Nr. 44 / 24.10.2020 Deutschland € 5,50 Wann er kommt. Wer ihn kriegt. Was er kann. Und was nicht. Der Impfstoff BeNeLux € 6,60 Finnland € 8,50 Griechenland € 7,30 Norwegen NOK 89,– Polen (ISSN00387452) ZL 34,– Schweiz sfr 8,10 Slowakei € 7,– Spanien € 7,– Tschechien Kc 200,- Dänemark dkr 59,95 Frankreich € 7,– Italien € 7,50 Österreich € 6,20 Portugal (cont) € 6,90 Slowenien € 6,70 Spanien/Kanaren € 7,20 Ungarn Ft 2750,- Printed in Germany VIROLOGE STREECK Der Anti-Drosten und seine Wahrheit ZURÜCK ZUM AUTO Das Ende der Öko-Träume US-IKONE WOODWARD »Es droht ein beispielloses Chaos« 5 DER SPIEGEL Nr. 44 / 24. 10. 2020 Corona breitet sich wieder rasant in Deutschland aus. Umso mehr richten sich die Hoffnungen auf einen Impf- stoff, der die Pandemie stoppt. Noch vor Weihnachten könnte der erste Impf- stoff bereitstehen. Ein SPIEGEL-Team um Titelautor Thomas Schulz recher- chierte, warum Impfstoffentwickler mit ihrer Arbeit so schnell voranschreiten. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erläuterte vor seiner eigenen Infizierung, wie Millionen Deutsche geimpft wer- den könnten. Doch ein Ende der Pandemie bleibt unabsehbar. »Niemand weiß, wie wirksam die Impfstoffe sein werden«, sagt Schulz. Wissenschaftsredakteurin Veronika Hackenbroch verfolgt die Jagd nach einem Impfstoff seit Beginn. Forscher glauben nicht an ein Allheilmittel, fand sie heraus. »Wir werden uns sehr mühsam aus dieser Pandemie herauskämpfen müssen«, sagt Hackenbroch. Seiten 10, 21 Vor drei Jahren überlebte Tansanias Oppositionspoli - tiker Tundu Lissu schwer verletzt ein Attentat. Trotzdem tritt er jetzt zur Wahl gegen Präsident John Magufuli an, jenen Mann, der mutmaßlich hinter dem Anschlag steckt. Lissu muss wieder um sein Leben fürchten, Magufuli herrscht immer diktatorischer. Entsprechend gefährlich ist die Arbeit für Journalisten. Fritz Schaap, Afrikakorrespondent des SPIEGEL, und Fotograf Sergio Ramazzotti gingen bei ihrer Recherche über den Kampf der Opposition vorsichtig vor. »Es war ein ständiges Abwägen, wie sichtbar wir uns machen wollen«, sagt Schaap. Ein Interview brachen sie sicherheitshalber ab, einmal musste ihr Fahrer ein Auto abschütteln, das sie verfolgte. Eine Journalistin riet ihnen, besser das Land zu verlassen. Sie blieben. »Wir wurden weder festgenommen noch ausgewiesen«, sagt Schaap, »aber es zeigt sehr deutlich, wie groß die Angst in Tansania ist.« Seite 94 Innerhalb weniger Wochen stieg der Virologe Hendrik Streeck zu einem der bekann- testen Männer Deutschlands auf. Reporter Marc Hujer hat Streeck über mehrere Wochen begleitet. Er besuchte ihn in seinem Büro im Universitätsklinikum Bonn, fuhr mit ihm nach Gangelt im Landkreis Heinsberg, wo Streeck eine viel beachtete Coronavirus-Studie durchführte. Er begleitete ihn nach Düsseldorf zu einer Anhörung im Landtag und traf ihn in Berlin. Hujer erlebte einen Mann, der um seine neue Rolle ringt, mal mutig und angriffslustig, mal enttäuscht und verzagt. Seite 58 Wie kann es gelingen, unsere Welt so zu gestalten, dass sie klima - neutral wird und lebenswert bleibt? Für das neue SPIEGEL SPEZIAL hat die Redaktion in aller Welt recherchiert, wo die Probleme im Kampf gegen die Erderwärmung liegen, welche Lösungen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft entwickelt werden und was in den kommenden Jahren konkret geschehen muss. Das Heft mit dem Titel »Aufbruch nach Utopia« erscheint am Dienstag. Sergio Ramazzotti / DER SPIEGEL Schaap, Ramazzotti Hausmitteilung Betr.: Titel, Tansania, Streeck, SPIEGEL SPEZIAL Das deutsche Nachrichten-Magazin Das Wissen der Besten Jetzt neu im Handel Was tun Sie für Ihre Beziehung? So messen Sie den Wert Ihrer Kunden richtig und machen ihn zur wichtigsten Kennzahl im Unternehmen harvardbusinessmanager.de Weitere Themen: Karriere Welche Hürden interne Aufsteiger kennen sollten Krisenmanagement Ein Leitfaden für diese und kommende Krisen Humor LVh�H^Z�ajhi^\�ÀcYZc!� könnte Sie den Kopf kosten Jetzt die neue App downloaden Jan Helge Petri Schulz Hackenbroch Die nächste SPIEGEL-Ausgabe wird wegen des Reformationstags bereits am Freitag, 30.Okto - ber, verkauft und Abonnenten zugestellt. Der digitale SPIEGEL ist ab Donnerstag, 29.Oktober, 13 Uhr, verfügbar. 6 DER SPIEGEL Nr. 44 / 24. 10. 2020 Titel Pandemie Der Impfstoff wird kommen – aber die Welt nicht retten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Die vier wichtigsten Impfstrategien der Pharmaforscher . . . . . . . . 21 Deutschland Leitartikel Die neue Land- wirt schaftspolitik der EU wird ein Desaster . . . . 8 Zwei Billionen Euro für Beamtenpensionen / Ministerin rät zu Corona-Tagebüchern / Aufgeblähte Landtage / Die Gegendarstellung / So gesehen: Alpenkrimi . . . . . . . . 22 Demokratie Die Pandemie krempelt das politische System der Republik um . . . 28 Emotionen Wutausbrüche von Politikern häufen sich . . . . . . 32 Corona-Hilfen Finanzminister Scholz und Wirtschaftsminister Altmaier streiten um den Einsatz der »Bazooka« . . . . . 34 Extremismus Warum stach ein Islamist aus Syrien in Dresden mutmaßlich auf zwei Männer ein? . . . . . . . . . . . 36 Verteidigung SPIEGEL-Ge - spräch mit dem Militärhistoriker Sönke Neitzel über den tiefen Graben zwischen Truppe und ihrer politischen Führung . . . 38 Gesundheit Das Robert Koch- Institut hantiert mit falschen Zahlen – warum? . . . . . . . . . . . 42 Kommunen In den Hotspots drohen Ämter im Corona- Chaos zu versinken . . . . . . . . . 46 Kriminalität Wie unsicher ist Deutschland wirklich? Das BKA will es herausfinden . . . 50 Bildung Die deutsche Pisa- Koordinatorin erklärt, was Migrantenkinder besser können als andere Kinder . . . 51 Verkehr Der Flughafen BER wird ein finanzieller Problemfall bleiben . . . . . . . . . 52 Essay Berlins Flughafen ist ein Skandal, der für die Verant- wortlichen folgenlos bleibt 54 Reporter Familienalbum / Hilft uns Snoopy in der Coronakrise? 56 Eine Meldung und ihre Geschichte Eine Amerika- nerin buchte im Internet einen Killer . . . . . . . 57 Karrieren Gelikt, gehasst: der Virologe Hendrik Streeck in Zeiten der Pandemie . . . . 58 Kolumne Leitkultur . . . . . . . . . 64 Wirtschaft Autoindustrie will Klimaziele akzeptieren / Rückgänge bei der Bahncard . . . . . . . . . . . . . . . 66 Ideologien So schlecht wirtschaf- ten Populisten an der Macht 68 Energie Warum Kohlekumpel in Kentucky Trump wählen, obwohl er ihnen nicht half 71 Gastronomie In der Krise blüht die Schwarzarbeit . . . . 73 Umwelt Wegen der Pandemie meiden die Deutschen Bus und Bahn – war’s das mit der Verkehrswende? . . . . . . . . . . . . 74 Ausland Der Sudan unter Druck von Washington / Europas seltsame Vergewaltigungszahlen . . . . . 80 Inhalt 74. Jahrgang | Heft 44 | 24. Oktober 2020 iStock / Getty Images / DER SPIEGEL Eine Dosis Hoffnung Gleich mehrere Impfstoffe könnten schon in den nächsten Monaten zugelassen werden, der erste kommt wohl aus Deutschland. Doch Experten erwarten keine Wunderwaffe: Die Mittel werden längst nicht jeden schützen – und reichen nicht für alle. Seiten 10, 21 Peter Rigaud / DER SPIEGEL »Doof gelaufen« Die Pandemie hat den Virologen Hendrik Streeck zum Star gemacht. Was er sagt, wird gelikt, kommentiert, gehasst. In der Öffentlichkeit gilt er als Gegenspieler von Christian Drosten. Das kann er gar nicht leiden. Seite 58 7 Titelfoto [M]: Getty Images (2) Jose Luis Magana / AP Tragödie im Kopf Wie können Menschen mit schweren Traumata geheilt werden? Hinweise geben die Schicksale von zwei Frauen, die ein Massaker in Las Vegas überlebt haben: Auf völlig gegensätzliche Weise versuchen sie, den Horror zu bewältigen. Seite 112 Trump hilft den Demokraten Bei den US-Wahlen geht es auch um die Mehrheit im Senat. Durch Trumps Fehler haben die Demokraten gute Chancen, die Republikaner zu schlagen. Sie könnten dann das politische System tiefgreifend verändern. Seite 82 Der Rausschmiss Der S. Fischer Verlag hat sich nach 40 Jahren Zusammenarbeit von der Schriftstellerin Monika Maron getrennt. Sie steht im Ruf, offen für rechtes Gedankengut zu sein. Aber so einfach ist es nicht. Seite 118 Sebastian Wells / Ostkreuz SPIEGEL-TV-Programm . . . . . . 126 Bestseller . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Impressum, Leserservice . . . 132 Nachrufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Personalien . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Hohlspiegel / Rückspiegel . . . 138 USA Das Senatsrennen ist genauso wichtig wie die Präsidentschaftswahl . . . 82 US-Wahl Watergate-Enthüller Bob Woodward berichtet im SPIEGEL-Gespräch über seine Treffen mit Trump . . . 86 Migration Recherchen zeigen, wie die EU-Agentur Frontex in Rechtsbrüche an Europas Außengrenzen verstrickt ist 90 Analyse Das Attentat auf einen Lehrer in Frankreich verstört eine ohnehin verunsicherte Nation . . . . . . . 92 Tansania Der Oppositions - politiker Tundu Lissu über - lebte einen Mordanschlag – nun will er die Demokratie in seinem Land retten . . . . . . . . . 94 Sport Amerikanische Investoren drängen auf den Fußballmarkt in Europa / Wann beginnt die Lawinensaison? . . . . . . . . . 99 Wettkämpfe Wie der Spitzen- sport unter den Folgen der zweiten Corona-Welle leidet 100 Affären Bayern-Star Robert Lewandowski wurde angeblich erpresst . . . . . . . . . 102 Fußball Ermittler Michael Bahrs über den Einfluss der Wettmafia in Deutschland 104 Wissen Neue App berechnet das Infek- tionsrisiko in Räumen / Chef- arzt vermischt Forschung und Werbung / Analyse: Warum es unethisch ist, Freiwillige mit Corona zu infizieren . . . . . . . 106 Computer Wird künstliche Intelligenz bald das Internet mit Propaganda fluten? . . . 108 Psychologie Drei Jahre nach dem Amoklauf von Las Vegas – wie zwei Überlebende versuchen, das Trauma zu bewältigen . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Geschichte Der Historiker Bernd Gutberlet erklärt, warum die Menschen früher schon irrational auf Seuchen reagierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Kultur Die Geschichte einer jüdischen Köchin in der Nazizeit / Der Film »Schwesterlein« mit Lars Eidinger . . . . . . . . . . . . . . 116 Debatten Der S. Fischer Verlag arbeitet nicht mehr mit Monika Maron – die Geschichte einer Entfremdung . . . . . . . . 118 Musik Die Band Die Ärzte machten unsere Autorin einst zur Rebellin, aber was können sie heute noch bewirken? . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Klubkultur Der Künstler Norbert Bisky erklärt, warum er wilde Nächte vermisst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Technik Eine neue Generation von Kreativen schafft Kunst mit Algorithmen . . . . . . . . . . 128 Serienkritik Die Sky-Horror - reihe »Hausen« über einen gruseligen Plattenbau . . . . . 130 8 Das Bauernopfer Leitartikel Die Pläne der EU für die Agrarpolitik sind ein Desaster für das Klima. Schuld daran sind auch Abzocker in Brüssel. K limaschutz ist schick, das weiß man in Brüssel. Sie wolle die Wirtschaft in Einklang mit dem Plane - ten bringen, versprach EU-Kommissionspräsi - dentin Ursula von der Leyen. Ihr »Green Deal« sei so etwas wie Europas Mondlandung. Wenn die EU bis zum Jahr 2050 klimaneutral sein will, benötigt sie tatsäch- lich mutige Reformen, allen voran in der Landwirtschaft, die wesentlich zum Treibhausgasausstoß der EU beiträgt. Doch diese Reform, so viel ist klar, wird es nicht geben. Den ganz großen Worten folgen mickrige Taten. Zwei Tage lang haben die Landwirtschaftsminister diese Woche über die Agrarpolitik der kommenden sieben Jahre verhandelt. Geleitet wurde die Runde von Agrar - ministerin Julia Klöckner, da Deutschland die EU-Rats - präsidentschaft innehat. Die CDU-Politikerin schwärmte anschließend von einem »System wechsel«. Das war wieder ein hübsches Wort, eine große Ankündigung. Das Wort »Systemversagen« hätte es besser getroffen. 387 Milliarden Euro an Subventionen sollen in den kommenden sieben Jahren in die Landwirtschaft fließen. Das sind fast 40 Prozent des gesamten EU-Budgets. Doch der Großteil soll auch in Zukunft nicht anhand von Bedürftigkeit oder Umwelt- freundlichkeit vergeben wer- den – sondern nur nach der Fläche des Hofs. Dadurch pro- fitieren vor allem Großbetriebe und, besonders bizarr, auch Milliardäre, die sich nebenbei als Landwirt be tätigen. Der Brillenunternehmer und Biobauer Günther Fielmann etwa, einer der reichsten Deutschen, erhielt im ver gangenen Jahr mehr als 630000 Euro aus EU-Agrartöpfen. Das alles klingt bereits wie eine Farce. Aber es wird noch absurder. Für den Großteil der Subventionen gelten weiter nur grundlegende Umwelt- und Klimaschutzregeln. Lediglich ein kleiner Teil soll gezielt ökologischen Regelun- gen zugutekommen – 20 Prozent nach dem Willen der Agrarminister, 30 Prozent nach den Vorstellungen des EU- Parlaments. Dabei ist nicht einmal klar, wie die Öko - regelungen aussehen sollen. Ausgestalten sollen sie die EU- Staaten, jeder, wie er mag. Das ist genau der falsche Anreiz: Wer das Geld zu großzügigen Bedingungen verteilt, ver- schafft den Bauern im eigenen Land Wettbewerbsvorteile. Es droht ein Rennen um den laschesten Umweltschutz. Dabei hängt die Landwirtschaft in Sachen Klimaschutz schon jetzt hinterher. Während der Treibhausgasausstoß der meisten Wirtschaftszweige seit Langem sinkt, schaffen es Deutschlands und Europas Bauern seit mehr als 20 Jah- ren nicht, ihre Emissionen nennenswert zu reduzieren. Seit Jahren liegt der Anteil der Landwirtschaft am Gesamt- ausstoß europaweit bei über zehn Prozent. Und sie schadet nicht nur dem Klima. Forscher geben der nicht nachhalti- gen Landwirtschaft auch eine Mitschuld am Verschwinden vieler Tier- und Pflanzenarten. Daran wird sich wenig ändern, sofern nicht noch ein Wunder geschieht. Bis Jahresende wollen sich Mitgliedslän- der, EU-Parlament und Kommission auf den finalen Agrar- haushalt einigen. Das Parla- ment hat die ohnehin schon nicht allzu ehrgeizigen Reformpläne der Kommis - sion verwässert – auch weil im zuständigen Agraraus- schuss reihenweise Landwir- te sitzen, die persönlich von hohen Subventionen mit geringen Auflagen profitie- ren. Die Mitgliedsländer haben die Umweltschutzplä- ne des Parlaments nochmals unterboten, auch sie be - treiben knallharte Klientel - politik für ihre Bauern. Das ist Vetternwirtschaft, und die Abkassierer sorgen dafür, dass die Wünsche der Bürger in Europa igno- riert werden. In einer Euro barometer-Umfrage aus dem März erklärten 94 Prozent der Befragten, der Umweltschutz sei ihnen »wichtig« oder »sehr wichtig«. 83 Prozent befürworteten neue Gesetze. Gegen der - artige Mehrheiten kann man dauerhaft keine Politik ma - chen. Eigentlich. Die Bauernvertreter in der EU versuchen es trotzdem. Es ist ein Skandal, dass die Gemeinschaft in Zeiten von Klima- wandel und Artensterben den Großteil ihres Geldes für eine Agrarpolitik ausgeben will, die einst unter dem Eindruck der Nachkriegshungerjahre entstand und heute zur Zerstö- rung der Umwelt beiträgt. Wenn die Wirtschaft wirklich in Einklang mit dem Planeten gebracht werden soll, wie von der Leyen großspurig versprochen hat, stehen den Europäern noch weit schmerzvollere Schritte bevor, als Großlandwir- ten das Geld zu kürzen. Es wird Zeit, der viel zu mächtigen Agrarlobby das Handwerk zu legen – und den vielen Politi- kern, die sich zu ihren Dienern machen. Markus Becker Jens Büttner / dpa Das deutsche Nachrichten-Magazin DER SPIEGEL Nr. 44 / 24. 10. 2020 WIR FERTIGEN ARMBÄNDER AUS ALTEN FISCHERNETZEN. DATEV DIGITALISIERT UNSERE KAUFMÄNNISCHEN PROZESSE. Bracenet befreit die Weltmeere von Geisternetzen und fertigt daraus nachhaltige Produkte. Dank der digitalen Lösungen von DATEV und der Unterstützung ihrer Steuerberatung halten sie ihr Unternehmen immer auf Kurs. Zukunft gestalten. Gemeinsam. Madeleine und Benjamin, Gründer von BRACENET GEMEINSAM-BESSER-MACHEN.DE Titel Eine Ampulle Hoffnung Pandemie In den kommenden Wochen könnten die ersten Impfstoffe zugelassen werden, entwickelt auch von deutschen Firmen. Die Bundesregierung plant bereits eine landesweite Impfkampagne. Doch kann uns das wirklich retten? 10 D as letzte Mal, als in Mainz Welt- geschichte geschrieben wurde, bastelte Johannes Gutenberg in einem spätmittelalterlichen Hin- terhof an einer Druckerpresse mit beweg- lichen Lettern. Diesmal, mitten in der Stadt, in einer Straße mit dem verhei- ßungsvollen Namen »An der Goldgrube«, brütet hinter Sicherheitsschleusen und Desinfektionsbarrieren in einem Bioreaktor der Kan- didat BNT162b2: eine »nukleosidmodifizierte messenger RNA, co- diert für ein optimier- tes Sars-CoV-2-Spike- Glykoprotein in sei- ner vollen Länge«. Der vermutlich erste reguläre Corona-Impf - stoff der Welt. Entwickelt hat ihn federführend Professor Dr. Ugur Sahin gemeinsam mit seiner Frau Özlem Türeci, beide Kinder türkischer Einwanderer, schon das in normalen Zeiten eine fantastische Ge- schichte, aber zu vernachlässigen im täglich anschwellenden globalen Ge töse: wie die zweite Welle noch zu stoppen wäre, der Krieg gegen die Pandemie bald vorbei sein könnte, gewonnen. Das hirnlose Virus be- siegt durch menschliche Genialität. Der amerikanische Präsident twittert aus allen Rohren, sagt solche Sätze: »Bis April wird sich jeder Amerikaner impfen lassen kön- nen.« Aber so einfach ist es nur in Holly- wood oder eben auf Twitter. Wer in diesen Tagen mit Sahin sprechen will, muss eine FFP2-Maske tragen. Es wird darum gebeten, nicht zu schreiben, wo genau im Gebäude sein Büro liegt. Draußen, vor dem Eingang, steht neuer- dings ein Container mit muskulösen Wach- männern, der Verfassungsschutz versucht, vor virtuellen Attacken zu schützen. Zu viel steht auf dem Spiel, jetzt, da die Ziel- linie zu sehen ist: Vielleicht schon kom- mende Woche kann feststehen, ob es einen ersten wirksamen Impfstoff gibt. Sahin und die über 500 Wissenschaftler seiner Firma Biontech warten – »arg angespannt« – auf erste Ergebnisse der klinischen Studie mit 44000 Teilnehmern, die in den vergan genen Monaten entweder BNT162b2 oder ein Placebo bekamen. Wenn sie überwältigend gut sind, und nur dann, wür- den die Mainzer For- scher eine Notfallzu- lassung beantragen. Schon in wenigen Wochen könnte ge - impft werden. Noch kann sich alles verzö- gern, um Wochen, viel- leicht auch um Monate: weil die Daten nicht aus- reichen, weil die Zulassungs- behörden mehr Zeit brauchen. Oder weil der Impfstoff nicht wirkt. Weltweit durchlaufen derzeit 48 Vak - zine klinische Studien, 11 davon in der Schlussphase. Die Experten sind sich einig, dass es einen Impfstoff geben wird, viele sogar, und bald. Die zentrale Frage ist eine andere: Kann das wirklich die ersehn- te Rettung sein, wird dann alles wieder gut? Oder wird das Drama nur gedämpft, weniger Tote, weniger Kranke, aber den- noch ein, zwei Jahre Maske, Abstand, Kampf? Nie zuvor schaute die ganze Menschheit so gebannt auf die Entwicklung eines Me- dikaments. Nie zuvor wurden in so kurzer Zeit so viele Milliarden in ein Serum in- vestiert. Und noch nie war der Druck auf Wissenschaftler, Pharmafirmen, Politiker so hoch zu liefern. Es gelang, was kaum jemand für möglich hielt, die Entwicklungszeit eines neuen DER SPIEGEL Nr. 44 / 24. 10. 2020