Werner Stiller Der Agent Werner Stiller Der Agent Mein Leben in drei Geheimdiensten Ch. Links Verlag, Berlin Quellenhinweis des Autors Für das vorliegende Buch habe ich sowohl meine persönlichen Aufzeichnungen als auch die umfangreichen Akten zu meiner Person und den mit mir im Kontakt stehenden MfS-Mitarbeitern (ein Dutzend Ordner) aus dem Archiv der Bundes- beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deut schen Demokratischen Republik verwendet. Dort geschwärzte Stellen sind im Text mit # gekennzeichnet. Da es sich um private Erinnerungen und keine wissen- schaftliche Darstellung handelt, ist auf die Verwendung von Fußnoten zu den einz elnen Sachvorgängen verzichtet worden. Längere Aktenzitate und vollständig übernommene Dokumente sind mit der jeweiligen Archivsignatur ausgewiesen. Die Fotos stammen aus meinem Privatarchiv bzw. aus dem Archiv des Verlages. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 2., durchgesehene Auflage, Oktober 2010 © Christoph Links Verlag GmbH, 2010 Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0 www.christoph-links-verlag.de; [email protected] Umschlaggestaltung: KahaneDesign, Berlin, unter Verwendung eines Fotos von Werner Stiller Satz: typegerecht, Berlin Druck und Bindung: Druckerei F. Pustet, Regensburg ISBN 978-3-86153-592-8 Inhalt Vorwort 7 Der Weg zum Geheimdienst 10 Erste Arbeitserfahrungen 25 Kontaktversuch mit der anderen Seite 31 Die alltägliche Schizophrenie 41 Annäherung mit Hintersinn 52 Ein neuer Anlauf: »Diana« 64 Der entscheidende Kontakt zu Helga 72 Funkkontakt und toter Briefkasten 81 Die Spionageabwehr wird aktiv 85 Sonderkontrolle für die West-Post 88 Materialübergabe per Eisenbahn 94 Die letzten Tage des »Schakals« in der DDR 115 Der Übertritt 122 Ankunft in der neuen Welt 126 Der Bundesanwalt wird aktiv 133 Helgas Ausschleusung in letzter Minute 137 Herbe Verluste für die HV A 142 Markus Wolf erhält ein Gesicht 170 »Kundschafter« als Helden des Sozialismus? 175 Die Jagd nach dem »Schakal« 183 Die verpasste Chance 196 Mit der CIA in ein neues Leben 201 Einstieg in die Finanzwelt 211 Zurück nach Deutschland 219 Vorsichtige Schritte in die DDR 225 Wiederbegegnungen 231 Die Nachwirkungen des Falls »Lucona« 236 Neuer Start in Budapest 239 Anhang Abkürzungsverzeichnis 245 Literatur zum Thema (Auswahl) 248 Personenregister 250 Vorwort Auf meiner sonnigen Terrasse in Saint Louis im US-Staat Missouri habe ich im Sommer 1982 begonnen, mein erstes Buch zu schreiben. Für 39 Dollar hatte ich im nahegelegenen Supermarkt eine mechani- sche Schreibmaschine erworben, auf der ich dann im geübten Zweifin- gersystem meine Erlebnisse in der DDR zu Papier brachte. Es ging um meinen Übertritt in die Bundesrepublik 1979 und meine Arbeit für den Bundesnachrichtendienst, für den ich zuvor im Ministerium für Staats- sicherheit spioniert hatte. Da der BND darauf bedacht war, dass keine Rückschlüsse auf die Methoden seiner Arbeit möglich sind, ist mein Manuskript dann noch mal überarbeitet und an einigen Stellen »verun- klart« worden. 1986 erschien schließlich »Im Zentrum der Spionage«, ein Buch, das viel Aufsehen erregte und mehrere Auflagen erlebte. Heute, mehr als 30 Jahre nach den dramatischen Ereignissen und 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, haben sich die alten Rück- sichtnahmen erledigt. Ich lebe als selbständiger Unternehmer in Un- garn und kann die Dinge so benennen, wie ich will. Und vor allem kann ich nun auch über das berichten, was damals nicht möglich war: Meine Erfahrungen mit der anderen Seite, meine Erlebnisse beim BND und schließlich bei der CIA, die mir zu einer neuen Identität verhalf, da mich die Stasi in ganz Europa jagte. Erich Mielke hatte seinen riesigen Apparat in Bewegung gesetzt, um mich ausfindig zu machen und mög- lichst in die DDR zurückbringen zu lassen, wo vermutlich die Todes- strafe auf mich wartete. Noch 1981 wurde ein Kollege von mir (Werner Teske) für weit weniger hingerichtet. Während ich seinerzeit in St. Louis alles nur aus der Erinnerung auf- schreiben konnte, da mir die Münchner Kollegen vom BND nicht ein- mal meine mitgebrachten Akten zur Einsicht gaben, geschweige denn Hintergrundinformationen lieferten, sieht es inzwischen deutlich bes- ser aus. Dank der deutschen Einrichtung einer »Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik« sowie der Recherche der Mitarbeiter des Berliner Stasimuseums stehen mir nunmehr rund 1800 Seiten Doku- 7 mente zur Verfügung, die einen Teil meiner Agenten- und Doppelagen- tenlaufbahn recht gut dokumentieren. Zwei Dinge sind mir im Nachhinein aus den Akten klargeworden: Die Spionageabwehr des MfS war mir extrem dicht auf den Fersen. Wäre mir am 18. Januar 1979 nicht die Flucht über den Bahnhof Fried- richstraße nach West-Berlin gelungen, hätte man mich spätestens am 20. Januar verhaftet. Damals war mir der Grad meiner Gefährdung überhaupt nicht bewusst. Und zum anderen ist deutlich zu erkennen, dass mein Übertritt in der Geschichte der Staatssicherheit eine Art Zäsur darstellt. Wie mir ein alter Kämpe aus der Hauptverwaltung Aufklärung, also meinem früheren Bereich der Auslandsspionage, später einmal sagte, sprachen die Genossen dort von den guten alten Zeiten (vor Stiller) und der nervenden neuen Zeit (nach Stiller). Es gab eine tiefe Verunsicherung im gesamten Apparat, denn wem sollte man noch vertrauen. Schließ- lich hatte ich eine Art Bilderbuchkarriere hingelegt: Arbeiterkind aus Sachsen- Anhalt, im Sozialismus aufgewachsen, Oberschule, Physik- stu dium, Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei, Inoffizieller Mit- arbeiter der Staatssicherheit, dann hauptberuflicher »Tschekist«, gute Beurteilungen, aufstrebender Kader, Sekretär einer Abteilungs partei- orga ni sa tion der SED. Wenn sich so ein erprobter Genosse ohne Not dem Klassen feind andient und derart viel Material mitnimmt, dass Dutzende Agenten im Westen hochgehen, dann stellt sich plötzlich die Frage: Wer kann der Nächste sein? Und es folgen weitere drängende Fragen: Woran liegt das? Kann man es im Vorfeld irgendwie erkennen? Gibt es Mittäter oder mögliche Nachahmer? Der Bazillus der gegen- seiti gen Verdächtigung und ständigen Überwachung breitete sich aus. Der Apparat war in der Folgezeit erheblich mit sich selbst beschäftigt. Im vorliegenden Buch will ich zunächst meine Flucht und die Motive dafür schildern, wobei nun auch parallel dazu die Suche nach mir und meiner damaligen Helferin durch die Stasi erzählt werden kann. Da- bei wird zugleich das Funktionieren des MfS deutlich, sein enormer, nahezu grenzenloser Aufwand bei der Verfolgung von Feinden und Verrätern. (Nebenbei lassen sich ein paar Dinge richtigstellen, die in anderen Veröffentlichungen unkorrekt oder ungenau waren.) Sodann folgt die Beschreibung der Jagd nach »Schakal« bzw. »Pirat«, wie man 8 mich damals nannte, und meiner Mitstreiterin »Borste«. Ich berichte von meinen Erfahrungen mit dem Bundesnachrichtendienst, über die Zeit in München und die Sorgen des BND, man könnte mich dort fin- den und entführen. Schließlich verfrachtete man mich für drei Monate nach Amerika, woraus am Ende sogar drei Jahre wurden. Dabei hatte ich Gelegenheit, die Arbeit der CIA etwas kennenzulernen, die mir in vielem professioneller erschien als das übervorsichtige Agieren der Be- amten in Pullach. Nach meinem Leben mit den drei Geheimdiensten folgte aber noch eine Erfahrung, die mindestens genauso spannend war: meine Tätig- keit als Banker und Investor. Ich war zeitweilig für zwei Bankhäuser tä- tig, die inzwischen wegen ihrer abenteuerlichen Finanzspekulationen in arge Probleme geraten sind: Goldman Sachs und Lehman Brothers. Ich habe Millionen verdient und Millionen wieder verloren. Mir muss niemand erklären, wie es zur globalen Finanzkrise gekommen ist. Ich habe sie frühzeitig heraufziehen sehen und meine Konsequenzen da- raus gezogen. Kurzum: Es gilt, von einem bewegten Leben zu berichten, in dem sich die Schicksalslinien der Geschichte wohl gleich mehrfach gekreuzt haben. 9