Horst W. Kăhler DER MARS Bericht liber einen Nachbarplaneten Mit 139 Abbildungen Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Kohler, Horst W. Der Mars: Bericht uber e. Nachbarplaneten. - 1. Aufl. Braunschweig: Vieweg, 1978. ISBN 978-3-322-99039-6 ISBN 978-3-322-99038-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-99038-9 Der fUr den Einband (des vorliegenden Werkes) verwendete Textausschnitt wurde der bei Vieweg 1791 publizierten Anleitung zur Kenntnif1 des grol1en Weltbaues fiir Frauenzimmer in freundschaft lichen Briefen von Johann Heinrich Helmuths entnommen. Er entstammt dem Ein und vierzigsten Brief (an Emilien von UraniaJ vom 1. November 1790. Helmuths beschreibt hier den Planeten Mars. Das volistăndige Zitat lautet: "Seine mittlere Weite von der Erde betrăgt 30 Millionen, 841 tausend 498 Meilen, und sein schein barer Diameter in seiner mittlern Entfernung ist 7 Sekunden und 36 Tertien. Nach der wahren Griisse ist die Marskugel 3 und fast ein Drittelmal kleiner als die Erde. Aus dieser Ursach ist die Erdkugel fUr die Bewohner des Mars ein prăchtigerer Stern am Himmel, als die Marskugel fUr uns. Unter allen Planeten verăndert er seine scheinbare Griisse am stărksten." (S. 206 f.) Die ebenfalls fUr den Einband verwendete ăltere Darstellung des Mars gibt das Aussehen des Planeten vom 8. bis zum 10. Mai 1888 nach der Zeichnung Schiaparellis wieder. Diese findet sich auf S. 148 des bei Vieweg im Jahre 1901 herausgegebenen Handbuchs der AlIgemeinen Himmelsbeschreibung nach dem Standpunkte der astronomischen Wissenschaft am Schlusse des 19. Jahrhunderts (3. Auflage) von Hermann J. Klein. Die geologische Karte des Mars, Seiten 96 und 97, sind entnommen aus: James B. Pollack, Mars, Scientific American, 233, No. 3, 1975 (S. 108-1091. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages W. H. Freeman & Co., San Francisco, USA. 1978 Alle Rechte der deutschen Ausgabe vorbehalten ©Springer Fachmedien Wiesbaden 1978 Ursprunglich erschienen bei Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig,1978. Softcover reprint ofthe hardcover 15t edition 1978 Die Vervielfăltigung und Obertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder auch fur die Zwecke der Unterrichtsgestaltung gestattet das Urheberrecht nur, wenn sie mit dem Verlag vorher vereinbart wurden. Im Einzelfall muB uber die Zahlung einer Gebuhr fur die Nutzung fremden geistigen Eigentums entschieden werden. Das gilt fur die Vervielfăltigung durch alle Verfahren einschlieBlich Speicherung und jede Obertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bănder, Platten und andere Medien. Satz: Vieweg, Wiesbaden Lithographie: Schutte & Behling, Berlin Einbandentwurf: Peter Neitzke, Kiiln Vorwort Wie kaum ein anderer Planet hat der Mars, seit es optische Instrumente gab, das Inter esse der Fachleute und der astronomisch interessierten Offentlichkeit gefunden. Obgleich er als drittkleinster Planet unseres Sonnensystems nur 53 % des Durchmessers der En;le und nur etwa 10% ihrer Masse besitzt, ist er in mancherlei Hinsicht der erd iihnlichste Planet. Wie beim Merkur kann man seine Oberfliiche direkt beobachten. Kein Wunder, da~ einige friihe Astronomen mit ihren im Vergleich zum heutigen Standard leistungsschwachen Geriiten kiinstliche Entwiisserungsanlagen, gro~flachige Seen und dichte Vegetation entdeckt zu haben glaubten. Von da war es nur noch ein kleiner Schritt zu den "Marsbewohnern", jenen "griinen Mannchen", die wir noch heute in der Science-Fiction-Literatur und in Bilderwitzen finden. I m Herbst 1659 fertigte der hollandische Astronom Christiaan Huygens die erste ein fache Skizze der Marsoberflache an, die in den folgenden Jahrzehnten durch zusatzliche Details verbessert wurde. Zweihundert Jahre spater hatten etwa die von dem Deutschen Madler (um 1840), dem Englander Proctor (1867) und dem Italiener Schiaparelli (1879) gezeichneten Marskarten bereits viel Ahnlichkeit mit den heutigen; eine der neuesten Ausfiihrungen, die Ausgabe 1976 des US Geological Survey, ist in diesem Buch auf den Umschlag-Innenseiten zu sehen. Die Fiille des fotografischen Materials und physikalischer Me~daten der amerikanischen und sowjetischen Raumflugkorper brachten der Marsforschung seit 1965 einen unge ahnten Fortschritt und Aufschwung. Dies gilt besonders fiir das zwischen 1975 und 1978 durchgefiihrte amerikanische Viking-Programm, bei dem zwei im Sommer 1976 weich gelandete Me~korper (Viking-Lander) auf der nordlichen Halbkugel des Mars und zwei kunstliche Satelliten (Viking-Orbiter) auf unterschiedlichen Umlaufbahnen den Planeten iiber viele Monate hinweg sowohl am Boden als auch vom Mars-Orbit aus verschiedenen Hohen fotografieren und erforschen konnten. Der Abschlu~ des erweiterten Viking-Programms im Friihjahr 1978 (das Hauptprogramm war bereits im November 1976 zu Ende gegangen) fallt fast mit dem Erscheinen dieses Buches zu sammen, in dem primar Viking-Ergebnisse (bis November 1977) beschrieben und inter pretiert sind; dariiber hinaus wurden aber auch die Resultate friiherer Mars-Sonden ent sprechend beriicksichtigt. So konnte ein Werk entstehen, das den jiingsten Kenntnis stand der Marsforschung zum Inhalt hat und auch kein vergleichbares Vorgangerbuch kennt, vor allem nicht im deutschsprachigen Schrifttum. Es liegt in der Natur des behandelten Forschungsgebietes, da~ neben der Beantwortung von zahlreichen Fragen um den Planeten Mars und seiner beiden kleinen Monde neue Fragestellungen entstanden sind, da~ die Resultate der einzelnen Me~instrumente der Raumflugkorper nicht immer vollig korrelieren und da~ bei der Interpretation der Me~daten mitunter die heute gliicklicherweise nicht mehr verponte wissenschaftliche Spekulation herangezogen wurde. Die noch offenen Fragen werden die Basis fiir spatere Marsfliige bilden, die dazu beitragen werden, die jetzigen "Model Ie" zu exakteren Abbildern der Wirklichkeit zu verfeinern. III Die Planetenforschung ist eine noch junge wissenschaftliche Disziplin, die den her kommlichen naturwissenschaftlichen Fachern wie Astronomie, Physik, Chemie, Meteorologie, Geophysik, Geologie, Biochemie und Biologie mancherlei neue Impulse vermittelt, deren weitere Fortschritte aber auch von der engen Zusammenarbeit dieser Fachgebiete abhangen. Mit dem deutsch-amerikanischen Gemeinschaftsprojekt Helios (zwei Sonden dieses Namens umkreisen die Sonne seit 1974 bzw. 1976) sowie natio nalen Beitragen fur die amerikanischen Planetensonden Venus-Pioneer (Start 1978) und Jupiter-Orbiter-Probe (JOP, Start 1982) wurden erste Schritte zur I ntensivierung dieses neuen Gebietes auch in Deutschland gemacht. Neben der SchlieBung einer Infor mationslucke ist es ein zentrales Anliegen dieses Buches, am Beispiel des Planeten Mars die Bedeutung der Planetenforschung und ihres interdisziplinaren Charakters, aber auch ihre Ruckwirkungen auf das Verstehen der Vorgange in und auf unserer Erde auf zuzeigen. Dem Leser soli ein Einblick vermittelt werden in die besondere Stellung der Erde im Sonnensystem - eine Stellung, die schlieBlich die Entwicklung von Hoch kulturen ermoglichte. Das Studium unseres Nachbarplaneten soli dazu anregen, sich verstarkt fur irdische Vorgange zu interessieren und verantwortungsbewuBt an der Erhaltung unserer Umwelt mitzuwirken. SchlieBlich habe ich noch die vornehme Pflicht, allen jenen zu danken, die beim Ent stehen des Buches wesentlich beteiligt waren. Dieses Werk gabe es sicherlich nicht ohne die verstandnisvolle Unterstutzung der NASA, vor allem der groBzugigen Oberlassung von I nformationen und neuestem Bildmaterial durch die Presseabteilung des Jet Pro pulsion Laboratory der NASA in Pasadena (Kalifornien) und durch die Abteilung Lunar and Planetary Programs des Office of Space Science in der NASA-Zentralstelle in Washington, D. C. Dem Verlag Vieweg schulde ich Dank fur das bereitwillige Eingehen auf meine Wunsche und fur die gute Ausstattung des Buches, vor allem aber fur die rasche Drucklegung und fur die ausnahmslos gute Zusammenarbeit. Dankbar bin ich auch Frau Roswitha Plei fur das Schreiben des Manuskripts und meinem Vater fur das hilfreiche Mitkorrigieren der Druckvorlagen. Der Hauptdank gebiihrt meinen Eltern, die wahrend der Entstehung dieses Buches in verstandnisvoller Weise auf so manche Hilfe und Unterstutzung ihres Sohnes verzichteten. Horst W Kohler Augsburg, im Januar 1978 IV I nhaltsverzeichnis Vorwort ............................................... III 1 Marsbeobachtung mit optischen Geraten 1.1 Friihe Marsforschung ................................. . 1.2 Der Mars als H immelskorper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3 1.3 Marsforschung mit Raumsonden .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5 2 Das Viking-Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 16 2.1 Beschreibung des Viking-Raumflugkorpers .................., . 16 2.2 Die Experimente .................................... 17 3 Landeplatzsuche und die Landung von Viking ............... 32 4 Phobos und Deimos ................................... 40 4.1 Bahnen und Abmessungen .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 40 4.2 Die Oberfliiche der Marsmonde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 43 4.3 Herkunft und Vergangenheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 53 5 Die Marsatmosphare ................................... 58 5.1 Aligemeines........................................ 58 5.2 Druck, Temperatur und Dichte der unteren Atmosphiire .......... 59 5.3 Zusammensetzung der unteren Atmosphiire . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 63 5.4 Die lonosphiire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 68 5.5 Neutrale Hochatmosphiire .............................. 70 6 Geophysik des Planeten Mars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 75 6.1 Form und Achsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 75 6.2 Gravitation und Gravitationsanomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 78 6.3 Magnetfeld........................................ 80 6.4 Oberfliichendriicke und -temperaturen ...................... 82 7 Geologie und Topographie ............................... 90 7.1 Evolution und innerer Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 90 7.2 Globale Topographie - ein Oberblick ....................... 94 7.3 Auswertung von Kraterziihlungen ......................... 106 V 8 Charakteristische OberfUichenformen im Bild ............... 109 8.1 Krater ........................................... 109 8.2 Risse und Spalten .................................... 120 8.3 Kanale ........................................... 123 8.4 Polare Regionen ..................................... 134 9 Meteorologie auf dem Mars ............................. 140 9.1 Spurengas Wasserdampf ................................ 140 9.2 SpurengasOzon ..................................... 147 9.3 Ergebnisse der meteorologischen Messungen auf dem Mars ......... 148 9.4 Wolken und Staubstiirme ............................... 155 10 An den Landeplatzen von Viking 1 und Viking 2 ............. 161 10.1 Rundblick an der VL1-Landestelle ......................... 161 10.2 Rundumsicht am VL2-Landeplatz ......................... 169 10.3 Zusammenfassender Vergleich der Landeregionen von Viking 1 und Viking 2 ....................................... 176 11 Physik und Chemie des Marsbodens (VL 1 und VL2) ........... 177 11.1 Teilchengr6~en und Festigkeit ........................... 177 11.2 Untersuchung ferromagnetischer Teilchen .................... 182 11.3 Anorganisch-chemische Analyse .......................... 185 11.4 Molekulare Analyse ................................... 189 11.5 Seismische Messungen auf der Marsoberflache ................. 192 12 Die Suche nach Leben auf dem Mars ....................... 194 12.1 Was ist Leben, und wie kann es entstehen? ................... 194 12.2 Ergebnisse der biologischen Viking-Experimente ................ 195 12.3 Foigerungen ....................................... 207 13 Zukunftige Marsforschung - Moglichkeiten und Ausblick ....... 210 13.1 Notwendigkeit der Planetenforschung ....................... 210 13.2 Weitere Marsforschung ................................. 212 Literaturverzeichnis ....................................... 220 Sachwortverzeichnis ..................................... 223 VI 1 Marsbeobachtung mit optischen Geraten 1.1 Friihe Marsforschu ng Neben dem sonnennachsten Planeten Merkur ist der Mars der einzige Planet, dessen Oberflache einer direkten Beobachtung zuganglich ist. So ist es verstandlich, daB der wegen seiner Farbtonung auch "Rater Planet" genannte auBere Nachbar der Erde schon immer das Interesse astronomisch interessierter und geschulter Menschen fand. Naturlich hatten die fruhen Beobachter noch keine Fernrohre zur Verfugung. So ver wendete z. B. der Dane Tycho Brahe gegen Ende des 16. Jahrhunderts in seinem Obser vatorium Uranienburg einen Mauerquadranten zur Untersuchung der Marsbahn. Mit diesem uberdimensionalen Winkelmesser gelang es ihm, die Position der Sterne und Planeten immerhin auf etwa zwei Bogenminuten genau zu ermitteln. Ein Jahr vor seinem Tad (1601 in Prag) hatte er Johannes Kepler als Assistenten berufen. Kepler wertete die Braheschen Beobachtungsunterlagen und Daten in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts sorgsam aus. Der Mars war es auch, an dessen Bahn er nachwies, daB aile Planeten auf Ellipsen um die Sonne laufen und nicht Kreis- oder Epizykelbahnen beschreiben. Nachdem das Fernrohr 1608 von einem hollandischen Optiker entdeckt wurde, war der Astronom Galileo Galilei der erste, der (1609) dieses wichtigste astronomische Beobachtungsinstrument auf die Planeten richtete. Fast auf Anhieb fand er beispiels weise vier Jupiter-Monde; er entdeckte die Venus-Phasen sowie Berge und Krater auf dem Erdmond. Um 1646 machte Francesco Fontana von Neapel mit Hilfe eines Fern rohres auf dem Mars ein markantes Oberflachendetail aus. Wenn der Planet der Erde nahe steht, ist diese "Markierung" eine der groBten sichtbaren Formationen; spater bekam sie die Bezeichnung Syrtis Major. Die ersten Zeichnungen mit mehreren Einzel heiten der Marsoberflache wurden 1659 von dem hollandischen Astronomen Christian Huygens angefertigt. Er war es auch, der herausfand, daB die Rotationsperiode des Planeten, also die Dauer einer Umdrehung um seine Achse, bei 24 Stunden liegt. Giovanni Cassini, Direktor der Pariser Sternwarte, fand etwa um die gleiche Zeit als erster die charakteristischen hellen Mars-Polkappen. Sie wurden sofort von einem GroBteil der damaligen Gelehrten fur Ablagerungen einer gefrorenen Substanz gehalten, zumal sich ihre Ausdehnung im Sommer und Winter sichtbar anderte. Damals war man in weiten Kreisen der Meinung, daB es flussiges Wasser und somit moglicherweise auch Leben in unserem Sinne geben musse. Mit der Weiterentwicklung der astronomischen Hilfsmittel wurden in rascher Foige mehr und mehr Einzelheiten auf der Marsoberflache gefunden. Johann H. Madler zeichnete um 1840 die erste genauere topographische Karte. Von jetzt an war der Mars ein Beobachtungsobjekt fur jedermann, der ein Fernrohr besaB. Man unterschied nun bereits drei Oberflachenmerkmale: die weiBlichen Polkappen, dunkle Flachen, bei denen es sich um bleibende Formationen zu handeln schien, und schlieBlich helle, rotlich-ockerfarbene Gebiete, die oft "Wusten" genannt wurden. Die Annahme, daB es sich bei den dunklen Gebieten um Ozeane handeln konne, war zum damaligen Zeit punkt naheliegend und hielt sich weit bis in unser Jahrhundert hinein. 1 1867 unternahmen die Physiker Pierre Jules Janssen und Sir William Huggins den ersten Versuch, in der Marsatmosphare Wasserdampf und Sauerstoff nachzuweisen. Sie kamen aber weder zu einem positiven noch zu einem negativen Ergebnis. Die Ozean-Theorie wurde vereinzelt schon 1863 angezweifelt: der Direktor des Mailander Observatoriums, Giovanni Schiaparelli, stellte namlich fest, daB die angeblichen Wasserflachen auf dem Mars das Sonnenlicht viel zu schwach reflektieren. 1877 bemerk te er auf den hellen Gebieten des Mars eigentumliche dunkle Streifen, die in der Regel uber weite Distanzen geradlinig verliefen. Er nannte sie "canali" und meinte damit Rillen und Graben. Selten hat eine verkehrte Obersetzung mehr MiBverstandnis ver ursacht als in diesem Fall: das Wort wurde namlich ohne Anderung in andere Sprachen ubernommen und fuhrte u. a. zu der weit verbreiteten Ansicht, daB intelligente Mars wesen im Kampf gegen chronischen Wassermangel begonnen hatten, zur Ableitung des Schmelzwassers der Pole ein weitverzweigtes kunstl iches Kanalsystem zu errichten. Obwohl eigentlich schon sehr fruh auf diesen Obertragungsfehler hingewiesen wurde [1], entbrannte ein jahrzehntelanger Streit um diese "Marskanale". Heute weiB man, daB es sich bei ihnen um bloBe optische Tauschungen des Auges handelte, welches dazu neigt, an der Sichtbarkeitsgrenze liegenden Details geometrische Formen zuzuschreiben. Das Jahr 1877 war aber noch in anderer Hinsicht bedeutsam. Dem Amerikaner Asaph Hall vom U.S. Naval Observatory in Washington, D. C. gelang im August in wenigen Tagen Abstand die Entdeckung der beiden kleinen Marstrabanten. Dem auBeren Mond gab Hall den Namen Deimos, dem inneren den Namen Phobos (beide treten in der griechischen Mythologie als Begleiter des Kriegsgottes Mars auf). Wegen ihrer geringen GroBe (Kapitel 4) waren diese beiden Monde trotz mehr als zwei Jahrhunderte ein gehender Beobachtung den Astronomen bis dahin entgangen. I n den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts befaBte sich die Privatsternwarte von Percival Lowell bei Flagstaff im amerikanischen Staat Arizona besonders eingehend mit der Beobachtung des Mars. Lowell, der u.a. aus Bahnstorungen des Planeten Neptun die Existenz des erst spiiter (1930) entdeckten iiuBersten Planeten Pluto berechnet hatte, stattete sein in der klaren Wustenluft errichtetes Observatorium mit den besten Instrumenten seiner Zeit aus. Er galt als Hauptverfechter der Vorstellung von der kunstlichen Marskanalisierung. So blieb es nicht aus, daB man sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einigen Landern ernsthafte Gedanken daruber machte, wie mit den intelligenten Marsbewohnern in Kontakt zu treten sei. Die Errichtung gewaltiger Spiegel zur Obermittlung von Lichtzeichen war ebenso im Gesprach wie die Verwen dung der sibirischen Tundra oder der Sahara als weitflachige "Schultafel", versehen mit gewaltigen (z. T. benzingefullten und angezundeten) Graben in Form mathema tischer und anderer Symbole. Um 1922 bestanden schon ungefahre Vorstellungen uber die Temperaturen auf dem Mars. Der Nachbarplanet der Erde wurde als relativ kalter H immelskorper angesehen, aber doch nicht so kalt, daB Leben unmoglich sein wurde. Die Oberflachentemperatur am Aquator, kurz nach Mittag, wurde von einigen Astronomen auf mindestens 25°C geschatzt. Andere jedoch, z.B. E. W. Maunder vom Greenwich Observatory, errechne ten Werte bis zu -135°C. Am Abend des 30. Oktober 1938 kam es in den USA wah rend einer Horfunksendung einer Tagebuchfassung von H. G. Wells War of the Worlds fast zu einer Panik unter der Bevolkerung. Ein Mars-Raumschiff war nach dem Roman in Grovers Mill in New Jersey gelandet, gefolgt von zahlreichen weiteren in den Hauptstadten Amerikas. Tausende saBen an den Empfangern und glaubten den dramatisch akzentuierten Worten von Orson Welles als er sagte: 2 " ... I'm speaking from the roof of the Broadcasting Building, New York City. The bells you hear are ringing to warn the people to evacuate the city as the Martians approach ... enemy in sight above the Palisades. Five great machines ... A bulletin's handed me ... Martian cylinders are falling all over the country ... this is the end now ... " In den vierziger Jahren setzte G. P. Kuiper im McDonald Observatory die neu ent· wickelte I nfrarot-Detektortechnik zum Studium der I nfrarotbereiche des elektro magnetischen Spektrums ein. 1947 identifizierte er in der Marsatmosphare erstmals Kohlendioxid. Spater, im Jahr 1952, publizierte Kuiper eine Zusammenfassung seiner Infrarotuntersuchungen des Planeten. Er folgerte daraus, daB es sich bei den Eisablage rungen an den Polen um Wassereis und nicht um Trockeneis (Kohlendioxidschnee) handeln musse. 1m Jahr 1950 wurden Farbanderungen in den dunklen Gebieten der Marsoberflache registriert, die man als zu- und abnehmende Vegetation deutete: das Interesse an evtl. biologischer Aktivitat auf dem Mars war wieder neu erwacht. Verstarkt wurde es 1956 durch den Amerikaner W. M. Sinton, der im Spektrum dieser dunklen Gebiete Absorp tionsbanden bei 3,43; 3,54 und 3,69 Mikrometer Wellenlange fand. Er interpretierte sie als Absorptionsbanden von Kohlenwasserstoff, der organische Verbindungen ein gegangen ist. 1m gleichen Jahr - die Beobachtungsbedingungen waren wegen der Nahe des Mars gerade sehr gunstig - glaubte der amerikanische Astronom Richardson mit dem 1,5 m-Teleskop auf dem Mount Wilson (Kalifornien) eine Reihe von Marskanalen entdeckt zu haben. 1m Jahre 1957, mit dem Start des sowjetischen Erdsatelliten Sputnik 1 der Beginn des Raumfahrtzeitalters, stellte man sich den Mars - kurzgefaBt - folgendermaBen vor: Die Polkappen sind von einer etwa 10 cm dicken Eisschicht bedeckt; die dunklen Regionen sind von niederer Vegetation besiedelt; bei'den hellen Flachen konnte es sich um Mineralablagerungsstatten handeln; der Oberflachendruck betragt etwa 10 % des irdischen Luftdruckes; niederes Leben ist durchaus moglich. 1.2 Der Mars als Himmelskorper Schon vor Beginn der Erkundung unseres Sonnensystems durch Satelliten und Raum flugkorper waren zahlreiche Daten des Mars durch astronomische Beobachtung und Verfolgung seiner Bahn um die Sonne bekannt. Die wichtigsten dieser Werte sind in Tafel 1.1 zusammengestellt, und zwar im Vergleich zu den entsprechenden Angaben uber die Erde. Demnach ist der Mars ein kleiner Planet, der nur etwa 10% der Erdmasse hat. Er ist im Mittel etwa 227 Mio. km von der Sonne entfernt; seine Bahn ist viel exzentrischer als die Erdbahn. Dadurch ergeben sich betrachtliche Unterschiede in den Jahreszeiten, deren Lange auffallig schwankt. In Marstagen 1) gerechnet betragen sie im einzelnen: fur die Nordhalbkugel: Fruhling 194 Tage, Sommer 177 Tage, Herbst 142 Tage und Winter 156 Tage; fur die Sudhalbkugel: Fruhling 142 Tage, Sommer 156 Tage, Herbst 194 Tage und Winter 177 Tage. Der Marswinter ist damit im Suden langer und kalter und der Sommer kurzer und warmer als in der nordlichen Hemisphare, weil der Planet zum Zeitpunkt des Sommers auf der Sudhalbkugel gerade das sonnennachste Stuck seiner Bahn (Perihel) durch lauft. Eine weitere Foige der Bahnexzentrizitat ist, daB sich Mars und Erde nur aile 15-17 Jahre besonders nahe kommen konnen: bei der gunstigsten Marsopposition 1) 1 Marstag = 1,03 E rdtage. 3 Tafel 1.1 Mars Erde Physikalische und Bahndaten Aq uatord urchmesser km 6793 12756 des Planeten Mars Masse kg 6,418'1023 5,979 '1024 im Vergleich zur Erde Masse (Erde = 1) - 0,107 1 Volumen (Erde = 1) - 0,15 1 mittlere Dichte g/cm3 3,93 5,519 Neigung des Aquators 0/' 23/59 23/27 gegen die Bahnebene Rotationsperiode h: min: s 24: 37: 23 23:56:4 siderische Periode d 686,98 365,26 mittlerer Abstand von Mio. km 227,84 149,57 der Sonne Exzentrizitat der Bahn - 0,0934 0,0167 mittlere Bahngeschwindigkeit km/s 24,121 29,77 Neigung der Umlaufbahn 0/' 1/51 0/00 zur Ekliptik mittlere Gr avitationskonstante m/s2 3,73 9,807 Fl uchtgeschwind igkeit km/s 5,028 11,18 spezifischer Drehimpuls cm2/s 5,48'1019 4,47'1019 gesamter Drehimpuls gcm2/s 3,517 '1046 26,73'1046 Albedo 0,152 0,36 Solarkonstante kW/m2 0,584 1,355 Zahl der Monde - 2 1 (Phobos u. Deimos) (Stellung, in der sich die Erde genau zwischen Sonne und Mars befindet; Marsopposi tionen folgen in Abstanden von etwa 780 Tagen) konnen sich die beiden Planeten bis auf ungefahr 56 Mio. km nahern. Die Entfernung Erde-Mars der nachsten beiden Oppositionen: 22. Januar 1978 97,7 Mio. km; 25. Februar 1980 101,3 Mio. km [2]. Die Achsenneigung des Mars ist nur wenig groBer als die der Erde; auch die Rotations dauer entspricht etwa der irdischen. Das Marsjahr (siderische Umlaufzeit) dauert wegen des groBeren Sonnenabstandes 687 Erdtage. Die Dichte des Mars ist deutlich geringer als die mittlere Erddichte, was die relativ geringe Fluchtgeschwindigkeit (Entweichgeschwindigkeit) erklart. Der spezifische Drehimpuls (auf die Masseneinheit bezogen) des Mars ist wegen der groBeren Ellipsen-Halbachse der Sonnenumlaufbahn groBer als der entsprechende Wert der Erde. Bei Berucksichtigung der Masse errechnet sich ein gesamter Drehimpuls von nur etwa 13 % des irdischen Vergleichswertes. Der Anteil des Mars am Gesamtdreh impuls aller Planeten des Sonnensystems ist mit 0,011 % auBerst gering [3]. Bei den beiden kleinen Marsmonden Phobos und Deimos, die in sehr engen Umlauf bahnen um den Planeten kreisen, handelt es sich um irregulare Korper mit zahlreichen Kraterstrukturen. Phobos ist aus bahnmechanischer Sicht von besonderem Interesse: seine Umlaufzeit (ca. 7,6 h) ist kleiner als die Rotationsperiode des Mars. Ein Beob· 4