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Der Dandy: Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und 20. Jahrhundert PDF

304 Pages·2013·28.847 MB·German
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Der Dandy Europäisch-jüdische Studien Beiträge Herausgegeben vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Potsdam, in Kooperation mit der Gesellschaft für Geistesgeschichte Redaktion: Werner Treß Band 10 Der Dandy Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und 20. Jahrhundert Herausgegeben von Joachim H. Knoll, Anna-Dorothea Ludewig und Julius H. Schoeps ISBN 978-3-11-030552-4 e-ISBN 978-3-11-030591-3 ISSN 2192-9602 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Michael Peschke, Berlin Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com Inhalt Einleitung Joachim H. Knoll „Das Leben als Kunstwerk“ – der Dandy als kulturhistorisches Phänomen im 19. und frühen 20. Jahrhundert   1 Identitäten Günter Erbe Aristokratismus und Dandytum im 19. und 20. Jahrhundert  11 Gregor Schuhen Untergeordnet? Sublim? Entartet? Der Dandy aus Sicht der Men’s Studies  29 Isabelle Stauffer Die Femme Dandy – eine vergessene Tradition? Die Marquise d’Espard, Coco Chanel und Drag Kings  43 Julia Bertschik „Des Dandys bestes Stück“: Die Krawatte als ästhetisches Paradox von Beau Brummell bis zum Dandy 2.0  63 Fernand Hörner Jan Delay, oder: Die Zukunft des Dandys zwischen Texten und Textilien  77 Rezeptionen Gernot Krämer „Frucht dieser allzusehr gebrandmarkten Eitelkeit.“ Jules Barbey d’Aurevilly und George Brummell  97 Hiltrud Gnüg Charles Baudelaires Bestimmung des Dandyismus und sein Entwurf einer Femme Dandy in den Fleurs du Mal  109 VI   Inhalt Sebastian Neumeister Gabriele d’Annunzio: Ein Dandy zwischen Leben und Literatur  127 Biografien Joseph Anton Kruse „Das sieht so affektiert aus.“ Dandyhafte Bezüge und Strategien bei Heinrich Heine  139 Lucia Krämer Der gebrochene Dandy: Oscar Wilde im biografischen Spielfilm  159 Julius H. Schoeps Der jüdische Dandy: Die Selbstinszenierung des Theodor Herzl  175 Ute Oelmann Stefan George: Vom Dandy zum Meister  195 Dalia Klippenstein Zum russischen Dandytum: Sergej Diaghilew  205 Moritz Reininghaus Flaneur, Bohemien – Dandy? Franz Hessel in München, Paris und Berlin  235 Thomas Blubacher Francesco von Mendelssohn – der „glamorous boy“ Berlins  251 Anhang Literaturverzeichnis  273 Abbildungsverzeichnis  287 Über die Autorinnen und Autoren  289 Personenregister  293 Joachim H. Knoll „Das Leben als Kunstwerk“ – der Dandy als kulturhistorisches Phänomen im 19. und frühen 20. Jahrhundert Eine bündige und die Einzelerscheinungen zusammensehende Definition des Dandys gibt es nicht – kann es auch nicht geben, da der Typus in unterschiedli- chen Zeiten eine je unterschiedliche Konnotation besaß. Die Unterschiede sind zeitlich, regional und inhaltlich bedingt. Und der Begriff verfügt über eine Defini- tionsbreite, die sich vornehmlich an gesellschaftlichen und schichtspezifischen Vorstellungen von Seriosität, Konvention und Subkultur orientiert und dem- zufolge einmal einen eher wohlmeinenden und andererseits einen pejorativen Charakter einnimmt. Gleichzeitig gibt es aber auch Merkmale (Kriterien), die den Dandy nicht nur aus dem zeitlichen Verständnis definieren; wir halten zudem für richtig, dass der „Dandy“ ein Typus ist, der nicht ausschließlich in aristokrati- schen Zuständen anzutreffen ist. Merkmale und Erscheinungsformen So ist der Typus hierzulande mit Metropolen (München, Berlin, Düsseldorf, Hamburg) und den gesellschaftlichen Kristallisationspunkten in diesen Metro- polen verbunden. Hier lohnt es sich auf die Rolle der literarischen Salons um 1800 (Rahel Varnhagen), auf die männerbündlerischen Adelstreffen im Umkreis Wilhelms II. („Liebenberger Tafelrunden“ des Philipp Graf zu Eulenburg auf Schloss Liebenberg), auf die bürgerlichen Salons am Beginn der 1920er-Jahre (Anton und Else Bruckmann in München), auf die Freundes- und Gesprächs- kreise in Hamburg (Übersee-Club und die Familien Münchmeyer, Sieveking, Cha- peaurouge) und die eher zufälligen „Treffpunkte“ intelligenter Grenzüberschrei- ter in Düsseldorf (Gabriele Henkel, Anja Bagel-Bohlan) und in Berlin (Nikolaus Sombart) näher einzugehen. In der Provinz, wo die gesellschaftlichen Grenzen und Ausgrenzungen offensichtlicher und ausgeprägter sind, kann der Dandy kein respektables und respektiertes Dasein führen. Er, der Dandy, ist eben verbunden mit existierenden oder von ihm begrün- deten Salons, er kann sich nur auf einem gesellschaftlichen Hintergrund dar- stellen, in dem das Außergewöhnliche und Unkonventionelle noch mit einer gewissen noblen Exklusivität verbunden ist. Er stammt aus begüterten Verhält- nissen; sein Geld ist teils ererbt, teils durch Mäzene vermittelt und heutzutage 2   Joachim H. Knoll durch einen selbst auferlegten Arbeitseifer bis zum Hörsturz (zum Beispiel Ulrich Tukur) erworben. Er ist gebildet, nicht im Sinne akademischer Laufbahnbildung, sondern vielfach in der Form des begabten, fachübergreifenden Dilettantismus. Er ist publizistisch vor allem im Bereich des Feuilletons anzutreffen, naturwis- senschaftlich gebildete Dandys sind offenbar die Ausnahme – dabei wird leider in allen relevanten Publikationen die erste europäische Universitätsprofessorin und Ordinaria für Physik, Laura Bassi (1711–1778), aus Bologna übersehen, die dem galanten Witz und einem mondänen „Outfit“ durchaus zugeneigt war und als „Femme Dandy“ gelten könnte. Der Dandy verfügt über Freundes- oder „Gemeinde“kreise. Er besticht durch eine Begabung für ungewöhnliche Selbstinszenierungen und für einen Lebens- stil, der ästhetisch-kultiviert in Kleidung und Gehabe und gleichzeitig intellektu- ell-ätherisch anmutet. Von diesen Merkmalen allein kann die These nicht erhärtet werden, dass der Dandy eine aussterbende Spezies sei. Günter Erbe, der dem Dandy vielfach im Umkreis des Aristokratismus auf der Spur ist, die eilfertige Verwendung des Begriffs „Dandy“ in „Feuilletons und Modezeitschriften“ nicht teilt und ihn ganz im historischen Kontext belassen möchte, gibt die folgende Definition: Der Dandy ist ein Mann von einfacher, erlesener Eleganz, einer Eleganz, die Ausdruck einer bestimmten Geistes- und Lebenshaltung ist, eine extravagante Spielart des Gentleman, ausgezeichnet durch überlegenen Geschmack, perfekte Manieren, zynisch-frivolen Kon- versationston, Kaltblütigkeit und Unerschütterlichkeit in allen Lebenslagen und in einem auf die Spitze getriebenen Selbstkult. Er ist ein passionierter Müßiggänger und eine noto- rische Spielernatur. Er ist Solitär und Gesellschaftsmensch. So mag man ihn wie Rainer Gruenter paradoxerweise – aber das Paradoxe gehört zu seinem Wesen – als den Ungesel- ligen schlechthin ansehen, „dessen prinzipielle geselligen Distanz freilich auf eine raffi- nierte ‚Geselligkeit‘ von Geselligkeitsverächtern bezogen ist“. Der Dandy existiert in vielen Spielarten und Mischformen, die durch die unterschiedlichen geschichtlichen Umstände 1 bedingt sind. Von daher ist es auch nicht verwunderlich, dass dem Begriff „Dandy“ andere artverwandte Begriffe zur Seite gestellt werden: Gentleman, Snob, Parvenü, Spa- ziergänger, Playboy, Lebenskünstler, Schmok, Pop-Dandy (zum Beispiel Andy Warhol). Diese artverwandten Begriffe vermitteln freilich jeweils nur Ausschnitte dessen, was im Aristokratismus mit dem Begriff „Dandy“ verbunden wurde. Das ließe sich im historischen Beispiel an William Makepeace Thackerays (1811–1863) 1 Günter Erbe, Männer in der Gesellschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 46 (2004), S. 31–38, hier S. 31f. „Das Leben als Kunstwerk“   3 The Snobs of England (1846) sehr deutlich zeigen, weil mit Bosheit allein und filigraner Kritik an dem Standesdünkel des Adels eben nur eine Absage an den Snob, nicht aber den Dandy formuliert werden konnte. Wollte man sich aus dem Paradoxen und zumal den definitorischen Schwie- rigkeiten befreien, dann müsste man darauf sehen, dem zeitunabhängigen Typus Dandy mindestens drei der oben genannten epitheta ornantia (Merkmale, Krite- rien) zu unterlegen und sogleich die Frage nach seiner Eigen- und Fremdattribu- ierung zu prüfen. Oder schlichter gefragt, wer bestimmt und mit welcher Autori- tät, wer ein Dandy ist und was ihn ausmacht? Sehen wir heute auf Personen, die in die Nähe des traditionellen Dandy- Typus gehören könnten, so fallen einem hierzulande unter anderem Gunter Sachs (1932–2011) oder im Kontrast dazu auch Karl Lagerfeld (*1933) ein. Beide haben mit einem beträchtlichen Privatvermögen die Moderne in der Bildenden Kunst (vormals Galerie Sachs in Hamburg-Pöseldorf) und die künstlerische Fotografie (Lagerfeld erhielt 1996 den Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photogra- phie unter anderem für One Man Show) gefördert, sie überschreiten das Bild vom müßiggängerischen Playboy eindeutig, sie haben ihren künstlerischen Beruf aus- gefüllt und gleichzeitig die Grenzen der Konvention aufgehoben. Sie sind in die Selbstdarstellung (in Sport oder Society) verliebt, sie haben sich feuilletonistisch- schriftstellerisch ausgezeichnet, Sachs in der Mathematik und der Zahlenmystik, Karl Lagerfeld neben vielem über Mode, Malerei und Fotografie nicht zuletzt mit dem von ihm illustrierten Bändchen Landpartie (erschienen 2010) von Eduard von Keyserling. Beiden kann das Außergewöhnliche zugesprochen werden, und ihre Exzentrik wird von der Presse mit vergnügtem Wohlgefallen begleitet. So fallen gewiss Eigen- und Fremdattribuierung zusammen, ohne dass der Begriff „Dandy“ aufscheinen muss. Zeitlicher Rahmen Sehen wir auf die zeitliche Dimension, in der es den Begriff und die Lebens- form „Dandy“ gegeben hat, so scheint es nicht, dass dieser Typus im Ausster- ben begriffen ist, nur weil es nicht mehr die Gesellschaft mit ihrer aristokrati- schen Hierarchie gibt, die ihn trägt und erträgt und er ganz und gar ein Kind des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts gewesen sei. Gewiss, die Anfänge einer aristokratischen Dandy-Theorie scheinen der Ansicht von der Kurzlebigkeit des Dandys Recht zu geben. Jules Barbey d’Aureville hat, ebenso wie Fürst Hermann von Pückler-Muskau, ganz aus dem eigenen adeligen Herkommen räsoniert, argumentiert und sich inszeniert. Aber bereits George Brummell, der Dandy par 4   Joachim H. Knoll excellence, war nicht von adeliger Geburt, und Oscar Wilde hat, demgegenüber nahezu bedenkenlos, vorsätzlich gesellschaftliche Barrieren aufgehoben und allenthalben sein Amüsement gesucht. Auch in den Beiträgen des vorliegenden Sammelbandes wird – gewiss im Blick auf die deutsche Geistes- und Kulturge- schichte – frühzeitig eine bürgerliche Dandy-Kultur signalisiert und dies bereits in der Wilhelminischen Ära oder zumindest an deren Ende (Stefan George und Franz Hessel). An beiden erweist sich die sprachliche Verwendung des Begriffs „Dandy“ als wenig zutreffend: Bei Hessel changieren die Begriffe Flaneur, Bohe- mien und Dandy, und mit George hält durch „Meister“ (und „Kreis“) eine neue Dimension des Dandys als Seher, Welterklärer und Verkünder Einzug. Vor diesem Hintergrund war die Weimarer Republik die Zeit, in der der bür- gerliche Dandy in Deutschland seine Blütezeit erlebte. Eine Gesellschaft und ein Staat, die ihrer Hierarchisierung, ihrer Struktur und Zuordnung verlustig gegan- gen waren, suchten nach neuen Ausdrucksformen für eine libertäre Lebensge- staltung und neue Bindungsmuster. Zumindest in kleineren Kreisen (wie um Theodor Herzl und Francesco von Mendelssohn) wurden charismatische Figuren zu Kristallisationspunkten für eine Sinnsuche und Zukunftsgestaltung. Verwunderlich eigentlich, dass just zu dieser Zeit auch der weibliche Dandy, die „Femme Dandy“, entdeckt wurde, die in der Praxis schon länger existierte. Hier setzt auch die Auseinandersetzung mit dem Thema in der Geschlechterfor- schung an, und, damit verbunden sind auch die Überlegungen zu einer allmähli- chen Aufhebung der Geschlechterdifferenzen. In der Gegenwart, zwischen Mode und Prominenz, die nach dem Worte José Ortega y Gassets „durch Beifall zustande kommt“,2 nimmt die Irritation zu, wer denn noch in Selbst- und Fremdattribuierung als Dandy bezeichnet werden könne. Und gleichzeitig kündigt sich „zwischen Texten und Textilien“ (Fernand Hörner) eine Zukunft für den Dandy an. Der Beginn der Dandy-Geschichte wird in Verbindung mit der Aufklärung gesehen, welche gewissermaßen den Ausgangspunkt für die Fraglichkeit von Konvention und Tradition bildet. Dies trifft für das frühe 19. Jahrhundert gewiss zu, vergleichbare Aufklärungsprozesse sind heute jedoch kaum mehr vorstell- bar, da alle denkbaren Tabus – auch die sexuellen – aufgebrochen sind; und von theologischer Seite wird prophezeit, dass „die Pathologie der Vernunft […]eine Krankheit [ist], die das Immunsystem einer Gesellschaft schwächt“3. 2 José Ortega y Gasset, Der Aufstand der Massen, Stuttgart 1947, S. 7, 43, 46. 3 Thomas Söding, Vernunft und Verantwortung des Glaubens, S. 1: http://www.ruhr-uni-bo- chum.de/imperia/md/content/nt/aktuelles/papstbesuchindeutschland/rationalit_t_von_religi- on_und_politik.pdf (2. 6. 2012).

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