Bernd Stiegler DER MONTIERTE MENSCH Bernd Stiegler - 978-3-8467-5976-9 Heruntergeladen von Brill.com04/20/2021 06:23:17AM via Universitat Leipzig Bild und Text herausgegeben von GOTTFRIED BOEHM GABRIELE BRANDSTETTER BERND STIEGLER begründet von GOTTFRIED BOEHM KARLHEINZ STIERLE Bernd Stiegler - 978-3-8467-5976-9 Heruntergeladen von Brill.com04/20/2021 06:23:17AM via Universitat Leipzig Bernd Stiegler DER MONTIERTE MENSCH Eine Figur der Moderne Wilhelm Fink Bernd Stiegler - 978-3-8467-5976-9 Heruntergeladen von Brill.com04/20/2021 06:23:17AM via Universitat Leipzig Umschlagabbildung: Der Mensch als Industriepalast (Ausschnitt), Beilage zu Fritz Kahn, Das Leben des Menschen, Stuttgart 1922-31 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. © 2016 Wilhelm Fink, Paderborn Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-5976-3 Bernd Stiegler - 978-3-8467-5976-9 Heruntergeladen von Brill.com04/20/2021 06:23:17AM via Universitat Leipzig für Felix H. in Dankbarkeit & Freundschaft Bernd Stiegler - 978-3-8467-5976-9 Heruntergeladen von Brill.com04/20/2021 06:23:17AM via Universitat Leipzig Bernd Stiegler - 978-3-8467-5976-9 Heruntergeladen von Brill.com04/20/2021 06:23:17AM via Universitat Leipzig Inhalt Einleitung .................................................. 9 I. TECHNIK UND PSYCHOTECHNIK: DIE TECHNISCHE EINSTELLUNG DES MENSCHEN ....... 25 Einleitung ............................................. 27 1. Psychotechnik in Deutschland und Rußland: Der allgemeine Mensch .................................. 41 2. Fritz Giese: Psychotechnik als deutsche Aufgabe ................ 67 3. Frank Bunker Gilbreth: Normalisierung als Lebenskunst ......... 87 II. TECHNIK UND MEDIEN: DIE MEDIALE EINSTELLUNG DES MENSCHEN ........... 123 Einleitung ............................................... 125 1. Film und Montage in Rußland ............................. 131 1.1 Dsiga Wertow: Der Film als reflexologisch-politisches Laboratorium ...................................... 132 1.2 Sergei Eisenstein: Die Macht der Bilder ................... 153 2. Technikphotographien: Aufnahmen aus dem Reich der Freiheit und der Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3. Die Photomontage: Kalkulierte Explosionen ................... 223 III. TECHNIK UND ÄSTHETIK: DIE VISUELLE EINSTELLUNG DES MENSCHEN ........... 257 Einleitung ............................................... 259 1. Visuelle Alphabetisierung I: Technische Bildwelten .............. 265 1.1 Fritz Kahn: Im Inneren der Mensch-Maschine 1.2 Otto Neurath: Gesellschafts- und Aufklärungstechnik ........ 276 1.3 Jan Tschichold: Nach dem Gutenbergzeitalter .............. 285 2. Visuelle Alphabetisierung II: Photographische Alphabetisierung .... 297 3. Die photographische Alphabetisierung des Arbeiters ............ 323 Bernd Stiegler - 978-3-8467-5976-9 Heruntergeladen von Brill.com04/20/2021 06:23:17AM via Universitat Leipzig 8 INHALT EPILOG ................................................... 339 Die technische Mobilmachung: Ernst Jünger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 DANK .................................................... 361 ABBILDUNGSVERZEICHNIS ................................ 363 NAMENREGISTER ......................................... 371 Bernd Stiegler - 978-3-8467-5976-9 Heruntergeladen von Brill.com04/20/2021 06:23:17AM via Universitat Leipzig Einleitung „Handbewegung und Erlebnis, Körperhaltung und Einsatz, Mensch und Maschine, immerfort gleich.“ Egon Erwin Kisch1 Der Begriff „Montage“ hat bekanntlich eine doppelte Bedeutung: Einerseits be- zeichnet er als filmisches Verfahren die Bearbeitung des belichteten Materials bzw. in der Photographie die Verwendung von Bildern und visuellen Elementen für eine neue Komposition. Andererseits kennzeichnet er eine industrielle oder zumindest technische Fertigung im Sinne eines Zusammenfügens vorgefertigten Materials. Damit sind zwei sehr unterschiedliche epistemische Felder benannt: die Ästhetik und die Technik. Während das eine bis hinein in die Moderne ein Reich der Frei- heit oder zumindest des Widerstands und der Kritik ist, gilt das für das andere nicht: Hier gilt das Gesetz der Zweckrationalität, ohne die das zusammengesetzte Produkt nicht funktionieren würde. In diesem Sinne wurden auch die beiden se- mantischen Felder des Begriffs „Montage“ zumeist streng voneinander getrennt: die ästhetische wurde als Kritik an der industriellen Montage begriffen, das Prinzip der künstlerischen Montage als jenem der mechanischen diametral entgegenlau- fend aufgefaßt: „Montage als industrielle Fertigungstechnik und künstlerisches Verfahren kenn- zeichnet ein grundlegender Unterschied. Die eine setzt Teile aus gleichartigem Ma- terial zu einem funktionalen Ganzen zusammen, während die andere zunächst den Effekt des Dysfunktionalen sucht, indem sie Materialien, die gerade nicht zusam- menpassen, aus ihren Herkunfts- und Funktionszusammenhängen reißt, um sie in der künstlerischen Bearbeitung einem neuen Kontext einzufügen, der geeignet ist, gerade auch über den ursprünglichen Zusammenhang eine Aussage zu machen.“2 So lautet die Definition im Katalog einer Marbacher Ausstellung, die so etwas wie den common sense einer traditionellen Montagetheorie resümiert. Doch trifft diese Bestimmung wirklich zu? Lassen sich die beiden Bereiche der Theorie wie auch der Praxis der „Montage“ so scharf trennen, wie man es sich offenkundig wünscht? 1 Egon Erwin Kisch, Paradies Amerika, Berlin/Ost 1948, S. 298. 2 Ulrich Ott (Hg.), Literatur im Industriezeitalter, 2 Bde., Bd. 2, Marbach 1987 (= Ausstel- lungskatalog Deutsches Literaturarchiv im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar), S. 732. Bernd Stiegler - 978-3-8467-5976-9 Heruntergeladen von Brill.com04/20/2021 06:23:17AM via Universitat Leipzig 10 EINLEITUNG Ich möchte versuchen, in diesem Buch eine andere Geschichte der Montage zu- mindest in Bruchstücken zu rekonstruieren. Sie folgt einem eigentümlichen roten Faden, der sich durch zahlreiche Texte und Dokumente der Zeit zwischen den spä- ten 1910er bis in die 1940er Jahre zieht: der Vision eines neuen, eines montierten Menschen. Dieser sei, so wollen es unisono Psychotechniker und Literaten, Ingeni- eure und Filmemacher, Architekten und Photographen, Tayloristen und Künstler, technisch neu zu konstruieren. Vor einem Jahrhundert wurde die alte Idee eines Maschinenmenschen wiederbelebt, technologisch aktualisiert und neu ausformu- liert und avancierte zur Zentralmetapher von Kulturdiagnosen, Gesellschaftsvisio- nen und Medientheorien. Anders als bei den Visionen eines La Mettrie und ande- ren greift nun die Metapher auf die konkrete gesellschaftliche Praxis über. Sie steht im Hintergrund der neu entstandenen Montagepraktiken der russischen Avantgar- defilme, der sich nun rasch verbreitenden Arbeitswissenschaft und Psychotechnik, weiter Teile der künstlerischen Strömungen der Zeit und nicht zuletzt auch politi- scher Theorien zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus. Wenn man verste- hen will, welche Bedeutung die Technik für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hat, so gilt es zuallererst diese Leitmetapher des „montierten Menschen“ in den Blick zu nehmen. Es geht um nichts Geringeres als um eine eigentümliche Figur des politischen Imaginären, die mehrere Jahrzehnte lang höchst unterschiedliche Gesellschaften umtreibt. Die Technik bildet dabei eine vermeintlich neutrale Zone, von der aus die eminent politische Agenda einer Umgestaltung der Gesellschaft und des Menschen in Angriff genommen wird. Dies geschieht in bemerkenswerter Weise in höchst unterschiedlichen politischen Lagern, aber auch in einer Fülle sehr heterogener epistemischer Felder. So wurden etwa der Taylorismus und die deut- sche Arbeitswissenschaft in Sowjetrußland breit rezipiert und umgesetzt. Doch auch wenn die politischen Systeme stark differierten, träumte man diesseits wie jenseits des Atlantiks vom montierten Menschen. Zwischen den Vereinigten Staa- ten, Europa und Rußland bildete die Technik eine Art Austauschzone, die ideolo- gische und politische Neutralität garantierte. Wenn wir daher von Montage und dem montierten Menschen sprechen, so haben wir es mit einem nahezu globalen Phänomen zu tun, bei dem systematisch Ästhetik und Technik verschaltet werden. Die Montagepraktiken der Kunst und Ästhetik sind ohne die Montageverfahren der Industrie nicht vorstellbar, wie umgekehrt auch die tayloristischen Rationalisie- rungsverfahren eines Frank Bunker Gilbreth eine neue, technische Art der Lebens- kunst zu entwerfen suchen, die sich keineswegs auf die industrielle Produktions- technik beschränkt. Und last but not least greifen die filmischen Montageverfahren, die in den 1910er und dann vor allem 1920er Jahren entwickelt werden, auf ande- re Weise auf Theorien der Rationalisierung, des Taylorismus, aber auch der psycho- logischen Konditionierung zurück. Bernd Stiegler - 978-3-8467-5976-9 Heruntergeladen von Brill.com04/20/2021 06:23:17AM via Universitat Leipzig