Shirin Packham Der aktuelle Kriegsfilm im historischen und medialen Kontext Der aktuelle Kriegsfilm im historischen und medialen Kontext Shirin Packham Der aktuelle Kriegsfilm im historischen und medialen Kontext Shirin Packham St-Columb Major, Großbritannien Diese Dissertation wurde von der Philosophisch-sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg im Wintersemester 2016 angenommen. Unterstützung erhielt die Filmrecherche durch das Medienzentrum Watershed in Bristol, Großbritannien. ISBN 978-3-658-24177-3 ISBN 978-3-658-24178-0 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-24178-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. 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Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung .......................................................................................................................... 1 1.1 Zum Kriegsfilm ..................................................................................................... 8 1.2 Zum Antikriegsfilm ............................................................................................ 18 2 Retrospektive .................................................................................................................. 27 2.1 Der Erste Weltkrieg ............................................................................................ 28 2.1.1 Der Kriegsfilm in den Kriegsjahren ..................................................................... 30 2.1.2 Der Kriegsfilm in der Zwischenkriegszeit ........................................................... 45 2.1.3 Der Erste Weltkrieg in der Retrospektive ............................................................ 58 2.1.4 Zusammenfassung der Beobachtungen ................................................................ 73 2.2 Der Zweite Weltkrieg .......................................................................................... 75 2.2.1 Darstellung des Zweiten Weltkriegs in der NS-Propaganda und in Hollywood . 77 2.2.2 Der Spielfilm der Nachkriegszeit ......................................................................... 93 2.2.3 Der Zweite Weltkrieg in der Retrospektive ....................................................... 103 2.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse ..................................................................... 125 2.3 Der Vietnamkrieg .............................................................................................. 127 2.3.1 Mediale Repräsentationen des Vietnamkriegs während seines Stattfindens ..... 130 2.3.2 Der Vietnamkrieg im Spielfilm der Nachkriegsjahre ........................................ 142 2.3.3 Der Vietnamkrieg in der Retrospektive ............................................................. 161 2.3.4 Zusammenfassung der Beobachtungen .............................................................. 177 3 Aktuelle Kriegsfilme .................................................................................................... 181 3.1 Der Weg in den Irak – ein Prolog .................................................................... 185 3.2 Das aktuelle Umfeld .......................................................................................... 194 3.2.1 Berichterstattung ................................................................................................ 196 3.2.2 The YouTube War ............................................................................................. 213 3.2.3 Die Zwillingskriege im Dokumentationsfilm .................................................... 222 3.3 Spielfilm ............................................................................................................. 241 3.3.1 Chronologische Entwicklung des aktuellen Kriegsfilms ................................... 243 3.3.2 Filmanalysen ...................................................................................................... 286 4 Fazit ............................................................................................................................... 307 Literatur und Quellenangaben ........................................................................................... 311 Literatur ............................................................................................................................ 311 Online ................................................................................................................................ 340 Filmographie ........................................................................................................................ 351 1 Einleitung Das kommerzielle Kino hat jeden medienträchtigen Krieg des 20. Jahrhunderts mit festen for- mal-ästhetischen Standards und wiederkehrenden Plots, Motiven und Topoi besetzt. Von den desillusionierten jungen Männern des Great War, die im schwarzen Schlamm des Niemands- landes der Einfallslosigkeit militärischer Befehlshaber ausgeliefert waren, über die altruisti- schen Helden des Good War, deren Widerstand gegen die Nationalsozialisten wieder und wie- der im Kino inszeniert wird, bis hin zu den spektakulär-kreativen Darstellungen vollgedröhnter Dschungelkämpfer, die in der Grünen Hölle Vietnams vor allem sich selbst bekämpfen; der Kriegsfilm hat für jeden Krieg ein erfolgreiches Image ausgebildet, das im kulturellen Gedächt- nis dokumentarische Darstellungen überlappt. Doch der Einfluss, den die großen Kriege des 20. und 21. Jahrhunderts auf das Kriegsfilmgenre genommen haben, reicht weit über narrative Strukturen und visuelle Stereotypen hinaus. Fil- mische Kriegsdarstellungen entwickelten sich in einem wechselseitigen Spannungsverhältnis zur Film- und Fernsehindustrie und neuerdings dem Online-Markt.1 Sie beeinflussten und rea- gierten auf ein zunehmend medial versiertes Publikum und befanden sich als kommerzielle Kunstform in stetiger Abhängigkeit zu ihren Produzenten, Förderern und Abnehmern. Das Porträt eines Krieges wird keineswegs in den ersten Kriegsmonaten entwickelt und nach- folgend lediglich variiert; vielmehr erzählen die Bilder des gleichen Krieges widersprüchliche Geschichten, die zudem zu unterschiedlichen Zeitpunkten immer wieder neu verstanden und interpretiert werden. Während sich das kinematische Image eines Krieges traditionell vor allem im Kontext einer produktiven Vergangenheits-bearbeitung manifestiert - also zu einem Zeit- punkt, an dem vermeintlich vollständige Fakten retrospektive Sicherheit zu versprechen schei- nen -, zeigen die Kriegsjahre zumeist unterschiedliche und individuelle Trends in der Darstel- lung eines Konflikts. Mit größerem zeitlichen Abstand setzen sich für einen Krieg eine vielzi- tierte Reihe von Themen, Bewertungen und Geschichten durch, die als symbolische Zusam- menfassung komplexer Zusammenhänge dienen. 1 Digitale Medien haben neben der Veränderung der Filmlandschaft auch die Definition des Spielfilms heraus- gefordert. Im Unterschied zum Fernsehspiel wurden Kinolangfilme immer für ein Publikum produziert, das sich aktiv zum Besuch eines Films entscheidet. Das Kino hatte durch diesen Weg immer seine Finanzierung fest im Auge. Digitale Technologien, Veränderungen ökonomischer und politischer Strukturen sowie das Er- schließen neuer Absatzmärkte haben zu einer Diversifikation des Filmmarktes geführt. DVD und TV Starts, die Veröffentlichung auf Internetportalen und spezielle Angebote für mobile Datenträger sind bis dato relativ selten, stehen jedoch als Alternativen bereit und wurden von erfolgreichen Filmschaffenden auf dem internati- onalen Markt bereits genutzt. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Packham, Der aktuelle Kriegsfilm im historischen und medialen Kontext, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24178-0_1 2 1 Einleitung Die Kriegsgeschichten, die so entstehen, unterscheiden sich mitunter deutlich. Hollywood be- schrieb den Ersten Weltkrieg im Propganda-film THE KAISER, BEAST OF BERLIN (Rupert Julian, USA 1918) als notwendige Intervention, verdammte ihn in ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT (Lewis Milestone, USA 1930) als Verschwendung der Jugend und machte ihn in SERGEANT YORK (Howard Hawks, USA 1941) erneut zur maskulinen Bewährungs- probe. Medienethische und filmwissenschaftliche Diskussionen zum Kriegsfilm konzentrierten sich sowohl im deutsch- als auch im englischsprachigen Raum weitestgehend auf Kriegsfilme zum Ersten und Zweiten Weltkrieg und dem Vietnamkrieg (vgl. Chiari, Rogg, Schmidt 2003, Klein, Stiglegger, Traber 2006, Machura, Voigt 2005, Eberwein 2005, Chapman 2008).2 Der Korea- krieg,3 die Kriege des Balkankonflikts oder der Zweite Golfkrieg wurden im internationalen Kino deutlich weniger betrachtet. Statt eines Blicks auf die Ereignisse am Golf von 1990/91 stieß SAVING PRIVATE RYAN (Steven Spielberg, USA 1998) – ein Film, der seinem Pub- likum vor allem durch filmtechnische Errungenschaften Neuigkeiten über den Zeiten Welt- krieg zu eröffnen schien - eine zweite Welle von Kriegsfilmen über den Zweiten Weltkrieg, den so genannten Greatest Generation Zyklus (vgl. Westwell 2011, 2014), an. Der Kriegsfilm zeigt hier seine Fähigkeit, einen eigenen Rhythmus zu entwickeln, der von erfolgreichen Schlüsselproduktionen, den Bedürfnissen des Publikums und dem tagespolitischen Geschehen gleichermaßen bestimmt werden kann. Der Einsatz im Irak ist seit dem Vietnamkrieg der erste Krieg, der thematisches Kernstück, Hintergrund und Subtext zahlreicher internationaler Filmproduktionen bildet. Dies wirft einer- seits Fragen nach Merkmalen des Krieges auf, die ihn für das kommerzielle Kino interessant machen; andererseits stellt sich die Frage, ob externe Faktoren, wie z.B. die Vorbearbeitung von Themen innerhalb der Berichterstattung und im dokumentarischen Bereich oder neue di- gitale Möglichkeiten in Produktion und Distribution das Interesse des Kinos begünstigt haben. Spekulationen, welche übergreifende Position das kommerzielle Kino zu den Einsätzen in Af- ghanistan und im Irak einnehmen könnte, existieren seit Kriegsbeginn und führten mehrfach zu erregten Diskussionen. Dem Zyklus von kriegsfokussierten Filmen, der zwei Jahre nach Kriegsbeginn mit dem Film AMERICAN SOLDIERS: A DAY IN IRAQ (Sidney J. Furie, Kanada 2005) begann und im Rahmen der Betrachtungen der vorliegenden Arbeit mit dem 2015 veröffentlichten Film AMERICAN SNIPER (Clint Eastwood, USA 2014) endet, wurde über seinen zehnjährigen Verlauf vorgeworfen, Irakkriegsfilme seien Kassengift, Teil einer 2 Die Kriege des Balkankonflikts finden in den genannten Werken in Zusammenhang mit der Veränderung der internationalen Berichterstattung in Kriegssituationen Erwähnung. Filmische Auseinandersetzungen wie BE- HIND ENEMY LINES (John Moore, USA 2001) werden selten einer detaillierten Analyse unterzogen. 3 Der Koreakrieg, häufig als The Forgotten War bezeichnet, weißt eine Reihe interessanter filmischer Bearbei- tungen auf, z.B. M-A-S-H (Robert Altman, USA 1970), PORK CHOP HILL (Lewis Milestone, USA 1959) und THE STEEL HELMET (Samuel Fuller, USA 1951). Viele dieser Filme werden jedoch aufgrund ihrer Entstehungszeit und Darstellungsformen im Kontext des Vietnamkrieges oder des Zweiten Weltkrieges disku- tiert. 1 Einleitung 3 politischen Verschwörung oder kommerziell berechnende Enthaltungen. Einige Filme, wie REDACTED (Brian de Palma, USA 2007), wurden als Nestbeschmutzer betitelt und aggressiv sabotiert, andere, wie ZERO DARK THIRTY (Kathryn Bigelow, USA 2012), aufgrund von mangelnder Selbstkritik angeprangert. Das Kino war und ist Teil eines öffentlichen und aktu- ellen Diskurses über die Kriege im Irak und in Afghanistan und ihre politischen und sozialen Konsequenzen. Die Frage nach Gemeinsamkeiten dieses eine Dekade überspannenden Zyklus kann als grund- liegendes Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit bezeichnet werden.4 Doch soll dieser deskriptive Ansatz lediglich einen Ausgangspunkt bilden; nahtlos schließt sich die Frage an, wie diese aktuellen Darstellungen im Kontext der historischen Verarbeitung von Kriegen zu bewerten sind. Zitieren Filme über den Irak- und Afghanistankrieg inhaltliche und dramatur- gische Motive etablierter Kriegsfilme oder werden neue, spezifische Darstellungsformen ver- wendet? Ist es wirklich „Quiet on the Genre Front“5 oder gelang es dem Krieg gegen den Ter- ror,6 neue, spezifische Ausdrucksformen zu finden? Im Kern der Untersuchungen soll somit der Kriegsfilm stehen, eines der ältesten Genres der Filmgeschichte. Bereits mit dem Beginn von bewegten Bildern entstand das Interesse, Kriege für das zivile Publikum zu bebildern und propagandistische Arbeiten zu erstellen, die das Pub- likum von der Notwendigkeit eines militärischen Einsatzes überzeugten. 1889 entstand ein ein- einhalbminütiger Film, der Hände zeigt, die eine spanische Flagge von einem Mast abnahmen und durch eine US-amerikanische ersetzten. TEARING DOWN THE SPANISH FLAG (Stuart Blackton, Albert E. SMITH, USA 1889) wird als erster Kriegsfilm und als erster Propaganda- film der Geschichte bezeichnet. THE SINKING OF THE LUSITANIA (Winsor MacCay, USA 1918), der zu seiner Entstehungszeit längste animierte Film der Geschichte, stellte die Torpe- dierung und Versenkung des Passagierschiffes MS Lusitania 1915 nach, das den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg zur Folge hatte. Das Interesse an Kriegsbildern ist so alt wie das Kino selbst. Die Vorstellung darüber, was einen Kriegsfilm ausweist, scheint zunächst einfach und tatsäch- lich zeigt die Literatur der letzten Jahre sowohl im englischen als auch im deutschen Sprach- raum einheitliche Vorstellungen darüber, wie das Genre von Heimkehrerfilmen, Kriegsdramen und anderen Subgenres abzugrenzen ist. Der Kriegsfilm ist auf Darstellungen realhistorischer 4 Eine Pionierstudie zur Betrachtung des Irakkriegs im Spielfilm legte 2011 Martin Barker mit A Toxic Genre vor. Barker betrachtete für den Zeitraum 2004 bis 2008 23 Filme, die sich inhaltlich mehr oder weniger deutlich mit dem Krieg im Irak auseinandersetzten. Darauf aufbauend stellt Barker thematische Gemeinsamkeiten vor und diskutiert den Kontext des kommerziellen Erfolgs ausgewählter Filme. 5 Das Wortspiel „All Quiet on the Genre Front“ spielt auf den frühen Kriegsfilm ALL QUIET ON THE WES- TERN FRONT (Lewis Milestone, USA 1930) an. Heller, Steinle und Röwekamp betitelte ihre 2006 erschiene Aufsatzreihe mit der Frage, ob es von der Genre-Front neues zu berichten gäbe. 6 Der von der Bush Administration eingeführte Term global war on terror wurde zu Beginn der Präsidentschaft Obamas mit dem Begriff overseas contingency operations ersetzt (vgl. Burkeman 2009). 4 1 Einleitung Kriege des 20. und 21. Jahrhunderts begrenzt und verlangt darüber hinaus eine Auseinander- setzung mit der Schlacht, so der internationale Konsens. Weiter hat sich im englischen Sprach- raum der im Kontext von Untersuchungen des Zweiten Weltkriegs von Mike Hammond (2002) und Janine Basinger (2003) geprägte Begriff combat film verankert. Nach diesem Ansatz steht die Fronterfahrung im Mittelpunkt des Kriegsfilms. „’War‘ is a setting, and it is an issue. If you fight it, you have a combat film; if you sit home and worry about it, you have a family or domestic film; if you sit in board rooms and plan it, you have historical biography or a political film (...).“ (Basinger 2003: 9) Eine Betrachtung der Filme zu den großen Kriegen des 20. und 21. Jahrhunderts zeigt jedoch, wie unmöglich es ist, das Genre Kriegsfilm ohne seine zahlreichen Mischformen, Hybride und Grenzgänger zu untersuchen. Vor allem zur Zeit des Ersten Weltkriegs, als sich Genres noch nicht ausgebildet hatten, zeigten Filmemacher, wie Abel Gance, Rex Ingram oder Jean Renoir eindringliche Bearbeitungen des Krieges, die sich keiner narrativen Genrestruktur anpassen. J'ACCUSE! (Abel Gance, Frankreich 1918), LA GRANDE ILLUSION (Jean Renoir, Frank- reich 1937) und THE FOUR HORSEMEN OF THE APOCALYPSE (Rex Ingram, USA 1921) nahmen Einfluss auf die Dramaturgie des Kinofilms, die Ikonographie des Ersten Weltkriegs und auf gesellschaftlichen Vorstellungen über den Krieg. Diese Werke aufgrund einer fehlen- den Genre-Reinheit auszuschließen, hieße, einige der wichtigsten filmischen Umsetzungen des Ersten Weltkriegs zu ignorieren. Der Kriegsfilm fand seinen Ursprung in der vermeintlich neutralen Berichterstattung. Doch verstand sich die Kriegsdokumentation von Beginn an als allwissender Aufklärer, so dass selbst die bekanntesten Vertreter, wie THE BATTLE OF THE SOMME (Geoffrey H. Malins, Charles Urban, UK 1916,) nur begrenzt als Dokumentationsfilm bezeichnet werden können. Inszenatorische Maßnahmen wie Nachstellungen, Erläuterungen und die intensive Auseinan- dersetzung mit Teilaspekten eines Krieges verwischten die Grenze von Abbildung und Insze- nierung. Dieses Phänomen kann noch heute sowohl in Filmproduktionen aufgezeigt werden, die sich als faktische Repräsentationen der Wirklichkeit ausgeben – z.B. ENDURING FREE- DOM: THE OPENING CHAPTER (American Rogue Films, USA 2002) der so genannte Trai- ler zum Krieg im Irak – als auch in Spielfilmen, die Nachrichtenmaterial einsetzen – z.B. VALS IM BASHIR (Ari Folman, Israel 2008). Kriegsfilm und Kriegsdokumentation sehen sich in ihrem Selbstverständnis beide einer Wahrheit verpflichtet, die es zu kommunizieren und zu inszenieren gilt. Gleichermaßen sieht sich der Kriegsfilm dem Kino der Attraktionen verpflichtet, das im Kampf um die Aufmerksamkeit der Zuschauer vor allem auf Action und Effekte setzt. WINGS (Wil- liam A. Wellmans, USA 1927) lockte Anfang des 20. Jahrhunderts Zuschauer nicht mit seiner Liebesgeschichte ins Kino; es war die Kombination von Ton und spektakulären Luftaufnah- men, die durch an den Flügeln der Kampfflieger angebrachte Kameras entstanden, die den Film zum Publikumsmagneten machten. WINGS und spätere Filme wie APOCALYPSE NOW (Francis Ford Coppola, USA 1979) und SAVING PRIVATE RYAN zeigten, dass die erfolg- reiche Inszenierung eines Krieges einerseits nach genauen Verständnis des Handlungsortes Schlachtfeld verlangte und andererseits nach adäquaten technischen Darstellungsstrategien, um ein Massenpublikum zu begeistern. Dieser Anspruch auf eine geradezu physische Nähe zur 1 Einleitung 5 nature of war macht den Kriegsfilm zu einem extrem teuren Genre. Bereits ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT war seinerzeit der teuerste Film, in den Universal im Produktions- jahr 1929 investierte. Anders als andere Kunstformen beruht der Kino- und Spielfilm durch seinen extremen Pro- duktionsaufwand auf einer hoch industrialisierten und rationalisierten Finanzierungsweise. Kommerzialisierung und Profitmaximierung spielen nicht nur bei der Distribution eine Rolle, sondern beherrschten von Beginn an ebenso Produktion, Freigabe und häufig sogar den krea- tiven Inhalt internationaler Großproduktionen. Aufgrund der hohen Kosten werden Kriegs- filme auf Produktionsseite häufig durch die Unterstützung staatlicher Kooperationspartner ver- wirklicht. Seitens des Vertriebs ist eine starke Orientierung am Zeitgeist festzustellen. Somit ist es weder als Zufall zu betrachten, dass SAVING PRIVATE RYAN in Kooperation mit dem Pentagon entstand,7 noch dass ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT im Kontext der pazifistischen Bewegung der späten 1920er/frühen 1930er Jahre produziert wurde. Die vorlie- gende Arbeit begreift die kommerzielle Ausrichtung als ein Grundmerkmal des Kriegsfilms. Geschichtlich betrachtet besteht in Bezug auf den Kriegsfilm ein ideologischer Unterschied zwischen dem amerikanischen und dem europäischen Kino: Amerika verstand den Film von Beginn an primär als kommerzielle Aktivität; dem europäischen Kino lag ein kunstorientiertes Selbstverständnis zu Grunde.8 Die Fähigkeit, Meinungen zu beeinflussen, Stereotypen zu er- stellen und politische Argumente zu äußern, kann zwar als Fähigkeit des kommerziellen Films diskutiert werden, sie gehört dagegen nicht zu seinem primären Ziel (Winter 2006: 193). Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass Filme ihr Publikum ideologisch beeinflussen. Hinsichtlich der Verbreitung von Inhalten hat die kommerzielle Unterhaltungsindustrie einen enormen Vorteil gegenüber akademischen oder künstlerischen Produkten: Seit dem Ersten Weltkrieg9 war der Film allen sozialen Schichten zugänglich. „Movies have a truly universal form of communication since the very earliest years of their history. They have reached kings and coachmen, and everybody in between.” (Isenberg 1981: 10) Zu der sozialen Reichweite gesellt sich die internationale Erreichbarkeit des Films, vor allem für in Hollywood entstanden 7 Die Kooperation basierte bei SAVING PRIVATE RYAN nicht auf finanzieller Unterstützung und viele der bereit gestellten Fahrzeuge, Waffen und Ausrüstungsgegenstände wurden letztlich von Spielberg nachgebaut (Suid 2002: 632ff.). Das Pentagon stand den Dreharbeiten jedoch mit technischer Beratung und Assistenz zur Seite und zeichnete den Film mit dem Defense Department Public Service Award, der höchsten zivilen Aus- zeichnung des Pentagons, aus und unterstütze seinen Absatz in militärisch subventionierten Kinos. 8 Barry Ulanov arbeitet mit einer treffenden Differenzierung innerhalb der populären Künste. Die Demokratien des 20. Jahrhunderts brachten zwei Kunstformen hervor; eine Kunst des high thought in der sich der Künstler an sich selbst richtet, beziehungsweise sein Werk für Angehörige seiner intellektuellen Schule reserviert und eine populäre Kunst, die versucht einen größtmöglichen Rezipientenkreis zu erreichen und ferner ökonomische Interessen vertritt (Ulanov 1956: 11f.). 9 Bereits in den 1920ern vollendete Hollywood seine oligopolistische Struktur und war im Stande Filme als Massenware zu produzieren, sie durch eigene oder kooperierende Verleiher an die großen Kinoketten auf dem Binnenmarkt zu bringen und sie, sobald sie ihre Kosten oder den erzielten Gewinn eingespielt hatten, zu billi- geren Preisen zu exportieren.
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