Werner Schneider Stephanie Stadelbacher Hrsg. Der Altersübergang als Neuarrangement von Arbeit und Leben Kooperative Dienstleistungen für das Alter(n) in Vielfalt Der Altersübergang als Neuarrangement von Arbeit und Leben Werner Schneider Stephanie Stadelbacher (Hrsg.) Der Altersübergang als Neuarrangement von Arbeit und Leben Kooperative Dienstleistungen für das Alter(n) in Vielfalt Herausgeber Werner Schneider Stephanie Stadelbacher Institut für Sozialwissenschaften Institut für Sozialwissenschaften Universität Augsburg Universität Augsburg Augsburg, Bayern, Deutschland Augsburg, Bayern, Deutschland ISBN 978-3-658-21973-4 ISBN 978-3-658-21974-1 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-21974-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio- grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. 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Verantwortlich im Verlag: Katrin Emmerich Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Inhaltsverzeichnis Der Altersübergang als gesellschaftliches Problem und als Gestaltungsaufgabe – Einführende Überlegungen zu einer risikoreichen Lebensphase ................................. 1 Werner Schneider und Stephanie Stadelbacher Altersübergang und Ruhestand – aktuelle Konzepte, Kontroversen und Debatten ..................................... 15 Ernst Kistler und Constantin Wiegel Lebenslagen, Altersbilder und Inanspruchnahme von Dienstleistungen für den Altersübergang .......................... 33 Markus Holler, Daniela Schneider und Constantin Wiegel Lebensführung im Altersübergang – Kontinuität und Wandel .................................................. 55 Wolfgang Dunkel, Natalie Gehringer und Moritz Hillebrecht Alter(n)sgrechte Arbeitsbedingungen und Lebenslagen – Fiktionen und Fakten .......................................... 89 Ernst Kistler, Markus Holler und Daniela Schneider Dienstleistungen für Prävention im Altersübergang – die Idee kooperativer Dienstleistungsnetzwerke .................... 115 Norbert Huchler, Margit Weihrich, Stephanie Porschen-Hueck, Anna Monz, Sonja Schamann, Fritz Böhle, Eckhard Heidling und Christian Franke V VI Inhaltsverzeichnis Kunden gehen nicht in Rente – Bemerkungen zu einer besonderen Art von Arbeit ...................................... 151 Margit Weihrich Gesundheitsbezogene IT-Nutzung im Altersübergang – Ursachen und Auswirkungen individueller Differenzen .............. 177 Robert Rockmann, Heiko Gewald und Philipp Brune Komplexität nachhaltig gestalten – Geschäftsmodelle für Dienstleistungsnetzwerke im Altersübergang ................... 199 Stephanie Manges, Thomas Schmid, Jessica Striebel und Tanja Wiedemann Der Altersübergang als gesellschaftliches Problem und als Gestaltungsaufgabe – Einführende Überlegungen zu einer risikoreichen Lebensphase Werner Schneider und Stephanie Stadelbacher Das Alter(n) heute hat viele ‚Gesichter‘: gesund oder krank, jugendlich oder f altig, aktiv oder geruhsam, zufrieden oder traurig – zwischen den jeweiligen Polen finden sich zahlreiche Mischformen von Zuständen, Gemütslagen und Lebens- situationen, die es nicht mehr zulassen, von ‚den Alten‘ zu sprechen (Backes et al. 2004, S. 7). Die Adressierung einer mehr oder weniger homogenen Gruppe von Menschen in einer gemeinsamen Altersspanne rechtfertigt sich allenfalls noch durch demografische (bevölkerungsstatistische) oder biologische Bezüge, wobei sich auch bei letzteren nur grobe Verallgemeinerungen über eine Altersgruppe vor- nehmen lassen (vgl. die Hinweise zu sozialstrukturellen Bedingungsfaktoren für Morbidität und Mortalität weiter unten im Text). Spätestens wenn man Alter als soziokulturelle Kategorie versteht, die sich unter gesellschaftlichen Einflüssen wandelt, muss man Alter(n) differenzierter betrachten. Aus soziologischer Perspektive sind Alter und Alt-Sein als eine gesellschaft- liche Konstruktion, d. h. als ein Produkt von kulturellen Zuschreibungen, sozialstrukturellen Begrenzungs- bzw. Ermöglichungsräumen und sozialen Interaktionen zu fassen. Das Orientierungswissen darüber, was im Alter (noch) W. Schneider (*) · S. Stadelbacher Institut für Sozialwissenschaften, Universität Augsburg, Augsburg, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Stadelbacher E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 1 W. Schneider und S. Stadelbacher (Hrsg.), Der Altersübergang als Neuarrangement von Arbeit und Leben, https://doi.org/10.1007/978-3-658-21974-1_1 2 W. Schneider und S. Stadelbacher möglich oder (schon) unmöglich (bzw. umgekehrt), erlaubt oder verboten, nor- mal oder anormal und gut oder schlecht ist, ist somit ein Effekt von Prozessen des Zuerkennens und Gestattens bzw. des Aberkennens und Verwehrens (so wer- den bspw. immer wieder der Führerscheinentzug ab einem gewissen Alter oder das Ausleben mittlerweile zuerkannter sexueller Bedürfnisse im Alter diskutiert). Diese Prozesse sind geleitet durch Altersdiskurse, die gesellschaftlich gülti- ges Wissen über das Alter(n) bereitstellen und damit soziokulturelle Grundlage für die Ausgestaltung von Alter(n) bilden (Denninger et al. 2014). Darüber hin- aus spielen auch strukturelle Notwendigkeiten eine Rolle, für die Altersdiskurse geöffnet werden bzw. die verschiedene Altersdiskurse speisen. Während ‚Lebens- langes Lernen‘, ‚Rente mit 67‘ und der Idealtypus des ‚Alterskraftunternehmers‘ (van Dyk und Lessenich 2009) das produktive Bild des ‚jungen Alters‘ markieren, wird das ‚alte Alter‘ durch den ‚Überalterungsdiskurs‘, die ‚Kostenfalle Alter‘ und den ‚Pflegenotstand‘ als gesellschaftliches Problem gekennzeichnet. Diese Diskreditierung und Stigmatisierung des ‚alten Alters‘ nimmt in dem Maße zu, wie die positive Bewertung des ‚jungen Alters‘ sich als hegemoniales Deutungs- muster legitimen Alter(n)s durchsetzt (Schneider 2018). Politische, ökonomische und kulturelle Deutungsmuster und Handlungsräume stellen somit die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zur Verfügung, inner- halb derer sich Älterwerden und Alt-Sein als Pflicht, Last oder Chance realisie- ren lassen. Mit Blick auf die sozialstrukturellen Lebenslagen der Älteren selbst kommen dann noch die jeweils verfügbaren Ressourcen und Kapitalien – finan- zielle, soziale und kulturelle (Bourdieu 1983) – sowie die wahrgenommenen Lebenschancen und -risiken des Einzelnen hinzu, die relevant dafür sind, welche Möglichkeiten man für sich erkennt und welchen Zwängen man sich noch oder gerade erst im Alter ausgesetzt sieht. Die damit angesprochene subjektive Auseinandersetzung mit den sozio- kulturellen Rahmenbedingungen des Alter(n)s sowie die interaktive Aus- gestaltung dessen, was alt alltagspraktisch für wen in welcher Situation konkret bedeutet, sind neben den objektiven Merkmalen konstitutiv für die Wahrnehmung von Alter(n) in unserer Gesellschaft. Ob sich ein Mensch als alt definiert und wel- che Konsequenzen er daraus für seine Lebensführung, Lebensplanung und sein Selbstbild zieht, hängt auch von seinem subjektiven In-Bezug-Setzen zu den gesellschaftlichen Deutungs- und Handlungsangeboten und von den ihm zur Ver- fügung gestellten Handlungs- und Möglichkeitsräumen ab. Der Altersübergang als gesellschaftliches … 3 Zur Systematisierung einer so verstandenen gesellschaftlichen Konstruktion des Alter(n)s lässt sich die folgende Dimensionierung in Anlehnung an Amrhein (2008) heranziehen, die die Herstellung von Alter(n) wie folgt analytisch unterscheidet: 1. als kulturelle Konstruktion (informelle Altersnormen und -rollen, symbolische Alter(n)sordnungen, Alter(n)sdiskurse und -bilder, kulturelle Leitbilder), 2. als institutionell-organisatorische Konstruktion (rechtliche Altersgrenzen, Alterssicherungssysteme, Lebenslaufpolitik u. a.), 3. als interaktionale Konstruktion (‚doing age‘ in sozialen Situationen, kommunikativ-interaktive Aushandlung von Alterszuschreibungen) und 4. als subjektive Konstruktion (biografisch-narrative Alterskonstruktionen, sub- jektive Alter(n)sidentitäten, individuelle Altersbilder). Kurzum: Alt wird oder ist man nicht einfach so, sondern Menschen werden immer in einem gesellschaftlichen Kontext ‚alt gemacht‘, der bestimmt, was Alt-Werden und Alt-Sein heißt und wer jeweils damit wie adressiert wird und sich mit den entsprechenden Zuschreibungen auseinandersetzen muss. Dieser gesellschaftliche Prozess des ‚Alt-Machens‘ ist einem steten Wandel unterworfen. Ein kurzer historischer Blick zeigt, dass das Alter als eigenständige Lebens- phase eine recht junge Erfindung ist. Im Zuge umfassender Modernisierungs- prozesse im Rahmen der Entwicklung und Durchsetzung der modernen Industriegesellschaft steigen die Lebenserwartung und der Lebensstandard der Menschen. Aufgrund verbesserter Hygiene-, Versorgungs- und Arbeits- bedingungen sowie einem Mehr an Bildung werden die Menschen älter bzw. genauer: werden immer mehr Menschen immer sicherer alt.1 Mittlerweile w erden 1Ende des 19. Jahrhunderts betrug die durchschnittliche Lebenserwartung bei Männern 35 Jahre, bei Frauen 38 Jahre. Die Lebenserwartung nahm vor dem Ersten Weltkrieg auf 45 bzw. 48 Jahre zu „und ist bis zum Zweiten Weltkrieg auf etwa 60 bzw. 63 Jahre gestiegen. Am Ende der Nachkriegszeit, im Jahr 1973, konnten Eltern eines Neugeborenen schon damit rechnen, dass ihr Junge 68 bzw. ihr Mädchen 74 Jahre alt werden würde“ (Hradil 2012). Im Jahr 2015 lag die durchschnittliche Lebenserwartung eines Neugeborenen bei 78 Jahren (Junge) bzw. 83 Jahren (Mädchen). Heute 80-Jährige haben eine fernere Lebenserwartung von weiteren 7,8 (Männer) bzw. 9,3 (Frauen) Jahren (vgl. https://www. destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Sterbefaelle/Tabellen/ LebenserwartungDeutschland.html; sowie Pelizäus-Hoffmeister 2011). Jenseits dieser statistischen Beschreibungen bedeutet dieser Zuwachs an Lebensjahren für den Einzel- nen, dass sein Alt-Werden für ihn selbst – und für die Gesellschaft, in der er lebt – zur biographisch erwartbaren Wahrscheinlichkeit wird, die in die eigene Lebens- und Ver- sorgungsplanung – mit einbezogen werden muss. 4 W. Schneider und S. Stadelbacher die Abschnitte des Alter(n)s immer weiter ausdifferenziert, sodass einen heute 50-Jährigen möglicherweise noch mindestens vier verschiedene ‚Altersabschnitte‘ erwarten, für die bspw. Erwerbsarbeit tendenziell von absteigender Bedeutung ist.2 Der moderne Wohlfahrtsstaat begründet erst die Nacherwerbsphase als eigene – aus den vorher genannten Gründen relativ gesehen immer länger werdende – Lebensphase. Während die Lebenserwartung kontinuierlich steigt und der sog. ‚Lebensabend‘ damit immer mehr zum ‚Lebensnachmittag‘ wird, bröckeln die sozialen Alterssicherungssysteme, die in dieser Zeit eine finanzielle Versorgung sicherstellen sollen. Der sog. ‚Generationenvertrag‘ als Ergebnis einer histori- schen bevölkerungspolitischen Fehleinschätzung3 findet in der realen Geburtenent- wicklung keine Entsprechung mehr. In der Folge relativiert sich die die Bedeutung von Erwerbstätigkeit als Grenze zwischen Erwachsenenalter und Alter zusehends und Arbeiten im Alter wird für immer mehr Menschen zur schlichten Notwendig- keit, aber auch zur normativen Option der weiteren Lebensgestaltung im Alter. In beiden Fällen gilt: Der Abschied von der modernen Normalbiografie, einer stan- dardisierten Abfolge von Schule-Ausbildung-Beruf-Rente4, hin zu einer Flexibi- lisierung und De-Standardisierung dieser Phasenabfolge durch häufigere Wechsel zwischen Ausbildung, Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit/Nichterwerbstätig- keit sowie Wieder- oder Neueinstieg in den Beruf setzt sich bis ins Alter fort – eben bspw. in Form von (sozialversicherungspflichtiger, geringfügiger oder 2Gängige Unterscheidungen der verschiedenen Altersphasen heute sind z. B. die Unter- teilung in Kindergartenalter, Grundschulalter, Jugendalter, Frühes Erwachsenenalter/ Postadoleszenz (20–30 Jahre), Mittleres Erwachsenenalter (30–50/65 Jahre), Hohes Erwachsenenalter (ab 50/65), ‚Junge‘ Alte (55–65 Jahre), ‚Alte‘ Alte (ab 75 Jahre), Drittes Alter (bis Mitte 80) und Viertes Alter (ab Mitte 80). 3Adenauer wird nachgesagt, dieses System der im Umlageverfahren finanzierten dynami- schen Rente mit der Aussage „Kinder bekommen die Leute immer“ begründet zu haben. 4Etwas differenzierter umfasst die Normalbiographie in der zweiten Hälfte des 20. J ahrhunderts Kindergarten und Vorschule, die Grundschule und eine weiterführende Schule bis zum Hauptschulabschluss, zur Mittleren Reife oder zum Abitur. Darauf folgt (für den Mann) eine qualifizierte Berufsausbildung oder ein Hochschulstudium. Die daran anschließende Berufslaufbahn als sogenanntes Normalarbeitsverhältnis ist gekennzeichnet durch Vollbeschäftigung, unbefristete Arbeitsverträge, berufliche Aufstiege und mit dem Alter steigende Realeinkommen. Mit der Pensionierung wird das Ende der aktiven Erwerbs- phase eingeläutet. Die Ruhestandsphase ist durch den Wegfall von (Erwerbs-)Arbeit geprägt und umfasst die letzten Lebensjahre; die Frau hingegen führt – diesem normativen Pro- gramm einer weiblichen Normalbiographie zufolge – nach ihrer Heirat eine Existenz als Hausfrau, Ehefrau und Mutter (vgl. zum Lebenslauf und dessen Wandel z. B. Kohli 2003).
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