ebook img

Deutsch und anders PDF

494 Pages·2016·2.86 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Deutsch und anders

Steht Deutsch auf der Liste bedroh- morgen spricht, wird einen Satz von ter Idiome? Dieter E. Zimmers Be- Lichtenberg oder Heine oder Scho- fund: »Niemand kann sagen, ob der penhauer oder Nietzsche oder Brecht Punkt, an dem es für einige europä- oder Enzensberger vielleicht noch ische Sprachen keine Rettung mehr ungefähr verstehen, aber er wird gibt, bereits erreicht ist und wann er nicht mehr in der Lage sein, zu erken- erreicht ist. Niemand kann aber auch nen, daß er gut war und was an ihm sagen, er sei noch nicht erreicht; erst gut war, wird es weniger können als recht nicht, er werde nie erreicht.« wir angesichts eines Satzes von Walt- »Sicher wird auch das Deutsch von her von der Vogelweide.« morgen, das sich heute an vielen Stel- In der »Berichtigung«, einem schar- len ankündigt, eine Sprache sein, in fen und glänzenden Essay, geht es der sich das Nötige ausdrücken läßt. um pc, ›politische Korrektheit‹: ihre Auch werden die Kids, die eines nicht ursprünglich konstruktiven Motive, fernen Tages genau dieses pidgini- die heute zu fundamentalistischen sierte Deutsch für das einzig richti- Sprachdiktaten und Denkverboten, ge halten und vielleicht auf ihre Wei- zu einer linguistischen Polizeiord- se kreolisieren. Vielleicht wird es, nung geworden sind. wenn sich seine Worte und Weisen Weiter geht es um den internatio- eine gewisse Geschichte erworben nalen Status der deutschen Sprache, haben, dann sogar eine Literatur er- um Grammatik, um Zweisprachig- möglichen, falls so etwas wie Litera- keit, um Schrift zeichen im Internet, tur überhaupt noch gefragt sein soll- um den PC als Übersetzungsautoma- te. Aber es wird die Brücken zu dem ten und um Übersetzen als darstel- Deutsch von gestern und heute abge- lende Kunst. brochen haben. Wer das Deutsch von Dieter E. Zimmer Deutsch und anders Die Sprache im Modernisierungsfi eber Rowohlt age Januar 1997 Copyright © 1997 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Der Beitrag von Urs Widmer ist mit freundlicher Genehmigung des Autors abgedruckt. Alle Rechte vorbehalten Umschlag- und Einbandgestaltung Büro Hamburg/Susanne Schmitt Satz aus der Sabon (Linotronic 500) Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3 498 07661 2 Inhalt Neuanglodeutsch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Über die Pidginisierung der Sprache Hundert Computerbegriff e in zehn Sprachen. . 108 Die Berichtigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Über die Sprachreform im Zeichen der Politischen Korrektheit Eine Neue Herzlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Über den Wandel der sprachlichen Manieren Zwischen Sie und Du . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Über eine bleibende Verlegenheit Abschied von Illusionen. . . . . . . . . . . . . . . . 251 Über den internationalen Status der deutschen Sprache Die Mythen des Bilingualismus . . . . . . . . . . . 269 Über Mehrsprachigkeit Schrift gegen Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Über das Lesen in einer Zeit des Sehens Papier und Elektrizität. . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Über die Bibliothek der Zukunft Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Über Fehler und wie man sie garantiert nicht vermeidet Falsche Sätze – Gebrauchsanweisungen . . . . . 336 Schone Gruse aus dem Netz . . . . . . . . . . . . . 343 Über die rechte Schreibung in der E-Mail Verlustbilanz – Zeichensatznormen . . . . . . . 370 Ausstellung ist verpestet. . . . . . . . . . . . . . . . 375 Über den PC als Übersetzerlehrling Drei Versuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Übersetzen als darstellende Kunst. . . . . . . . . . 399 Über eine mißverstandene Berufstätigkeit Urs Widmer, Kettenübersetzung . . . . . . . . . 436 Jahrhundertwerk. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Über die miniaturisierte Reform der deutschen Rechtschreibung Die Abschaff ung des Eszett. . . . . . . . . . . . . . 459 Über einen entbehrlichen Buchstaben Aus dem Kauderwelschen. . . . . . . . . . . . . . . 467 Über Sprachennamen Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 Neuanglodeutsch Über die Pidginisierung der Sprache Ist die deutsche Sprache fremdenfeindlich ? Seit Hun- derten von Jahren wird sie purgiert, gereinigt, sind aus- ländische Wörter nicht willkommen, werden »Fremd- wörter« vertrieben, oder sollen sie vertrieben werden. Aber das ist die nur die eine Seite. Auf der anderen werden seit Hunderten von Jahren »Fremdwörter« von überall her herbeigerufen, bewundert und gehätschelt, haben sie sich in großer Zahl und dauerhaft angesie- delt. Beides ist richtig. Die deutsche Sprache war abwech- selnd fremdenfeindlich und fremdenfreundlich und zuweilen beides zugleich. Sprachliche Xenophobie wie Xenophilie haben eine lange Tradition. Sie haben sich gegenseitig bedingt und angefeuert. Was sich aus dem Streit der Gegensätze ergab, war dann der Status quo ei- ner maßvollen mittleren Position. Sie blieb prekär, weil eigentlich keine der Parteien sie gewollt hatte. Unsere heutigen Schwierigkeiten, ein »mittleres«, ver- mittelndes Verhältnis zu den in unsere Sprache zahl- reicher denn je einströmenden ausländischen Wörtern zu fi nden, sind ein Refl ex auf eben den xenophobischen Strang der deutschen Sprachgeschichte, von dem wir, wenn auch zu Unrecht, meinen, er hätte im Nazistaat seinen Höhepunkt erlebt. Verdient es irgend etwas Deut-  sches, in seiner Eigenart bewahrt zu werden ? Zum Bei- spiel die Sprache ? Schon die Frage setzte heute jeden, der sie stellt, dem Vorwurf der Deutschtümelei, der Deutschdümmelei aus. Das Th ema existiert darum einfach nicht. Die Sprach- wissenschaft en haben ohnehin längst allem »Normati- ven« abgeschworen und die bloße Beschreibung des Vor- gefundenen zum Programm erhoben : Das Volk spricht, die Wissenschaft beobachtet es beim Sprechen und er- klärt dann, wie es spricht. Wie es sprechen sollte, will sie unter keinen Umständen mehr sagen, (»der duden be- hauptet, er is keine entsheidungsinstanz sondern sreibt nur wi di bevölkerung sreibt. di bevölkerung wider- um behauptet, si sreibt nur wi der duden sreibt. und ni- mand is imstande, ein machtwort zu sprechen« – so faß- te der Schrift steller Zé do Rock, der sich selber eine ›Ul- tra-doitsh‹ genannte Rechtschreibung zurechtgelegt hat, die Situation zusammen.) Es gibt zwar allerlei Akademi- en und Vereinigungen, die sich mit Sprachfragen befas- sen, aber keine, die sich des Th emas annehmen wollte und dann mit unverdächtiger Autorität sprechen könn- te. Die Medien fürchten verständlicherweise den Natio- nalismusverdacht besonders, und man weiß ja auch nie, wen man eigentlich hereinließe, wenn man die Tür öff - nete – weiß es besonders dann nicht, wenn man selber kein Urteil hat, wie zum Beispiel in diesen undurchsich- tigen Sprachdingen, wo jeder etwas anderes behauptet und keiner je recht zu haben scheint. Es muß jedoch sein – wenn auch hoff entlich auf eine Art, die den Verdacht deutschtümelnder Borniertheit  im Keim erstickt (unter anderem durch die ungenierte Verwendung von »Fremdwörtern«). Die Sprachentwick- lung nämlich hat eine Richtung eingeschlagen, die den Fortbestand nicht nur des Deutschen, sondern etlicher europäischer Sprachen in Frage stellt. »Über Sprachver- derb wurde von jeher gejammert, die Sprache aber hat alles immer ganz gut verkraft et, und auch jetzt wird sie es wieder tun« – nur zu gerne würde man sich mit die- ser gefaßten Zuversicht zufriedengeben. Aber das Tem- po der Sprachentwicklung, die sich vor unseren Augen vollzieht, macht solche abwartende Lässigkeit zumindest riskant. Schneller als erwartet könnte es zu spät sein. Es wäre ungerecht und geradezu falsch, der ganzen Ver- deutschungsbewegung der letzten Jahrhunderte frem- denfeindliche und nationalistische Motive zu unter- stellen. Solange Deutschland ein Konglomerat teilwei- se untereinander verfeindeter Fürstentümer war und keine Nation, konnte es einen sprachlichen Nationalis- mus sowieso noch nicht geben. Die meisten »Sprachrei- niger« wurden von keiner Feindseligkeit gegen Nicht- deutsches getrieben und erst recht nicht von dem Glau- ben, daß die deutsche Sprache anderen überlegen sei. Im Gegenteil, ihr Hauptmotiv war ein Gefühl der Un- terlegenheit : Sie sahen, daß die deutsche Sprache für vieles, worüber sich die Gebildeten der Nachbarländer unterhielten, keine eigenen Worte hatte und sich mit teils mißverstandenen und verballhornten fremden Wörtern behelfen mußte. Auch aus dem ungefügen Deutsch, meinten sie, sollte eine anständige Literatur-  sprache werden. Nicht besser als andere Sprachen soll- te es sein, nur ebensogut. Sie haben es geschafft , und schon darum haben sie nicht den leichtfertigen Spott der Nachfahren verdient, die das, was einmal erst er- dacht und durchgesetzt werden mußte, nun als ih- ren selbstverständlichen Besitz betrachten. Das ande- re Hauptmotiv lautete : Verständlichkeit. Die Verdeut- scher stießen sich daran, daß die fremden Wörter, die nur ein kleiner Teil der Bevölkerung auf Anhieb rich- tig sprechen und richtig verstehen und richtig gebrau- chen konnte, Sprachbarrieren entstehen ließen. Von ei- nem demokratischen Impetus vor der Zeit zu sprechen, wäre übertrieben. Aber jedenfalls glaubten sie, daß eine Sprache dazu dasein sollte, die Menschen zu verbinden und nicht zu. trennen. Wenn man sich heute alte Verdeutschungsglossare an- sieht, erwartet einen manche Überraschung. Zunächst erschrickt man über die Wunderlichkeit vieler ihrer Er- fi ndungen : Gesichtserker für Nase, Jungfernzwinger für Kloster (beide vorgeschlagen von Philipp von Zesen, ei- nem Mitglied der 1617 in Weimar nach dem Vorbild der italienischen Accademia della crusca gegründeten Fruchtbringenden Gesellschaft ) – bis heute dienen sie als abschreckende Beispiele dafür, wie aussichtslos und lä- cherlich die ganze Verdeutscherei ist und immer war. Dann aber ist man überrascht, wie viele dieser gewoll- ten und gekünstelten Verdeutschungen sehr wohl Fuß gefaßt haben, so daß schon lange niemand mehr etwas Gewolltes oder Gekünsteltes an ihnen fi ndet. Es scheint uns ganz unvorstellbar, daß es diese Wörter nicht schon 

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.