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Der Dialekt von Bergün und seine Stellung innerhalb der rätoromanischen Mundarten Graubündens PDF

378 Pages·1923·29.171 MB·German
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BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON PROF. DK. GUSTAV GRÖBER F FORTGEFÜHRT UND HERAUSGEGEBEN VON DR. ALFONS HILKA PROKKSSOR AN DER UNIVKRS1TÄT GÖTTINGKN LXXI. HEFT C. MARTIN LUTTA DER DIALEKT VON BERGÜN UND SEINE STELLUNG INNERHALB DER RÄTOROMANISCHEN MUNDARTEN GRAUBÜNDENS HALLE (SAALE) VERLAG VON MAX NIEMEYER 1923 DER DIALEKT VON BERGÜN UND SEINE STELLUNG INNERHALB DER RÄTOROMANISCHEN MUNDARTEN GRAUBÜNDENS vox C. MARTIN LUTTA m m HALLE (SAALE) VERLAG VON MAX NIEMEYER I923 Geleitwort. Der Verfasser dieser Arbeit gehört nicht mehr zu den Lebenden. In den stürmischen Novemberlagen des Jahres 1918, als die Grippe unter unsern Truppen wütete, vermochte sein durch frühere Krank- heiten geschwächter Körper nicht zu widerstehen. Er entschlief mit einem Lächeln anf den LippeD, im Alter von 32 Jahren. Er hatte sich gefreut, unter der Leitung von Prof. Dr. C. Pult an den Arbeiten des Idiotikons der rätischen Schweiz tätigen Anteil zu nehmen. Zu dieser Aufgabe schien er prädestiniert. Nach einem Beisammensein von kaum vier Monaten mufste Herr Pult den warmen Nachruf schreiben, der in den Annalas della Società reto- romantscha, Bd. XXXIII, p. 239—251, zu lesen ist. Das schönste Denkmal hat sich Herr Lutta selber in diesem seinem Werke gesetzt. Langsam war es herangereift. Als echter, bedächtiger Bündner, unablässig feilend, hatte er es lange nicht gut genug befunden. Den Tag vergesse ich nicht, wo er mir endlich, mit verlegenem Stolz, das saubere, fünfbändige Manuskript seiner Dissertation brachte. Als ob er eine Ahnung gehabt hätte, war das ganze Ausmafs seiner Fähigkeiten hineingelegt. Der Arbeit durfte das beste der üblichen Prädikate zuerteilt, werden. Das mündliche Examen, das am 21. Juli 1917 abgelegt wurde, bestätigte den vorzüglichen Eindruck, den Lutta als Student gemacht hatte. Während das Oberland und das Engadin in prächtigen Mono- graphien durchforscht waren, harrte Mittelbünden noch auf eine tiefere Behandlung. Wohl hatte Herr Dr. J. Luzi in seiner Laut- lehre der sutselvischtn Dialekte, Zürcher Dissertation von 1904, die ersten guten Spatenstiche getan. Aber er hatte das Gebiet un- mittelbar nördlich des Albula-Massivs nur als Randstreifen be- trachtet, und vor allem hatte die Wissenschaft mittlerweile höhere Forderungen aufgestellt. Die Mundart des bis zur Erstellung der Albula-Bahn (1903) ziemlich auf sich gestellten und daher lautlich und lexikologisch originellen Bergün empfahl sich als willkommenes Objekt. Sie war durch die genialen Angaben Ascolis, nach schrift- lichen Dokumenten und eigenen Aufzeichnungen (s. Saggi ladini, p. 119), sowie durch die grundlegenden Tabellen Gärtners (.Raeto- romanische Grammatik und Handbuch der raelo - romanischen Sprach* VI und Literatur, littera g) nur unvollkommen bekannt. Andere Forscher hatten sie nur gelegentlich berührt.1 Herr Lutta hätte nun einfach die vorbildliche Studie des Schweden Walberg, Saggio sulla fonética del parlare di Celerina-Crtsta, Lund 1907, zum Muster nehmen können, die die Lautverhältnisse jenseits der Berge im Oberengadin schildert. ' Der EinSufs dieses Werkes ist auch unverkennbar. In Graphie und Anordnung des Stoffes lehnt sich Lutta daran an in dem Matee, wie ein nach Un- abhängigkeit Ringender sich anlehnt.1 Huonders von Einfällen strotzende, kühn konstruierende, blitzartig aufbellende Art war ihm nicht gegeben (Der Vokalismus der Mundart von Disentís, iqoi). Seine Natur war klug abwägend und doch, nach reiflicher Über- legung, [energisch vorstofsend. Am meisten Eindruck scheint ihm die tief ausschöpfende und weitblickende Monographie Dr. F. Fank- hausers über Das Patois von Val d'Illiez (Wallis), iQii, gemacht zu haben. Wie dieser läfst er die Punkte, in denen der Lautstand von Bergün nichts Eigenes hat, zurücktreten und belegt alles Be- sondere mit langen Reihen von Beispielen aus dem gesamten Wort- schatz. Wie dieser läfst er eine Menge seltener Wörter, Pflanzen- und Ortsnamen hereinfliefsen. Er ist überhaupt bestrebt, den immer wieder zitierten Normalwörtern aus dem Wege zu gehen und seiner Darstellung durch Nennung des Eigentümlichen und Lokalen neue Reize zu verleihen. Da bei dem Umfang der Arbeit ein Re- gister des verwendeten Materials umgangen werden mufste, ist überall, wo der Sinn sich nicht von selbst ergibt, eine deutsche Übersetzung beigegeben, auf deren Prägung viel Scharfsinn verwendet wurde. Das ist besonders für diejenigen, denen das Rälische nicht geläufig ist, eine angenehme, wenn auch Platz raubende Zugabe. Luttas Genauigkeit und Aufrichtigkeit hätten nicht zugegeben, dafs Wörter, die zu der Formulierung der Lautregeln nicht stimmen, verschwiegen worden wären. Als Bündner, der von Jugend auf das Zaozer Engadinisch sprach, besafs er den Vorteil, leichter als ein Fremder erkennen zu können, welche Einflüsse störend wirkten. Besonders in den heiklen Lehnwortfragen von Sprache zu Sprache oder von Dialekt zu Dialekt besafs er ein seltenes Urteilsvermögen. Aber oft genug muís auch er mit Erklärung zurückhalten. Die Zuverlässigkeit der Notierungen ist kaum zu übertreffen. Bei Anlafs einer dialektologischen Exkursion des romanischen Seminars hatten wir Gelegenheit, die außergewöhnliche Feinheit seines Ohrs zu beobachten. Er hörte noch Unterschiede, wo wir andern alle versagten. Er hat auch die Niederschriften Ascolis, Gärtners und Luzis vielfach beanstandet In seinem Transkription s- 1 Seit Lutta hat Herr Dr. Scheuermeier für dtn so verdienstvollen und ergebnisreichen Schweiz.-oberital. Sprachatlas der Herren Jud und Jaberg im nahegelegenen Latsch eine Normalaufnahme gemacht. Natürlich nützte Lutta nach Kräften die Winke aus, die Herr Jud in leintr bedeutenden Besprechung Walbergs gegeben hatte. VII system finden sich u. a. 6—7 verschiedene f-Laute, doch macht er in der eigentlichen Arbeit nicht von allen Gebrauch. Ein be- sonderes akustisches Sensorium war bei einem Dialekt vonnöten, der unglaubliche Kombinationen wagt, wie aviok^is „Bienen", artfts „Bogen", krokfts „Kreuze", pri'itßs „Preise" etc. Was jedoch dieses Buch über den Rahmen einer Monographie hinauswachsen läfst, ist das Bestreben, das im Untertitel zum Aus- druck kommt, die Stellung dieses Dialekts im Gesamtbild der Mundarten Graubündens genau zu bezeichnen. Die kleinsten Unter- schiede von einem Gewährsmann zum andern einerseits, die Ab- weichungen und Zusammenhänge innerhalb der Gegend und des ganzen romanischen Teiles des Kantons andrerseits machen das Wesen der Arbeit aus, die, von synoptischen Tabellen durchzogen, zu einem Vademecutn des Rätologen wird. Wer es studiert, dringt mit dem Verfasser in den lebendigen Kern der Mundart ein und hat die Illusion, diese Sprache gehört und gelernt zu haben. In den Schlussparagraphen werden die Charakteristika nochmals nach allen Seiten abgegrenzt. Wenn auch die morphologischen und lexikologischen Divergenzen nur zum Teil berücksichtigt sind, so hat sie der Verfasser doch beständig vor Augen gehabt, so dafs das Schlufsergebnis, dafs die Bergüner Mundart ein nidwaldisches Snbstratum mit engaJinischer Übermalung darstellt, nicht Gefahr läuft, neu gestellt und gelöst zu werden. Dieses Resultat bestätigt das, was Lutta in seinem ausführlichen Einleitungskapitel vom histo- rischen und verkehrsgeschichtlichen Standpunkte voraussagt. Im übrigen möge das Buch für sich seiher sprechen. Aufser der Formenlehre wird man alles darin finden, was man suchen mag, sei es die ganz eigenartige Latinität Graubündens, sei es die ge- duldige Erforschung einzelner Probleme. Noch nie wurden z. B. die von Gärtner als „verhärtete Diphthonge" bezeichneten Kom- binationen i'k, ek, ik, ok, uk aus früherem »', ei, ti, 011, uu so ein- gehend und fördernd besprochen (vor allem in den §§ 331 ff.). Die Frankoprovenzalisten sprechen da mit Gillieron von einem „k parasite". Es ist einer der auffallendsten Züge, die die Sprache östlich und westlich des Gotthard verbinden. Bergün ist in diesem Punkte besonders konsequent und archaistisch. Die Erscheinung war bei der Auswahl des Themas mitbestimmend. Es wäre unverantwortlich gewesen, eine solche Arbeit nach dem Tode des Verfassers in einer Schublade zu bergen. Zum Glück waren ein Bruder Martin Luttas, der schon während seiner Studien Opfer gebracht hatte, und die Mutter bereit, die Kosten des Druckes zu übernehmen. Das Manuskript war aber nicht druckfertig, und es bedurfte der entsagungsvollen, langwierigen Arbeit zweier Freunde des Verstorbenen, der Herren Jud und Fankhauser, um es her- zurichten, auf den Stand der inzwischen fortgeschrittenen Wissen- schaft zu bringen, die ausführlichen Register zu verfassen und den schwierigen Druck zu überwachen. Für die Duichführung dieser nicht einfachen Aufgabe sind wir alle, denen lebendiges Wissen VIII am Herzen liegt, beiden herzlich verpflichtet. Auch die Herren Pnlt und cand. phil. R. Vieli haben teilweise mitkorrigiert Unser Dank sei aber auch dem Verleger, Herrn Dr. M. Niemeyer, aus- gesprochen, der in dieser schlimmen, bücherlosen Zeit das Unter- nehmen wagte. Die Offizin Karras, Kröber & Nietschmann in Halle a.S. hat den schwierigen Satz, wie gewohnt, glänzend be- wältigt. Möge dieses mit Liebe geschriebene Werk, das nun anch ein Denkmal der Bruder- und Freundesliebe geworden, einer Sprache, die um ihre Existenz kämpft, neue Freunde werben. Zürich, Januar 1923. L. Gauchat # * * Dem warm empfundenen Vorwort wünschen die beiden Heraus- geber nur noch einige Worte beizufügen. Martin Lutta plante, vor dem Drucke mehr als ein Kapitel seiner Arbeit noch um- zugestalten und an gewissen Stellen noch tiefer zu schürfen; er ge- dachte ferner, auf den Rat von J. Jud, das Wörterbuch an die Spitze der Monographie zu stellen, um so die Wiederholung der Bedeutungen bei jedem einzelnen Worte zu vermeiden. Die Um- arbeitung, wie die Bereitstellung des (etymologischen) Wörterbuches steckte leider Ende 1918 durchaus in den Anfängen. Zum Glück hatte der eine Herausgeber dem Werdegang der Arbeit von früh an so nahe gestanden und mit Martin Lutta als einem seiner Studenten und Freunde so oft gemeinsam fesselnde Probleme durchbesprochen, dafs er die Verantwortung übernehmen zu dürfen glaubte, getreu den ihm bekannten Intentionen des Verfassers und gemeinsam mit F. Fankhauser, das Manuskript für den Druck vor- zubereiten. Wir haben uns in engster Zusammenarbeit nicht ge- scheut, formell und stilistisch überall da einzugreifen, wo die Aus- feilung der Darstellung noch im Rückstände war, wir bauten einzelne etwas zu summarisch dargestellte Probleme aus, die Martin Lutta vor dem Drucke selbst wohl in Angriff genommen hätte; doch haben wir anderseits aus Pietät den ursprünglichen Text — selbst wenn er etwa Wiederholungen enthielt — wo immer angängig, intakt gelassen. Bis 1920, d. h. dem Zeitpunkte, da der Druck begann, wurde auch die Bibliographie nachgefühlt. Eine besonders heikle Frage war die Vereinheitlichung der Tran- skription. Martin Lutta hatte während der Abfassung Seiner Dissertation in mehreren wichtigen Punkten das Passysche System dem Rätischen angepafst und es vereinfacht, aber die Einheits- transkription in der ganzen Arbeit durchzuführen, war ihm nicht mehr möglich geworden. Soweit als möglich galt es auch hier IX den letzten Absichten des Verfassers gerecht zu werden. Die Indices hat J. Jud, die Karte F. Fankhauser beigesteuert. Und nun, Martin Lutta, soll dein Werk zeugen für den nur durch den unerbittlichen Tod gebrochenen Willen, ein deiner Familie, deiner Lehrer und deines rätischen Heimatlandes würdiges Denkmal zu schaffen. Deine Freunde allerdings hätten dich auch ohnedies in ihrer Erinnerung festgehalten als einen jener Menschen, mit denen ein Stück Weges zusammenzugehen einen Glücksfall ihres Lebens bedeutet. J. Jud. F. Fankhauser.

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