Peter Roth Der Panathenaikos des Isokrates Beiträge zur Altertumskunde Herausgegeben von Michael Erler, Dorothee Gall, Ernst Heitsch, Ludwig Koenen, Reinhold Merkelbach, Clemens Zintzen Band 196 Κ · G · Saur München · Leipzig Der Panathenaikos des Isokrates Ubersetzung und Kommentar Von Peter Roth Κ · G · Saur München · Leipzig 2003 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2003 by Κ. G. Saur Verlag GmbH, München und Leipzig Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten. All Rights Stricdy Reserved. Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlages ist unzulässig. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, 99947 Bad Langensalza ISBN 3-598-77808-2 Vorwort Der vorliegende Kommentar fußt auf meiner Habilitationsschrift, die im Winter- semester 1997/1998 von der Philosophischen Fakultät IV (Sprach- und Literatur- wissenschaften) der Universität Regensburg angenommen wurde. Die Arbeit wur- de von Herrn Prof. Dr. Ernst Heitsch betreut; als weitere Gutachter waren die Herren Prof. Dr. Hans Gärtner, Prof. Dr. Carl Werner Müller und Prof. Dr. Dr. Klaus Thraede tätig. Das Manuskript wurde im Frühjahr 2003 abgeschlossen. Danach erschienene Literatur konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Bedauerlicherweise gilt dies auch für die neue von Basil Mandilaras besorgte Teubneriana. Meine neue Interpretation der Dialogszene habe ich zusammengefaßt und um einige Folgerungen zum Verhältnis Isokrates/Platon erweitert in dem Aufsatz „Die Dialogszene im 'Panathenaikos'", in: W. Orth (Hg.), Isokrates. Neue Ansätze zur Bewertung eines politischen Schriftstellers (Europäische und Internationale Studien, hg. von K. Held und F. Knipping, Bd. 2), Trier 2003, 140-149. Manche Ergebnisse und Sichtweisen, die hier vertreten werden, sind auch in den von Klaus Thraede für das RAC geschriebenen Artikel ,Isokrates' eingeflos- sen (vgl. Thraede [1998] 1048). Gerne nehme ich die Gelegenheit wahr, um denen zu danken, die an der Ent- stehung des Buchs unmittelbaren Anteil hatten: den Gutachtern für ihre Mühe und ihre Anregungen, dem Freund Norbert Blößner für seine kritische Lektüre in verschiedenen Arbeitsphasen, vor allem aber meinem Lehrer Ernst Heitsch. Von ihm kam die Anregung zu einer Beschäftigung mit Isokrates; was ich von seiner Seite über viele Jahre hin an Förderung und Verständnis erfahren habe, ist in kur- zen Worten nicht auszudrücken. Augsburg, im Juli 2003 Peter Roth Inhalt Einführung 9 Übersetzung 19 Kommentar 67 Gliederung des Kommentars 69 Zum Titel 71 Proömium l-39a 72 Erster Hauptteil 39b-l 07 106 Zweiter Hauptteil 108-198 143 Dritter Hauptteil 199-265 215 Epüog 266-272 261 Appendices 271 I. Zur Textgestaltung 273 II. Zur Datierung des 'Areopagitikos' 276 III. Τά άπόρρητα τοΰ 'Ισοκράτους 279 Literaturverzeichnis 285 Register 1. Stellen 293 2. Namen 303 3. Griechische Wörter 306 4. Sachen 308 Einführung Isokrates' Schriften gehören nicht zu den antiken Texten, die, wie etwa ein plato- nischer Dialog oder eine euripideische Tragödie, heutige Leser noch unmittelbar fesseln können. Die strenge Beschränkung im verwendeten Vokabular, die gleich- förmige Bauart der Sätze, in denen mit vielen Worten wenig gesagt zu sein scheint, und nicht zuletzt die ständige Wiederkehr der gleichen Themen verbreiten eher Langeweile; das Werben für einen Eroberungskrieg in Asien läuft heutigem mora- lischen Empfinden zuwider; die immer wieder zum Ausdruck kommende Eitelkeit und die polemische Haltung gegenüber anderen Autoren wirken eher abstoßend. Wer sich dennoch mit Isokrates' Werk beschäftigt, erlebt einen seltsamen Wider- spruch: Es gibt kaum eine Stelle, deren Formulierung oder inhaldiche Aussage sich dem Sprachkundigen nicht auf den ersten Blick erschließen würde. Wenn man jedoch nach der Aussageabsicht des Ganzen, nach den Adressaten und der Zielsetzung der Schriften fragt, wird man merken, wie problematisch es ist, hier klare und einfache Antworten zu finden. In besonderem Maße gilt das für die Schriften mit politischem Inhalt. Isokrates ist Redelehrer, bezeichnet sich jedoch selbst nicht als Rhetor, sondern als Philosoph; seine Werke nennt er λόγοι πολιτικοί, .politische Reden' In der Iso- kratesinterpretation kann man je nachdem, welcher Aspekt in den Vordergrund gerückt wird, drei Hauptrichtungen erkennen: (I) eine rhetorische Deutung; (II) eine historisch-politische Deutung; (III) eine philosophische Deutung. Nach (I) wären die Schriften des Isokrates vor allem als Anleitung für künftige Redner geschrieben, ihr Inhalt zweitrangig oder gar beliebig.1 Die Vertreter von (II) sehen Isokrates als einen politischen Publizisten, der mit seinen Schriften eine breite Offendichkeit für bestimmte politische Ideen gewinnen wollte.2 Dieser Deutungsrichtung zufolge gebührt Isokrates ein wichtiger Platz unter den Ge- schichtsquellen zum 4. Jh.; sie läuft jedoch Gefahr, unter Verkennung der Gesetze der literarischen Gattung die Aussagen der Texte zu ernst zu nehmen, und steht am meisten unter dem Zwang, die vielen inhaltlichen Widersprüche im Gesamt- werk des Autors einleuchtend zu erklären.3 Sie muß sich auch fragen lassen, ob sie nicht gelegendich ex eventu interpretatorische Vorgaben in die Texte hineinträgt, 1 Am konsequentesten vertreten von Kyprianos [1871]; für den 'Panathenaikos' vgl. noch Ar- nim [1917], für einen Ausschnitt daraus Race [1978]. 2 Vgl. die umfassende Untersuchung von Bringmann [1965]; den 'Panathenaikos' deuten un- ter diesem Gesichtspunkt besonders Wendland [1910], Zucker [1954] und Masaracchia [1995]. 3 Vgl. Thraede [1998] 1030. Ähnliche Kritik äußert Harding [1973] passim. 10 Einfuhrung also teleologisch vorgeht.4 Die dritte Deutung (III) versucht, Isokrates' Grundge- danken zu Fragen, die unter den zeitgenössischen Intellektuellen viel diskutiert wurden, wie z.B. zum Bildungskonzept und zur Stellung der Rhetorik darin, zur Sozialethik, zur Erkenntnistheorie herauszuarbeiten. Dabei spielt die Untersu- chung der literarischen Beziehungen vor allem zu Piaton, aber auch zu Autoren wie Alkidamas, Antisthenes und Xenophon eine wichtige Rolle.5 Anscheinend lassen sich in Isokrates' Gesamtwerk Indizien für die Berechtigung aller drei Ansätze finden. So wären wohl 'Friedensrede' und 'Areopagitikos' noch am ehesten als Manifestation konkreter politischer Vorschläge zu deuten.6 An an- deren Stellen scheint weniger das Thema selbst als vielmehr die rhetorische Kunst, die in seiner Gestaltung sichtbar wird, im Zentrum zu stehen, so etwa in der 'He- lena' und im Tiusiris'. Und drittens gibt es Passagen, in denen diese rhetorische Kunst selbst thematisiert wird, sich rechtfertigt und abgrenzt von Gegenpositio- nen, wie man sie im allgemeinen in Piatons Ablehnung der konventionellen Rhe- torik zu finden meint. Beispiele wären die 'Sophistenrede', die 'Antidosis' und viele Proömien. Die verschiedenen Interpretationsansätze schließen einander also nicht aus, sondern müssen sich ergänzen; wobei die Entscheidung darüber, welche Sicht die jeweils angemessene ist, nicht immer leicht fällt. Welche Absichten hat Isokrates nun mit dem Tanathenaikos' verfolgt, den er im Alter von 97 Jahren im Jahr 339 veröffentlichte? In der Rede verherrlicht er seine Heimatstadt Athen auf Kosten Spartas, das als negatives Kontrastbild fun- giert. Ist es Isokrates' Anliegen, zu zeitgeschichdichen Ereignissen und drängen- den Fragen der Politik Stellung zu nehmen? Oder möchte er gleichsam die Summe aus seiner fünfzigjährigen Lehrtätigkeit ziehen und exemplarisch zeigen, wie man eine Lobrede nach allen Regeln der Kunst gestaltet? Oder möchte er seinen damit verbundenen Bildungsanspruch von konkurrierenden Ansprüchen absetzen? Oder 4 So z.B. wenn der 'Panegyrikos' zur Programmschrift für den kurz darauf gegründeten Zweiten Attischen Seebund erklärt wird. Oder wenn man im Tanathenaikos' eine Parteinahme für Philipp erkennen möchte; dazu treffend Pointner [1969] 116: „Ein Sieg bei Chaironeia hätte wohl den Panathenaikos in die erste Reihe der Dokumente fur Freiheitsliebe, nationale Begeiste- rung und Vaterlandsliebe gestellt". 5 Die Beziehungen zwischen Isokrates und Piaton waren bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Gegenstand intensiver Forschung; eine sinnvolle Auswertung der Beobachtun- gen scheiterte jedoch an der damals noch unzulänglich geklärten Chronologie der platonischen Dialoge. So galt etwa der wegen der namentlichen Nennung des Isokrates eminent wichtige Thaidros' als Frühdialog. Eine überzeugende Einordnung des Isokrates in das Geistesleben des 4. Jh. und eine gerechte Würdigung seiner Standpunkte ist erst Eucken [1983] gelungen, dessen Buch wie kein anderes Isokrates' Gedankenwelt erschließt. 6 Doch vgl. Harding [1973] und [1988], der auch diese beiden Werke als rhetorische Muster- stücke deutet.