Neue Kleine Bibliothek 216 Phillip Becher/ Christian Begass/Josef Kraft Der Aufstand des Abendlandes AfD, PEGIDA&Co.: Vom Salon auf die Straße PapyRossa Verlag © 2015 by Papy Rossa Verlags GmbH & Co. KG, Köln Luxemburger Str. 202, 50937 Köln Tel.: +49(0)221 - 44 85 45 Fax: +49(0)221 -44 43 05 E-Mail: [email protected] Internet: www.papyrossa.de Alle Rechte Vorbehalten Umschlag: Verlag, unter Verwendung eines Fotos von picture alliance / dpa Druck: Interpress Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar ISBN 978-3-89438-587-3 Inhalt I. Einleitung David gegen Goliath? Facetten einer Protestbewegung 7 Alter Wein in alten Schläuchen? PEGIDA und ihre Vorläufer 10 Die uneinheitliche Reaktion der »Politikerkaste« 11 Die AfD als »gallisches Dorf«? 13 Kritik und Analyse 15 Rösser und Reiter - Leithypothesen und methodische Überlegungen 16 II. Überblick über bürgerliche Protestbewegungen in Deutschland PEGIDA und lokale Ableger 19 HoGeSa 32 Die »pro«-Bewegung 40 Proteste gegen »Rot-Rot-Grün« 48 III. Die Protestbewegungen im politischen Kräftespektrum der 2010er Jahre Die Bewegungen und die Parteien 55 Proteste in den Konzeptionen der politischen Rechten 64 Bürgerproteste und Besitzbürgertum 77 IV. Exkurs: Der Blick ins Ausland Großbritannien 89 Frankreich 100 Italien 109 V. Fazit und Ausblick 116 VL Quellen und Literatur 121 Einleitung David gegen Goliath? Facetten einer Protestbewegung Seit geraumer Zeit macht in der Bundesrepublik Deutschland eine Be wegung von sich reden, die es alleine mit allen anderen politischen Akteuren aufnehmen will. Diesen Eindruck gewinnt zumindest, wer den Slogans der Protestler Glauben schenkt, deren Kundgebungen seit ihren Anfängen im Oktober 2014 bereits im Folgemonat 5.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erreichten und bis zur Jahreswen de auf fast 18.000 Demonstrierende alleine in der sächsischen Lan deshauptstadt Dresden an wuchsen. »Parteien, gute Nacht - Bürger an die Macht« schallt es in Richtung einer kaum nach inhaltlichen Richtungen differenzierten »Politikerkaste«. Auch die christlichen Re ligionsgemeinschaften werden nicht verschont und in diesem Sinne die Kirchen als »Helfershelfer des Asylmissbrauchs«, der als drän gendes gesellschaftliches Problem ausgemacht wurde, gebrandmarkt. Dementgegen wird »Heimatschutz statt Islamisierung« gefordert. Als Lösung wird ein »Modell der Zuwanderung nach [dem] Vorbild [...] Kanada[s], [der] Schweiz, Australien[s] oder Südafrika[s]« gepriesen. Wie ein Echo der bundesweiten Wahlkämpfe der »Alternative für Deutschland« (AfD) klingt »Schluss mit der Enteignung durch die 8 DER AUFSTAND DES ABENDLANDES EZB«. Und ein seit Längerem, spätestens seit dem Ausbruch der so genannten »Ukraine-Krise«, zu verzeichnendes Misstrauen gegenüber der veröffentlichten Meinung verdichtet sich als Vorwurf: »Lügen presse - Lügensystem - Skandal«. Fast scheint es, als sei das geflügelte Wort »Viel Feind, viel Ehr’« zum Leitspruch gewählt worden, schließ lich scheint hier kaum ein gesellschaftlicher Akteur ausgespart. Auch die Parole »Wir sind das Volk!« führen die Wortführer von PEGIDA, den selbsternannten Patriotischen Europäern gegen die Is- lamisierung des Abendlandes, von denen hier die Rede ist, im Mund - damit sind sie innerhalb eines Vierteljahrhunderts weder die erste, noch werden sie die letzte politische Formation sein, die diesen Aus spruch für sich reklamiert. Lutz Bachmann, Inhaber einer Foto- und PR-Agentur und PEGIDA-Frontmann, sieht in der von ihm gegrün deten Bewegung dennoch naturgemäß etwas Besonderes, konkret die Vollenderin der »deutschen Einheit«. In diesem Sinne verlautbarte er auf der PEGIDA-Manifestation am 24. November 2014 im Rahmen einer vom islamfeindlichen Intemetportal »Politically Incorrect« do kumentierten Rede: »So sind wir hier in Dresden, nach der friedlichen Revolution vor 25 Jahren, auf bestem Wege[,] eine weitere Mauer ein zureißen! Eine Mauer, die viel höher war als die Berliner Mauer der SED-Schergen - oder wie sie jetzt heißen, die Linke. Ich rede über die Mauer in den Köpfen der Deutschen in Ost und West. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich die tausenden Kommentare, PNs [Private Nach richten] und Mails an uns sehe, in denen nicht mehr über Ossi oder Wessi geredet wird, sondern über uns Deutsche. Der erste Schritt ist also getan, es wächst auch endlich in den Köpfen zusammen, was zu sammen gehört!« Mit ihrem Eigennamen hat die Gruppierung ihr vermeintliches Hauptanliegen Umrissen, das auch in der Losung »Gewaltfrei und vereint gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden« zum Vorschein kommt. Das PEGIDA-Logo ziert die piktographische Darstellung einer menschlichen Figur neben einem Müllbehälter. Das Zeichen ist die Variation einer bekannten antifaschistischen Symbolik, in der ein Hakenkreuz in eine Abfalltonne geworfen wird. Bei PEGIDA allerdings wird das historische Signet der Nazi-Bewegung ergänzt um I. EINLEITUNG 9 das moderne Wahrzeichen der Antifaschistischen Aktion, die Fahne des »Islamischen Staates« (IS) und das Symbol der in der Bundesre publik Deutschland seit 1993 verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die im Sinne des NATO-Partners Türkei von den USA und der EU als »terroristische Vereinigung« eingestuft wird. Die Hinter gründe dieser keineswegs neuen Gleichsetzung von Faschismus und Antifaschismus, laut der staatsoffiziellen Extremismusdoktrin als »Rechts-« beziehungsweise »Linksextremismus« bezeichnet, sowie insbesondere die Verbindung dieses »Antiextremismus« mit dem Verweis auf den Islamischen Staat und im gleichen Moment auf die PKK, die selbst oder in Gestalt ihrer Ableger in Irak und Syrien gegen die Banden des IS kämpft, wären einer Analyse zu unterzie hen. In einem am 1. Dezember 2014 im Online-Angebot der ^ ‘¿/veröf fentlichten Interview antwortete Lutz Bachmann allerdings nicht mit einem Hinweis auf die Verbrechen und Morde des dschihadistisch- salafistischen »Islamischen Staats«, sondern bemühte als Reaktion auf die Frage nach dem Ursprung der »Demo-Idee« abermals die PKK: »Nach einer Aktion von PKK-Anhängern auf der Prager Straße [in der Dresdener Innenstadt] wollten wir etwas tun. Dort wurden Waf fen für die verfassungsfeindliche und verbotene PKK gefordert - da bin ich dagegen. Also gründeten wir eine Facebook-Gruppe. Ich hätte nie gedacht, dass es so einschlägt.« Auch die Auseinandersetzungen im Oktober 2014 in Celle und Hamburg am Rande von Demonst rationen zugunsten der vom IS bedrohten syrischen Stadt Kobane wurden als Begründungen zur Formierung von PEGIDA herangezo gen. Als eine bürgerliche Massenbewegung im Zeitalter des Web 2.0 ist PEGIDA zwischenzeitlich der Export lokaler Ableger in andere Städte gelungen, die jedoch bei Weitem nicht die Ausmaße des »Ori ginals« annehmen konnten. Am 12. Januar 2015 kamen in Dresden schließlich 25.000 PEGIDA-Demonstrierende zusammen, womit - unter dem Eindruck des islamistisch-terroristischen Anschlags auf die Redaktion der Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo wenige Tage zuvor - alle bisherigen Rekorde der Gruppe in den Schatten gestellt wurden. 10 DER AUFSTAND DES ABENDLANDES Alter Wein in alten Schläuchen? PEGIDA und ihre Vorläufer Viel stärker als PEGIDA wucherten - zumindest dem Namen nach - die Aktivisten von HoGeSa mit den Schreckensnachrichten aus dem Nahen Osten. Die Hooligans gegen Salafisten, die vor allem in den Oktober- und Novembertagen 2014 von sich reden machten, unter scheiden sich von PEGIDA durch ein vollkommen anderes Auftreten. Die sich unter anderem aus rechten Hooligan-Gruppen speisenden HoGeSa-Aktivisten setzen auf Virilität, Aggression und Unruhe. Die dem oft bemühten Mittelstand zuzurechnenden PEGIDA-Menschen hingegen treten betont »bürgerlich« und in einem zwar »wütenden«, aber sozial akzeptierten Rahmen auf, was Anhänger von PEGIDA im Dezember des vergangenen Jahres nicht davon abgehalten hat, am Rande einer ihrer Kundgebungen einen Angriff auf jugendliche Mi granten zu wagen. Ob die kurz vor Weihnachten entdeckten Haken kreuzschmierereien auf der Baustelle einer Moschee im nordrhein westfälischen Dormagen sowie der einige Wochen vorher erfolgte Brandanschlag auf geplante Geflüchtetenunterkünfte im fränkischen Vorra in einem direkten Zusammenhang mit PEGIDA oder HoGeSa stehen, steht nicht zweifelsfrei fest. Fest steht jedoch, dass der Gipfel rassistischer Gewalt Anfang der 1990er in Deutschland als Höhepunkt und Ergebnis einer sogenannten »Asyldebatte« und als Schlussakt der 1982 noch in der alten Bundesrepublik von der schwarz-gelben Re gierungskoalition ausgerufenen »geistig-moralischen Wende« zu se hen ist. Hiermit soll nicht das Menetekel einer sich - in Form einer erneuten Tragödie - wiederholenden Geschichte beschworen werden. Die Tatsache, dass HoGeSa-Demonstranten ihre Gewaltbereitschaft im Rahmen der Großkundgebung am 26. Oktober 2014 in Köln tät lich unter Beweis stellten und sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten und Passanten überfielen, lässt allerdings auf wenig Positives hoffen. Köln war bereits in den frühen 2000er Jahren zur politischen Are na einer selbsternannten Bürgerbewegung von rechts geworden. Der 1996 als Verein gegründeten Bewegung »pro Köln« gelang 2004 bei