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Der öffentliche Vater: Konzeptionen paternaler Souveränität in der deutschen Literatur (1755–1921) PDF

476 Pages·2017·1.679 MB·German
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HERMAEA GERMANISTISCHE FORSCHUNGEN NEUE FOLGE HERAUSGEGEBEN VON CHRISTINE LUBKOLL UND STEPHAN MÜLLER BAND 130 CLAUDIA NITSCHKE Der öffentliche Vater Konzeptionen paternaler Souveränität in der deutschen Literatur (1755–1921) De Gruyter Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein Für Göran ISBN 978-3-11-029149-0 e-ISBN 978-3-11-029167-4 ISSN 0440-7164 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalogue record for this book is available from the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com Inhaltsverzeichnis I. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Das Dilemma der Individualität: Inklusion, Regulierung der filialen Sexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Privatheit, Öffentlichkeit und bürgerliche Werte . . . . . 7 3. Freud, Lacan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 4. ›Der Vater‹ als Oszillationssymbol– Methodische Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 4.1. Oszillationssymbol im systemtheoretischen Kontext . . . 28 5. Aufbau und Textauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Der bürgerliche Vater. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Vaterschaft im Zeichen von ›Tugend‹ und Individualität (Lessing: ›Miß Sara Sampson‹, ›Emilia Galotti‹) . . . . . . 41 11 . . Lessing: Die emotionale Monopolisierung des Vaters und ihre Folgeprobleme. . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1.2. Väterliche Emotion als moralische Wahrheit . . . . . . . 67 1.3. Abgrenzung gegen die Mütter . . . . . . . . . . . . . . 71 14 . . Paternale Entsexualisierung und Kulturalisierung der Familienbildung: Konkurrenz zwischen Mellefont und Sampson. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 15 . . »Eine modernisirte, von allem Staatsinteresse befreyete Virginia«?– Macht- und Zärtlichkeitsassertion des Vaters. 82 1.6. Bürgerliche Ethik und ihre inhärenten Widersprüche . . . 88 1.7. Herrschaft und Inklusion . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Der Vater als Herrscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2.1. Die Regierungsfunktion. . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2.1.1. Landesvater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2.1.2. Staatsräson und »gute Regierung« . . . . . . . . . 104 2.1.3. Schillers Landesvater: ›Kabale und Liebe‹ . . . . . 112 2.2. Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 V 3. Schlussfolgerungen und Problemfelder. . . . . . . . . . 126 3.1. Verkörperung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 3.2. Bürgerlichkeit und »souveräne« Vaterherrschaft . . . . . 127 3.3. Väterliche Macht als souveräne Macht? . . . . . . . . . 127 3.4. Das Opfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3.5. »Opfer der Ökonomie« und Ökonomie des Opfers . . . 131 3.6. Das Paradox der Souveränität. . . . . . . . . . . . . . 133 37 . . Menschliche Gleichheit und bürgerliche Werte: 137 Das bürgerliche Paradox . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Politisierung des Privaten: Bürgerliche Tugend- und Empathiekonzepte in Schillers ›Don Karlos‹. . . . . . . 141 IV. Übergänge: Revolution und Brüderlichkeit . . . . . . . . . . 163 1. Novalis: ›Glauben und Liebe‹. . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Kleists ›Prinz Friedrich von Homburg‹ . . . . . . . . . . 177 3. Väter als Brüder I: Schillers ›Wilhelm Tell‹ . . . . . . . . 185 4. »Väter« als Brüder II: Goethes ›Wilhelm Meisters Lehrjahre‹ . . . . . . . . . . 190 5. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 V. Kleist: Romantische Komplikationen . . . . . . . . . . . . . 199 1. Vaterliebe versus Paarliebe . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Konkurrenz zwischen Vater und Schwiegersohn I: Rollenusurpationen in ›Die Marquise von O....‹ . . . . . 201 3. Konkurrenz zwischen Vater und Schwiegersohn II: Die Überlagerung des Vaters in ›Das Käthchen von Heilbronn‹. . . . . . . . . . . . . 212 4. ›Das Käthchen von Heilbronn‹: Paternale Repräsentation und Verkörperung . . . . . . . 217 5. Natürliche versus kulturelle Väter in ›Der Findling‹ . . . 220 6. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 VI. Majoratserzählungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. E.T.A. Hoffmanns ›Das Majorat‹ . . . . . . . . . . . . . 237 2. Ludwig Achim von Arnims ›Die Majoratsherren‹ . . . . 248 VI 3. Ludwig Tiecks ›Die Ahnenburg‹. . . . . . . . . . . . . . 255 4. Adalbert Stifter ›Die Narrenburg‹ . . . . . . . . . . . . . 260 5. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 6. Übergänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 VII. Hebbel: Die beherrschte Schizophrenie . . . . . . . . . . . . 277 1. ›Agnes Bernauer‹: Vater, Sohn und Schwiegertochter. . . 277 2. Vom Opfer der Ökonomie zur Ökonomie des Opfers: ›Emilia Galotti‹ und ›Agnes Bernauer‹. . . . . . . . . . . 293 3. Neu akzentuierte Probleme bei Hebbel: ›Maria Magdalene‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 VIII. Adalbert Stifter: Koexistenz der Generationen durch Regulierung der Leidenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 301 1. Souveränität– Verschiebung ins Private: ›Der Nachsommer‹ im Kontext . . . . . . . . . . . . . . 305 2. Quasi-Endogamie: ›Der Hochwald‹ und ›Die Mappe meines Urgroßvaters‹. . . . . . . . . . . . . 324 3. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 IX. Fontane: Das »Gesellschafts-Etwas« und die gesellschaftliche Öffentlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 1. Paternalisierung der Gesellschaft: ›Effi Briest‹ und ›L’adultera‹. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 1.1. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 1.2. Verkörperungsfunktion des Vaters: ›Die Poggenpuhls‹ . . 368 2. Authentifikation, Konkretion und die Legitimation von Vaterherrschaft: Probleme um1900 . . . . . . . . . 370 X. Sehnsucht nach dem Vater? Freud und der Expressionismus . 381 1. Freuds ›Totem und Tabu‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 2. Historisierung Freuds im Kontext der Literatur. . . . . . 385 3. Walter Hasenclevers ›Der Sohn‹. . . . . . . . . . . . . . 397 4. Franz Werfels ›Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig‹. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 5. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 VII XI. Die totale Paradoxie– ein Ausblick . . . . . . . . . . . . . . 411 1. Kafka und der unstürzbare Vater. . . . . . . . . . . . . 411 1.1. Integration und Wertegemeinschaften. . . . . . . . . . 416 1.2. Abstrahierung und Intensivierung der Macht . . . . . . 422 1.3. Schlussfolgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 2. Notwendigkeit des Systemwechsels und Chancen und Grenzen der »Bürgerlichkeit« . . . . . . . . . . . . 434 3. Das paternale Paradox . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Verwendete Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 VIII I. Einleitung Ich will es näher zu erklären versuchen: Hier beim Heiratsversuch trifft in mei- nen Beziehungen zu Dir zweierlei scheinbar Entgegengesetztes so stark wie nirgends sonst zusammen. Die Heirat ist gewiss die Bürgschaft für die schärfste Selbstbefreiung und Unabhängigkeit. […] Wenn ich in dem besonde- ren Unglücksverhältnis, in welchem ich zu Dir stehe, selbständig werden will, muss ich etwas tun, was möglichst gar keine Beziehung zu Dir hat– das Heira- ten ist zwar das Größte und gibt die ehrenvollste Selbständigkeit, aber es ist auch gleichzeitig in engster Beziehung zu Dir. Hier hinauskommen zu wollen, hat deshalb etwas von Wahnsinn, und jeder Versuch wird fast damit ge- straft.[…]Manchmal stelle ich mir die Erdkarte ausgespannt und Dich quer über sie hin ausgestreckt vor. Und es ist mir dann, als kämen für mein Leben nur die Gegenden in Betracht, die Du entweder nicht bedeckst oder die nicht in Deiner Reichweite liegen. Und das sind entsprechend der Vorstellung, die ich von Deiner Größe habe, nicht viele und nicht sehr trostreiche Gegenden und besonders die Ehe ist nicht 1 darunter. In Kafkas eingängigem Bild vom Vater, der über die »Erdkarte« ausge- streckt alle für den Sohn relevanten Territorien »bedeckt«, vor allem aber das »Gebiet« der »Ehe« okkupiert, werden entscheidende Aspekte ver- knüpft, die für die vorliegende Untersuchung insgesamt programmatisch sind: Mit der unübersehbaren Herrscherqualität des Vaters, einem hier geradezu optisch greifbar werdenden paternalen Prärogativ, fühlt sich der Verfasser des ›Briefes an den Vater‹ offensichtlich bis in die intimsten Vorgänge hinein konfrontiert. Die väterliche Macht ist dabei so universal, dass sogar die »Selbständigkeit« des Sohnes immer nur im Rückbezug auf den Vater gedacht werden kann. Angesichts dieser unausweichlichen, »engste[n] Beziehung« zum Vater muss sich jede »Selbstbefreiung« als apriori begrenzt, ja als »Wahnsinn« erweisen– das Ergebnis dieser perpe- tuierten Abhängigkeit ist zwangsläufig »nicht sehr trostreich[…]«. Was sich bei Kafka zu einer problematischen paternalen Überlegen- heitsgeste, zu einem »Unglücksverhältnis« mit paradoxen Folgen für den Sohn gewandelt hat, beginnt im 18. Jahrhundert unter denkbar anderen Voraussetzungen. Um die Entwicklung und Bedeutungsverschiebung 1 Franz Kafka: Brief an den Vater. Faksimile. Hrsg. von Joachim Unseld. Frankfurt am Main1994, S.175–176. (Hervorhebung C.N.) 1 (sowie um ihre Legitimation und Infragestellung) genau dieser spezi- fischen paternalen »Landnahme« in Texten von Lessing bis Kafka soll es in diesem Buch gehen. Abweichend von einem fraglos produktiven Fokus auf eine ge-genderte Realität2 wird hier der »Vater« als ästhetisch pro- duziertes Schnittstellenphänomen in den Blick genommen, das zwischen Individualität und familiärer Wertegemeinschaft einerseits sowie zwi- schen Familie und Gesellschaft andererseits vermittelt und dabei in kom- plexen axiologischen Normierungsprozessen souveräne Herrschaftstech- niken imitiert. Es ist kein Zufall, dass Kafkas Beschreibung des über der Erdkarte ausgestreckten Vaters deutlich Konzepte von Territorialität und Souveränität evoziert. Im Folgenden wird das Zusammenspiel zweier Faktoren maßgeblich: Mechanismen paternaler Herrschaft/Repräsentation und väterliche Emotionen im Kontext eines bürgerlichen Wertesets. Literarisch dar- gestellte Emotionen3 werden zwar im weiteren Kontext der historischen Emotionsforschung verortet;4 diese Arbeit zielt allerdings nicht auf die Erschließung des zeitgenössischen Spektrums paternal-filialer Gefühls- muster,5 sondern vielmehr auf die hier zentrale Rückbindung emotionaler Beglaubigungstechniken auf ein zugrunde liegendes (bürgerliches) Werte- modell. Die schwierige Gratwanderung des Phänomens »Vater« zwischen mo- derner Herrschaft und Emotionen soll dabei unter drei leitenden Aspek- ten verfolgt werden: zum einen bezüglich der Regulierung der filialen Sexualität; zum anderen hinsichtlich der Ermächtigung des Vaters in einer spezifischen, neuen Wertesphäre, nämlich der Privatheit; und zum dritten schließlich mit Blick auf den Funktionswandel des »Vaters« im Laufe der Jahrhunderte. 2 Die Genderforschung ist als Voraussetzung für meine Fragestellung unabdingbar, aber im Folgenden nicht Gegenstand. 3 Vgl. zur literarischen Emotionsforschung Thomas Anz: Kulturtechniken der Emotiona- lisierung. Beobachtungen, Reflexionen und Vorschläge zur literaturwissenschaftlichen Gefühlsforschung. In: Im Rücken der Kulturen. Hrsg. von Karl Eibl, Katja Mellmann, Rüdiger Zymner. Paderborn2007, S.207–239. 4 D.h., es geht nicht um anthropologische Konstanten (die gerade für der Eltern-Kind- Beziehung entscheidend sind), sondern darum, wie die entsprechenden Gefühle arti- kuliert und inszeniert werden. Vgl. zu diesem Ansatz insgesamt: Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle. Hrsg. von Claudia Benthien, Anne Fleig, Ingrid Kasten. Köln, Weimar, Wien2000. 5 Insofern scheren diese Betrachtungen wiederum aus dem immer größer werdenden Komplex der Emotionsforschung aus, da es hier primär um Werte-Ordnungen geht. 2

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