Rekonstruktive Bildungsforschung Band 5 Herausgegeben von Martin Heinrich, Hannover, Deutschland Andreas Wernet, Hannover, Deutschland Die Reihe ‚Rekonstruktive Bildungsforschung‘ reagiert auf die zunehmende Etab- lierung und Diff erenzierung qualitativ-rekonstruktiver Verfahren im Bereich der Bildungsforschung. Mittlerweile hat sich eine erziehungswissenschaft liche For- schungstradition gebildet, die sich nicht mehr nur auf die Rezeption sozialwissen- schaft licher Methoden beschränkt, sondern die vielmehr eigenständig zu methodi- schen und methodologischen Weiterentwicklungen beiträgt. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher methodischer Bezüge (Objektive Hermeneutik, Grounded Th eo- ry, Dokumentarische Methode, Ethnographie, usw.) sind in den letzten Jahren wei- terführende Forschungsbeiträge entstanden, die sowohl der Th eorie- als auch der Methodenentwicklung bemerkenswerte Impulse verliehen haben. Die Buchreihe will diese Forschungsentwicklung befördern und ihr ein ange- messenes Forum zur Verfügung stellen. Sie dient vor allem der Publikation qua- litativ-rekonstruktiver Forschungsarbeiten und Beiträgen zur methodischen und methodologischen Weiterentwicklung der rekonstruktiven Bildungsforschung. In ihr können sowohl Monographien erscheinen als auch thematisch fokussierte Sam- melbände. Herausgegeben von Martin Heinrich Andreas Wernet Institut für Erziehungswissenschaft Institut für Erziehungswissenschaft Leibniz Universität Hannover Leibniz Universität Hannover Hannover, Deutschland Hannover, Deutschland Monika Palowski Der Diskurs des Versagens Nichtversetzung und Klassenwieder- holung in Wissenschaft und Medien Monika Palowski Bielefeld, Deutschland Dissertation Universität Bielefeld, 2014 Rekonstruktive Bildungsforschung ISBN 978-3-658-10999-8 ISBN 978-3-658-11000-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-11000-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi- bliogra(cid:191) e; detaillierte bibliogra(cid:191) sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikrover(cid:191) lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Fachmedien Wiesbaden ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com) Inhaltsverzeichnis Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2 De(cid:192) nitionen, schulrechtliche Voraussetzungen und Wiederholungsquoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.1 De(cid:192) nitionen und Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2 Statistischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.2.1 Klassenwiederholungsquoten nach Bundesländern und Schulstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.2.2 Schulform- und jahrgangsspezi(cid:192) sche Differenzen . . . . . . . . . . 30 2.2.3 Klassenwiederholung nach Geschlecht und Migration . . . . . . 34 2.3 Versetzungsordnungen und Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3 Nichtversetzung und Klassenwiederholung aus empirischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.1 Frühe Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3.2 Studien zu Effekten auf Leistung, Selbstkonzept und Schullaufbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.3 Metaanalysen zu Leistungs- und Einstellungseffekten . . . . . . . . . . . 58 3.4 Qualitative Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 6 Inhaltsverzeichnis 4 Klassenwiederholung, Selektion und die Funktionslogik des Schulsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.1 Zur Selektivität des Bildungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.1.1 Reproduktion sozialer Ungleichheit im Bildungssystem . . . . . 66 4.1.2 Bildungsinstitutionen als differenzielle Lern- und Entwicklungsmilieus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 4.1.3 Schulerfolg und Leistungsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4.1.4 Bildungspolitische Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 4.2 Erziehung, Selektion und Disziplinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4.2.1 Funktionen und Funktionslogik des Schulsystems . . . . . . . . . . 80 4.2.2 Disziplin und Disziplinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4.3 Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5 Diskurs, Wissen und Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5.1 Diskurstheorie – der ‚Planet Foucault’ und darüber hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5.1.1 Diskursbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 5.1.2 Diskurs, Macht und die Stellung des Subjekts . . . . . . . . . . . . . 99 5.1.3 Interpretative Analytik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 5.2 Wissenschaft und Medien als Diskursfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 5.2.1 Akademischer Spezialdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 5.2.2 Printmedialer Teildiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 5.3 Diskursanalyse in der Erziehungswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 5.4 Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 6 Methodisches Design . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 6.1 Grundlagen der Wissenssoziologischen Diskursanalyse . . . . . . . . . . 125 6.1.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6.1.2 Korpusbildung und Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 6.1.3 Gütekriterien, Möglichkeiten und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . 134 6.2 Korpusbildung und Datenbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 6.2.1 Explorative Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 6.2.2 Kriteriengeleitete Korpusbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 6.3 Analytische Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 6.3.1 Strukturanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 6.3.2 Auswahl von Dokumenten zur Feinanalyse . . . . . . . . . . . . . . . 144 6.3.3 Vorgehensweise in der Feinanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 6.3.4 Durchführung und Analyse der Gruppendiskussion . . . . . . . . 151 6.4 Re(cid:193) exion des Forschungsprozesses und Reichweite der Ergebnisse . . 153 Inhaltsverzeichnis 7 7 Diskursive Problematisierungen von Nichtversetzung und Klassenwiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 7.1 Typische Problemfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 7.1.1 Schule und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 7.1.2 Heterogenität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 7.1.3 De(cid:192) zite des Schulsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 7.1.4 Öffentliche Debatte und politische Entwicklungen . . . . . . . . . 169 7.1.5 Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 7.1.6 Qualität, Ef(cid:192) zienz und Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 7.2 Diskurspositionen und diskursive Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 7.2.1 Der strukturkonservative Diskursstrang . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 7.2.2 Der innovative Diskursstrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 7.2.3 Der ökonomische Diskursstrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 7.3 Übergreifende diskursive Regelmäßigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 8 Subjekte im Klassenwiederholungsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 8.1 Sprecherpositionen für Schülerinnen und Schüler . . . . . . . . . . . . . . . 194 8.2 Zuschreibungen und Klassi(cid:192) kationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 8.3 Eltern und Lehrende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 8.4 Exkurs: Expertinnen und Experten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 8.5 Subjektpositionen für Schülerinnen und Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . 219 9 Relationen zwischen akademischem und medialem Diskursfeld . . . . . 225 9.1 Erziehungswissenschaftliches Wissen in praxisnahen Publikationen . . 226 9.2 „Shot Across the Bow, Stigma or Selection?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 9.2.1 Design und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 9.2.2 Mediale Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 9.3 „Klassenwiederholungen – teuer und unwirksam“ . . . . . . . . . . . . . . 244 9.3.1 Design und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 9.3.2 Mediale Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 9.4 Übergreifende Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Fazit, Implikationen und Desiderata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Verzeichnis der Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Analysierte Dokumente (Feinanalyse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Danksagung Wie jede Dissertation ist auch die vorliegende das Resultat erfolgreicher Team- arbeit. Ohne Rat, Unterstützung, Trost und – gelegentlich – Hilfe bei der Prokras- tination ist die Phase der Promotion kaum erfolgreich zu überstehen. Mein Dank gilt daher allen Teammitgliedern: Neben meiner Familie und meinen guten Freun- dinnen und Freunden danke ich meinen großartigen (aktuellen und ehemaligen!) Kolleginnen und Kollegen der Wissenschaftlichen Einrichtung und Versuchsschu- le Oberstufen-Kolleg sowie der AG4 an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld für ihre Unterstützung und Beratung zwischen Tür und Angel, in Kolloquien und auf Tagungen. Gleiches gilt für Reiner Keller und Sasa Bosancic an der Universität Augsburg. Martin Heinrich und Andreas Wernet dan- ke ich für die Veröffentlichung meiner Dissertation. Natürlich danke ich meinen beiden Gutachterinnen, Susanne Miller und Barbara Koch-Priewe, für die her- vorragende Betreuung meines Vorhabens; insbesondere danke ich Barbara Koch- Priewe dafür, dass sie sich auf mein Projekt eingelassen und mir zugleich viele Freiheiten gelassen hat. Und schließlich danke ich meinem Partner und besten Freund Mik Cope für – je nach Bedarf – Trost, Aufmunterung und Ablenkung. Bielefeld, im Mai 2015 Monika Palowski 1 Einführung Vom Problem mit den ‚Sitzenbleibern‘ zu seiner diskursiven Konstruktion Im 1987 erschienen Themenheft „Sitzenbleiben“ der Publikation „Westermanns Pädagogische Beiträge“ (cid:192) nden sich zwei Artikel, in denen die Frage der Verarbei- tung einer Nichtversetzung problematisiert wird. Walter Bärsch, damaliger Präsi- dent des Deutschen Kinderschutzbundes, widmet sich unter dem Titel „Die Fami- lie muß es verarbeiten. Über die Auswirkungen des Sitzenbleibens auf Kinder und Eltern“ der Bewältigung einer Nichtversetzung durch Eltern jüngerer von dieser „Enttäuschung“ (Bärsch, 1987, S. 27) betroffener Schülerinnen und Schüler. Jan- Oliver Wendt berichtet von seiner Verarbeitung einer Nichtversetzung am Ende der 11. Jahrgangsstufe: „Das Ziel der 11. Klasse nicht erreicht. Ein Schülerbericht“ (Wendt, 1987, S. 8). Beide Artikel sind um den Moment herum organisiert, in dem die Nichtversetzung bekannt wird: „Jedenfalls wird die Lage in der Schule nicht besser, und irgendwann ist es soweit: Das Kind wird nicht versetzt. Das ist wohl die größte Enttäuschung, die ein Kind und auch seine Eltern in der Schule erleben. Die Pädagogen können sich da noch so viel Mühe geben und das Sitzenbleiben als eine pädagogisch notwendige und auch sinn- volle Maßnahme bezeichnen. Für die Betroffenen ist es ein Akt, durch den sie sich diskriminiert fühlen, der ihnen weh tut und im Endergebnis dazu führt, daß zunächst einmal alle Hoffnungen schwinden“ (Bärsch, 1987, S. 27). „So, nun war es so weit. Es kam der Tag der kalten, nackten Wahrheit. Nach der Schülervollversammlung sprach ich mit meinem Lerngruppenleiter über meinen Leistungsstand und die Zeugniskonferenz […]. [Er] äußerte sich zwar nicht ein- deutig, aber befürchtend kritisch über den vermuteten Ausgang der Konferenz. […] M. Palowski, Der Diskurs des Versagens, Rekonstruktive Bildungsforschung 5, DOI 10.1007/978-3-658-11000-0_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016