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Der Anthropos im Anthropozän. Die Wiederkehr des Menschen im Moment seiner vermeintlich endgültigen Verabschiedung PDF

248 Pages·2021·0.812 MB·German
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Der Anthropos im Anthropozän Die Wiederkehr des Menschen im Moment seiner vermeintlich endgültigen Verabschiedung Herausgegeben von Hannes Bajohr ISBN 978-3-11-066525-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-066855-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-066547-5 Library of Congress Control Number: 2020930903 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio- grafie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck Coverabbildung: Niels Kalk: Flow (2015) www.degruyter.com Inhalt Hannes Bajohr Keine Quallen: An thro po zän und Negative Anthropologie  1 Teil I: Philosophische Anthropologie im An thro po zän Joachim Fischer Der Anthropos des Anthropozän: Zur positiven und negativen Doppelfunktion der Philosophischen Anthropologie    19 Marc Rölli Anthropologie im An throp o zän?   41 Daniel Chernilo Die Frage nach dem Menschen in der An thro po zändebatte   55 Katharina Block Humandezentrierung im Ant hro po zän  77 Teil II: „Anthropos“, Mensch, Spezies Frederike Felcht Spezies Mensch: Theorien der Menschheit in Biopolitik und An thro po zän  97 Philip Hüpkes Der Anthropos als Skalenproblem  115 Sebastian Edinger Dialektik der Aufklärung im tellurischen Maßstab? Zur Bedeutung des Verhältnisses von tellurischer und planetarischer Politik für den Anthropozän- Diskurs   131 Mariaenrica Giannuzzi Anthropos und Mensch: Naturalismen der Nichtunterscheidung bei Tsing und Malabou   153 IV   Inhalt Teil III: Negative Anthropologien des Ant hrop o zän Christian Dries/Marie-Helen Hägele Die Stellung des Menschen im An thro po zän: Ein Brückenschlag zwischen Posthumanismus und Philosophischer Anthropologie   173 Arantzazu Saratxaga Arregi Immunitas im Zeitalter des Negan thro po zän: Die Kompensationslogik in der Weltoffenheit   191 Stefan Färber Dogmatische und rationale Analyse selbsterhaltender Vernunft   211 Dipesh Chakrabarty Die Zukunft der Geisteswissenschaften im Zeitalter des Menschen: Eine Notiz   233 Autoreninformationen   239 Index  241 Hannes Bajohr Keine Quallen Ant hro po zän und Negative Anthropologie Allen anderslautenden Verkündungen zum Trotz leben wir noch immer nicht im An thro po zän. Zwar liegt der International Commission on Stratigraphy seit August 2016 endlich die offizielle Empfehlung vor, in ihre erdgeschichtliche Peri­ odisierung eine neue geologische Epoche einzuführen, in der der Einfluss des Menschen im Erdstratum ablesbar geworden ist. Zuletzt hatte sich abgezeichnet, dass ihr Beginn wohl auf die jüngste Vergangenheit festgesetzt werden würde – etwa auf die great acceleration, die industrielle Beschleunigung der Nachkriegs­ zeit (Zalasiewicz et al. 2017) oder auf das Jahr 1945, genauer, auf den 16. Juli: Mit dem ersten Atombombentest in der Wüste New Mexicos wäre der Mensch, eine Spezies, die nur 0,01 Prozent irdischen Lebens ausmacht, zu einem geologischen Faktor geworden, dessen Existenz sich auch noch Jahrmillionen später chrono­ stratigrafisch identifizieren ließe (Waters et al. 2015). Bislang aber ist das Ant hro po zän noch kein formalisierter Bestandteil des geologischen Begriffsarsenals. Stattdessen, und zum Ärger vieler (Meyer 2018), führte die Kommission im Juli 2018 eine genauere Unterteilung des Holozäns ein, also jener gegenwärtigen Epoche, die das Ant hro po zän entweder ersetzen oder dem es nachfolgen sollte. Neben dem Grönlandium und dem Northgrippium gibt es auch der Zeit der letzten 4250 Jahre einen Namen: Herzlich Willkommen, Sie leben nun im Meghalayum (Leinfelder 2018)! Damit ist die Frage um die Einfüh­ rung des Anthropozän natürlich nicht ersetzt, sondern höchstens aufgescho­ ben. Bis wann, ist unklar, denn Geologen denken auch bürokratisch in anderen Zeiträumen: Es dauerte, vom Begriffsvorschlag gerechnet, nicht weniger als 102 Jahre, bis das Holozän formalisiert war. Diese Omnikompetenz des Begriffs verweist auf seine Vagheit. Gerade ihr verdankt er seine Popularität, vor allem der Unbestimmtheit seiner normati­ ven und epistemischen Konsequenzen. Denn das Ant hro po zän lässt durchaus gegensätzliche Anschlussmöglichkeiten zu. Es sprengt, wie Dipesh Chakrabarty bereits vor zehn Jahren gezeigt hat, die klassische Trennung der Temporalitäten Dieser Essay diente als Eröffnungsvortrag zur Tagung „Der Anthropos im An thro po zän“ am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin (24.–26.1.2019) und erschien unter diesem Titel in leicht veränderter Form zuerst in Merkur 73.5 (2019), 63–74 und auf Englisch als „Anthropocene and Negative Anthropology“ in Public Seminar, 29. Juli 2019, http://www. publicseminar.org/2019/07/anthropocene-and-negative-anthropology (16. Oktober 2019). https://doi.org/10.1515/9783110668551-001 2   Hannes Bajohr von res naturae und res humanae, von Natur­ und Menschheitsgeschichte – aber gibt damit nicht schon selbst zweifelsfrei ein neues Leitschema vor (Chakrabarty 2009). Das zeigt sich daran, dass aus dem Ant hro po zän sowohl posthumanis­ tische wie auch neohumanistische Konsequenzen gezogen worden sind. Der Kollaps der Mensch­Natur­Differenz kann so einerseits als Ermächtigung oder andererseits als weitere Dezentrierung des Menschen verstanden werden. Am Begriff des Anthropozän und des Anthropos in ihm vollzieht sich so ein Deu­ tungskampf um die diskursive Wiederkehr des Menschen. 1 Er nun wieder: Die Wiederkehr des Menschen im An thro po zän Dass ausgerecht die Rede vom Menschen wiederkehren sollte, hätte man sich lange nicht träumen lassen, steht sie doch quer zum weitgehend dominan­ ten Antihumanismus der letzten etwa vierzig Jahre. Schon der Name selbst ist ein Problemanzeiger, setzt schließlich ein Ant hro po zän konstitutiv einen Anthropos voraus und hypostasiert „den“ Menschen zum Akteur in planetari­ schem Maßstab. Die Rede vom Menschen mit bestimmtem Artikel hat gerade in den Kulturw issenschaften einen Ruch, und der Verweis auf den berühmten Schlusssatz in Michel Foucaults Ordnung der Dinge, dass der Mensch verschwin­ den werde „wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“, nimmt eine Stellung ein irgendwo zwischen unbefragter Seminarbinse und missverstandenem Schlacht­ ruf (Foucault 1974, 462). Auch wenn Foucault lediglich vom Menschen als epistemischer Zentralfigur der neuzeitlichen sciences humaines sprach (Gehring 2015), konnte sich das Bild des schwinden Menschenantlitzes mit anderen Richtungen zu so etwas wie einem antihumanistischen Konsens zusammenschließen (siehe zum Folgenden Rölli 2015): In Frankreich mit Louis Althussers Lesart der Marx’schen Lehre als einem „theoretischen Antihumanismus“ (Althusser 2011, 292), mit Jacques Lacans Ein­ spruch gegen Cogito­Philosophien mit einer Reduktion auf die Sprache (z.B. Lacan 2015), mit Jacques Derridas weitergeführter Humanismuskritik Heideggers (Derrida 1999), mit Gilles Deleuzes und Félix Guattaris Prozessdenken (Deleuze und Guattari 1992); in Deutschland fand sich eine Parallele in Adornos „Veto gegen jegliche“ Anthropologie (Adorno 1966, 128), in Friedrich Kittlers selbst so titulierter „berüchtigter Unmenschlichkeit“ des medientechnischen Apriori (Kittler 2002, 30) und in Niklas Luhmanns Ausbürgerung des Menschen aus dem System in dessen theoretisch unadressierbare Umwelt (Luhmann 2004, 31). In der Akademie jedenfalls blieb an Gegenpositionen nicht viel übrig. Selbst der in An throp o zän und negative Anthropologie   3 die Neurowissenschaften vernarrte analytische Naturalismus hat für gewöhnlich keinen starken Begriff des Menschen (aber: Kronfeldner 2018). Allein die Philoso­ phische Anthropologie, stets der Reaktion verdächtig, hielt zu „dem“ Menschen – auch wenn ihr zu später Popularität gelangter Protagonist Helmuth Plessner auf der Historizität und prinzipiellen „Unergründlichkeit“ seines Gegenstands beharrte (Plessner 1981, 175–85). All diese Strömungen, so unterschiedlich sie in Motivation und Durchfüh­ rung auch waren, richteten sich in ihrer Anthropologiekritik gegen einen Huma­ nismus, der, in der klassischen Definition Kate Sopers, „appeals (positively) to the notion of a core humanity or common essential features in terms of which human beings can be defined and understood“ (Soper, 1986, 11–12). Synthetisiert wurde diese Aversion gegen eine essentielle Kernhumanität seit Mitte der Neunzi­ gerjahre im Posthumanismus, der feministische, postkoloniale und prozessonto­ logische Argumente zusammenbringt. Hier wird, in Rosi Braidottis Worten, „der universale ‚Mensch‘ […] als männlicher weißer Stadtbewohner, Sprecher einer Standardsprache, heterosexuelles Glied einer Reproduktionseinheit und vollwer­ tiger Bürger eines anerkannten Gemeinwesens“ entlarvt (Braidotti 2014, 70) und – jedenfalls im „kritischen Posthumanismus“ (Loh 2018) – an seiner „Überwin­ dung“ gearbeitet. Angesichts dieses Konsenses ist es nicht erstaunlich, dass das Ant hro po zän als Begriffsschöpfung der Naturwissenschaft von außen in den geisteswissen­ schaftlichen Diskurs hineingetragen worden ist, vielleicht sogar werden musste (zur Begriffsgeschichte Horn und Bergthaller 2019). Wie sehr sie aller antihuma­ nistischen Skrupel ledig sind, erkennt man, sobald Naturwissenschaftler selbst zu Philosophen werden und normative und ethische Konsequenzen zu ziehen beginnen. Solche naturwissenschaftlichen An thro po zäntheorien haben oft ein geringes Problembewusstsein für anthropologische Annahmen, die dann, meist implizit und manchmal ausdrücklich, auch fröhlich gemacht werden. Im Großteil der Fälle laufen sie auf die eine oder andere Version eines prometheischen, eines homo faber­Menschenbilds hinaus. Ist das An thro po zän die Epoche, in der der Mensch selbst zur Naturgewalt wird, dann, so der Gedanke, realisiert er nur, was er ohnehin schon immer gewesen ist. Insofern hier eine Prometheus­Anthropologie zugrunde gelegt wird, ist diese Diagnose nicht zwangsläufig pessimistisch, denn die Möglichkeit der Selbstauslöschung muss nicht Schwäche, sondern kann weiteres Zeugnis menschlicher Macht sein, die sich positiv wenden lässt. Die praktische Konse­ quenz dieser Theorien ist das Modell des stewardship: Seine Machtfülle über­ antwortet dem Menschen die Vormundschaft für die gesamte Erde. So spricht Paul Crutzen, der zusammen mit Eugene Stoermer den Begriff des Anthropozän popularisierte (Crutzen und Stoermer 2000), von einem Age of Man, das positiv 4   Hannes Bajohr anzunehmen sei: „[W]e should shift our mission from crusade to management, so we can steer nature’s course symbiotically instead of enslaving the formerly natural world.“ Freilich ist das Steuern allem Anspruch auf tatsächliche Symbi­ ose entgegengesetzt, gemeint ist eher technische Gestaltungsmacht als Ausweg aus der Klimakatastrophe. Geoengineering wird hier zum Imperativ des Risiko­ managements. Und wenn Crutzen die Menschen definiert „as rebels against a superpower we call ‚Nature‘“, dann ist die Veränderung der Erde nur die techni­ sche Umsetzung dessen, was philosophisch bereits vorgedacht war (Crutzen und Schwägerl 2011). Zur Forderung ist das in der Strömung des Ecomodernism erhoben,1 die ein „gutes An thro po zän“ imaginiert und darin eine Chance für den Menschen sieht, die begonnene Erdumwandlung selbstbestimmt und zu seinem Vorteil fortzuset­ zen. Einer ihrer Vertreter, der Geologe Erle C. Ellis, spricht daher auch von einer „second Copernican Revolution“, die Mensch und Erde gewissermaßen erneut zum Zentrum des Universums werden lässt (Ellis 2018, 31). Dasselbe Bild ver­ wenden die Geografen Simon L. Lewis und Mark A. Maslin. Auch für sie ist das An thro po zän nicht weniger als die Umkehrung jener modernen Dezentrierung des Menschen, sie erkennen darin sowohl Pflicht als auch Zeichen der Freiheit des Menschen. Wo Kopernikus und Darwin (von Freud ist nicht die Rede) dem Menschen seines aus der Natur herausgehobenen Status beraubten, „Adopt­ ing the Anthropocene may reverse this trend by asserting that humans are not passive observers of Earth’s functioning. […] Yet, the power that humans wield is unlike any other force of nature, because it is reflexive and therefore can be used, withdrawn or modified.“ (Lewis und Maslin 2015, 178) In dieser Sichtweise ist, wie auch Bruno Latour in seinen Gaia­Vorlesun­ gen vermerkt, mit dem Ant hro po zän die Erzählung von der Selbstbehauptung des Menschen in der Moderne, die Hans Blumenberg in seiner Legitimität der Neuzeit entwickelt hat, zur naturwissenschaftlich messbaren Wirklichkeit gewor­ den (Latour 2017, 195). Hinzu kommt nun noch die Aufforderung, die Selbstbe­ hauptung nicht auf Kosten der Selbsterhaltung zu betreiben. Die Mittel für beide bleiben dem naturwissenschaftlichen Neohumanismus aber gleich: Der Anthro­ pos ist auch hier noch Prometheus. 1 Siehe die Website An Ecomodernist Manifesto (www.ecomodernism.org). Keine Quallen. An thro po zän und negative Anthropologie   5 2 We’re fucked: Neo- und posthumanistische Reaktionen Motiviert durch die naturwissenschaftliche Popularisierungsleistung und Schlag­ worte wie dem der „Menschenzeit“ (Manemann 2014, 11), müssen sich die Geistes­ wissenschaften zur diskursiven Wiederkehr des Menschen verhalten – ganz gleich, ob sie ihrem Charakter nach post­ oder neohumanistisch sind. Für die Neohumanisten, die nun ihre Zeit gekommen sehen, wird das Ant hro­ po zän zum finalen Beweis einer Sonderstellung des Menschen. Der eher philoso­ phisch als technokratisch inspirierte Neohumanismus kann dem Optimismus der Ecomodernists nichts abgewinnen. Eher setzt er auf die Meditation der Ausweg­ losigkeit als ethische Haltung. Roy Scranton bringt das auf die handliche Formel: „We’re fucked“ (Scranton 2015, 16). Sei eine Umkehr des Klimawandels nicht mehr möglich, gehe es nun darum, „im Ant hro po zän das Sterben zu lernen“. Aus dieser seit Sokrates, Cicero und Montaigne erzphilosophischen Aufgabe erwächst für ihn dann auch wieder die Wichtigkeit der Geisteswissenschaften, denn „we will need a way of thinking our collective existence. We need a vision of who ‚we‘ are. We need a new humanism“ (Scranton 2015, 19). Mit weniger Pathos plädiert auch der australische Philosoph Clive Hamilton für einen „new anthropocentrism“, der ‚uns‘ in die Verantwortung nimmt (Hamil­ ton 2017, 36). Statt auf technofixes zu setzen – in denen Hamilton eine hochmü­ tige Überschätzung der Fähigkeit sieht, das komplexe und chaotische Erdsystem zu manipulieren –, nimmt er eine kantische Wendung: Statt die Sonderstellung des Menschen zu setzen, um daraus Herrschaftsansprüche abzuleiten, sei nun die Sonderstellung faktisch erwiesen, woraus eine ethische Verantwortung für die Erde folge. Weil diese Verantwortung bisher ausgeschlagen wurde, sind wir für Hamilton schlicht noch nicht anthropozentrisch genug. Er interpretiert so das An thro po zän als Geschichtszeichen und konstruiert eine kontrafaktische Teleologie, die der Existenz der Menschheit einen Sinn gibt. Hamilton nennt das „a kind of negative of teleological anthropocentrism“ (Hamilton 2017, 54): Kraft seiner Zerstörungsmacht hat der Mensch nun die Bestimmung, die Erde, für die er verantwortlich ist, zu retten – aber eher durch Enthaltsamkeit und Konsumver­ zicht als durch künstliche Atmosphärenveränderung.2 Im Lager, das die Erbschaft des Antihumanismus verwaltet, hat der Begriff des Anthropozän dagegen eher gemischte Reaktionen gezeitigt, wie der Philo­ 2 Neu ist dieses kantisch inspirierte Argument freilich nicht, findet es sich doch an zentraler Stelle bereits bei Hans Jonas (1984). 6   Hannes Bajohr soph Timothy Morton vermerkt: „The term has arisen at a most inconvenient moment. Anthropocene might sound to post­humanists like an anthropocentric symptom of a sclerotic era.“ Mit dem anthropogenen Klimawandel aber erlange der Mensch doch unleugbare Evidenz, und mit dem steigenden Meeresspiegel deute sich Foucaults Bild vom Gesicht im Sand neu, ziele nun auf die drohende Vernichtung der Spezies: „the human returns at a far deeper geological level than mere sand.“ (Morton 2014, 258) Bei Morton sieht man gut, wie sich die Hinwendung zum Konzept des Anth­ ropozän mit einer Bewegung gegen Konstruktivismen und für Neue Realismen zusammenschließt: Das Ant hro po zän sei eine „unbequeme Wahrheit für Intel­ lektuelle, die davon überzeugt sind, dass jegliche Rede von Wirklichkeit bereits nach reaktionären Fantasien klingt“. Stattdessen vertritt Morton eine Rhetorik des Antiskeptizismus das im schlagenden Faktum der menschengemachten Atmosphärenveränderung gefunden wird: „The Sixth Mass Extinction Event, caused by humans – not jellyfish, not dolphins, not coral.“ (Morton 2014, 258) Auch die Kulturtheoretikerin Claire Colebrook, als Deleuze­Interpretin aller Parteinahme für eine Kernhumanität unverdächtig, folgt dieser Logik einer unbe­ streitbaren Evidenz des Menschen in seiner Zerstörungsmacht. „First, the notion that there is no such thing as the human (either by way of our difference from animals or because of intrahuman differences in culture and history) must give way to a sense of the human as defined by destructive impact. […] One effect of the Anthropocene has been a new form of difference: it now makes sense to talk of humans as such, both because of the damage ‚we‘ cause and because of the myopia that allowed us to think of the world as so much matter or ‚standing reserve.‘“ (Colebrook 2017, 6–7) Und in diesem Sinne gesteht selbst Rosi Brai­ dotti zu, dass das Ant hro po zän eine „negative Form kosmopolitischer Verbun­ denheit […] durch ein panhumanes Band der Vulnerabilität“ darstellt (Braidotti 2014, 68).3 Für Colebrook, Braidotti und Morton folgt daraus aber nicht die Notwendig­ keit eines neuen Anthropozentrismus, auch wenn sie den Begriff des Menschen wieder ernst zu nehmen bestrebt sind. Das wird vor allem bei Morton deutlich, der rhetorisch raffiniert für die Neudefinition von Menschheit selbst plädiert: Mag der Mensch auch für den Klimawandel verantwortlich sein – es müsse nun darum gehen, die Idee von Solidarität, die sich im Begriff der „Menschheit“ ver­ stecke, auch auf nichtmenschliche Spezies und die Erde selbst auszuweiten. Das jedenfalls ist die Pointe von Mortons Buch, das provokativ Humankind betitelt ist 3 Natürlich will Braidotti darüber hinaus und argumentiert, Morton nicht unähnlich, für „many recompositions of the human and new ways of becoming­world together.“ (Braidotti 2017, 41)

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