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Der goldene Baum PDF

372 Pages·2010·2.81 MB·German
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TOM ARDEN Der Kreis den Orokons 4 Der goldene Baum 1 2 Teuerste Constansia, ich antworte nur schweren Herzens auf Euren letzten Brief. Nach so vielen Jahren (muß ich das überhaupt noch erwähnen?) brauche ich meine Zuneigung zu Euch nicht mehr unter Beweis zu stellen, denn wir haben jede Notwendigkeit solcher Beteuerungen längst hinter uns gelassen. Unsere Liebe ist eine Schnur, die, für alle un­ sichtbar, von Eurem vornehmen Haus am Riel-Ufer zu diesem schäbigen Palast in den Mauern von Wrax führt. Nein, es ist sicher dieses umschlingende ... Dieses heilige Band um mein Herz, Das weder Zeit noch Seuche, noch der Tod zu trennen vermag. Aber seid nicht beunruhigt, meine Teure, wenn ich dennoch sage, daß Ihr grausam, daß Ihr, so behaupte ich, mein Folterknecht seid. Wie das angehen kann? Habe ich nicht so lange, eingeschlossen wie eine Gefangene in dieser kolonialen Einöde, die Briefe meiner heißgeliebten Constansia mit besonderer Freude erwartet? Habe ich durch diese Depeschen aus dem weit entfernten Mittelpunkt des Reiches nicht in der Vorstellung geschwelgt, daß auch ich mit Euch in dem Großen Tempel gewesen bin, in dem kaiserlichen Thronsaal, auf dem Ball des ersten Mondlichts, auf dem Festspielempfang? Wirklich, meine Teure, es hat Momente gegeben (so sind die Bürden einer Gouverneursgattin!), als ich in eben diesen Episteln meine einzige Glückseligkeit fand. Leider scheint es nun, daß dieses Glück für Eure arme Mazy vorbei ist (und zwar endgültig). Denn meine Constansia wird melancholisch, und wenn das Glück aus 3 ihrem Herzen verschwindet, wie kann sie es dann (o betet!) in ei­ nem anderen auslösen? Doch selbst bei Eurem letzten Brief habe ich auch anderes als nur Schmerz empfunden. Wie eine sanfte Welle umspülte mich die Er­ innerung, und die Tränen, die ich vergoß, waren Tränen der Freude. Erneut, Teuerste, sah ich uns in unseren Jungferntagen, wie wir über den Riel stakten, noch bevor man die Regentenbrücke errich­ tete, lachend durch Gänseblümchen und Narzissen liefen, über Wiesen, auf denen sich jetzt die Villen von Ollon-Quintal erheben. Ja, Teuerste, es gab Augenblicke, die so mächtig in meiner Erinne­ rung aufstiegen, daß ich sie für wirklich halten mußte! In denen wir wieder Mädchen waren und das ganze Leben noch vor uns hatten! Aber schon bald verwandelte sich meine Fröhlichkeit in Trauer, als mir klar wurde, daß dies alles eine Illusion war, daß ich in Wirk- lichkeit niemals wieder an diesen Ort zurückkehren konnte, der jetzt für immer in goldenes Mondlicht getaucht und dessen Luft für immer von süßem Duft erfüllt ist, wo ich Mazy Tarfoot war und Ihr Consy Grace! Diese Traurigkeit müssen wir beide teilen, doch erneut behaupte ich, daß Ihr, meine Liebe, grausam gewesen seid. Unser Leben neigt sich dem Ende zu, und obwohl Ihr (im Gegensatz zu Eurer frühe­ ren Mazy) den besten Ehemann von allen verloren habt, habt Ihr nicht dennoch das schönste Leben geführt, das einer Frau gewährt werden kann? Wenn einmal die Geschichte unserer Zeit niederge­ schrieben wird, kann es dann eine Frau geben (die keine Königin war), die eine mächtigere und eindrucksvollere Rolle gespielt hat? Als Frau eines Gouverneurs, meine Teure, habe ich viele Würden- träger empfangen, das dürft Ihr mir glauben; aber seid auch versi­ chert, daß ich nur an ihren Lippen gehangen und auf Neuigkeiten aus Agondon gewartet habe. Und haben sie nicht immer und immer wieder von den Triumphen und Ruhmestaten der Lady Cham- Charing berichtet? Und darf Eure alte Freundin, wenngleich auch behutsam, Euch nun zu bedenken geben, daß dies, was Ihr als das 4 Ende Eurer Pracht anseht, nur das Ende (traurig, aber unausweich- lich) unserer Epoche signalisiert? Wir sind alt, Constansia, aber Ihr habt ein großartiges Leben ge­ führt. Könnt Ihr Euch vorstellen, wie es Eurer alten Mazy geht, die in das entlegene Wrax verbannt wurde? Laßt Euch nicht davon täu­ schen, daß ich in einem Palast wohne. Wenn es auch einmal die Re­ sidenz von Monarchen gewesen sein mag, so ist dieses Regierungs­ gebäude doch nur ein schwacher Abglanz im Vergleich zu dem Be- sitz von Lady Cham-Charing! Stellt Euch nur das provinzielle, nein, das koloniale Leben vor, das ich ertragen muß und in dem die Vulgarität der Kolonialisten nur noch von der Primitivität der Ein­ geborenen übertroffen wird. Die einzige einigermaßen erträgliche Gesellschaft bieten mir gelegentliche Besuche, aus dem fernen Mit- telpunkt des Reiches. Leider fürchte ich, daß solche Entbehrungen nicht einmal vom Vorstellungsvermögen der Person nachzuvollzie- hen sind, die, wie ich einmal sagen hörte, die Große Cham genannt wird. Vielleicht besteht ja auch nicht die Hoffnung, Euch von den neuen, zusätzlichen Sorgen berichten zu können, die mich hier in dieser gottverlassenen Provinz bestürmen. Ob wohl in Agondon auch nur ein friedlicher Salon erzittert, wenn bekannt wird, daß hier, im fernen Zenzau, wieder Krieg droht? Betet, teure Constan- sia, daß Euer Herz offenbleibt und ihr so vielleicht Mitleid mit Eu- rer vormaligen Mazy empfindet, wenn sie auf die Felder des Ajl blickt, die vor den Toren der Stadt liegen, und daran denkt, daß sie bald mit Blut getränkt sein werden! Es hat Zeiten gegeben - und Euch, meine Teuerste, kann ich es eingestehen -, in denen ich mir wünschte, daß mein Michan ein et­ was weniger tapferer Mann gewesen wäre! Hätte ich doch auch - verzeih mir diese Bitterkeit! - einen bloßen Gecken geheiratet, einen Dandy in Seide und Spitze, und nicht jemanden, dem vom Schicksal bestimmt ist, in den Annalen des Krieges aufgeführt zu sein! Aber dennoch, und mißversteht mich nicht, meine Teure, liebe ich meinen 5 Michan. In dem Kampf, der uns bevorsteht, befinde ich mich we- nigstens in der frohen Gewißheit, daß er — denn auch Michan wird älter - nunmehr dem Gemetzel von den hinteren Linien aus zusieht; die Heldentaten überlassen wir heutzutage anderen. Mein teurer Gatte hat mir versichert, daß keine zenzanische Ar­ mee heutzutage die Mauern von Wrax auch nur erschüttern könnte. Doch warum erfüllt dann kalte Furcht mein weibliches Herz, wenn ich höre, daß in den entlegensten Gegenden des Königreiches, auf den Steppen von Derkold, in den Hügeln von Ana-Zenzau und an den felsigen Küsten von Antios, sich die Krieger um das Banner des Grünen Thronprätendenten scharen? Betet für mich, meine Teure, in den Zeiten, die vor uns liegen. Ach, wie sehr ich mir wünschte (und bitte mißversteht mich nicht!), daß diese süßen Träume wahr wären, in denen wir erneut über diese Wiesen mit Gänseblümchen und Narzissen liefen, daß wir in den Tagen lebten, in denen meine Constansia noch meine kleine Consy war und Eure Mazy T. ihre Briefe noch nicht mit Ihre Exzellenz Lady Michan unterzeichnete. PS: Eine Sache in Eurem letzten Brief verwirrt mich. Ihr sagt, daß Vlada Flay nach Agondon zurückgekehrt ist. Ihr spielt sicherlich auf die gegenwärtige Lady Hartlock an, die Witwe des ehemaligen Steuereintreibers von Derkold. Aber wie kann das sein? Ich bin si­ cher, meine Teure, daß Ihr selbst im entlegenen Agondon von dem berüchtigten Bob Scarlet gehört habt. Wißt Ihr denn nicht, daß die Kutsche von Lady Vlada zu Beginn der letzten Theron-Jahreszeit auf dem Wrax-Weg überfallen wurde? Andere Reisende sind nur be­ raubt worden, doch Lady Vlada wurde gefangengenommen und bisher nicht wieder gefunden. Aber vielleicht habt Ihr Euch ja nur verschrieben und eine andere Lady gemeint. 6 An: Hauptm. P Veeldrop 5tes Füsilierreg. Der Tarn c/o Ollon-Kaserne Geehrter Herr, ich hatte vor, meinem Schreiben diesmal höchst ernsthafte und aus­ führliche Entschuldigungen beizufügen. Ein Mann meines Berufes ist eine Art Diener, der dazu neigt, seinen Vorgesetzten mit äußer- stem Respekt zu begegnen. (Das jedenfalls ist meine Absicht: Ich spreche nicht für andere, denn - so ist die Welt nun mal - selbst in einem Beruf wie meinem findet man leider respektlose Elemente.) Aber für was für eine Art Diener würdet Ihr mich wohl halten, so fürchte ich, wenn Euch die Nachricht erreichte, daß mein Teil un­ seres kleinen Abkommens bis jetzt vollkommen unerfüllt geblieben ist? Ich kann nur die Zeiten dafür verantwortlich machen, weil sich dieses Jahr leider meine Absicht, nach Agondon zurückzukehren, ein wenig verzögert hat. Aber vielleicht habt Ihr ja auch bereits gehört, daß eine gewisse Art von Staupe in Varby ausgebrochen ist und alle Gentlemen meines Berufsstandes (so dringend werden un­ sere Fähigkeiten gebraucht) aufgefordert wurden, in der Stadt zu bleiben. (Schockierenderweise muß ich Euch berichten, daß einige tatsächlich zu entkommen versuchten! Glücklicherweise haben die Wachen sie in den Mauern halten können. Ihr seht, Herr, daß man klug wählen muß, wenn man sich der Dienste eines Mannes meines Berufsstands versichert.) Dennoch scheint es, als wären meine Entschuldigungen nicht ganz angebracht. In Eurer Bemühung um die Gesundheit einer ge- wissen jungen Dame habt Ihr mich gedrängt, auf jeden Fall dafür Sorge zu tragen, daß ein gewisser Trank regelmäßig über ihre Lip­ pen käme. Wie ich jetzt aus meiner Korrespondenz mit Agondon erfahre, ist diese junge Lady noch gar nicht in der Stadt angekom­ men. Ich vermute, Herr, daß auch Ihr die Stadt verlassen habt. Es scheint so, daß unser kleines Arrangement zumindest vorüberge­ 7 hend nichtig ist. Ich bete glühend um die Gesundheit der jungen Dame, die sich jetzt leider außerhalb der Reichweite meiner Künste befindet! Dennoch, Herr, möchte ich Euch versichern, daß meine Dienste Euch ständig zur Verfügung stehen. Ihr werdet es zu schätzen wis­ sen, daß ich während Eures Aufenthalts in Varby durchaus so etwas wie intime Kenntnisse von Euren Angelegenheiten erlangt habe. Vielleicht versteht Ihr mich auch, wenn ich hinzufüge, daß meine Pläne für das kommende Jahr beträchtlich auf den Arrangements fußen, die wir beide getroffen haben. Ich verbleibe, geehrter Herr, entzückt, Euer Diener sein zu dürfen, E Waxwell (Staatlich zugelassener Apotheker) IDSKAM IM DIENST SEINER KAISERLICHEN AGONISTISCHEN MAJESTÄT An Mjr. M. M. Heva-Harion, Generalsekretär AS A, c/o Überleg. Milit. Kommandozentrale, Ollon-Kaserne, Agondon, von Leut. V Vance, Untersekretär Seiner Exzellenz Lord Michan, Generalgou- verneur & Oberkommandierender der Streitkräfte Seiner Kaiserli- chen Agonistischen Majestät in Zenzau. Sir, Seine Exzellenz der Generalgouverneur hat mich gebeten, Euch sei­ nen Dank auszusprechen für Eure Information vom IWa/Vend., 999d, betreffend die Strafversetzung von Hauptmann Veeldrop. Seine Exzellenz möchte Euch hiermit mitteilen, daß er diese Idee großartig findet, und darum bitten, während dieser Versetzung re- gelmäßig Berichte über Hauptmann Veeldrop von seinem direkten Vorgesetzten zu erhalten. Seine Exzellenz möchte anmerken, daß 8 gewisse Stimmen, die einst für verstummt gehalten wurden, sich wieder gegen die Unterstützung des älteren Veeldrop erhoben ha­ ben, dessen angebliche Erfolge bei der Regierung des Tarn nach An­ sicht einiger ein ungünstiges Licht auf die gegenwärtige zenzani­ sche Regierung werfen. Angesichts dessen erwartet Seine Exzellenz die unausweichliche und schandvolle Degradierung von Haupt- mann Veeldrop, die seiner Meinung nach ausreicht, um ihn vor ein Kriegsgericht zu bringen, und so genügen dürfte, den Namen Veel- drop in das richtige Licht zu rücken. Seine Exzellenz möchte sich, bevor er diese Angelegenheit höhe- ren Instanzen überantwortet, über den Wahrheitsgehalt eines Gerüchtes vergewissern, das mittlerweile Wrax erreicht hat. Da- nach soll der Siebzehnte Untersekretär in den Tarn versetzt werden, wo er sich für die Erhebung des Gouverneurs in den Adelsstand aussprechen soll. Seine Exzellenz widerspricht dieser Angelegen­ heit aufs schärfste und fragt sich, ob die Behörden auch die Wir­ kung bedacht haben, die ein solcher Schachzug auf die gegenwär­ tige Situation in Zenzau haben könnte. Gleichzeitig mit dieser Be- merkung möchte Seine Exzellenz aber auch darauf hinweisen, daß die Unterstützung, die der Grüne Thronprätendent in Zenzau ge­ nießt, in keiner Weise der jetzigen Regierung angelastet werden kann. Er möchte hinzufügen, daß eine Annahme dieser Art seiner Ansicht nach eine Verleumdung ersten Grades wäre. Seine Exzel- lenz möchte diejenigen Personen in Agondon an die Schwierigkei­ ten erinnern, die es bereitet, eine solch widerspenstige Kolonie zu regieren, und jene schelten, die nur gemütlich in Agondon herum­ sitzen und sich wie Parasiten im Pelz des Wohlstands dieses Reiches eingenistet haben. Sie verfügen nicht über das Recht, über koloniale Angelegenheiten zu urteilen. Ich verbleibe, Sir, hochachtungsvoll V Vance (Leut.) (Regierungsgebäude, Wrax, SM/Aros, 999d) 9 »Nirry!« Die Klingel schrillte. »Nirry!« Wieder läutete es heftig. »Verdammt soll das Mädchen sein! Wohin ist sie jetzt wieder ver­ schwunden?« Umbecca Veeldrop thronte in ihrem riesigen Bett. Den Rücken hatte sie gegen bunte Kissen gestützt. Neben ihr auf der bestickten Überdecke stand ein Tablett mit den Resten eines reichhaltigen Frühstücks. Und auf einem kleinen Marmorschränkchen kündeten weitere Tabletts von dem immensen Hunger, der Umbecca des Nachts überfiel. Und davon, wie schlampig ihr Dienstmädchen war. »Nirry!« »Ich bitte Euch, teure Lady, regt Euch nicht auf!« Die gebildete Stimme gehörte einem schlanken Mann undefinierbaren Alters, der die schwarze Kleidung des Ordens des Agonis trug. Er hockte ne­ ben dem Bett auf einem schmalen Regentschaftsstuhl, hatte die Beine übereinandergeschlagen und weiße Handschuhe übergezo­ gen. Seine Schläfen waren bereits angegraut. Er sah gut aus, aber sein Benehmen war ein wenig kühl. Zu kühl. Eay Feval stand auf und trat ans Fenster. Der Garten des Lekto­ rats lag unter einer Schneedecke begraben. »Vielleicht erlaubt Ihr mir, Euch von diesem Ärgernis zu befreien?« Das fragliche Ärgernis war ein kleiner Vogel mit einer roten Brust, der vor dem Fenster auf und ab flog und zwitscherte. Ti-witt! Ti-woo! Der Vogel kehrte seit einigen Tagen immer wieder hierher zurück. Er hüpfte fröhlich auf einem hohen Zweig vor dem Fenster 10

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