Friederike Pannewick • Der andere Blick ISLAMKUNDLICHE UNTERSUCHUNGEN • BAND 172 begründet von Klaus Schwarz herausgegeben von Gerd Winkelhane KLAUS SCHWARZ VERLAG • BERLIN ISLAMKUNDLICHE UNTERSUCHUNGEN • BAND 172 Friederike Pannewick Der andere Blick. Eine syrische Stimme zur Palästinafrage Übersetzung und Analyse des Dramas „Die Vergewaltigung" von Sacdalläh Wannüs in seinem interkulturellen Kontext K KLAUS SCHWARZ VERLAG • BERLIN • 1993 S Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnähme Pannewick, Friederike: Der andere Blick : eine syrische Stimme zur Palästinafrage ; Übersetzung und Analyse des Dramas "Die Vergewaltigung" von Sa'dalläh Wannüs in seinem interkulturellen Kontext / Friederike Pannewick. - Berlin : Schwarz, 1993 (Islamkundliche Untersuchungen ; 172) Zugl.: Berlin, Freie Univ., Magisterarbeit ISBN 3-87997-218-4 NE: Wannüs, Sa'dalläh: Die Vergewaltigung; GT Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Werk oder einzelne Teile daraus nachzudrucken oder zu vervielfältigen. © Gerd Winkelhane, Berlin 1993. Klaus Schwarz Verlag GmbH, Bergstraße 2, D-12169 Berlin ISBN 3-87997-218-4 Druck: Offsetdruckerei Gerhard Weinert GmbH, D-12099 Berlin Inhaltsverzeichnis Teil I Präsentation des Dramas "Die Vergewaltigung" in textexterner und textinterner Deutung EINLEITUNG L TEXTEXTERNE DEUTUNG 8 I. ZUM AUTOR 8 I. Kurzbiographie 8 II. DIE THEATERTHEORIE VON WANNÜS IN DEN 70ER JAHREN 10 1. Die Theaterkrise der 70er Jahre 10 2. Wannüs und Brecht 11 3. Authentizität stilistischer Formen 12 4. Folklore und Authentizität 12 5. Das politisierende Theater 14 6. Theater und sein Publikum 15 III. DIE WERKE DER SPÄTEN 60ER UND DER 70ER JAHRE 17 1. Abendgala für den 5.Juni 17 2. Der Elefant, oh König der Zeiten 19 3. Die Abenteuer des Kopfes des Mamluken Gäbir 22 4. Eine Soiree mit Abü HaEL al-Qabbäni 24 5. König ist König 27 IV. ANSÄTZE EINER NEUEN THEATERTHEORIE IN DEN 90ER JAHREN 29 1. Äußere und innere Zensur 29 2. Bekannte Geschichten in neuer Bearbeitung 30 3. Die Freiheit des Regisseurs 31 4. Das historische Bewußtsein 31 DRAMENANALYSE : TEXTINTERNE DEUTUNG V. SEGMENTIERUNG DES TEXTES 35 1. Bewegungstendenzen zwischen den Segmentebenen 37 2. Bewegungen von der palästinensischen Seite aus 38 3. Die Bewegung innerhalb von Ort und Zeit 40 4. Die Bewegungen von der israelischen Seite aus 41 5. Bewegungsmotivation I: Der Sprechakt 43 6. Bewegungsmotivation II: Gewaltsame Inkenntnissetzung 44 7. Tödliche Bewegungen: Das Treffen der Hauptprotagonisten 47 VI. DIE SEMIO-NARRATIVE EBENE (HANDLUNGSEBENE) 49 1. Darstellung der Handlungsrollen 50 2. Organisation der Handlungsrollen 59 3. Die Metaebene des Handlungsgeschehens: der Chor 61 VII. NARRATIVE STRATEGIE. FUNKTIONEN DRAMATISCHER DISKURSFORMEN 66 1. Expressive Funktion 68 2. Referentielle Funktion 71 3. Metasprachliche Funktion 71 3.1 Sonderform einer expressiven Funkion auf metasprachlicher Ebene 71 3.2 Rein metasprachliche Funktion 73 3.3 Metasprachlich markierte Rede 75 VIII. INTERKULTURELLE VERSCHRÄNKUNGEN DES DRAMAS 79 1. Die Darstellung der Juden in der arabischen Literatur seit 1948 79 1.1 Kollektive Darstellung und typologisierte Attribute 82 1.2 Das Böse schlechthin 82 1.3 Die hemmungslose Tötungswut 84 1.4 Folter und Vergewaltigung 84 2. Die Israelis im Drama "al-Igtisab" im Kontext der zeit- genössischen arabischen Literatur 88 3. Die Rezeption der Figur des Dr.Menachim bei den arabischen Kritikern 93 3.1 Der Antizionist in Furcht vor den Zionisten bleibt doch ein Zionist 94 3.2 Nervenkrank und moralisch schuldlos? 96 3.3 Friedensangebote sind Zeichen von Schwäche 98 4. Kritische Stimmen von Juden in Israel: ein realer Hintergrund des Dramas? 102 Schlußwort 115 Literaturverzeichnis 118 Teil II Übersetzung des Dramas "al-Igtisab", .... 126 "Die Vergewaltigung" von Sacdalläh Wannüs Hamlet Du sollst töten sagte der Vater Du bist schon tot sagte der Sohn George Tabori 1 Einleitung Siehe, da war es still bei Freunden und Feinden. Nur die Mütter weinten hüben - und drüben. Und ich habe ein ganzes Theaterstück gebraucht, um das zu sagen. B. Brecht Das letzte Stück des syrischen Dramatikers Sa'dalläh Wannüs al-Igtisäb, "Die Vergewaltigung", welches im Juni 1990 bei Dar al-Adäb erschien und im Dezember 1990 in Damaskus von der Firqa Filastlntya unter der Regie von Gawwäd al-Asadl uraufgeführt wurde, nahm man in der arabischen Theaterkritik mit einiger Aufregung zur Kenntnis. Die stellenweise sehr heftige und emotionsgeladenen Diskussion um dieses Stück, das den Palästinakonflikt auf provozierend neue Weise zu thematisieren versucht, konnte ich selbst ein wenig miterleben, da ich im Jahr seiner Uraufführung Gasthörerin am Damaszener Ma'had al-Funün al-Masrahtya war, wo auch Wannüs als Dozent lehrte. An dieser Theaterakademie, in der sowohl Schauspieler als auch Theaterwissenschaftler, Regisseure oder Theaterkritiker ausgebildet werden, wurde dieses neue Drama von Wannüs häufig zum Thema lebhafter Diskussionen. Besondere Bedeutung wird ihm allgemein auch deshalb zugemessen, weil der Autor sich seit nahezu zehn Jahren nicht mehr mit einem größeren literarischen Werk zu Wort gemeldet hatte. In den späten 60er und den 70er Jahren hatte Wannüs fünf Dramen von entscheidender Bedeutung für das nahöstliche Theater geschrieben und dazu auch ausführliche theatertheoretische Abhandlungen verfaßt, die 1970 unter dem Titel Bayänät ti-masrah "arabl gadid veröffentlicht wurden. 2 Nach dieser langen Schaffenspause (1976-1990), die nur durch kleinere Artikel in Zeitungen und Zeitschriften unterbrochen wurde, lieferte der Autor in den beiden letzten Jahren (1990-1992) wieder ein literarisches Werk, al-Igtisäb, und eine dazugehörige theatertheoretische Erörterung in Form eines ausführlichen Vorworts zu jenem Drama sowie in Interviews und Zeitschriftenartikeln dazu. Man sprach deswegen mancherorts von einer neuen Schaffensphase des S. Wannös. Jene Schaffenspause von 1976-1990 läßt sich allerdings durch einen Mitte 1992 erschienenen Sammelband theatertheoretischer Schriften von Wannüs einigermaßen erschließen. Diese Sammlung unter dem Titel Hawämis taqäfiya (Kulturelle Mariginalien) enthält Artikel aus der Zeit von 1966-1986, welche in den einschlägigen Literaturzeitschriften und Tageszeitungen erschienen waren. Als Gesamteindruck vermitteln sie seine intensive Beschäftigung mit der sozio- kulturellen Gegenwart seines Landes und mit dem Stellenwert der europäischen resp. französischen Kultur für die arabische. In seinem Vorwort zu diesem Band bemerkt Faysal Darräg, der Chefredarkteur des PFLP-Organs al-Hadaf, zu Recht, daß es einen bedeutenden Anfangsschritt in der momentanen sozio-kulturellen Krise der arabischen Gesellschaft darstellt, wenn ein Autor die "Wunde" der Hazima , der nationalen Niederlage gegen Israel, direkt anspricht, um durch ein Eingeständnis dieser Niederlage zu neuen Anfängen zu gelangen. Diese Tendenz, die sozio-kulturelle Gegenwart als ein Künstler zu überdenken, der für sich einen klaren, ja fast aufklärerischen Auftrag in der Gesellschaft sieht, herrschte auch schon in den früheren Stücken von Wannüs und in seiner Theaterschrift Bayänät ti-masrah *arabl gadid von 1970 vor. Anhand des inneren Aufbaus jenes 1992 erschienenen Sammelbands theoretischer Schriften läßt sich eine bedeutsame Entwicklung der gesellschaftskritischen Tendenz des Autors feststellen. Während die Aufsätze der späten 60er Jahre bis zum Ende der 70er Jahre noch voll eines kämpferischen Optimismus sind, und somit auch mit dem Titel Hämis al-mutäqafa n-naqdiya (Marginalie der kritischen Fechtkunst) versehen wurden, stellt sich der Autor im zweiten Kapitel dieses Buches bereits Fragen nach der praktischen Realisierbarkeit gesellschaftspolitischer Theorien und künstlerischer Konzepte in einer von Parteizentralismus und Zensur geprägten Gesellschaft (Hämis at-taqäfa wa-l- mumärasa).