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Der Pazjent als Psychiater : Oskar Panizzas Weg vom Irrenarzt zum Insassen PDF

243 Pages·1999·7.632 MB·German
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Preview Der Pazjent als Psychiater : Oskar Panizzas Weg vom Irrenarzt zum Insassen

Edition Das Narrenschiff om Irrenarzt. Schriftsteller und V Häftling zum Antipsychiater, Verleger und entmündigten Geistes­ kranken - kenntnisreich und mit vielen Detailinformationen zeichnet diese wissen­ schaftliche Biographie Oskar Panizzas Lebensweg nach: Noch während seiner Assistenzarztzeit unter Gudden, dem Leibarzt des Bayemkönigs Ludwigs II. nahm Panizza erste Symptome einer Geisteskrankheit bei sich wahr. I m diese zu bewältigen, wandte er sich dem Schreiben zu. für sein bekanntestes Werk. »Das Liebeskonzil«, erhielt Panizza ein Jahr Gefängnis wegen Gotteslästerung. Die meisten seiner Werke w urden beschlagnahmt, aber durch die Diagnose - Paranoia« schloss man die Verantwort­ lichkeit an seinen Schriften und Hand­ lungen aus. Die Geisteskrankheit verschlimmerte sich. Panizza hatte Täuschungen des Gehör- uiid des Geruchssinns, fühlte sich vom Deutschen Kaiser verfolgt und beeinträch­ tigt. Er selbst beschrieb seine Krankheits­ zeichen ausführlich in Tagebucheinträgen und verfasste eine nahezu lückenlose Patientenautobiographie aus der Sicht des ehemaligen Psychiaters. In verschiedenen Veröffentlichungen kritisierte er die zeitgenössische Psychia­ trie und kämpfte gegen Stigmatisierung und gegen eine naturwissenschaftliche Betrachtung der Geisteskrankheit. Sein früherer Kollege Emil Kraepelin beurteilte ihn später und stellte an Panizzas Beispiel eine eigene diagnostische I nter- einheit der Schizophrenien vor. Die Panizza-Biographie wendet sich nicht nur an den psychiatrisch Interessierten. Jeder, der hinter der Diagnose den Lebensweg des Betroffenen sucht, findet in Oskar Fanizza einen Wegbereiter für eine Psychiatrie, die den Patienten in den Mittelpunkt stellt. ürgen Müller. Jahrgang 1963. J Arzt für Neurologie und Psy chiatrie/Psy chotherapie. Psychiatriehistorische Promo­ tion in Würzburg. Herausgeber der »Imperjalja« von Oskar Panizza, Verfasser mehrerer Eachartikel über Panizza. Seit 1998 arbeitet er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter mit dem Schwerpunkt Aufbau einer Einheit für funktionelle Bildgebung an der psychiatrischen Unikiinik Regensburg. Edition Das Narrenschiff Psychiatrie-Verlag 3-88414-291-7 »Oskar Panizza. Diesen Mann kennen heute nur noch ganz wenige, und auch seine Bücher sind größtenteils vergriffen, und er selbst lebt in Franken in einem Irrenhaus. Dahin brachte man im Jahre 1904 den Dr. Oskar Panizza, der wohl, als er noch bei Verstände war, der frechste und kühnste, der geistvollste und revolutionärste Prophet seines Landes gewesen ist.« Kurt Tucholsky1 Jürgen Müller Der Pazjent als Psychiater Oskar Panizzas Weg vom Irrenarzt zum Insassen Edition Das Narrenschiff im Psychiatrie-Verlag Anmerkungen 214 Literatur 224 Personen- und Sachregister 234 Vorwort Im Lexikon des Deutschen Taschenbuchverlags Band 13 liest man 7 lakonisch: »Panizza Oskar, Schriftsteller, geb. 12.11.1853 in Kissingen, gestorben am 30.9.1921 in der Irrenheilanstalt Bayreuth. Ursprüng­ lich Arzt in München, schrieb phantastische Erzählungen im Stil Poes, Dramen und Satiren. 1895 wurde er wegen Gotteslästerung, 1901 wegen Majestätsbeleidigung zu Gefängnis verurteilt.« Damit wird in dürren Worten das zusammengefasst, was offenbar lexikalisch über das traurige Schicksal eines Gescheiterten um die Jahrhundertwende zusammengefasst werden kann. Ist er geschei­ tert? Er selbst würde sich dieses Charakteristikum wohl kaum zugelegt haben, wohl aber die Qualität des Verkanntseins, der Ver­ femung und Verfolgung. Das Schillernde und damit auch Unheim­ lich-Anziehende seines Schicksals wird noch dadurch unterstri­ chen, dass er sowohl Arzt als auch Dichter und schließlich Geisteskranker war. Dieses Triptychon musste aufmerksame Zeit­ genossen beeindrucken und hat es auch getan. Aber damit nicht genug. Auch heute noch ist Panizza umstritten. Seine drei Identi­ täten bieten reichlich Nahrung für Spekulationen. Es können Querverbindungen hergestellt werden, man kann sich darüber streiten, inwiefern die eine Schicksalslinie die andere beeinflusst hat. Panizza als Rebell, als Revolutionär: Da konnte es nicht aus­ bleiben, dass er als Opfer der Gesellschaft mit einem Glorienschein ausgestattet wurde und Verehrer ihm posthum huldigend in Ge­ danken Blumen auf sein Grab legten. Was aber für seine Zeit in höchstem Grade schockierend war, hat heute etwas vom Glanz des absolut Verrufenen verloren. Panizza als Opfer? Blicken wir zurück auf die Zeit um 1900. Die Psychiatrie feierte Triumphe, indem das ärztliche Monopol über das, was man bis heute Geisteskrankheit nennt, ausdrücklich gefestigt wurde. Die Psychiater wurden zu mächtigen Experten, welche entschie­ den, ob ein Abweichen von der sozialen Norm krankhaft sei und eine Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfer­ tige oder nicht. Es muss allerdings bedacht werden, dass nicht so­ sehr die Psychiater selbst sich diese Rolle anmaßten, sondern dass es das Publikum, die Öffentlichkeit war, welche ihnen diese Kom­ petenzen als Akteure zuschob. Der Ordnungsfimmel spielte um 1900 eine mächtige Rolle im öffentlichen Leben. Devianz war auf alle Fälle verwerflich, und es blieb wenig Spielraum für abseitige > und exzentrische Lebensentwürfe. Panizza war aber nicht nur Arzt, sondern auch Psychiater. Diese Tatsache kommt der geläufigen Meinung entgegen, dass alle Psychi­ ater ihren Beruf wählten, weil sie selbst ein gestörtes Seelenleben hätten. Diese etwas primitive Verallgemeinerung ist verwerflich, aber im Fall von Panizza mag es zutreffen, dass er aus einer Ah­ nung innerer Untiefen und seinem Vertrautsein mit dem Abgrün­ digen den Beruf erwählte. Panizza könnte also durchaus auch in die Reihe jener gestellt werden, über welche man zu Beginn des Jahrhunderts unter dem Titel »Genie und Irrsinn« viel geschrie­ ben hat. In der modernen Literaturgeschichte hat Panizza seine Stellung als aufrührerischer Zeitkritiker gehalten, ja es ist sogar zu einer ge­ wissen Panizza-Renaissance gekommen. Aber nicht nur das. Bio­ grafen wollen nachgewiesen haben, dass Panizza zu Unrecht als verrückt erklärt worden sei und dass es die Schuld der Psychiatrie sei, wenn er seine künstlerische Laufbahn nicht mit Erfolg gestal­ ten konnte. Wie bei anderen modernen Antipsychiatrie-Reporta­ gen haben solche wagemutigen Streiter für Panizza seinen eigenen Aufzeichnungen und Berichten blind geglaubt. Dass Panizza, ef­ fektiv unter Wahnvorstellungen leidend, seine Welt ganz einseitig wahmahm und Tatsachen subjektiv-wahnhaft umdeutete, blieb ih­ nen verschlossen. Nur am Rande sei hier erwähnt, dass dieses Phänomen die in den letzten Jahren in den Medien geführte Kampagne gegen angebli­ che Missbräuche in der Psychiatrie erklärt. Oft handelt es sich um »Tatsachenberichte« über ungerechtfertigte Internierungen oder Zwangsbehandlungen, die dadurch entstanden sind, dass die Jour­ nalisten die ehrlich vorgebrachten Äusserungen eines Kranken für bare Münze nahmen und dem Umsund nicht Rechnung trugen, dass viele Kranke auch heute noch ihre psychotische Vergangen­ heit skotomisieren, ausblenden, verdrängen. Sie tun dies nicht mit Absicht, sondern zu ihrem eigenen unbewussten Schutz. Dass das Sich-Uberschneiden der drei Rollen als Arzt, Schriftstel­ ler und Kranker den Biografen vor schwierige Probleme stellen muss, ist einfühlbar. Von vielen Seiten her kann er kritisiert wer­ den. Vom fachlich-psychiatrischen Standpunkt, vom literarischen, aber auch vom historischen her. Oft wird der psychiatrische Bio­ graf auch der Ehrfurchtslosigkeit dem Genie gegenüber angeklagt. So konnte z.B. E. Kretschmer schreiben: »Während also mancher 9 geniale Mensch Wahnsinn als den höchsten Vorzug des Ausnahme­ menschen preist, steht der Biograf mit erhobenen Händen vor ihm und schützt ihn vor dem Psychiater.« In die schillernde Literatur um und über Oskar Panizza bringt das vorliegende Buch eine heilsame Ordnung. Weder wird hier ein »Fall« klinisch-psychiatrisch abgehandelt noch geht es um ein li­ terarisches Abheben vom Boden der Tatsachen. Auf gründlichstem Quellenstudium basierend, bringt der Verfasser Licht in die ver­ schlungenen Wege Panizzas und seiner Kritiker wie Verteidiger. Das Buch zeichnet sich durch eine wohltuende Unparteilichkeit aus. Weder wird Panizza einfach als schuldloses Opfer einer bö­ sen Psychiatrie dargestellt noch als Schizophrener, dessen Werk nur von der Psychopathologie her Interesse erwecken könnte. Sorg­ fältig und nuanciert wird die Lebensgeschichte dieses skandalum­ witterten Exzentrikers aufgearbeitet und anhand bisher unbekann­ ter klinischer Fakten dargetan, dass Panizza schon lange vor seinem Tod an eindeutigen psychischen Störungen litt, die eine psychiat­ rische Betreuung rechtfertigten. Im Versuch den verschiedenen Ebenen dieses Schicksals gerecht zu werden, hat der Autor auch eine originelle Form der Darstellung gefunden. Die aufwendige Arbeit der Entmythologisierung hat sich gelohnt, und man kann dem Autor dafür dankbar sein. Nicht nur wird da­ durch vieles, das bis heute unklar im Leben und Wirken Panizzas war, aufgeklärt, sondern das Aufdecken der verschiedenen inein­ ander greifenden Erlebniswelten kann paradigmatisch für viele an­ dere Randexistenzen gelten, denen mit handfesten, einfachen kli­ nischen Modellen nicht beizukommen ist. Christian Müller Einleitung 10 Ein 50-jähriger, der bis aufs Hemd entkleidet durch eine belebte Geschäftsstraße läuft, ist sich der öffentlichen Aufmerksamkeit gewiss. Will er hierdurch seine Einweisung in eine Irrenanstalt pro­ vozieren, um sich vor dem deutschen Kaiser in Sicherheit zu brin­ gen, liegen politische Motive nahe. War er bereits wegen Gottes­ lästerung und Majestätsbeleidigung verurteilt, glauben wir gerne, dass ein politischer Flüchtling im Irrenhaus seine letzte Zuflucht sucht. Wird der Verfolgte jetzt aber als Geisteskranker entmün­ digt und muss sein Leben in verschiedenen Kliniken beschließen, so sind wir erschüttert: schreit dies nicht nach einer politisch ge­ wünschten Gefälligkeitsentmündigung durch eine obrigkeitshö­ rige Gesinnungspsychiatrie? Vor beinahe 100 Jahren erzwang der Schriftsteller und Verleger Dr. med. Oskar Panizza auf diese spektakuläre Weise seine Auf­ nahme in die psychiatrische Klinik und wurde wegen Geistes­ krankheit entmündigt. Seither ranken sich schillernde Legenden um den mundtotgemachten Skandalautor: Walter Mehring habe Panizza in Bayreuth besuchen wollen, sei aber nicht zu ihm vor­ gelassen worden. Panizzas Münchener Kaffeehausschriftsteller­ kollegen vermuteten eine Familienintrige gegen das reiche, schwar­ ze Schaf in diesem »angeblichen« Wahnsinnsausbruch.2 Frank Wedekind war von seinem Vorwurf gegen die vermeintliche Gesinnungspsychiatrie so durchdrungen, dass er sich in Max Krells >Haberfeldtreiben< äußern durfte: »Ich habe gestern Panizza besucht. Es geht ihm ausgezeichnet. Er ist der vernünftigste Mensch auf dieser Erde. Und er arbeitet!«3 In den 70ern gesellte sich eine politische Dimension zu der psychiatriekritischen des »Falles Panizza«. Heiner Müller artiku­ lierte mit Oskar Panizza den kritischen Zeitgeist der 70er und 80er Jahre: »Oskar Panizza ist ein Opfer der deutschen Einheit, kein REICH wollte ihn haben ... Panizza ist ein Terrorist; wer kein Deutscher werden will, sollte ihn lesen.«4 Vom »Terroristen« Panizza war es letztlich nur noch ein kleiner Schritt bis auch die kühnsten Hoffnungen von Panizzas Lebens-

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