Graham Farmelo Der seltsamste Mensch Das verborgene Leben des Quantengenies Paul Dirac Derseltsamste Mensch Graham Farmelo Der seltsamste Mensch Das verborgene Leben des Quantengenies Paul Dirac AusdemEnglischenübersetztvonReimaraRössler GrahamFarmelo London,Großbritannien ISBN978-3-662-49949-8 ISBN978-3-662-49950-4(eBook) DOI10.1007/978-3-662-49950-4 DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschenNationalbibliografie; detailliertebibliografischeDatensindimInternetüberhttp://dnb.d-nb.deabrufbar. Übersetzung der englischen Ausgabe: The Strangest Man, The Hidden Life of Paul Dirac, Quantum GeniusvonGrahamFarmelo,erschienenbeiFaberandFaberLtd2009,©GrahamFarmelo,2009.Alle Rechtevorbehalten. ©Springer-VerlagBerlinHeidelberg2016 DasWerkeinschließlichallerseinerTeileisturheberrechtlichgeschützt.JedeVerwertung,dienichtaus- drücklichvomUrheberrechtsgesetzzugelassenist,bedarfdervorherigenZustimmungdesVerlags.Das giltinsbesonderefürVervielfältigungen,Bearbeitungen,Übersetzungen,MikroverfilmungenunddieEin- speicherungundVerarbeitunginelektronischenSystemen. DieWiedergabevonGebrauchsnamen,Handelsnamen,Warenbezeichnungenusw.indiesemWerkbe- rechtigtauchohnebesondereKennzeichnungnichtzuderAnnahme,dasssolcheNamenimSinneder Warenzeichen-undMarkenschutz-Gesetzgebungalsfreizubetrachtenwärenunddahervonjedermann benutztwerdendürften. DerVerlag,dieAutorenunddieHerausgebergehendavonaus,dassdieAngabenundInformationenin diesemWerkzumZeitpunktderVeröffentlichungvollständigundkorrektsind.WederderVerlagnoch dieAutorenoderdieHerausgeberübernehmen,ausdrücklichoderimplizit,GewährfürdenInhaltdes Werkes,etwaigeFehleroderÄußerungen. Einbandabbildung:GiovannaBlackett Planung:FrankWigger Lektorat:CarlFreytag,MeikeBarth GedrucktaufsäurefreiemundchlorfreigebleichtemPapier SpringeristTeilvonSpringerNature DieeingetrageneGesellschaftistSpringer-VerlagGmbHBerlinHeidelberg FürmeineMutter undzumAndenkenanmeinenVater Das Ausmaß der Exzentrizität in einer Gesellschaft standimmerimgenauenVerhältniszudemPotential von Genie, Geisteskraftund sittlichem Mut, den sie enthielt. Dass so wenige wagen, exzentrisch zu sein, enthüllt die hauptsächlichste GefahrunsererZeit. John Stuart Mill, On Liberty, 1869 (Über die Freiheit, übers.B.Lemke,Reclam,2008) Wir sind nichts ohne die Arbeit anderer – un- serer Vorläufer, Lehrer und Zeitgenossen. Selbst wenn nach Maßgabe unserer Unzulänglichkeit oder Begnadetheit neue Einsichten entstehen und eine ganz neue Ordnung, bleiben wir immer noch nichts ohne andere. Dennoch sind wir auch immer noch mehr. J. Robert Oppenheimer, Reith Vorlesung (20. De- zember1953) Vorwort zur deutschen Ausgabe DieQuantenmechanik, die größte Revolutioninder Physikdes zwanzigsten Jahrhunderts, wurde der Welt zuerst in deutscher Sprache vorgestellt. Nur einer der entscheidenden Architekten schrieb in einer anderen Sprache – Paul Dirac, ein stiller und fast völlig unbekannter junger Wissenschaftler, der einen ungewohnt direkten englischen Stil frei von jeder rhetorischen Ausschmückung verwendete. Seine Reputation wuchs rapide und vielleicht schneller als die jedes anderen Pioniers der Theorie, und er ist heute der verehrte Held vieler führender Physiker. Dirac wird oft als „Theoretiker der Theoretiker“bezeichnet. Bereits kurznach demAbschluss seinerDoktorarbeitbesuchte erdie Uni- versitätGöttingen, diemehr alsjede anderealsdieGeburtsstätte derTheorie gilt.Erkonntesichaufdeutschgutverständigen,daeresalsKindvonseinem Vater gelernt hatte und fühlte sich bald unter den Physikern und Mathema- tikern der Stadt zu Hause. In Göttingen lebte Werner Heisenberg, der die ersteArbeitüberdieTheorieveröffentlichthatteundeineReihebedeutender Beiträgen zu ihrer Entwicklung geliefert hat. Trotz ihrer sehr verschiedenen Herangehensweisen, wurden die beiden enge Freunde. Heisenberg bewun- derte Diracs mathematische Fähigkeiten und seine physikalische Intuition, währendDiracHeisenbergsKühnheitundGenialitäthochschätzte sowiesei- ne Freundlichkeit und Unterstützung in jenen frühen Tagen, in denen der DruckdesKonkurrenzdenkens sieleichthätte auseinandertreibenkönnen. Heisenberg war einer der wenigen deutschen Theoretiker, dessen Bewun- derungfürDiracgrenzenloswar.NachAussagedesungarischenTheoretikers EugeneWigner,derunterEinsteinsFittichenimBerlinder1920er-Jahrestu- diert hatte, waren viele führende Physiker von ihrem englischen Kollegen nicht besonders begeistert – er wurde von ihnen häufig als ein kalter Fisch angesehen – noch schätzten sie seine Art, theoretische Physik zu betreiben. Sie suchten vergeblich nach einer rigorosen mathematischen Grundlage für seine Version der Quantenmechanik, hatten Schwierigkeiten, seinen Argu- mentenzufolgenundbeklagtensich,dassseineArbeitenschwerlesbarseien. „Was hat er einem unvoreingenommenen deutschsprachigen Leser wirklich zubieten?“fragtensiesich,wieWignersichspätererinnerte. X DerseltsamsteMensch Es dauerte nicht lange, bis sich herausstellte, wie viel Dirac Wissenschaft- lernallerSprachenzubietenhatte.SeineKollegenerstarrteninBewunderung, alser1928QuantenmechanikundRelativitätstheorieerstmalsmiteinanderin einer Gleichung zur Beschreibung des Verhaltens des Elektrons verband, die heute seinen Namen trägt. Als er auf diese Theorie gestützt die Existenz des ersten Beispiels von Antimaterie voraussagte, ein Jahr bevor der amerikani- sche Experimentalphysiker Carl Anderson das Antiteilchen 1932 entdeckte, warerderUrheberfürdas,wasHeisenbergspäterals„denwohlgrößtenaller Sprünge,diediePhysikinunseremJahrhundertgemachthat“,bezeichnete. Lass Dich nie verführen, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Dirac kümmertesichwenigumdieDenkweiseandererTheoretiker.Dieswurdebe- sondersdeutlichimZusammenhangmitseinemVortrag„ÜberdieBeziehung zwischenMathematikundPhysik“(OntheRelationBetweenMathematicsand Physics)anderUniversitätEdinburghimJahre1939,alserzumerstenMalsein nicht unumstrittenes Prinzip der mathematischen Schönheit darlegte. Nach diesem Prinzip haben, während die Grundlagenphysik voranschreitet, ihre Theorien immer mehr mathematische Schönheit aufzuweisen. Daher wären theoretische Physiker gut beraten, vor allem auf die ästhetischen Qualitäten ihrerIdeenzuachten,selbstdann,wenndieseanscheinendgegenwärtigenex- perimentellen Beobachtungen widersprechen. Nur wenige seiner Mitstreiter nahmendiesernst.Heisenbergundvielenanderenerschienesambesten,sich von den experimentellen Befunden über die Natur leiten zu lassen statt sich dem Risiko auszusetzen, durch mathematische Spekulationen, die auf dem vage definierten Konzept der Schönheit basieren, fehlgeleitet zu werden. Di- racaberwolltekeinenMillimeterdavonabweichenunddasPrinzipwurdezu seinerObsession–„fasteineReligion“. Diracs Art, theoretische Physik zu betreiben, fand nie universelle Zustim- mung, aber sie hatte einige bemerkenswerte Erfolge aufzuweisen. Einer der größten Theoretiker unserer Zeit, der Nobelpreisträger Chen-Ning Yang, ist ein riesiger Bewunderer von Dirac und rühmt gerne den Vorteil seines Vor- gehens. Das derzeitige Standardmodellder subatomaren Teilchen beruht auf deraußerordentlichwichtigenEinsichtvonYangundseinemamerikanischen Kollegen Robert Mills, die nach den von Dirac vorgeschlagenen Richtlini- en vorgegangen waren und eine mathematisch elegante Verallgemeinerung der erfolgreichenTheorie des Elektromagnetismus von James Clerk Maxwell vorgelegt hatten. Auch in jüngster Zeit haben viele der Pioniere ehrgeiziger TheorienüberdiefundamentalenTeilchenderMaterieundihreWechselwir- kungen Inspirationaus schöner Mathematik gesucht, um die Mechanismen, diedieNaturgewählthabenkönnte,zuentschlüsseln. NachdemDerseltsamsteMenschaufEnglischerschienenwar,erzähltenmir viele führende Physiker, wie sehr sie durch Dirac beeinflusst worden waren, VorwortzurdeutschenAusgabe XI undwiesehressieüberraschthattezuerfahren,dasserzunächsteineAusbil- dung zum Ingenieur und Mathematiker durchlaufen hatte, bevor er sich der Physikzuwandte. Vor dem Lesendieses Buches hatte fast niemand Kenntnis vonDiracsbemerkenswertemLeben,seineralptraumhaftenKindheit,seinem manchmaltragischenFamilienlebenundvonseinerunwahrscheinlichenHei- rat mit einer Frau, mit der er so gut wie nichts gemeinsam hatte. Leser mit wenig direktem Kontakt zur Naturwissenschaft haben mir erstaunt geschrie- ben, wie es sein könne, dass eine so herausragende wissenschaftliche Figur außerhalb der Physik so wenig bekannt ist. Aber Dirac hatte keinerlei Inter- esse daran, als Berühmtheit gefeiert zu werden und war ganz zufrieden, ein anonymesAlltagslebenführenzudürfen. GegenEndeseinesLebenswohnteDiracinTallahasseeinFloridaundwar weitgehend vom Hauptstrom der Physik abgeschnitten. Er fühlte sichfremd unter den jungen Wilden, die das Standardmodell der subatomaren Physik aufbauten, obwohl er für einige ihrer entscheidenden Ideen verantwortlich gewesen war. Im Jahre 1982 legte er auf seiner letzten Reise nach Europa großen Wert darauf, ein paar Tage in Göttingen zu verbringen, zweifellos indemWunsch, dieStätte der aufregendstengemeinsamenZeiten nochmals aufzusuchen. Als er nach Hause zurückkehrte, erwartete ihn dort ein Brief desführendenamerikanischentheoretischenPhysikersJohnWheeler,derihm zumkürzlichbegangenenachtzigstenGeburtstaggratulierte.Wheelermachte ihm ganz deutlich, dass viele gerade der jüngeren Generation ebenso wie die Älteren„zuIhnenaufschauenwiezueinemHelden,alsVorbild,wiemanrich- tigvorgehtausunbeirrbarerLeidenschaftfürGeradheitundSchönheit...“ Etwa zwei Jahre später war Dirac tot. Wie bei allen großen Denkern ha- ben seine Ideen jedoch ein Eigenleben. Ich hoffe, dass diese Biographiedazu beiträgt,einLichtaufdasLebenunddiePersönlichkeitdiesesbemerkenswer- ten Menschen zu werfen sowie auf seine noch bemerkenswertere Vision, wie theoretischePhysikerdiegrößteAussichthaben,dietiefstenGeheimnisseder Naturzuergründen. London,März2016 GrahamFarmelo Genealogie Die Genealogie der Familie Dirac ist unter http://www.dirac.ch (aufgesucht 23.Dezember2015)aufgeführt.DieInternetseitebetreutGiselaDirac-Wah- renburg. Inhaltsverzeichnis Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII 1 BisAugust1914 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 August1914–November1918. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3 November1918–Sommer1921 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4 September1921–September1923. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 5 Oktober1923–November1924 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 6 Dezember1924–November1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 7 Dezember1925–September1926 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 8 September1926–Januar1927. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 9 Januar1927–Frühjahr1927 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 10 Frühjahr1927–Oktober1927 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 11 November1927–Frühjahr1928. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 12 April1928–März1929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155