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Der Große Krieg der Triebe. Die deutsche Sexualwissenschaft und der Erste Weltkrieg PDF

514 Pages·2022·8.073 MB·German
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Richard Kühl Der Große Krieg der Triebe Histoire | Band 205 Richard Kühl (Dr.), geb. 1978, arbeitet am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und ist Lehrbeauftragter am Seminar für Zeitgeschichte der Universität Tübingen. Richard Kühl Der Große Krieg der Triebe Die deutsche Sexualwissenschaft und der Erste Weltkrieg D61: Die vorliegende Arbeit wurde 2019 von der Philosophischen Fakultät der Heinrich- Heine-Universität Düsseldorf unter dem Titel »›Sexuelle Kriegsfragen‹. Der Erste Welt- krieg und die deutsche Sexualwissenschaft« als Promotionsschrift angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Na- tionalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Hirschfeld-Porträt aus der Kampagne für die »Sittengeschichte des Weltkrieges« (1930), entnommen einer Verlagsanzeige aus: Die literarische Welt Nr. 24/1930. Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-6459-1 PDF-ISBN 978-3-8394-6459-5 https://doi.org/10.14361/9783839464595 Buchreihen-ISSN: 2702-9409 Buchreihen-eISSN: 2702-9417 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download Inhalt 1 Einleitung ................................................................................7 1.1 ThematischeEinführung...................................................................9 1.2 ForschungsstandundFragestellung.......................................................12 1.3 MethodischeundtheoretischeFragen,QuellenundGliederung.............................19 2 »SexualwissenschaftkenntkeineGrenzen« SexualforschungundwilhelminischeGesellschaft .........................................31 2.1 ImStrombett.Sexualwissenschaftund»sexuelleFrage«um1900 ........................ 34 2.2 Nachdem»Eulenburg-Skandal«–Sexualforschung und wilhelminische Moral............. 53 2.3 Partizipation,Ausschlussund»kompakteMajorität«–die Gründergeneration alsGeneration........................................................................... 64 2.4 KriegundMilitäralssexualwissenschaftlicheThemenbis1914 ............................ 73 3 DasFachimWeltkrieg.................................................................. 87 3.1 GegeneineWeltvonperversenFeinden. Sexualwissenschaft in der mobilisiertenKriegsgesellschaft............................... 89 3.2 EmpirischeForschung:MethodensexologischerInformationsbeschaffungimKrieg........104 3.3 DieStundederzweitenReihe:SexualforschungimFrontraum ............................112 3.4 »Notzucht«unddie»ParoxysmenvonZerstörungswut«: Sexualisierte KriegsgewaltundsexuelleDelinquenz ......................................138 3.5 »…unterHindenburgssiegreichenFahnen«.HomosexualitätundArmee indenDokumentationendesWissenschaftlich-humanitärenKomitees....................149 3.6 AufderSuchenachdem»Zentralsitz«desSexualtriebs:Kriegsversehrung undderAufstiegderSexualendokrinologie...............................................161 4 Nachkrieg:KriegsfolgenundSexualforschung ........................................177 4.1 AlptraumlandWaffenstillstandszeit. Bestandsaufnahmen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit ..............................178 4.2 MagnusHirschfeldimPrisma1919–1923...................................................194 5 »ErotischeRevolution«.SexuelleEmanzipationund (Anti-)Militarismus AnfängedersoldatischenPolitisierung der SexualgeschichtedesKriegesnachdemKrieg....................................... 227 5.1 AufbrücheundEnttäuschungen: Wie militant war die »homosexuelle Bewegung« der Nachkriegszeit?.....................229 5.2 »VerheerungenderKriegserotik«.AntimilitaristschePublizistikin der frühen Nachkriegszeit .........................................................................233 6 DieFachdisziplinineinergewandeltenGesellschaft ..................................241 6.1 DieSpurendesKriegesindenEntwicklungsliniendesFachesin den zwanzigerJahren...242 6.2 AußenwahrnehmungundEinflussdesInstitutsfürSexualwissenschaftEnde derzwanzigerJahre.................................................................... 247 7 SexualwissenschaftundKriegserinnerung ...........................................259 7.1 KonkurrenzderGroßnarrative...........................................................262 7.2 ZwischenKommentarundProtektion:Sexualforschung und die »Kriegsliteratur« ........268 8 Die»SittengeschichtedesWeltkrieges« AnatomiedesKlassikers.................................................................301 8.1 EntstehungshintergründeundKampagne ...............................................303 8.2 HirschfeldsResonanzräume ............................................................ 347 9 DieZukunftder»Sexualkatastrophe«desWeltkriegs unddasEndederWeimarerSexualwissenschaft.....................................375 9.1 HirschfeldundRemarque ..............................................................376 9.2 VölkischeGegennarrative ..............................................................383 9.3 Palimpseste............................................................................387 10 ResümeeundAusblick.................................................................401 Dank .........................................................................................417 Anhang.......................................................................................421 Abbildungen.............................................................................421 Rezeptionszeugnisse»SittengeschichtedesWeltkrieges«(1929–1933) ....................431 Abbildungsverzeichnis.................................................................. 437 Abkürzungsverzeichnis.................................................................438 Quellen-undLiteraturverzeichnis.......................................................440 Personenregister ...........................................................................503 1 Einleitung Als das Dresdener Staatstheater am 17.Januar 1924 ein neues Stück des linkssozialis- tischen Dramatikers Ernst Toller auf die Bühne brachte,waren sich die Verantwortli- chen des Wagnisses bewusst: Vorsorglich hatte das Schauspielhaus Polizeischutz an- gefordert. Tollers Stück Hinkemann konfrontierte das Publikum auf drastische Weise miteinerVersehrtengruppedesWeltkriegs,dieinderöffentlichenWahrnehmungder deutschenNachkriegsgesellschaftpraktischvollständigausgeblendetgebliebenwar.Als Frontsoldatim»GroßenKrieg«per»Heldenschuss«,wieesimStückheißt,zum»Eunu- chen«geworden,zerbrichtdieEhedesProtagonisten,desArbeitersHinkemann,nach demKrieg.TollersTragödieerzählt,wiedieEhefraudenAvanceneineszwielichtigen Bekanntennachgibt,währendHinkemannsichalsgeschlechtslosesKuriosumaufdem Jahrmarktverdingt.SienimmtsichamEndedasLeben.ErverfälltdemWahnsinn.1 DasWenigstedavonkonntebeiderDresdenerPremierezurAufführunggebracht werden. Die Theaterleitung sah sich mitten in der Vorstellung dazu gezwungen, die Schauspieler*innen2 ausSicherheitsgründenvonderBühnezuholen.Nachwütenden ZwischenrufenundPfiffenhattesichdieUnruheimSaalzuTumultundRandalege- steigert–angeführt,wie»DieWeltbühne«berichtete,»vonfarbentragendenStudenten mitbuntenKokardenundHakenkreuzenimKnopfloch«.AlsvorzeitigderVorhangfiel, sangen die Studenten »unter tosendem Beifall die Nationalhymne und die Wacht am Rhein«.Esfolgten»nationalistischeHetzredenmitwüstenantisemitischenBeschimp- fungenundplumpenAusfällengegenRepublikundPolizei«.3 WasdemDresdenerRomanistik-ProfessorVictorKlempererdurchdenKopfging, als er am Tag darauf bei der Einweihung eines Weltkriegsdenkmals auf einige jener Verbindungsstudententraf,dieamVorabenddieAufführunggesprengthatten,hater inseinemTagebuchfestgehalten.Erschriebdavon,wiebeunruhigterwar.Klemperer 1 ErnstToller,Hinkemann.Hg. v.ArturMüllerundHellmutSchlien,Emsdetten/Westfalen1954(EA 1923u.d.T.:DerdeutscheHinkemann),»Heldenschuss«-Zitatebd.,16. 2 ImFolgendenwirdinderRegelalleindiemännlicheFormverwendet,gemeintsindindesstets alleGeschlechter. 3 ErichWeiser,TollerinDresden,in:DieWeltbühne20/1,1924,184. 8 DerGroßeKriegderTriebe hatte in »so entsetzlich geistverlassene Arschgesichter« gesehen, dass er sich in die- sem Augenblick zunächst sicher gewesen war, wie wenig diese Studenten für sich in Anspruch nehmen könnten, »den deutschen Geist« oder die Haltung der »Masse der eigentlichen Studentenschaft« zu repräsentieren. »Ich war«, so fährt der Eintrag je- dochfort,»ahnungslos[,]wasbevorstand«.UnmittelbardanachbesuchteKlempererei- neausAnlassderEreignisseimSchauspielhausanberaumteSondersitzungdesSenats derHochschule,wodieversammelteDresdenerProfessorenriegevonderAufforderung der sächsischen Landesregierung erfuhr, gegen die beteiligten Studenten disziplina- rische Schritte einzuleiten. Was auf diese Nachricht hin geschah, mochte Klemperer kaumglauben.EswarendiegleichenSzenen:»EserhobsicheinstürmischesGeschrei: ›Wir denken nicht daran! – Toller, das Schwein! – Wir stehen hinter den Studenten! Vaterland,Religion,Sittesindangegriffen!–Unerhört!‹«4 Tatsächlichgabes1924,wieinderbiographischenToller-Forschungseitlangembe- kanntist,nichtviele,diediesesStückverteidigten.DieradikaleRechtemachtegegen den»Juden«TollerFront,dessen»perverseSchamlosigkeit«dasTheaterzum»Huren- haus«umfunktioniertund»unsereverletztenKriegsheldenlächerlich«gemachthätte.5 DiedeutscheJustizstandihnendabeizurSeite:InzweiInstanzensprachsiedieDres- denerRandalierermitderBegründungder»Notwehr«gegenüber»unerhörtenBeleidi- gungen«ihrer»vaterländische[n]Gesinnung«frei.6 DiepolitischeLinkesolidarisierte sichnurpflichtschuldigmitdiesemStück,dessenDarstellungdesArbeitermilieussie irritierte:DieimHinkemannerzählteGeschichteeinerEntzweiungwurdemitunterals ein direkter Angriff auf den Sozialismus wahrgenommen.7 Für die meisten bürgerli- chenFeuilletonistenwiederumwarmitdiesemBühnenwerkübereinenKriegskastrier- ten der Beleg dafür erbracht, wie sehr man Ernst Toller, den 1919 noch so gefeierten AutorderWandlung,alsDramatikerüberschätzthätte.8 Merklich anders fielen dagegen die heute weitaus weniger bekannten Reaktionen aus,diediesesWerkschonfrühzeitigbeiRepräsentanteneinerwissenschaftlichenSpe- zialdisziplinhervorrief,diesichindenletztenVorkriegsjahreninDeutschlandalsein selbstständiges Fach etabliert hatte und in der Weimarer Republik so etwas wie ihr »goldenesZeitalter«9erlebensollte:VerschiedeneSexualwissenschaftlerbegrüßtenden Hinkemann als einen Tabubruch.Bereits im Umfeld des »Dresdener Theaterskandals« 4 VictorKlemperer,Tagebücher1924–1925.Hg. v.WalterNowojskiunterMitarbeitv.ChristianLöser, Berlin2000,Zitate12u.13(Eintragvom22.1.1924). 5 DieseZitatestammenausDrohbriefen,die1924imSächsischenLandtagverlesenwurden,zit.in: WolfgangFrühwald/JohnM.Spalek(Hg.),DerFallToller.KommentarundMaterialien,München/ Wien1979,146u.145.Vgl.dazuauchKathleenCanning,GenderandtheImaginaryofRevolutionin Germany,in:KlausWeinhauer/AnthonyMcElligott/KirstenHeinsohn(Hg.),Germany1916–1923.A RevolutioninContext,Bielefeld2015,103–126,hier113f. 6 Vgl.HeinrichHannover/ElisabethHannover-Drück,PolitischeJustiz1918–1923.MiteinerEinleitung vonKarlDietrichBracher,Frankfurta.M.1966,256f.,Zitat256. 7 Vgl.CarelterHaar,ErnstToller.AppelloderResignation?,München1977,40. 8 Vgl.BrunoLaqueur,Weimar.DieKulturderRepublik,Frankfurta.M.u.a.1974,179ff. 9 AnnaKatharinaSchaffner,ModernismandPerversion.SexualDevianceinSexologyandLiterature, 1850–1930,Basingstoke2012,112;VolkmarSigusch,GeschichtederSexualwissenschaft,Frankfurt a.M./NewYork2008. 1 Einleitung 9 hatteTollervondieserSeiteregelrechteSchützenhilfeinderÖffentlichkeiterhalten,als sichdie»GesellschaftfürGeschlechtskunde«imMai1924zusammenmitdemDirektor des1919inBerlingegründetenInstitutsfürSexualwissenschaft,MagnusHirschfeld,da- zuentschloss,imSteglitzerThaliatheatereine»ErnstTollerMatinee«zuorganisieren. Hirschfeld,auf seinem Fachgebiet eine der damals international prominentesten Ka- pazitäten,nutztediesesPodium,umineiner»sexualpsychologischenSkizzedesHin- kemann« darzulegen, weshalb nicht das Stück, sondern der wüste Protest gegen das Werkauf»unreineGesittung«schließenlasse.DemDramatikerTollerbescheinigteer »ein bewundernswürdiges Einfühlungsvermögen in das sexuelle Seelenleben« seiner Hauptfigurunderklärte,dasStückzeigeaufeinersymbolischenEbenenochvielmehr –»dieGeschlechtsnotderheutigenZeit«,soderExpertesechsJahrenachKriegsende, habe in der sexuellen Symptomatik Hinkemanns »ihren stärksten Ausdruck« gefun- den.10 Hirschfeld war dem linken Flügel der Weimarer Sexualforschung zuzurechnen, stand mit solchen Einordnungen in seinem Fach jedoch nicht allein. »Das Leid des Mannes,demeinefeindlicheKugeldasGeschlecht,seinMannestumraubte«,schrieb 1924 Werner Buhre im führenden Organ des konservativ-liberalen Fachspektrums, der »Zeitschrift für Sexualwissenschaft«, verweise stellvertretend auf das in den Frieden hineinwirkende Leid der Kriegsinvaliden, hier jedoch »in seiner krassesten, niederschmetterndsten Form«.11 Auch Buhre hatte dabei einen Blick für Facetten des Hinkemann,dieinderAuseinandersetzungumdasWerknochkaumeineRollespielten: dieMinderwertigkeitsgefühledesProtagonisten,seineVerächtlichmachungdurchdie Gesellschaft, schließlich das »Netz ohne Anfang und Ende«, aus dem sich keiner der Ehepartner zu befreien vermag.12 In sexualwissenschaftlichen Standardwerken der zwanziger Jahre sollte der Hinweis auf Tollers Stück nicht fehlen, wenn es um die psychischeundsozialeDimensionvonKastrationsfolgenging.13 1.1 Thematische Einführung DieseStudiebefasstsichmitderBedeutungdesErstenWeltkriegsinForschungund PublizistikderdeutschsprachigenSexualwissenschaft.DieskizziertenRezeptionswe- ge des Hinkemann stehen an ihrem Anfang,weil sie in ein in der Historiographie zur 10 Zit.in»EineToller-Matinee«,in:Vorwärts,Nr.222,15.5.1924.Vgl.auch,mitabweichendemVor- tragstitel(»ZurSexualpsychologiedesHinkemann«),»EineTollerMatinee«,in:VossischeZeitung, Nr.228,14.5.1924. 11 WernerBuhre,RezensionvonToller,Hinkemann,in:ZeitschriftfürSexualwissenschaft11,1924/25, 165. 12 Ebd. 13 MaxMarcuse,Art.»Kastration«,in:ders.(Hg.),HandwörterbuchderSexualwissenschaft.Enzyklo- pädiedernatur-undkulturwissenschaftlichenSexualkundedesMenschen,2.,starkvermehrte Aufl.,Bonn1926,325–337,hier335;MagnusHirschfeld,Geschlechtskunde,Bd.1:Diekörperseeli- schenGrundlagen,Stuttgart1926,399f.;[Erich]W[ulffen],Art.»Toller,Ernst«,in:InstitutfürSexu- alforschunginWien(Hg.),Bilder-Lexikon,Bd.4:Kulturgeschichte–LiteraturundKunst–Sexual- wissenschaft,Wien/Leipzig1931,788–790. 10 DerGroßeKriegderTriebe Kriegsbewältigung in der Weimarer Republik wenig systematisch untersuchtes Feld hineinführen,aufdemVertreterdieserFachdisziplininvielfältigsterWeiseinErschei- nungtraten.Tatsächlichwaresnach1918bereitsallesanderealseineSeltenheit,dass sich Sexualwissenschaftler über Künstler,Schriftsteller und Publizisten äußerten,die inihrenWerkenAspektederSexualgeschichtedesWeltkriegsaufgegriffenhatten.Als exemplarischpräsentiertsichderFallErnstTollerdabeiaberauchinsofern,alssiehäu- fig unabhängig von der eigenen politischen Verortung als Protektoren gerade solcher Werke auftraten, die mit unverkennbarer Intention an Tabuzonen der Kriegserinne- runggerührthatten.MagnusHirschfeldetwawareinJahrnachdem»DresdenerThea- terskandal«erneutzurStelle,alsineinemAufsehenerregendenVerfahrengegenBruno VogelsradikalesAntikriegsbuchEslebederKrieg!prozessiertwurde.14AnlassfürdasEin- schreitenderJustizwarhieru.a.derAbdruckeinerZeichnungRüdigerBerlitsgewesen, dieeineKompaniedeutscherFrontsoldatenSchlangestehendineinemMilitärbordell imbesetztenBelgienzeigt.Dies,schriebHirschfeldineinemGutachten,seinichtsan- deres als eine »Darstellung der ungeschminkten Wirklichkeit«, und er konnte es mit Dokumenten, über die sein Institut verfügte, auch belegen.15 In derselben Richtung äußerte sich die »Zeitschrift für Sexualwissenschaft« im Jahr darauf über das Repor- tagebuchErosimStacheldraht deslinkssozialistischenLeipzigerJournalistenHansOtto Henel, das autobiographische Berichte über verstörende sexuelle Erlebnisse aus der »GroßenZeit«inliterarisierterFormwiedergabundebenfallsschonkurznachseinem ErscheinendieStaatsanwaltschaftaufdenPlangerufenhatte.16 Inder»Zeitschriftfür Sexualwissenschaft«dagegenalseinmutigesPublikationsunternehmengelobt,schrieb derArztundSexualforscherHansRubindazu,erkönne»ausdemKreismeinerErfah- rungen mutatis mutandis alles bestätigen, was hier zu hören ist. […] Ich meine die VernichtungjeglicherMenschenwürde,wiesieaufdiesemGebieteinbizarrsterForm derKriegproduzierthat«.17 Dieser wiederkehrende Verweis auf spezielle Kenntnisse und »Erfahrungen« kam nicht von ungefähr. Sexualwissenschaftler beriefen sich bei Einordnungen künstleri- scherVerarbeitungenderSexualgeschichtederJahre1914bis1918aufihreBeobachtun- genausderKriegszeitundverglichensiemitihrenfortlaufendenZeitdiagnosenüber dieKriegsfolgen.IndenAugenvonMagnusHirschfeldschienendabeidestruktiveund permissive Entwicklungen auf komplexe Weise ineinandergeschichtet: Ihm erschloss sich der Weltkrieg als eine Katastrophe, die auf nie dagewesene Weise kollektiv »de- moralisierend« gewirkt und gleichzeitig – zumindest »teilweise« – »Pforten zu einer 14 ZumProzessunddennachfolgendenjuristischenAuseinandersetzungensieheRaimundWolfert, Nirgendwodaheim.DasbewegteLebendesBrunoVogel,Leipzig2012,37–44. 15 GutachtenMagnusHirschfeldvom23.6.1925,zit.in:ebd.,38;vgl.MagnusHirschfeld,Geschlechts- kunde,Bd.3:EinblickeundAusblicke,Stuttgart1930,307f. 16 Vgl.dasVorwortzurzweitenAuflagevonHansOttoHenel,ErosimStacheldraht,11.-20.Tsd.,Ham- burg-Bergedorf1931(EA1926),5–9,hier7. 17 HansRubin,RezensionvonHenel,ErosimStacheldraht,in:ZeitschriftfürSexualwissenschaft13, 1926/27,319.

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