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Der Mensch inmitten der Geschichte: Philosophische Bilanz des 20. Jahrhunderts PDF

395 Pages·1990·19.832 MB·German
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Karl Löwith Der Mensch inmitten der Geschichte Karl Löwith Der Mensch inmitten der Geschichte Philosophische Bilanz des 20. Jahrhunderts Herausgegeben von Bernd Lutz J. B. Metzlersehe Verlagsbuchhandlung Stuttgart CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Löwith, Karl: Der Mensch inmitten der Geschichte: philosophische Bilanz des 20. Jahrhunderts/ Karl Löwith. Hrsg. von Bernd Lutz. - Stuttgart: Metzler, 1990 ISBN 978-3-476-00713-1 ISBN 978-3-476-03324-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-03324-6 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 1990 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzlersehe Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1990 Inhalt 1932 Existenzphilosophie...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1935 Politischer Dezisionismus (C. Schmitt). . . . . . . . . . . . . . . 19 1940 Der europäische Nihilismus. Betrachtungen zur geistigen Vorgeschichte des europäischen Krieges . . . . . . . . . . . . . 49 1950 Weltgeschichte und Heilsgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1950 NaturundGeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1957 Natur und Humanität des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . 171 1958 Marxismus und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1960 Mensch und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1960 Bemerkungen zum Unterschied von Orient und Okzident 254 1960 Nietzsche nach sechzig Jahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 1961 VomSinnderGeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 1963 Das Verhängnis des Fortschritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 1966 Christentum, Geschichte und Philosophie . . . . . . . . . . . . 339 1969 Zu Heideggers Seinsfrage: Die Natur des Menschen und die WeltderNatur............................. 358 1970 WahrheitundGeschichtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Existenzphilosophie 1932 Was gegenwärtig als Existenzphilosophie die Problematik der Philo sophie überhaupt bestimmt, hat seine geschichtliche Herkunft aus dem Bruch mit jener Epoche der Philosophie, welche zuletzt gekennzeichnet ist durch Hegels Vollendung des deutschen Idealismus. In Hegels be wußter Voll-endung einer mehr als zweitausendjährigen Tradition be kundet sich ein Ende und damit die Notwendigkeit eines neuen Anfangs der Philosophie. Die allgemeinsten Schlagworte, in denen sich diese Anwendung von Hegel polemisch und positiv zum Ausdruck bringt, sind: >>Wirklichkeit<< und »Existenz<<. Diese polemische Betonung der wirklichen Existenzverhältnisse richtet sich gegen die von Hegel mit der Wirklichkeit ineins gesetzte» Vernunft<< und damit überhaupt gegen die Philosophie als reine Theorie, gegen das bloß vernunftgemäße >>Be trachten<< und >>Begreifen<< der Wirklichkeit. In dieser Gegenstellung zu Hegel stimmen alle führenden Linkshegelianer der vierziger Jahre über ein, mögen sie im übrigen so wesensverschieden sein wie Feuerbach, Marx, Stirner und Kierkegaard. Feuerbachs Gegenbegriff zu Hegels >>abstraktem Denken<< ist die >>sinnliche Anschauung<< und >>Empfin dung<<, Marxens Gegenbegriff die »sinnliche Tätigkeit<< oder >>Praxis<<, Stirners Gegenbegriff das egoistische >>Interesse<< und der von Kierke gaard die entschiedene >>Leidenschaft<< der Innerlichkeit der Existenz. Sie alle bekämpfen in ihrer Auseinandersetzung mit Hegels absoluter Philosophie des Geistes deren Unangemessenheit zur existierenden Wirklichkeit und zur wirklichen Existenz, und zwar meinen sie mit Existenz vorzüglich die nackte Existenz des Menschen, sei es in ihrer Äußerlichkeit (Marx) oder auch Innerlichkeit (Kierkegaard). Nur noch mit Rücksicht auf diese menschliche Wirklichkeit und die Philosophie als >>Anthropologie<< geht es Feuerbach, Marx, Stirnerund Kierkegaard 2 Existenzphilosophie um die Wirklichkeit als solche und im Ganzen, konzentriert und redu ziert sich die universal-ontologische Frage nach dem Sein überhaupt auf die nach dem menschlichen Dasein insbesondere. Um diese Wendung zu einer Philosophie der menschlichen Existenz im geschichtlichen Zusammenhang zu verstehen, sei kurz dargelegt, in welchem Sachzusammenhang dieser Begriff überliefert war, ehe er zum thematischen Titel für Philosophie überhaupt werden konnte. Existenz als existentia war ursprünglich ein scholastischer Terminus und als solcher Gegenbegriff zu essentia oder Wesenheit. Die Unter scheidung von existentia und essentia betraf innerhalb der christlichen Philosophie des Mittelalters jedes von Gott geschaffene Sein - nicht aber Gott selbst. Für dessen Sein galt, daß es wesentlich auch existiert, weil zu seinem Wesen die Vollkommenheit und zu dieser die Existenz gehört. Nur in Gott sind Wesenheit und Existenz miteinander da oder eins. Dies zu demonstrieren war die Aufgabe des »ontologischen<< Gottesbeweises des Anselm von Canterbury, und in dessen Sinn haben noch Descartes, Spinoza, Leibniz und Wolff argumentiert. Erst Kants ,, Kritik<< hat ihn grundsätzlich zu widerlegen versucht, weil sich aus einem »Begriff<<, wie er es nannte, dessen »Dasein<< nicht ausklauben lasse. Dem Begriff nach seien hundert wirkliche und hundert mögliche Taler nicht unterschieden, was sie unterscheide - das Positive der »Existenz<< -liege außerhalb ihres Was-seins, ihrer essentia. Diese kritische Trennung von dem, was etwas essentiell ist und daß es überhaupt »ist<<, hat Hegel wiederum aufgehoben. Das »Wirkliche<< als solches definiert Hegel als die »unmittelbar gewordene Einheit des Wesens und der Existenz oder des Innern und des Äußeren<< -des innerlichen Wesens und der äußeren, sinnlichen Existenz. Was also nach scholastischer Auffassung ausschließlich das Sein Gottes kenn zeichnet und nach Kants Kritik in keinem Fall eins ist, das gilt nach Hegels Spekulation für alles Seiende, das »wahrhaft<< oder im »empha tischen<< Sinne wirklich ist. Denn es sei »trivial<<, der Wirklichkeit wie etwas bloß Äußerlichem das Wesen wie etwas bloß Innerliches entge genzusetzen. Vielmehr sei die »Idee<< oder der »Gedanke<< und »Be griff<< als das wesentliche Sein auch zugleich das schlechthin Wirkende und Wirkliche. In der Erkenntnis, daß Hegels Ineinssetzung von Wesen und Exi stenz doch nur eine solche innerhalb der philosophischen Idee war, hat Marx gefordert, daß die vernünftige Idee in der Tat eins werde mit dem Ganzen der praktischen und theoretischen Wirklichkeit, und demge- Existenzphilosophie 3 mäß nach einem Prinzip und Träger gesucht für die praktische Verwirk lichung oder das »W eidichwerden << der Philosophie. Als >>Kritik<< der bestehenden Wirklichkeit bemißt sie am Wesen die Existenz, und als >>Kommunismus<< ist sie die positive Aufhebung wesenloser Existenz verhältnisse, die >>wahre Auflösung<< des faktischen Widerstreits von >>Wesen und Existenz<<. Im Prinzip gilt somit auch für Marx Hegels These von der Wirklichkeit als der unmittelbar gewordenen Einheit von Wesen und Existenz. Diese dialektische Ineinssetzung von wesenhafter Möglichkeit und positiv gesetzter Wirklichkeit hat SeheHing wiederum rückgängig ge macht mittels der Unterscheidung einer >>positiven<< und >>negativen<< Philosophie, aber nicht um etwa auf Kant zurück, sondern um über Hege! hinauszugehen. Die Polemik, welche der alte SeheHing 1841 mit dem Vortrag einer >>positiven<<, weil auf wirkliche Existenz bezogenen Philosophie der Offenbarung eröffnete, richtete sich gegen Hegels rein >>rationale<< Philosophie als eine bloße »negative<<. Mit SeheHing setzt somit noch innerhalb des deutschen Idealismus jene Wendung zu einer ir-rationalen Existenzphilosophie ein, welche dann am entschiedensten Kierkegaard vollzogen hat. Daß SeheHing dabei mit den Linkshegelia nern, die ihn unter Berufung auf Hege! bekämpften, doch gegen Hege! gemeinsame Sache machte, war ihm selber bewußt. »Aus dem bisher Gesagten erhellt zugleich, wie überflüssig es war, gegen mich die rationale oder negative Philosophie in Schutz nehmen oder verteidigen zu wollen [. .. ] Diejenigen [. .. ], welche sich dazu berufen glaubten, und insbesondere die Verteidigung der Hegeischen Philosophie gegen mich in dieser Beziehung überneh men zu müssen glaubten, taten es zum Teil wenigstens nicht etwa, um sich der positiven Philosophie zu widersetzen, im Gegenteil, sie selbst wollten auch etwas der Art; nur waren sie der Meinung, diese positive Philosophie müsse auf dem Grunde des Hegeischen Sy stems aufgebaut werden, und lasse sich auf keinem andern aufbau en, dem Hegeischen Systeme fehle weiter nichts, als daß sie es ins Positive fortsetzten, dies, meinten sie, könne in einem steten Fort gange, ohne Unterbrechung und ohne alle Umkehrung gewesen ... << (S. Werke II, 3, S. 90). Die positive Wendung zur Existenz bestand kritisch darin, daß SeheHing zeigen wollte, daß Hege! die Existenz nur zum Schein in das Seinsproblem einbezogen, in Wirklichkeit aber nur den logischen Be- 4 Existenzphilosophie griff zu einer Existenz hypostasiert habe, die ihm nicht zukommt. Hegels ontologische Logik >>affektiere<< nur das >>Reale<<, wenn erz. B. die »>dee<< sich zu etwas >>entschließen<< läßt. Seine Ontologieverwand le die Wirklichkeit in eine>> Wüste des Seins<<, in einer zwar unentbehrli chen, negativen Philosophie, die er aber selber schon für die positive, weil für das Ganze der Philosophie hielt. >>Hier, in der Nicht-Unterscheidung der negativen und positiven Philosophie, und daß man mit einer Philosophie, die, richtig ver standen, nur negative Bedeutung haben konnte, erreichen wollte, was nur der positiven Philosophie möglich ist, darin, wie gesagt, liegt der Grund der Verwirrung und des wilden, wüsten Wesens, in das man hineingeriet. .. << (a. a. 0. S. 80). F. Engels' ausführliche Berichte1 über Schellings Vortrag der positi ven Philosophie der Offenbarung und einige Tagebuchnotizen Kierke gaards dokumentieren eindringlich die ungeheure Erwartung, welche die zeitgenössische gebildete Welt auf Schelling gesetzt hatte, aber auch die nicht minder große Enttäuschung an dieser Offenbarung des Seins in seiner wirklichen Existenz. Auf SeheHing bezieht sich die ironische Sentenz in Entweder-Oder über das Verhältnis der Philosophie zur Wirklichkeit: >>Wenn man die Philosophen von der Wirklichkeit reden hört, so ist das oft ebenso irreführend, wie wenn man im Schaufenster eines Trödlers auf einem Schild die Worte liest: Hier wird gerollt. Wollte man mit seiner Wäsche kommen, um sie rollen zu lassen, so wäre man angeführt. Der Schild nur hängt zum Verkauf da.<< Kierkegaard wollte also offenbar nicht rein philosophisch von der Wirklichkeit reden, sondern so, daß sie selber im Reden mit dabei ist, und sofern es ihm um die Wirklichkeit der menschlichen Existenz ging, wollte er existenziell von der Existenz reden und so die Philosophie praktizieren-im Unterschied zu der Ausarbeitung einer systematischen Existenzphilosophie2• Soweit sich bei Kierkegaard überhaupt von >>Phi losophie<< reden läßt, handelt es sich um >>psychologisch experimentie rende<< Existenzerhellungen, im ausdrücklichen Gegensatz zu einem >>System des Daseins<< und in der Absicht auf eine >>Einübung im Chri- 1 Marx-Engels-Gesamt-Ausgabe I, 2, S. 173 ff. 2 Siehe vor allem Phi/os. Brocken, W. 6, S. 209 ff. und 7, S. 1 ff. Existenzphilosophie 5 stentum«. Dennoch sind seine pseudonymen Werke keineswegs unsy stematisch, sondern streng durchdachte Darstellungen und Analysen der Existenzproblematik, entwickelt in Hegels Begrifflichkeit. Was Kierkegaard damit wollte, war: >>die Urschrift der individuellen, huma nen Existenzverhältnisse<< wieder zu lesen. Als diese Urschrift sah Kier kegaard aber nicht die ,, humane<< Existenz an, wie sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts dichterisch durch Goethe, weltanschaulich durch Humboldt und philosophisch durch Hegel verkörpert war, sondern die ursprünglich-christliche Existenzverfassung. Sein Existenzbegriff be kämpft daher die humanistische und erst recht die humanitäre Idee vom Menschsein, hebt sich aber auch ständig ab gegen das >>Rein-Menschli che<< als ein »Bloß-Menschliches<<, und diese bewußte Inhumanität charakterisiert auch noch den durch Kierkegaard bestimmten gegen wärtigen Existenzbegriff. Abgesehen von seiner spezifisch christlichen Orientierung ist Kier kegaards Grundbegriff vom Menschen als einer »Existenz<< allgemein und in erster Linie dadurch gekennzeichnet, daß er so etwas wie die pure oder nackte Existenz, das factum brutum des Daseins meint. Mit der Erhebung dieser so verstandenen Existenz zum Grundproblem einer experimentierenden Psychologie verlegt sich das bis zu Hegel maßgebend gewesene universale Seinsproblem bei Kierkegaard aus schließlich in die Frage nach dem menschlichen Dasein, und als das eigentliche "Problem<< dieses Daseins gilt nicht, was es alles ist, sondern daß es überhaupt und wie es da ist. Die Frage nach der Existenz wird somit identisch mit der nach dem Sinn dessen, daß ich überhaupt da bin oder »existiere<<. Die Existenzphilosophie fragt nicht mehr in erster Linie nach den Wesenheiten oder der essentia des Seienden, um dann auch noch nach seiner existentia zu fragen, sondern ihr ist das Sein als solches, diese scheinbare Selbstverständlichkeit, fraglich geworden. Ih re These ist, daß das ,, Wesen<< des Daseins nichts anderes ist als eben die pure existentia, das ,,zu-sein<< selber, wie es am schärfsten und unmiß verständlichsten von Heidegger formuliert wurde3• Die radikale Zu spitzung des an sich universalen Seinsproblems auf die Fragwürdigkeit der je eigenen Existenz als dem Fundament der Ontologie charakteri siert in entscheidender Weise den durch Kierkegaard bestimmten Exi stenzbegriff. 3 Sein und Zeit, § 9, S. 42 und§ 29. Dennoch ist das fundamental-ontologi sche Problem von Sein und Zeit nicht identisch mit Kierkegaards Existenzpro-

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