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Der Unverstand der Moderne PDF

996 Pages·2016·7.29 MB·German
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Home Der Unverstand der Moderne Hermann Helmholtz’ Kritik der für die Moderne konstitutionellen Apriori Kants über die mangelnde Erkennbarkeit der Wirklichkeit Überarbeitung der Dissertation von Gabriel Foco Wien 2005 1 „Hinsichtlich der Vernunft aber entstehen einige Zweifel. Unter den Er- scheinenden gilt sie für das Göttlichste; inwiefern aber und durch welche Eigenschaft sie dies sei, ist schwierig anzugeben. Denn wenn sie nichts er- kennt, sondern sich so verhält wie ein Schlafender, worin liege dann ihre Würde? Wenn sie jedoch erkennt, dieses Erkennen aber durch etwas anderes bestimmt ist, so wäre sie, da das, worin ihr Wesen besteht, dann nicht Er- kennen als Tätigkeit, sondern nur das Vermögen dazu ist, nicht das beste Wesen. Denn durch das Erkennen kommt ihr die Würde zu.“ (Aristoteles, Metaphysik, in: Philosophische Schriften V 263) 2 INHALTSVERZEICHNIS INHALTSVERZEICHNIS ............................................................................... 2 1 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS .............................................................. 4 2 VORBEMERKUNG .................................................................................. 6 3 EINLEITUNG .......................................................................................... 25 4 METHODISCHE VORAUSSETZUNGEN ............................................ 62 4.1 Erkenntnistheoretische Kriterien ......................................................................... 67 4.2 Formale Kriterien ................................................................................................. 76 4.3 Inhaltliche Kriterien ............................................................................................. 91 4.3.1 Theoretische Kriterien ................................................................................. 99 4.3.2 Historische Kriterien .................................................................................. 110 4.3.3 Entwicklungsgeschichtliche Kriterien ....................................................... 129 4.4 Systematische Kriterien ..................................................................................... 138 5 EXKURS: HOMO ERECTUS ............................................................... 154 5.1 Homo habilis ...................................................................................................... 161 5.2 Homo sapiens ..................................................................................................... 172 6 ANTHROPOLOGISCHER ANSATZ ................................................... 190 6.1 Etymologischer Ansatz ...................................................................................... 194 6.2 Theologischer Ansatz......................................................................................... 197 6.3 Religiöser Ansatz ............................................................................................... 211 7 KULTURHISTORISCHER ANSATZ .................................................. 217 7.1 Mythischer Ansatz ............................................................................................. 223 7.2 Philosophischer Ansatz ...................................................................................... 240 7.2.1 Intelligibler Ansatz ..................................................................................... 249 7.2.2 Rationaler Ansatz ....................................................................................... 260 8 DER SKEPTIZISMUS ........................................................................... 280 8.1 Die Sophistik...................................................................................................... 291 8.2 Das Kausalitätsgesetz......................................................................................... 318 9 DIE ERKENNTNISTHEORIE .............................................................. 328 9.1 Das Nichtsein ..................................................................................................... 343 9.2 Der Sinn ............................................................................................................. 361 9.3 Der Wille ............................................................................................................ 389 10 DER IRRATIONALISMUS ............................................................... 423 10.1.1 Der dritte Weg............................................................................................ 432 10.1.2 Die Wahrheit .............................................................................................. 440 10.1.3 Die Unwahrheit .......................................................................................... 447 10.2 Bund der Erkenntnis .......................................................................................... 473 10.3 Die Lage der Wissenschaft ................................................................................ 500 10.4 Das Wissen ........................................................................................................ 518 10.5 Die erkennbare Wirklichkeit .............................................................................. 525 10.6 Die skeptische Methode ..................................................................................... 538 11 ECCE HOMO ..................................................................................... 550 3 11.1 Das Wunder des Glaubens ................................................................................. 556 11.2 Der Kulturmensch .............................................................................................. 576 11.2.1 Die Seelenwanderung ................................................................................ 580 11.2.1.1 Die Seele ............................................................................................ 593 11.2.1.2 Der Dämon des Sokrates .................................................................... 606 11.2.1.3 Der Unmensch ................................................................................... 618 11.2.1.4 Der Dualismus ................................................................................... 621 11.2.2 Der Genius der Moderne ............................................................................ 632 11.2.3 Die Stufen der Erkenntnis .......................................................................... 644 11.2.4 Die Unkultur .............................................................................................. 653 11.2.5 Das Untier .................................................................................................. 677 11.2.5.1 Der Spaltgeist ..................................................................................... 695 11.2.5.2 Die Pseudowissenschaft ..................................................................... 752 11.2.6 Der Zeitgeist ............................................................................................... 777 11.2.6.1 Der Ungeist ........................................................................................ 786 11.2.6.2 Der böse Geist .................................................................................... 790 11.2.6.3 Der Wiener Kreis ............................................................................... 801 11.2.7 Homo Bürokratikus .................................................................................... 823 12 DIE RELATIVE/SOPHISTISCHE UNNATUR ................................ 849 12.1 Obduktionsbericht der Natur.............................................................................. 863 12.2 Translation oder Rotation .................................................................................. 880 12.3 Wellenmechanik oder Sophistik (Relativität) .................................................... 887 12.4 Wissenschaftstheoretischer Hintergrund ........................................................... 910 13 DIE ÜBERWISSENSCHAFT ............................................................ 913 13.1 Nichtwissensmangement.................................................................................... 916 13.2 Globale Vernichtung .......................................................................................... 944 14 LITERATURVERZEICHNIS ............................................................ 961 15 CURRICULUM VITAE ..................................................................... 992 4 1 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Die Abkürzungen der biblischen Bücher nach der Übersetzung Martin Luthers Am Amos 2 Makk 2 Makkabäer Apg Apostelgeschichte Mal Maleachi Bar Baruch Mi Micha 1 Chr 1 Chronik Mk Markus 2 Chr 2 Chronik Mt Matthäus Dan Daniel 1 Mos 1 Mose (Genesis) Eph Epheser 2 Mos 2 Mose (Exodus) Esr Esra 3 Mos 3 Mose (Levitikus) Est Ester 4 Mos 4 Mose (Numeri) Gal Galater 5 Mos 5 Mose (Deuteronomium) Geb Man Gebet Manasses Nah Nahum Hab Habakuk Neh Nehemia Hag Haggai Obd Obadja Hebr Hebräer Off Offenbarung Hes Hesekiel 1 Petr 1 Petrus Hiob Hiob 2 Petr 2 Petrus Hld Hoheslied Phil Philipper Hos Hosea Phlm Philemon Jak Jakobus Pred Prediger Jdt Judit Ps Psalmen Jer Jeremia Ri Richter Jes Jesaja Röm Römer Joe Joel Rut Rut Joh Johannes Sach Sacharja 1 Joh 1 Johannes 1 Sam 1 Samuel 2 Joh 2 Johannes 2 Sam 2 Samuel 3 Joh 3 Johannes Sir Sirach Jona Jona Spr Sprüche (Sprichwörter) Jos Josua St zu Dan Stücke zu Daniel Jud Judas St zu Est Stücke zu Ester Klgl Klagelieder 1 Thess 1 Thessalonicher 1 Kön 1 Könige 2 Thess 2 Thessalonicher 2 Kön 2 Könige 1 Tim 1 Timotheus Kol Kolosser 2 Tim 2 Timotheus 1 Kor 1 Korinther Tit Titus 2 Kor 2 Korinther Tob Tobias Lk Lukas Weish Weisheit 1 Makk 1 Makkabäer Zef Zefanja 5 Abweichende Abkürzungen in der katholischen Bibel1 Gen Genesis (1 Mose) Koh Kohelet (Prediger) Ex Exodus (2 Mose) Ijob Ijob (Hiob) Lev Levitikus (3 Mose) Ez Ezechiel (Hesekiel) Num Numeri (4 Mose) Offb Offenbarung (Off) Dtn Deuteronomium (5 Mose) 1 ÖV 5-6. 6 2 VORBEMERKUNG Gegenstand der nachstehenden Untersuchung sollte – weiter gefasst – die programmatische Vernichtung der Kultur2, schwerpunktmäßig der Wissenschaft3, und damit der Existenz- grundlage des Menschen (Homo sapiens) an sich4 sein, dessen Identität seine Kultur sei5; 2 Sternhell/Sznajder/Asheri 16, 18 f, 22, 24 f, 54 ff, 67 ff, 129 ff; Baruzzi VII f, 1, 69 ff; Dietzsch 13 f, 62, 80, 119 f, 133, 139, 142 ff; Kleine 1 f, 14 ff, 27 f, 40 ff; Görland, Der Begriff der Lüge im System der Ethiker von Spinoza bis zur Ge- genwart, in: Lipmann/Plaut 143 f, 151 f; Eliot 11, 13 f, 15 f, 28, 41 f, 75 ff, 107 ff, 118 ff, 134 ff; vgl Sloterdijk (1987) 97 ff; ders. (2005) 34 f; ders. (1983) I 7 ff, 29; Schmidinger, Religionsphilosophie, I. Historisch, in: LThK3 VIII 1066 f: „In jedem Fall verdankt sich die Entstehung der R. folgenden Faktoren: [...] der Aufwertung der Natur gegenüber jegl. Form v. Kultur z. Inbegriff des Ursprünglichen, Eigentlichen und Guten“. Vgl Hirschberger I 69 f: Das antike Vorbild der Unkultur ist die Lehre der Kyniker, die sich als Nachfolger und Schüler des Sokrates verstanden: „Er steigert die Verachtung der äußeren Güter bis zum Extrem. Das führt auch zu einer Verachtung der Kultur, der Wissenschaft, der Re- ligion, der nationalen Bindungen, und besonders auch der Sitte und des Anstandes.“ Vgl Nestle 319 ff: Später artet der Kynismus (Zynismus) in Materialismus aus, wie es sich dann im 19. Jh. bei Ludwig Feuerbach und Karl Marx wiederfin- det (Salaquarda, Feuerbach, in: TRE XI 151; Sass 95 ff; Sandkühler, Erkenntnis / Erkenntnistheorie, in: EEPhW I 830). Vgl Russell 18 ff, 689 ff, 695 ff, 727 ff; Bock 9; Weischedel 35 ff: „Die heutige Situation der Philosophie ist dadurch be- stimmt, dass der Skeptizismus in der eigensten Konsequenz des als Fragen verstandenen Philosophierens zur alleinigen Herrschaft zu gelangen trachtet. [...] Dieser Vorgang lässt sich an den Grundzügen der Geschichte der Philosophie von Sokrates bis zu Hegel aufweisen. Von da an wird dann die Fraglichkeit zum ausdrücklichen Thema: bei Feuerbach, bei Marx, bei Nietzsche, bei Heidegger. [...] Heute nun ist das Philosophieren völlig zu sich selbst gekommen, und zwar in- sofern, als es endgültig zum radikalen Fragen geworden ist, einem solchen nämlich, das alles in den Wirbel des Frag- lichmachens hineinzieht. Jede sich als gewiß anbietende Wahrheit wird in diesen Strudel hineingezogen. Alles als sicher und fest Erscheinende wird zum Einsturz gebracht.“ 3 AaO 54 f, 67 ff, 129 f; Fölsing (1984) 12 ff, 176 f; Böschen/Schneider/Lerf 8 f; Sloterdijk (1983) II 545 ff; Suren 20: „Es handelt sich im Grunde genommen um die Ablehnung einer ganzen Wissenschaftstradition, ja einer ganzen Kul- tur“. Vgl Irrlitz 272 f: „Der letzte kurze Abschnitt von sieben Seiten (»Auflösung der allgemeinen Frage der Prolegome- nen«, IV, 365-371) formuliert die Schlussfolgerung, dass Metaphysik als Wissenschaft möglich werde, nachdem nun die Logik der Synthesis a priori geklärt worden sei, mit großer dialektischer Wendung des kulturellen Bewusstseins von Ver- fall und Wiedergeburt: »Alle falsche Kunst, alle eitle Weisheit dauert ihre Zeit; denn endlich zerstört sie sich selbst, und die höchste Cultur derselben ist zugleich der Zeitpunkt ihres Unterganges.« [...] Mit den Prolegomena stellt er sein Werk in den Wendepunkt der Aufklärungsphilosophie von Auflösung und Wiedergeburt. [...] Schon fünfzehn Jahre vor dem Erscheinen der Kritik hatte Kant an J. H. Lambert von der Euthanasie der falschen Philosophie geschrieben, dass diese sich selbst zerstören werde, ehe wahre Philosophie aufleben werde.“ Vgl Kant, Prolegomena, in: Sämtliche Werke II 387 f: „Alle falsche Kunst, alle eitle Weisheit dauert ihre Zeit; denn endlich zerstört sie sich selbst, und die höchste Kultur derselben ist zugleich der Zeitpunkt ihres Unterganges. Daß in Ansehung der Metaphysik diese Zeit jetzt da sei, beweiset der Zustand, in welchen sie bei allem Eifer, womit sonst Wissenschaften aller Art bearbeitet werden, unter allen gelehrten Völkern verfallen ist.“ Vgl Liessmann (2000) 17 ff; Campbell J. 122: „Das Königreich des Verstandes war ins Wanken geraten, die absolute Autorität der katholischen Kirche wurde durch die Spaltkräfte der Reformation zerschlagen. »Indem er die implizit skeptischen Tendenzen, die der Reformationskrise, der humanistischen Krise und der Wissenschaftskrise innewohnten, zu einer umfassenden crise pyrrhonienne ausweitete«, meint Richard Popkin in seiner Geschichte des Skeptizismus, versetzte Montaigne »einer ganzen intellektuellen Welt den Gnadenstoß.«“ Vgl Fasching G 175 f: „Keine andere kulturelle Bemühung hat seit den Anfängen der Menschheit je ein so umfassendes Gefährdungspotential geschaf- fen wie Naturwissenschaft und Technik. Die Informationsmedien zeigen uns täglich neue Aspekte dieser fürchterlichen Wirklichkeit. [...] Seit dreihundert Jahren tickt also jene Zeitbombe und heute steht sie knapp vor der Explosion. [...] Mit Entsetzen stellen wir heute fest, daß dadurch die ganze Stabilität verloren gegangen ist und bloß ein kleiner Anstoß ge- nügt, um alles einstürzen zu lassen. Oder ist es schon so weit? Mit ängstlich aufgerissenen Augen verfolgen wir das erste Krachen im Gebälk, das den gewaltigen Zusammenbruch der Schöpfung einleitet und als erstes unseren zivilisatorischen Filter wegspülen wird.“ 4 Fasching G 10 f, 176 ff; Roth/Sokolowsky 7 ff; Eliot 13 f, 21 ff, 136 ff; Hampe, Anthropologie, in: RGG4 I 521 ff; Honnefelder, Anthropologie, in: LThK (1993) I 721 ff; Meyer U. 49 f; Bittner, Kultur: in: ELThG II 1190 ff; Laub- schwer, Kulturanthropologie / Sozialanthropologie, I. Religionswissenschaftlich, in: RGG4 IV 1833 f; Girtler, Kultur, 4. Kulturanthropologie, in: EKL (1989) II 1509 ff. 7 durch die sogenannte Aufklärung6 und die Vollendung des Vernichtungsprogramms der Aufklärung im Namen der Kultur7 gegen die Kultur8, im Namen des Menschen gegen den Menschen9, in der Moderne10. Vergeblich hatten die soziokulturellen Auswirkungen der programmatischen Vernichtung11 des Menschen der Kultur – im Namen des Menschen und der Kultur12 – Georg Orwell, „1984“ visionär in den 50ern als satyrische Warnung – oder vielmehr als Mahnung – beschrieben13, denn es kam in der Realität noch früher und schlimmer14. 5 Vgl Aristoteles, Nikomachische Ethik, in: Philosophische Schriften III 1 f, 4 ff, 23 ff, 215 ff; vgl Bauer U. E 6 f; Nack, Ägypten 210 ff; Görland, Der Begriff der Lüge im System der Ethiker von Spinoza bis zur Gegenwart, in: Lipmann/Plaut 143 f, 151 f. 6 Wolf 9 ff; Roßner 16 ff: Mit Hegel hatte sich die Aufklärung selbst mit der Sophistik gleichgesetzt bzw. identifiziert sich die Aufklärung der Neuzeit mit der Sophistik der Antike. Vgl Kopper (1996) 3 ff; Sloterdijk (1983) I 7 ff, 26 ff; Nestle 222 ff: Die antike Sophistik entspricht der antiken Aufklärung. 7 Roth/Sokolowsky 7 ff; Baruzzi VII f, 1 ff, 69 ff; Nolte, Die Bewertung der Lüge in der theoretischen Pädagogik, in: Lipmann/Plaut 196 f; Kleine 1 f, 14 ff, 27 f; Görland, Der Begriff der Lüge im System der Ethiker von Spinoza bis zur Gegenwart, in: Lipmann/Plaut 122 ff, 131 ff, 143 f, 151 f; Weischedel 35 ff; Sloterdijk (2005) 34 f; ders. (1983) I 7 ff, 26, 29; Liessmann (1999) 209 f; Eliot 11, 13 f, 15 f, 28, 31 f, 41 f, 75 ff, 107 ff, 118 ff, 134 ff; Dietzsch 13 f, 62, 80, 119 f, 133, 139, 142 ff; Piepmeier, Aufklärung, I. Philosophisch, in: TRE IV 577: „Bei Mendelssohn tritt die Beantwortung der Frage Zöllners Aufklärung in den Zusammenhang von Bildung und Kultur. [...] Kultur und Aufklärung sind Unter- begriffe von Bildung, wobei Kultur auf Praxis, Aufklärung auf Theorie bezogen ist.“ 8 AaO; vgl Rosenau, Religionsphilosophie, I. Christliche Religionsphilosophie, in: TRE XXVIII 757: Bauer U. E. 6 f, 16 ff, 51 ff, 68 ff, 71 ff, 119 ff; Sternhell/Sznajder/Asheri 22 f; Kleine 1 f, 6 f, 14 ff, 27 f; Schopenhauers „Euthanasie der Religion“ wird in Ludwig Feuerbachs „religiösem Humanismus“ manifest und in Karl Marx’ „Thesen über Feuerbach“ (1845) zum globalen Heilsprogramm der Menschheit, um so zu Nietzsches „Götzendämmerung“ auf Grundlage eines „Gott-ist-Tot(-gemacht)“-Religionskritik, oder zur Religion als infantiles Wunschdenken in Siegmund Freunds „Zukunft einer Illusion“ (1927), in Konkurrenz zu treten. Vgl Nolte, Die Bewertung der Lüge in der theoretischen Pädagogik, in: Lipmann/Plaut 196: „Unter Aufklärung haben wir die doppelte Denkrichtung des Naturalismus und Rationalismus zu verstehen. ‚Der Naturalismus richtet sich gegen die bestehende Kultur um sie als unnatürlich und darum schädlich zu verwerfen; der Rationalismus wendet sich gegen die positive Religion, um ihr den Charakter der übernatürlichen Offen- barung abzustreifen und sie mit der natürlichen Vernunft in Einklang zu bringen’ (Heman).“ 9 Kleine 1 f, 14 ff, 27 f; Sloterdijk (2005) 34 f; Bock 13: „Der Krisis der Kultur liegt, wenn auch vielfach noch durch die Suggestionen des äußeren Betriebes zugedeckt, eine Krisis des Menschseins und der Menschlichkeit zugrunde.“ 10 Lay 11, 33 ff, 310 ff, 325; Olejniczak (1994) 15 ff: „Die klassische Moderne ist gekennzeichnet durch Reflexivität, To- talitätskritik und Negativität.“ Vgl Russell 18 ff, 510: „Ich kann mir keine Verbrechen vorstellen, von der Vernichtung antiker Manuskripte abgesehen, dessen sich die Menschen der Renaissance nicht wiederholt schuldig gemacht hätten.“ Vgl Bock 9: „AUS DER VORBEMERKUNG 1940 [...] Unterdes hat sich der neue Zeitgeist deutlich in einer Reihe von erdbebenartigen Stößen und Erschütterungen spürbar gemacht. Mächtig drängt der geschichtsbildende Wille, nachdem das Gebäude der bisherigen Kultur in allen Grundfesten kracht und zum Teil bereits eingestürzt ist, auf allseitige Erneue- rung.“ 11 Dietzsch 13 f, 62, 80, 119 f, 133, 139, 142 ff; Kleine 1 f, 14 ff, 27 f; Baruzzi VII f, 1 ff, 69 ff; Sloterdijk (1983) I 7 ff, 28 f; Weischedel 35 ff. 12 AaO 113 ff; Bacher, Zum Thema, in: Schatz 11; Görland, Der Begriff der Lüge im System der Ethiker von Spinoza bis zur Gegenwart, in: Lipmann/Plaut 122 ff, 131 ff, 143 f, 151 f; vgl Eliot 11, 13 f, 15 f, 28, 31 f, 41 f, 75 ff, 107 ff, 118 ff, 134 ff. 13 AaO 10 f, 138; Hamblock 289 ff; Meyer-Larsen 8 f: „Winston Smith ist Funktionär eines übermächtigen Staates, eines Staates, der seine Bürger allesamt mit «Televisoren» optisch überwacht und ihnen durch den gleichen Apparat akustische Befehle gibt. Hoch oben thront eine von keinem je gesehene, dafür aber an jeder Straßenecke abgebildete Figur, der «Große Bruder». [...] Geschult wird Winston Smith außerdem in der Kunst des «Zwiedenkens». Die Welt des Zwieden- kens wird von Orwell selbst so beschrieben: «Zu wissen und nicht wissen, sich des vollständigen Vertrauens seiner Hörer bewußt zu sein, während man sorgfältig konstruierte Lügen erzählte, gleichzeitig zwei einander ausschließende Meinun- gen aufrechtzuerhalten, zu wissen, daß sie einander widersprachen, und an beide zu glauben.» [...] Winston Smith wird dann von einem geheimnisvollen O’Brien gefoltert, der sich ihm vorher als Führer einer geheimnisvollen oppositionellen «Bruderschaft» dargestellt hatte. Die Folter mit Elektroschocks und allen möglichen Abartigkeiten geschieht im «Minis- terium der Liebe». Smith wird dort in jenes letzte Stadium der Erniedrigung gebracht, wo er alles, was ihm je etwas be- 8 Hinter den Kulissen der blendenden Leuchtreklame eines Konsumparadieses15 hatte sich eine zunächst mittelalterlich anmutende Mentalinquisition16 der Unkultur gegen die Kultur etabliert17, um den Menschen - im Namen der Menschlichkeit – in den vorkulturellen (d. i. vormenschlichen) Zustand der Steinzeit, in den vormenschlichen18 Zustand der Unmensch- lichkeit19, und eigentlich auf eine tierisch vormenschliche Stufe der Evolution, zu trans- formieren20, also um (als Menschen) zu vernichten21, damit die Herrschaft des Leiblichen, deutet hatte, verrät. [...] Der Roman «1984», als Warnung gedacht und als Satire geschrieben, ist zur Chiffre geworden für alles, was die Welt an Totalitarismus und Personenüberwachung, an Gesinnungsterror und Bürokratie, an amtlicher Verlogenheit und Manipulation der geschichtlichen Wahrheit, an psychischen Schrecknissen und verletzter Menschen- würde, an Vernichtung von Liberalität und Persönlichkeit, ob Liebe oder Religion, erfunden hat. [...] Da ist ein Staat, der elektronische Gerichtsurteile über Asylanten und Verkehrssünder spricht. Da ist ein anderer Staat, der Terroristen mit Rasterfahndung verfolgt und tausende von harmlosen Bürgern in Verdächtigenkarteien bringt. Da ist ein dritter Staat, der sich seiner Kritiker durch Einweisung in psychiatrische Kliniken entledigt: Die Demokratie der Niederlande, die neue der Westdeutschen und die totalitäre der Sowjetunion – im Orwell-Staat scheinen sie vereint.“ 14 Meyer-Larsen 7 ff, 28 ff, 187 ff; Fasching G 9 ff, 176 ff; Bacher, Zum Thema, in: Schatz 11: „In George Orwells »1984« spielt der Newspeak, die Neusprache, eine entscheidende Rolle, die semantische Manipulation, die bewusst sinnändernde Verwendung an sich allgemein gültiger Wörter. [...] Orwell hat seinen Newspeak-Staat ins Jahr 1984 ver- legt. In dieser Zukunft befinden wir uns längst.“ Vgl Johansen 109 ff; Sloterdijk (2005) 273 f. 15 Kleine 254; Fasching G 9 ff, 46 f; Mises L. 7 ff; Hamblock 289 ff; Meyer-Larsen 10 ff, 187 ff; Sloterdijk (1987) 15 ff; Bacher, Zum Thema, in: Schatz 9. 16 AaO 253 f; Mieses 10 f, 188 f; Sternhell/Sznajder/Asheri 67 ff; Sloterdijk (1987) 15 ff; Germar, Bücherschau, Von Reichsflugscheiben, Deutscher Physik und dem Perpetuum Mobile, in: VffG Heimseite, Jahr 2005, Nr. 1, < http://www.vho.org/VffG/2001/4/Rudolf459-463.html >; Barth G. 5 ff, 135; Yourgrau 90 ff, 141 ff, 159 ff, 189 ff; Hag- ner 17 f; Liessmann (2000) 17 ff; Sloterdijk (1987) 25 ff, 124 ff; Ott H. 8 f, 258 ff; Schatz 17 ff. 17 AaO 1 ff, 14 ff, 19 ff, 40 ff, 237, 249, 253 f; Bauer U. E. 6 f, 16 ff, 51 ff, 68 ff, 71 ff, 119 ff; Fasching G 9 ff; vgl Jaeschke W., Religionsphilosophie, in: HWPh VIII 749: Herder als Schüler wirft seinem Lehrer I. Kant vor, dass dessen Lehre einen „ewigen Prozeß des Menschengeschlechts gegen Gott vor dem Tribunal Satans“ anstrenge. 18 Nack, Germanien 15 ff; Kreiser 110 f; „Das Element des Tragischen, das Audens Konzeption der Lüge charakterisiert, liegt in einer fatalen Fehleinschätzung des Individuums begründet. Statt der ersehnten Befreiung aus Angst und Schuld schafft das Prinzip der Lüge nur immer neue Angst- und Schuldgefühle, deren Ausmaß an Schmerz und Verzweiflung um ein Vielfaches größer ist, als die Akzeptanz der Realität. Darüberhinaus führt der Mechanismus der Selbsttäuschung zu einer schleichenden Selbstentfremdung, die wiederum Angst auslöst. Der Mensch gerät so in einen Teufelskreis von Angst und Lüge, dessen Eigendynamik er irgendwann nicht mehr zu durchbrechen vermag. Die wachsende Selbstent- fremdung korrespondiert wiederum mit dem archaischen Zustand der Dualität des Menschen wie ihn Kierkegaard be- schreibt und bewirkt eine Auflösung des Bewußtseins in zunehmend dissozierte Instanzen, auf die der Mensch nur noch in Ausschnitten Zugriff hat, und die er nicht in ein Ganzes zu integrieren vermag. Der Zustand der Selbstentfremdung bedingt notwendigerweise auch eine Entfremdung von der Gemeinschaft, was die endgültige Isolation des Individuums zur Folge hat. Auch die von Auden diagnostizierte Entartung des Menschen, der Verlust der true community, ist damit mittelbar ein Produkt der Lüge. [...] Audens Ausrufung des Weltalters der Angst macht deutlich, welche übergeordnete Bedeutung die Disposition der Angst im Kontext seines Menschenbildes hat. Die Angst ist im teleologischen Sinne durchaus nicht negativ besetzt, denn nur die Angst macht dem Menschen immer wieder die Notwendigkeit moralischer Entscheidung bewußt. Ohne die Angst würde es dem Menschen noch weiniger gelingen, in der Dualität von Natur- und Geistwesen eine lebensfähige Synthese herzustellen und womöglich würde sich der Vorzug des Bewußtseins, das ihn über die bloße Existenz als Naturwesen hinaushebt, im weiteren Verlauf seiner stammesgeschichtlichen Entwicklung als nutzloses Patent der Evolution zurückbilden.“ 19 Sternhell/Sznajder/Asheri 16, 18 f, 22, 24 f, 54 ff, 67 ff, 129 ff; Cassirer (1991) 6 ff; Sloterdijk (1987) 36 ff, 42 ff; Eliot 11, 13 f, 18 ff, 24, 136 ff. 20 Baruzzi 1 f; Luckow, Nachwort, in: Sade (1990) 567 f; Sternhell/Sznajder/Asheri 24 f; Erasmus, Handbüchlein eines christlichen Streiters, in: Ausgewählte Schriften I 129 ff; Korzcak, Dieter: Prognosen für die postsekuläre Gesellschaft, in: Böschen/Schneider/Lerf 37 ff; Hirschberger II 53 f, 194 f, 254; Gex 113 ff; Vgl Russell 695 f: „Zu seinem ersten lite- rarischen Erfolg kam er erst ziemlich spät. Die Akademie von Dijon hatte einen Preis ausgesetzt für die Abhandlung über das Thema »Haben die Künste und Wissenschaften dem Menschengeschlecht Segen gebracht?« Rousseau verneinte die Frage und erhielt den Preis 1750. Er vertrat die Auffassung, daß Wissenschaft, Literatur und Kunst die schlimmsten 9 d. h. Materiellen, Animalisch-Bestialischen, über das Seelisch-Lebendigen demonstriert werde22. Die zu diesem Zweck neu erfundene künstliche Naturreligion23, eine Art Schwärmen für die Unnatur24, als „natürliche Religion“ bezeichnet25. Es sollte eine neue Spezies26 den Kulturmenschen Homo sapiens ablösen27, der dem Homo erectus28 als der Vorfahre des Homo sapiens vor der Kultur29 nachempfunden war, der als Übermensch be- zeichnet30 wird, oder oft einfach als der „neue Mensch der Neuzeit“31, die Stelle des Men- schen einnehmen32. Der alt-neue (Un)Mensch (Homo erectus33) sollte gleichsam den bishe- Feinde der Moral und außerdem der Ursprung der Sklaverei seien [...] Wissenschaft ist seiner Meinung nach unvereinbar mit Tugend, und alle Wissenschaften sind unedlen Ursprungs. [...] Um das Böse aus der Welt zu schaffen, braucht man nur mit der Kultur aufzuräumen, denn der Mensch ist von Natur gut, und der Wilde lebt, wenn er gegessen hat, in Frie- den mit der ganzen Natur und in Freundschaft mit all seinen Mitgeschöpfen.“ 21 AaO VII, 1 ff, 69 ff; Dietzsch 13 f, 62, 80, 119 f, 133, 139, 142 ff; Kleine 1 f, 14 ff, 27 f; Weischedel 35 ff; Suren 191; vgl Görland, Der Begriff der Lüge im System der Ethiker von Spinoza bis zur Gegenwart, in: Lipmann/Plaut 122 ff, 131 ff, 143 f, 151 f. 22 Kleine 1 ff, 14 ff, 19 ff, 40 ff, 237 f, 245 ff, 253 f. 23 Schmidt, Aufklärung, II. Theologisch, in: TRE IV 597 ff; vgl Jaeger, Die Theorien über Wesen und Ursprung der Re- ligion, in: Classen 41 ff. 24 Hirschberger II 254 f; Strasser, Ist das Böse ein Mangel an Gutem? Zur Aktualität der Privationstheorie, in: Liessmann (1997) 70 ff; Dux (2000) 465 ff; Wiegand 236; Sade (1966) III 490 f: „Von Natur aus ist uns nichts verboten worden; [...] Aber diese rein menschlichen Fesseln haben nichts Heiliges an sich; in den Augen der Philosophie, deren Flamme al- le Irrtümer zerstreut und die für den weisen Menschen nur die Eingebung der Natur gelten läßt, haben sie keine rechtmä- ßige Gültigkeit. Nichts jedoch ist unmoralischer als die Natur. Niemals hat sie uns Zügel angelegt, niemals hat sie uns Gesetze diktiert. O Juliette! Du wirst mich allen Ketten gegenüber rücksichtslos und feindlich finden. Und ich gehe sogar soweit, ernstlich jene ebenso kindische wie törichte Forderung zurückzuweisen, die uns anhält, keinem anderen etwas zuzufügen, von dem wir nicht wollen, daß er es uns antut. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die Natur uns rät; denn ihr einziges Gebot fordert, daß wir uns erfreuen, ganz gleich auf wessen Kosten. Zweifellos kann es bei der Befol- gung dieses Grundsatzes passieren, daß unsere Freuden das Glück der anderen stören. Sind die Freuden darum aber we- niger intensiv? Ich sage weiter: wären sie ohnedies wirklich ebenso köstlich? Dieses angebliche Gesetz der Natur, an das uns die Dummköpfe binden wollen, ist also genau so eine Chimäre wie jene menschlichen Gesetze, und wir müssen die einen wie die anderen unter unseren Füßen zerstampfen und uns fest davon überzeugen, daß in nichts etwas Böses liegt. [...] Laßt uns unsere Grundsätze in die Tat umsetzen; nachdem ich dir gezeigt habe, daß du alles tun kannst, ohne verbre- cherisch zu sein, wollen wir nun Verbrechen begehen – so wenig sie auch tatsächlich Verbrechen sind –, um uns davon zu überzeugen, daß man alles tun kann.“ Vgl Sade (1964) I 440 f, 444 ff. 25 Russell 698 ff; Schmidt, Aufklärung, II. Theologisch, in: TRE IV 597 ff; Kopper (1996) 16 ff, 136 ff; vgl Schmidinger, Religionsphilosophie, I. Historisch, in: LThK3 VIII 1066 f; Jaeger, Die Theorien über Wesen und Ursprung der Religion, in: Classen 41 ff. 26 Dietzsch 78, 111 ff, 119 f. 27 Nietzsche, Also sprach Zarathustra, in: Sämtliche Werke IV 53, 55, 102, 188; vgl. Stadler (1997) 375. 28 Ploetz 10, 11, 16, 1228; Heberer, Die Herkunft der Menschheit, in: PWG I 135 ff; Wolter 18; Alimen/Steve, Vorge- schichte, in: Weltgeschichte I 39 ff. 29 AaO; Eliot 11, 15, 18, 134 ff. 30 Wolff, Der Mensch und Übermensch bei Shri Aurobindo, in: ZRGG IX 41, 43, 50 ff; Sternhell/Sznajder/Asheri 142; Wiegand 235 ff; Petech, Indien bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts, in: PWG II 457: Der archaische Begriff des Übermen- schen bezeichnet die Darstellung des Buddha als Mahapurusha (außergewöhnlicher Mensch). Vgl Hirschberger II 246, 515 ff: Die überspitzte Ausformung des Übermenschen erfolgte dem Namen nach erst bei Nietzsche, doch schon vor die- ser rhetorischen Überhöhung hatte die Renaissance und Aufklärung von diesem Ideal geschwärmt. Vgl Dietzsch 115 f; Luckow, Nachwort, in: Sade (1990) 567 f, 572; Vorländer II 203 f. 31 AaO IX 51 f; Lau, Phantastisch leben – Kleine Schadensbilanz der sexuellen Revolution, in: Liessmann (2002) 205 ff; Steinmann, Vorwort, in: Erasmus (2000) 10 ff; Liessmann (1991/2000) 7 ff; Bock 9 f, 13; Stadler (1997) 374 f; Vorländer II 203 f: „Die Erlösung kann für uns nie durch einen anderen, sondern nur durch den n e u e n Menschen i n uns, der dem alten ‚abstirbt’, stattfinden. Es ist Verfehlt mit Kuno Fischer Kants Religionslehre als ‚Erlö- sungs’-Theorie aufzufassen; will man es aber tun, dann ist der wahre Erlöser’ – das Wort findet sich bei Kant nur einmal (Religion, S. 83), und zwar gerade im folgenden Sinn – eben der ‚neue Mensch’ in uns selber.“ 32 Vorländer II 203 f.

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