Die geleugnete Niederlage 105 2.2 Die besonnte Vergangenheit 128 3 Feindbilder 157 3.1 »Ausländer, Fremde sind es meist. .. « 159 3.2 »Man darf das nicht vor keuschen Ohren nennen ... « 181 3.3 »Das Gift des künstlerischen Nihilismus« 206 3.4 »Blutleerer Intellektualismus« 239 3.5 »Jüdische Zersetzung« 256 3.6 »Die volkvemichtende Weltstadt« 293 3.7 »Die Brutstätten des Kulturbolschewismus« 310 4 Republik ohne Bürger, Demokratie ohne Demokraten 319 5 Exkurs: Die Mentalität der deutschen Juden 357 5.1 Behaustsein im und Ablösung vom Glauben 358 5.2 Hinwendung zum Deutschen 365 5.3 Herrscherlob, Patriotismus, Nationalismus 380 5.4 Assimilationsstreben und Antisemitismusangst 394 5.5 Jüdische Störer der Assimilation? 405 5.6 Interessenverbände und politisches Verhalten 429 II Die »Politisierung« der literarischen Intelligenz 1 »Geistige Menschen« und die ungeistige Politik 459 2 Das »August-Erlebnis« der geistigen Deutschen 499 VIII Inhaltsverzeichnis 3 Ein Nationalist aus Opportunismus und spätberufene Kriegsgegner der ersten Stunde 513 4 Ein einig Volk von freien Brüdern? 555 5 Getäuschte Erwartungen und erste Konsequenzen 583 6 Wege zur Politik 609 Quellen und Anmerkungen 689 Personenregister 764 Stichworte zum Inhalt von Band 1.2 782 Editorische Vorbemerkung Andere Arbeiten und Krankheit haben bei meiner Geschichte der deutschen Exillitera tur eine lange Unterbrechung erzwungen. Nun erscheint der erste von zwei Teilbän den zur weimarischen Vorgeschichte des Exils und zu seiner ersten Phase im Europa der Vorkriegsjahre. Im vorliegenden Buche werden die mentalen Voraussetzungen des späteren Geschehens und die Politisierung der »geistigen« Deutschen untersucht. Das erforderte ein weites Ausgreifen in der Sache und bisweilen ein zeitliches Zurück greifen auf die wilhelminische Epoche. Über den Inhalt des zweiten Teilbandes gibt ein Stichwortverzeichnis am Ende des Buches nähere Auskunft. Er wird in absehba rer Zeit erscheinen und die Lücke zu Band 2 schließen. Wie in den früheren Bänden wurden auch diesmal in den zitierten Quellen Druck fehler stillschweigend eliminiert. Bei der Angleichung der Rechtschreibung bin ich sehr behutsam verfahren. Stileigentümlichkeiten habe ich in keinem Falle angetastet. Im Personenregister sind die Anmerkungen berücksichtigt. Verfassemamen aus dem Anmerkungsteil werden aber nur bei der jeweils ersten Zitierung der betreffenden Quelle auch im Register erwähnt. Pseudonyme sind im Register nur insoweit vermerkt worden, als sie für die Darstellung in diesem Band notwendig sind. Karl Corino, Hans-Harald Müller und Werner Röder haben sich der Mühe unterzo gen, das Manuskript zur Gänze oder in großen Teilen zu lesen. Ihre vielfältigen An regungen und kritischen Hinweise haben mir geholfen, und ich danke ihnen sehr. Mein Dank gilt auch der Hessischen Kulturstiftung, die mir während eines Jahres finanzielle Unterstützung gewährte, nicht zuletzt all denen, die den Fortgang der Arbeit durch Auskünfte und durch Hilfe bei der Beschaffung von Quellen erleichtert haben. Im August 2003 HAW Menschen in einer 1 unfertigen Republik Einleitung 3 Wer vom deutschen Exil in der Zeit des Nationalsozialismus zu handeln beabsichtigt, muß zuvor von der Weimarer Republik sprechen. Soweit es ihre letzten Jahre betrifft, die ja - neben vielem anderem - auch sozusagen die politische Inkubationsperiode des Exils gewesen sind, versteht sich dies von selbst. Auch darf als bekannt voraus gesetzt werden, daß die zur unmittelbaren Vorgeschichte des Exils gehörenden Re pressionen gegen spätere Exilierte nicht erst in der Endphase der Republik begonnen haben. Sie haben viel früher eingesetzt und reichen selbst noch hinter die >guten< Zei ten zurück, die der Staat von Weimar vorübergehend gehabt hat. Das Interesse gilt also einem beträchtlichen Teil der republikanischen Ära selbst dann, wenn man sich in puncto Repressionen damit begnügt, die Ereignisse erst ab der von der politischen und ökonomischen Stabilisierung gesetzten Zeitmarke zu untersuchen. Begründet die Repressions-Materie somit die Notwendigkeit, Weimardeutschland in die Betrach tung des Exils einzubeziehen, so evoziert man auch nicht grundlos sie zuerst, wenn man an die Vorgeschichte des Exils denkt. Sie ist das auffälligste Bindeglied zwischen beiden Perioden und hat im Rückblick für Denken und Selbstverständnis der Betrof fenen derart prägende Bedeutung gewonnen, daß viele von ihnen die Republik für ihre gesamte Dauer als eine Zeit stetig sich steigernder Bedrohung dargestellt haben. Angesichts der nachfolgenden Lebensspanne, die in sozialer Hinsicht für die mei sten, in psychischer für ausnahmslos alle Exilierten und Emigranten eine des Leidens gewesen ist, leuchten solche Reaktionen ohne weiteres ein. Nichtsdestoweniger han delt es sich bei ihnen um eine Stilisierung; um eine zumeist unbewußt vorgenommene Veränderung des Betrachterstandpunktes; damit um eine Verschiebung der Perspek tive, als deren Folge die Komplexität der historischen Situation aus dem Blickfeld gerät. Ohne die Katastrophe, die ihnen folgte, wären die Repressionen Weimars gegen spätere Exilierte vermutlich kaum zum traumatischen Erlebnis geworden. Ludwig Marcuse, einer der wenigen literarischen Exilierten, die dieser Fixierung nicht erle gen sind, hat zu Recht angemerkt, der 30. Januar 1933 habe die Jahre, die ihm vor ausgingen, »nachträglich dramatisiert«. [1] Sind also die Repressionen zweifellos ein wesentlicher Teil der Vorgeschichte des Exils, so hat diese doch selbstverständlich kei neswegs nur aus ihnen bestanden. Die Perspektivverschiebung bewirkt aber noch ein Weiteres. Sie suggeriert impli cite, den späteren Exilierten sei nichts anderes geblieben, als Weimar passiv zu erlei den. Tatsächlich haben sie es aber mitgestaltet oder doch jedenfalls die Chance be sessen, es zu tun. Weimar ist also in einem viel umfassenderen Sinne Vorgeschichte gewesen, als es die Opferperspektive wahrhaben will. Es war ja kein von anonymen Gewalten verhängtes Fatum, daß der Exilierte >draußen< zum Freiwild wurde. Er sel ber hatte daran mitgewirkt, als er noch >drinnen< war, sei es durch Handlungen, sei es durch Unterlassungen. Hat er also nach Maßgabe seiner Position, seiner Möglichkei ten und Kräfte das Geschick der Republik mitbeeinflußt, so hat sie ihn, wiederum in individuell unterschiedlichem Maße, mitgeformt und mitgeprägt. Das gilt selbstver ständlich auch für jene, die -wie ein Großteil des >linken< Spektrums der Emigration - nur ein kritisches bis schroff verneinendes Verhältnis zum ersten nichtmonarchisti schen deutschen Staat oder zu Teilbereichen seiner gesellschaftlichen und politischen Praxis hatten.