Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Institut für Popularmusik Betreuer: Dr. Harald Huber Alwin Miller Der Swing-Klarinetten-Stil am Beispiel von Buster Bailey, Edmond Hall und Artie Shaw Bakkalaureatsarbeit in der Studienrichtung Instrumental(Gesangs)pädagogik Im Rahmen der Lehrveranstaltung Seminar Theorie und Geschichte der Popularmusik 1 Wien, Jänner 2009 Inhaltsverzeichnis Vorwort Seite 3 1. Methode und Zielsetzung Seite 4 2.1 Biographie Buster Bailey Seite 5 2.2 Analyse: Coquette Seite 7 2.3 Analyse: I Know That You Know Seite 9 3.1 Biographie Edmond Hall Seite 10 3.2 Analyse: Jammin’ in Four Seite 11 3.3 Analyse: I Want To Be Happy Seite 12 4.1 Biographie Artie Shaw Seite 15 4.2 Analyse: Non Stop Flight Seite 16 4.3 Analyse: Rose Room Seite 18 Quellenverzeichnis Seite 21 Anhang A: Komplette Transkriptionen Anhang B: Lead Sheets Anhang C: Korrespondenz mit dem Kurator der Artie-Shaw-Sammlung an der Universität von Arizona Anhang D: mp3-CD Vorwort Es gibt auf der einen Seite Jazzmusiker, für die der Jazz 1930 aufhört, und auf der anderen Seite jene, für die der Jazz 1950 beginnt. Diese etwas zugespitzte Formulierung trifft insofern nicht ganz zu, als dazwischen immerhin die kommerziell erfolgreichste Phase des Jazz, die Big-Band-Ära, liegt. Wiewohl die "Hits" aus dieser Phase heute noch geläufig sind, wird die eigenständige improvisatorische Tonsprache dieser Zeit dieser Tage kaum noch studiert oder gar praktiziert. Ohne diesen Zustand bewerten zu wollen, war meine persönliche Motivation für die Erstellung dieser Arbeit deshalb, eine Lanze für diese Tonsprache zu brechen. Darüber hinaus war es interessant und lehrreich, mich mit einer Reihe großartiger Klarinettisten auseinanderzusetzen, nicht zuletzt weil ich selber viel und gern Klarinette spiele. Ich teile die maßgeblichen Klarinettisten der Swing-Ära gern in drei „Generationen“ ein. Zunächst sind Edmond Hall, Barney Bigard und Buster Bailey zu nennen, die um die Jahrhundertwende im Raum New Orleans geboren wurden und bereits am klassischen New Orleans Jazz mitwirkten, bevor sie in den Swing „hineinwuchsen“. Dann kommen Artie Shaw, Benny Goodman und Woody Herman an die Reihe, alle um das Jahr 1910 geboren, die als Big-Band-Leader zeit ihres Lebens ungeheure Popularität genossen. Zuletzt gibt es mit Buddy DeFranco, Stan Hasselgard und Jimmy Giuffre eine dritte Generation von Klarinettisten, die ihr Instrument in den modernen Jazz „einführten“. Eine gesonderte Position in dieser Aufstellung hat Pee Wee Russell inne, seines Zeichens der wohl wichtigste und beliebteste Klarinettist der Chicago-Dixieland-Szene. Nachdem eine Berücksichtigung all dieser Musiker den Rahmen einer Bakkalaureatsarbeit gesprengt hätte, habe ich mich bei der Recherche auf die Jahre 1935-45 beschränkt und willkürlich drei möglichst verschiedene Klarinettisten ausgesucht. Zu jedem Klarinettisten gibt es eine kurze musikalische Biografie und zwei Transkriptionsanalysen. Die Transkriptionen sind gegriffen, nicht klingend notiert und befinden sich, wie auch Lead Sheets zu den Stücken und die ausgewählten Aufnahmen selbst, im Anhang. Wien, Jänner 2009 3 „Bailey, Hall, Shaw“ Bakkalaureatsarbeit Alwin Miller Universität f. Musik und darst. Kunst Wien 1. Methode und Zielsetzung Ich setze bei dem/der LeserIn Grundkenntnisse der Jazztheorie voraus. Um allzu trockenes Notenkletzeln zu vermeiden, suche ich bei den Analysen nach folgenden Dingen: 1. Aufbau und Dramaturgie des Solos: Ich versuche festzustellen, wie sich die Intensität der Musik im Verlauf der Improvisation ändert. Intensität ist hier nicht als emotionaler Ausdruck zu verstehen, sondern setzt sich aus den Parametern Länge der Phrase, rhythmische und melodische Aktivität, Richtung der Phrase (aufwärts bedeutet Spannung), Tonlage bzw. einzelne Spitzentöne, ungewöhnliche Töne oder Intervalle sowie Vortrag (Phrasierung, Effekte) zusammen. 2. Melodische Struktur. Vertikale Linien, die sehr von Akkordzerlegungen geprägt sind, werden gemeinhin mit traditionellem Jazz, lineare Melodieführungen, die eher von Tonleitern geprägt sind, mit modernem Jazz assoziiert. 3. Tonmaterial: Ich versuche anhand der verwendeten Töne stil – bzw. personentypische Elemente festzustellen. Dies ist natürlich nur eine Auswahl der vielen Aspekte, die man in diesem Zusammenhang gezielt behandeln könnte. Außerdem ist es oft unmöglich festzustellen, ob eine gewisse Situation absichtlich, versehentlich oder intuitiv zustande kommt. Weder ist allerdings dies das Ziel dieser Arbeit, noch, verschiedene Musikerpersönlichkeiten zu vergleichen und gegeneinander aufzuwiegen. Der Anspruch der Arbeit ist, dem Stil der Swing-Klarinettisten nachzufühlen und jenen an persönlich wie stilistisch typischen Elementen festzumachen. Dadurch möchte ich den Swing-Klarinettenstil für Interessierte einfacher zugänglich machen. 4 „Bailey, Hall, Shaw“ Bakkalaureatsarbeit Alwin Miller Universität f. Musik und darst. Kunst Wien 2.1 William C. “Buster” Bailey (1902-1967) Bailey erlebte bereits die Blütezeit des New Orleans Jazz als Klarinettist der ersten Garnitur: “Buster Bailey had studied extensively with concert-trained musicians while growing up in Memphis and did not learn to play jazz until he acquired a solid grounding in technique. One suspects that if the color barrier had not limited his opportunities, he would have pursued a career on the concert stage rather than in dance halls and nightclubs…1”. In seiner Jugend spielte der aus Memphis, Tennessee stammende Afroamerikaner bereits mit W.C. Handys Orchester. 1919 zog er nach Chicago, wo er für Erskine Tate 1923 bei seinen ersten Plattenaufnahmen mitwirkte und weiters mit King Olivers Creole Jazzband und der Bluessängerin Bessie Smith arbeitete. Während er in Chicago lebte, nahm er beim deutschen Klarinettisten Franz Schöpp Unterricht und lernte dort den jungen Benny Goodman kennen: “Schoepp liked to have the student who was coming in for a lesson play a few duets with the student who was finishing up, and it was through such casual interchanges that Benny became acquainted with Buster Bailey and Jimmie Noone”2. Goodman war voll des Lobes für seinen um eine Generation älteren Kollegen: “Bailey, he said, ‘[is] unquestionnably the fastest man on his instrument, and his tone is very good. He is probably the greatest technician of his race3”. Im Oktober 1924 ging Bailey nach New York, um nach Empfehlung Louis Armstrongs, der ihn aus ihrer gemeinsamen Zeit mit King Oliver kannte, in Fletcher Hendersons Orchester zu spielen. Bailey war von 1924 bis 1929 sowie 1934 und von 1935 bis 1937 in Hendersons Ensemble aktiv. Dieses Orchester erwies sich als bahnbrechend für die Entwicklung vom sogenannten „traditionellen“ Jazz zum Swing: “By the winter of 1934 the Fletcher Henderson orchestra had reached the end of the line and was forced to disband. The hellishly ironic thing was that at the time of the breakup it sounded absolutely wonderful. It was filled with great soloists like Red Allen, Buster Bailey, Ben Webster and Hilton Jefferson. Charts like “Down South Camp Meting” and “Wrappin’ It Up” forge together […] all the elements that characterized big band writing for years to come.4” 1 Firestone, Ross: Swing, Swing, Swing; The Life And Times of Benny Goodman, Seite 26 New York, 1993 2 Firestone, Seite 26 3 Firestone, Seite 27 4 Firestone, Seite 114 5 „Bailey, Hall, Shaw“ Bakkalaureatsarbeit Alwin Miller Universität f. Musik und darst. Kunst Wien Dazwischen spielte er mit Noble Sissle, Edgar Hayes, der Mills Blue Rhythm Band sowie Louis Russells Orchester und nahm mit Stuff Smith's Onyx Club Boys auf. Kurz danach wurde er Teil des Sextetts des Bassisten John Kirby, das als „John Kirby’s Onyx Club Boys“ bekannt wurde und sich eine Zeit lang großer Beliebtheit erfreute. Bailey spielte von 1937 bis 1944 und mit Unterbrechungen bis 1947 mit dieser Gruppe, die nach einer Phase großer Popularität wieder das öffentliche Interesse verlor. Während dieser Zeit wirkte er überdies an verschiedenen All-Stars- Aufnahmen, unter anderem mit Red Allen, J. C. Higginbotham, Miff Mole, Johhny Guarnieri, Wild Bill Davison, oder Art Hodes mit. Nach dem Zerfall der Onyx Club Boys spielte Bailey mit Wilbur de Paris (1946 bis 1949), Red Allen (1950 bis 1952), Big Chief Moore (1952 bis 1953), zwischendurch bei einer Progy & Bess- Produktion im Orchester, schließlich ab 1954 wiederum mit Allen, der lange Zeit das „Metropole Hotel“ in New York bespielte. Ab 1957 arbeite er in der Henderson Reunion Band unter dem Kornettisten Rex Stewart, von 1961 bis 1963 spielte er wieder mit Wild Bill Davison, und 1963 bis 1964 mit den "Saints and Sinners". Bailey verbrachte seine letzten Lebensjahre mit Louis Armstrongs All Stars.5 Buster Bailey war in vielen verschiedenen musikalischen Umfeldern unterwegs. Am Anfang seiner Karriere stand W. C. Handy, der den Blues populär machte, und der originäre New Orleans Jazz unter King Oliver. Mit Fletcher Henderson erlebte er den Übergang vom Dixieland zum Swing hautnah mit. Er wurde nie Mitglied einer der berühmten Bigbands, sondern spielte mit heute eher unbekannten Ensembles und blieb dann sehr lange bei den Onyx Club Boys, die nur aus drei Bläsern und kleiner Rhythmusgruppe bestanden. Zwischendurch arbeitete er genauso mit Vertretern des „Chicago Dixieland“, wie Wild Bill Davison und Miff Mole, um am Ende seines Lebens wieder zu Louis Armstrong zurückzukehren, der ihn Jahrzehnte zuvor nach New York zu Fletcher Henderson geholt hatte. 5 Kernfeld, Barry (Hrsg.): The New Grove Dictionary of Jazz, Volume One, S. 105f. New York, 2002 6 „Bailey, Hall, Shaw“ Bakkalaureatsarbeit Alwin Miller Universität f. Musik und darst. Kunst Wien 2.2 Analyse: Buster Bailey - Coquette (Johnny Green - Carmen Lombardo, Aufnahme 1941)6 Dieses Lied ist aus dem Jahr 1928. Johnny Green erlangte übrigens die größte Berühmtheit (und wohl auch die meisten Tantiemen) als Co-Komponist von „Body and Soul“, des derzeit am öftesten aufgenommenen Jazzstückes überhaupt7. Sie hören John Kirby's Onyx Club Boys, auf die ich übrigens persönlich große Stücke halte. Neben Bailey spielen Charlie Shavers (Trompete), Russell Procope (Altsaxophon), Billy Kyle (Klavier), John Kirby (Bassgeige) und O'Neill Spencer (Schlagzeug). Die Improvisation ist in ihrem dramaturgischen Verlauf sehr logisch und schlüssig aufgebaut. Die ersten zwei Phrasen orientieren sich insofern noch sehr stark an der Melodie (das war vor allem im „traditionellen“ Jazz üblich), als sie genauso lang sind und ähnliche Schwerpunkte haben wie die entsprechenden Melodiephrasen (siehe Anhang B). Darüber hinaus zitiert Buster in Takt 3 die Melodie direkt. Ferner entspricht die Richtung der Phrasen (die erste aufwärts, die zweite abwärts) der harmonischen Periode I-V-V-I. Obwohl es schwer herauszufinden sein wird, ob dieses Detail gewollt war, verleiht es den ersten acht Takten einen runden, in sich geschlossenen Charakter. Diese klare Struktur wird im Folgenden zusehends aufgelöst. Im Auftakt zu Takt 9 passieren gleich mehrere Dinge: erstens wird die Tonlage deutlich höher, zweitens sorgt eine rhythmische Verschiebung für zusätzliches Gewicht. Diese Phrase wird über die viertaktige harmonische Periode hinaus auf insgesamt sechs Takte (T. 8-14) gestreckt. Am Ende der Figur steht die Terz des Dominantseptakkordes, die im Takt 15 in fast theatralischer Manier aufgelöst wird. Danach wird die Intensität mit einer fast durchgehenden Achtelkette über mehr als vier Takte deutlich erhöht (T. 15-19), um auf die Krönung des Solos vorzubereiten. Nachdem der A-Teil dieses Liedes nur aus Tonika und Dominante besteht, gibt es im B-Teil zwei nicht diatonische Akkorde: V7/IV und V7/V. Buster verwendet hier den ersten dieser Akkorde für den bereits erwähnten Spannungsaufbau, den zweiten hingegen für den eindeutigen Höhepunkt zwischen Takt 20 und 24. Sowohl auf die Lage als auch auf die rhythmische Aktivität bezogen sticht diese Phrase unmissverständlich heraus. Gleichzeitig hat sie allerdings eine 6 “The Ultimate Jazz Archive”, Vol. 21, Membran Music, 2005 7 www.jazzstandards.com Oktober 2009 7 „Bailey, Hall, Shaw“ Bakkalaureatsarbeit Alwin Miller Universität f. Musik und darst. Kunst Wien stetig fallende Tendenz und leitet im Takt 24 sehr elegant den letzten A-Teil ein, der nicht mehr ganz so spektakulär ist, aber als durchgehende Achtelkette dem B-Teil an Intensität nicht um viel nachsteht. Ich finde es bemerkenswert, wie hier der harmonische Verlauf des Stückes direkt Einfluss auf die Improvisation nimmt. Der Höhepunkt fällt genau mit dem spannungsreichsten Akkord zusammen. Viel besser kann man das meiner Ansicht nach nicht machen. Es ist deutlich erkennbar, dass Buster noch stark in der Klarinettentradition des New Orleans Jazz verwurzelt ist. Sein Improvisationsmaterial ist zu großen Teilen auf Akkordzerlegungen aufgebaut. Dieses Element kommt vor allem in den Takten 16-20 und 28-30 zum Tragen. In den Takten 28 und 30 findet sich sogar eine sehr New- Orleans typische Wendung, nämlich die Unspielung der Quint in Verbindung mit einer Akkordzerlegung. "... figures based on arpeggios that embellished the third or fifth of the chord."8 Im Gegensatz dazu gibt es allerdings auch eher lineare Passagen, z.B. 1-7, 21-23. Hierin liegt auch der größte Unterschied zwischen den beiden A- Teilen. Der erste ist sehr linear und tonikal geprägt, das heißt, Buster spielt keine vollständigen Akkordzerlegungen und bedient sich auch bei der Dominante vorwiegend des Tonmaterials der Tonika. Das ist besonders in den Takten 3 und 5 sowie an der letzten Achtel des Taktes 6 ersichtlich, wo er das c einem Ton der Dominante (wie d, h, g, die sich alle anbieten würden), vorzieht. Im zweiten A-Teil hingegen finden sich bereits einige senkrechte Strukturen, wie z.B. in den Takten 9 und 11f. Auch im restlichen Solo kann man einen deutlichen Wechsel von akkordischen und linearen Passagen erkennen. Auffallend ist, dass Buster sehr oft chromatische Übergänge von der Sekund zur Terz sowie von der Quint zur Sext der jeweiligen Tonart verwendet. Fügt man diesen sechs Tönen noch den Grundton hinzu, erhält man die merkwürdige Skala, die er in den Takten 25 und 26 in Reinform präsentiert (und die mir noch nie zuvor begegnet ist). Weiters findet man Elemente dieser Skala in den Takten 2, 7, 12, 16, 19 und 27. Dieses Werkzeug macht meiner Ansicht nach einen großen Teil des Charmes des Stils Buster Baileys aus und unterscheidet ihn wesentlich von den Dixieland- Klarinettisten, denen er doch sehr ähnlich ist. 8 Martin, Patricia: “The Solo Style of Jazz Clarinetist Johnny Dodds 1923-1938” Seite 56 Louisiana State University, 2003 8 „Bailey, Hall, Shaw“ Bakkalaureatsarbeit Alwin Miller Universität f. Musik und darst. Kunst Wien 2.3 Analyse: Buster Bailey - I Know That You Know (Vincent Youmans, Aufnahme 1937)9 Diese Aufnahme entstand unter der Leitung von Lionel Hampton, der in der Periode, als er in Benny Goodmans Orchester beschäftigt war, mit verschiedenen kleineren Formationen Schallplatten aufzunehmen pflegte. An dieser Aufnahme wirkten außer Bailey und Hampton Johnny Hodges am Altsaxophon, Jess Stacy am Klavier, Alan Reuss auf der Gitarre, John Kirby am Bass sowie Cozy Cole am Schlagzeug mit. Das Lied selber wurde erstmals mit dem Broadway-Musical „Oh, Please!“ im Jahre 1926 bekannt. In den Dreißiger Jahren fand es sich im Repertoire zahlreicher Bigbands10. Busters Solo unterscheidet sich vor allem darin vom vorhergehenden, dass es keinen sehr differenzierten Aufbau aufweist, sondern vor allem (bei Tempo 265) aus recht virtuosen Achtelketten besteht. Interessanterweise spielt Buster am Anfang drei sechstaktige Linien hintereinander (1-7, 8-13, 14-19). Nachdem es vermessen wäre, zu behaupten, dass ihm einfach die Luft ausgegangen sei, bleibt der Grund für diese zugegeben merkwürdige Gliederung unklar. Danach lässt er seine Finger laufen, bis er dem Schlagzeuger Cozy Cole die Staffel in die Hand drückt. Diesmal bedient sich Buster über weite Strecken, abgesehen von den ersten zwei Takten, die er zum „Eingrooven“ verwendet, hauptsächlich einer arpeggierenden Spielweise. Dies wird ab dem Takt 21 schlagartig anders, da er die Akkordzerlegungen mit einem Mal durch horizontale Linien ersetzt. Besonders in den Takten 26 bis 29 schafft er es, bei gleich bleibender rhythmischer Aktivität das Energieniveau des Solos durch viele Tonwiederholungen auf Basis des Dreiklanges I6 ohne Quint deutlich zu reduzieren. Meiner Ansicht nach ist das ein ausgezeichneter Kniff, um einem Solo, das fast ausschließlich aus Achtelketten besteht, einen logischen Verlauf zu geben. Übrigens bedient sich Buster in der vorhergehenden Transkription in den Takten 21-23 eines ähnlichen Schmähs. Die in der letzten Transkription beschriebene Skala kommt hier ebenfalls, am augenscheinlichsten in den Takten 4, 16, 22ff. und 32f., vor. Generell schöpft Buster einen großen Teil seines musikalischen Wortschatzes aus diesem Tonmaterial. Weiters möchte ich auf die erste Blue Note hinweisen, auf die wir bei Buster Bailey stoßen. Diese verbirgt sich im Takt 14 und wird passenderweise kurz nach dem 9 „The Ultimate Jazz Archive“, Vol. 21, Membran Music, 2005 10 www.jazzstandards.com 9 „Bailey, Hall, Shaw“ Bakkalaureatsarbeit Alwin Miller Universität f. Musik und darst. Kunst Wien Spitzenton des Solos (Auftakt zu Takt 14) angestrengt. Solcherlei Details bringen mich zu der Ansicht, dass Leute wie Buster Bailey, Edmond Hall oder Artie Shaw ganz genau wussten, welcher Ton an einer bestimmten Stelle einen bestimmten Effekt erzielt. Auffallend ist überdies, dass er in Takt 4 eine sehr ähnliche Linie wie in Takt 5 der vorhergehenden Transkription spielt, und dass Takt 5 mit Takt 19 der anderen Transkription ident ist. Solcherlei Überschneidungen werden sich auch bei den anderen beiden Künstlern finden. 3.1 Edmond Hall (1901-1967) Edward Hall war Klarinettist in der bekannten Onward Brass Band in New Orleans. Fünf seiner acht Söhne wurden Musiker. Während die meisten im Raum New Orleans blieben, sollte Edmond ein überaus angesehener und erfolgreicher Klarinettist werden. Robert, ebenfalls ein Klarinettist, blieb dem New Orleans Jazz stilistisch wie geographisch treu, während Clarence, Gitarrist und Saxophonist, beim Rhythm & Blues landete. Edmond spielte In seiner Jugend in verschiedenen Gruppen im Raum New Orleans, 1921-23 reiste er mit Buddy Petit an der Golfküste entlang, um schließlich 1928 mit der Alonzo Ross Bigband nach New York zu gehen. Ab 1929 arbeitete er in verschiedenen Tanzorchestern, wie Billy Hicks and his Sizzling Six, Claude Hopkins, oder Lucky Millinder. Außerdem nahm er mit Mildred Bailey und Billie Holiday auf. 1939 spielte er erstmals mit Joe Sullivan im Cafe Society in New York, wo er in der Folge „Hausklarinettist“ wurde. Hall bespielte das Cafe Society durchgehend bis 1946 mit Joe Sullivan, Red Allen, Teddy Wilson sowie mit eigenen Formationen. Ab 1942 spielte er außerdem ab und zu in Eddie Condons „Town Hall Concerts“. Edmond Hall verbrachte die späten vierziger Jahre in Boston, zog kurz nach San Francisco, und spielte von 1955-1958 mit Louis Armstrongs All Stars. Danach war er als freischaffender Klarinettist in Nordamerika und Europa unterwegs (u.a. Chris Barber, Jimmy McPartland, Eddie Condon) Auch Edmond Hall, der ein Jahr älter als Buster Bailey war, erlebte die Blüte des New Orleans Jazz als aktiver Musiker mit. Er war ebenfalls während der Swing-Ära auch als Dixieland-Klarinettist gefragt und landete in späteren Jahren bei den All 10
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