FRJTZ LOCKEMANN TO vAJ deutschen Verses FRITZ LOCKEMANN Der Rhythmus des deutschen Verses FRITZ LOCKEMANN Der Rhythmus des deutschen Verses Spannkräfte und Bewegungsformen in der neuhochdeutschen Dichtung i960 MAX HUEBER VERLAG MÜNCHEN © i960 Max Hueber Verlag, München 13 Umschlagentwurf: Erich Hölle, München Gesamtherstellung: Friedrich Pustet, Regensburg Graphischer Großbetrieb Printed in Germany INHALT I. Einführung .......................................................................................... 9 II. Prosarhythmus (Satzrhythmus) ......................................................... 20 III. Rhythmische Prosa (Ballungsrhythmus)........................................... 32 IV. Ballungs-Gliederungsrhythmus (Freier Rhythmus I) ...................... 39 V. Freier Gliederungsrhythmus (Freier Rhythmus II) ....................... 53 VI. Metrischer Gliederungsrhythmus ..................................................... 63 VII. Metrischer Rhythmus .......................................................................... 68 VIII. Die Strophe ...................................................................................... 72 1. Metrisch-rhythmische Strophenspannung ................................... 72 2. Die Strophenformen und ihr Rhythmus ..................................... 74 3. Strophenrhythmus und Satzrhythmus ......................................... 82 4. Überstrophische rhythmische Einheiten....................................... 89 5. Strophenrhythmus und Situationsrhythmus ............................... 95 6. Rhythmische Gliederung im stichischen Vers............................. 99 IX. Die metrisch-rhythmische Reihe ....................................................... 105 1. Fuge und Schnitt............................................................................ 105 2. Der rhythmische Gang des Verses ............................................... 117 3. Akzent und Quantität.................................................................... 131 4. Der Gang der Verse in antiken Maßen ....................................... 144 a) Die Odenmaße ........................................................................... 144 b) Hexameter und Pentameter....................................................... 150 X. Die rhythmischen Ballungen ............................................................. 155 1. Abstufung und Ausgleichung der Hebungsgewichte ................ 153 2. Vershebung und Satzbetonung ..................................................... 166 a) Betonung in ausgeglichenen Versen ....................................... 166 b) Betonung in abgestuften Versen ............................................. 170 3. Hebungen und Senkungen............................................................. 182 4. Gesamtschwere des rhythmischen Ganges................................... 190 5. Sekundäre rhythmische Züge ....................................................... 193 Register ......................................................................................................... 199 Verzeichnis des behandelten und erwähnten Dichter und Dichtungen . . 203 Vorwort Einen Abriß meiner Verslehre habe ich bereits 1952 in meinem Buche »Das Gedicht und seine Klanggestalt« (Lechte-Verlag, Ems detten i. W.) veröffentlicht. Er mußte kurz sein, da er sich in eine Gesamtdarstellung des Dichtungsklanges einfügen sollte. Schon damals hat es sich gezeigt, daß die Fragen des Versrhythmus einer ausführlicheren Behandlung bedürfen. Diese will das vorliegende Buch geben. Trotz seiner durch neue Einsichten bedingten Neu fassung versucht es, die Verbindung mit der früheren Veröffent lichung, u. a. durch Übernahme einzelner Beispiele, aufrecht zu er halten, da die Verslehre trotz ihrer relativen Selbständigkeit der Ergänzung durch eine Betrachtung der dichterischen Gesamtge stalt bedarf, die dort zu finden ist. Auf die Schwierigkeiten einer schriftlichen Übermittlung von Erkenntnissen auf dem Gebiet des Klanges und des Rhythmus ist oft hingewiesen worden. Der Verfasser muß von seinem Leser er warten, daß er nicht nur stumm liest, sondern die Beispiele immer wieder nachvollzieht und nachprüft. Sollte sich Interesse dafür be kunden, wäre ich bereit, ein Tonband mit einigen tragenden Bei spielen aus jedem Kapitel herauszugeben. Dem Verlag Max Hueber danke ich für die Sorgfalt, die er auch diesem Buch zugewendet hat, meinem Sohn cand. phil. Wolfgang Lockemann für anregende Kritik und Hilfe bei der Korrektur. Nieder-Olm bei Mainz, September 1959 Fritz Lockemann Einführung Dieses Buch stellt sich die Frage, wie und wo im deutschen Vers Rhythmus in Erscheinung tritt. Seit der Wende der deutschen Verslehre, die sich an die Namen Eduard Sievers, Franz Saran, Andreas Heusler1 knüpft, wissen wir, daß eine Betrachtung des Metrischen zu ihrer Lösung nicht ausreicht. Rhythmus entzieht sich einer Maßlehre, einer Metrik. So sind die neueren Bemühungen um den Vers dadurch gekennzeichnet, daß sie vom Metrischen zum Rhythmischen durchzustoßen suchen. Es handelt sich für sie nicht mehr um die Frage, wie weit das Sprachmaterial die von einem Metrum geforderten Längen und Kürzen, Hebungen und Senkun gen tragen kann, sondern wie weit das Metrum jenem Unmeßbaren Raum gibt, das wir Rhythmus nennen. In Frage steht also das Verhältnis von Metrum und Rhythmus. Es wird oft extrem gesehen, entweder als Gleichheit beider oder als unvereinbare Gegensätzlichkeit. Der erste Standpunkt prägt sich deutlich aus in der Unterscheidung des Rhythmos von einem Rhythmizomenon: das zu Rhythmisierende, der Sprachstoff, wird in ein Maß, einen Versrahmen gefüllt. Die Rhythmisierung hat dann die Aufgabe, den Stoff zu ordnen, der als solcher ungeordnet, rhythmisch indifferent ist. Die Frage ist, wie sich der Stoff dem Rahmen einpassen läßt und wie man den Rahmen mißt, ob etwa nach Versfüßen wie es von der Antike bis ins 19. Jahrhundert üblich war, oder nach Takten, wie es vor allem Heusler in der Versbe- trachtung zur Geltung gebracht hat. Für den anderen Standpunkt, von dem aus Rhythmus und Me- i Eduard Sievers, Rhythmisch-melodische Studien. 1912. K Franz Saran, Deutsche Verslehre. 1907. Deutsche Verskunst. 1934. Andreas Heusler, Deutsche Versgeschichte, 3 Bde. 1925-1929. 9 trum als Gegensätze erscheinen, wird Rhythmus zur Verneinung des Metrums, zum Durchbrechen seiner Ordnung. Für den Philo sophen Ludwig Klages2 äußert sich in diesem Gegensatz das Wider- sachertum von Geist und Leben. Sein Einfluß ist in der Vers- betrachtung der neueren Dichtungswissenschaft manchmal zu spü ren. So arbeitet Dietrich Seckel3 in Hölderlins Gedichten einen vom Metrum unabhängigen Rhythmus heraus, einen freien Rhyth mus im metrischen Gedicht. Und er spricht dem Rhythmus ein Merkmal ab, das selbst Klages noch als gemeinsames Merkmal von Rhythmus und Metrum ansieht, die Periodizität, die Wiederkehr eines gleichartigen Eindrucks in der Zeit4. Für Wolfgang Kayser8 bewährt sich die Kraft des Rhythmus ge rade darin, daß er das Metrum durchbricht; er kann sich über die Anweisungen des Metrums hinwegsetzen, braucht zum Beispiel die Akzente des Versschemas nicht auszuprägen, und wird es um so weniger, je kräftiger und eigenständiger er ist. Auch hier ist es das Widersachertum von Leben und Geist, das dem Prosaakzent das Recht gibt, das starre metrische Schema zu durchbrechen. Als Versuch, die Gegensätze zu überbrücken, ist es aufzufassen, wenn das Verhältnis von Rhythmus und Metrum gesehen wird als das einer Kurve, die durch ein Koordinatensystem gelegt ist®, oder eines Stromes, der über eine Stufenordnung fließt7, oder auch, nach de Saussures für die Sprachwissenschaft geltender Zuordnung, als das der jeweiligen Realisationen zu der ihnen zugrundeliegenden Norm8. Der Rhythmus erhält nach diesen Auffassungen Bahn und 2 Ludwig Klages, Vom Wesen des Rhythmus. 1934. ! 3 Dietrich Seckel, Hölderlins Sprachrhythmus = Palästra 207. 1934. 4 a.a.O. S. 23ff. 6 Wolfgang Kayser, Vom Rhythmus in deutschen Gedichten. Euphorion (Dichtung und Volkstum) 39, 1938, S. 487fr. ders. Kleine deutsche Versschule, 1946, S. 95 fr. 3 Otto Baensch, Rhythmus in allgemein philosophischer Betrachtung. 3. Kongreß f. Ästhetik u. allg. Kunstwiss. 1927. Bericht Zs. f. Ästhetik 21, 1927. S. 20;. ’ Gustav Becking, Der musikalische Rhythmus als Erkenntnisquelle. 1928. S. 11. 8 Felix Trojan, Prolegomena zu einer Metrik. Zs. f. Phonetik 6, 1952. Dieselbe Auffassung bei Arthur Arnholtz, Studier i poetrsk og musikalsk IO