ebook img

Demokratie und Krise: Zum schwierigen Verhältnis von Theorie und Empirie PDF

498 Pages·2015·7.025 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Demokratie und Krise: Zum schwierigen Verhältnis von Theorie und Empirie

Demokratie und Krise Wolfgang Merkel (Hrsg.) Demokratie und Krise Zum schwierigen Verhältnis von Theorie und Empirie Herausgeber Wolfgang Merkel Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) Deutschland ISBN 978-3-658-05944-6 ISBN 978-3-658-05945-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-05945-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi- bliogra(cid:191) e; detaillierte bibliogra(cid:191) sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikrover(cid:191) lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Lektorat: Jan Treibel, Daniel Hawig, Gudrun Mouna Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Fachmedien Wiesbaden ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com) Inhalt Die Herausforderungen der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Wolfgang Merkel Teil I Partizipation Krise der Demokratie? Ansichten von Experten und Bürgern . . . . . . . . . . . . . 45 Wolfgang Merkel und Werner Krause Politische Ungleichheit beim Wählen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Bernhard Weßels Verschwinden die programmatischen Alternativen? Die Qualität von Wahlprogrammen in 21 OECD-Ländern seit 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Andrea Volkens und Nicolas Merz Mehr Partizipation – ein Heilmittel gegen die ‚Krise der Demokratie‘? . . . . . 127 Th amy Pogrebinschi Teil II Repräsentation Ungleichheit in der politischen Repräsentation. Ist die Unterschicht schlechter repräsentiert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Pola Lehmann, Sven Regel und Sara Schlote Niedergang oder Wandel? Parteitypen und die Krise der repräsentativen Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Heiko Giebler, Onawa Promise Lacewell, Sven Regel und Annika Werner 6 Inhalt Parteien, hört Ihr die Signale? Bevölkerungseinstellungen zur Ungleichheit und die Responsivität der Parteien ........................ 221 Alexander Petring ‚Wählen ohne Wahl‘. Demokratie und die Staatsschuldenkrise in der Eurozone ..................................................... 245 Sonia Alonso Teil III Regieren Globalisierung und Demokratie. Führt Denationalisierung zu einem Verlust an Demokratiequalität? ....................................... 277 Lea Heyne Kapitalismus und Demokratie. Kapitalismus ist nicht demokratisch und Demokratie nicht kapitalistisch ................................... 307 Jürgen Kocka und Wolfgang Merkel Demokratische Gefahr für die Demokratie? Die prekäre Balance von Sicherheit und Freiheit .......................................... 339 Aiko Wagner und Sascha Kneip Warum missachten etablierte Demokratien das Recht auf körperliche Unversehrtheit? ..................................................... 373 Dag Tanneberg Verfassungsgerichte in der Demokratie. Zwischen Krisenerzeugung und Krisenmanagement ............................................. 407 Sascha Kneip Regieren die Medien?................................................. 439 Kenneth Newton und Nicolas Merz Schluss: Ist die Krise der Demokratie eine Erfindung? ..................... 473 Wolfgang Merkel Sachregister ......................................................... 499 Autorinnen und Autoren.............................................. 505 Die Herausforderungen der Demokratie Wolfgang Merkel 1 Einleitung Es gibt kaum einen Begriff in den Politik- und Sozialwissenschaft en, der so häufi g auft aucht wie das Wort Krise: Krise des Sozialstaates; Krise der politischen Parteien, des Parlaments; Performanz-, Herrschaft s-, Struktur-, Rationalitäts-, Legitimations-, Integrations-, Motivationskrise; Eurokrise; Krise im Mittleren Osten; Krise der Diktaturen – und schon immer auch: Krise der Demokratie. Zu Letzterer lassen sich gegenwärtig drei große Debattenlinien identifi zieren: die öff entliche Debatte, der theoretische Diskurs zur Demokratie und die empirische Demokratieforschung. Zunächst die öff entliche Debatte. Diese wird – zumindest auf dem europäischen Kontinent – von der Meinung beherrscht, dass sich viele Teil- krisen wie die Krise des Vertrauens in die politischen Eliten, Parteien, Parlamente und Regierungen zu einer allgemeinen Krise der Demokratie verdichten. Unver- kennbar ist dabei, dass es ein deutliches Nord-Süd-Gefälle in der demokratischen Selbstbeschreibung gibt: Dänemark ist nicht Griechenland, Großbritannien nicht Spanien, die Schweiz nicht Italien. Obwohl weit vom Populardiskurs öff entlicher Medien entfernt, hat sich auch in der Politischen Th eorie von Anfang an die Auf- fassung durchgesetzt, dass Demokratie ohne Krise nicht zu denken ist. Das gilt für die antiken Schrift en von Platon, Aristoteles, Polybios (Held 1996, S. 13ff .; Meier 2004; Keane 2009) über Th omas Hobbes zu Beginn der Neuzeit bis hin zu Alexis de Tocqueville, Karl Marx und Max Weber (vgl. Schmidt 2008). Die Rede von der Krise der Demokratie ist also so alt wie diese selbst. Besondere Fahrt hat die Kri- sendiskussion zu Beginn der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts aufgenommen. Sie wurde im linken wie im konservativen Lager mit Vehemenz und zum Teil strukturähnlichen Argumenten geführt (vgl. Off e 1979). Claus Off es Buch Struk- turprobleme des kapitalistischen Staates (1972), James O’Connors neomarxistische Th eorie der Fiscal Crisis of the State (1973) und Jürgen Habermas‘ einfl ussreiche W. Merkel (Hrsg.), Demokratie und Krise, DOI 10.1007/978-3-658-05945-3_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015 8 Wolfgang Merkel Schrift Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus (1973) bestimmten weit über die Dekade hinaus den Krisendiskurs zu Demokratie und (spät-)kapitalistischen Staat. Das konservative Lager konterte nicht, sondern sekundierte: Der von Cro- zier, Huntington und Watanuki (1975) veröffentliche Report an die Trilaterale Kommission zeichnete ebenfalls das düstere Bild einer überlasteten Demokratie. Die Krisendebatte verlor am optimistischen Ende des 20. Jahrhunderts an Überzeugungskraft, gewann aber sogleich nach der Jahrtausendwende in der neo-schmittianischen Variante von Chantal Mouffe (2000), der Debatte um die Postdemokratie (Crouch 2004; Rancière 2006; Wolin 2008), den neodemokratischen Postulaten (Beyme 2013), den poststrukturalistischen (Agamben et al. 2009) oder popmarxistischen (Žižek 2009) Kritiken neues Momentum und globalen Wider- hall. Thematisiert wurde nun die „überwältigende Vorherrschaft von Regierung und Ökonomie über eine sukzessive entleerte Volkssouveränität“ (Agamben et al. 2009, S. 11) oder die Gefährdung nationaler demokratischer Souveränität durch die fortschreitende Globalisierung (Held 1995). Majoritäre, genuin partizipative Organisationen und Institutionen wie Parteien und Parlamente verlören gegenüber Regierungen, Gerichten, Expertenkommissionen und internationalen Regimen an Legitimität (Zürn 1998, S. 233ff., 2011, S. 618ff.). Auch die breite Diskussion, die unter den Vertretern einer starken (Barber 1984), partizipativen (Warren 2001, 2009) oder deliberativen Demokratie (Fishkin 1991; Elster 1998; Dryzek 2000; Goodin 2008) geführt wurde und wird, geht explizit oder implizit von einer partizipativen Krise der real existierenden repräsentativen Demokratie aus (Saward 2010; Alonso et al. 2011). Die Aussage von Links bis Rechts, von Postmarxisten bis Neokonservativen in der politischen Theorie ist klar: Die Demokratie und vornehmlich ihre reprä- sentativen Institutionen befinden sich in einer Krise. Das Urteil gründet sich in seiner impliziten Logik, häufig auf einen von zwei Referenzpunkten: normativ auf ein (meist nicht näher ausgewiesenes) demokratisches Ideal oder empirisch auf ein vermeintliches, in jedem Falle aber versunkenes goldenes Zeitalter der Demokratie. Wann dieses gewesen sein soll, bleibt meist unbestimmt oder wird von Partizipationstheoretikern gern in die späten sechziger oder frühen siebziger Jahre, von Postdemokraten wie Colin Crouch (2004) für Europa gar in die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts verlegt.1 Die empirische Demokratieforschung ist in ihren Aussagen stets vorsichtiger gewesen. Zwar konzediert auch sie – und das ist der dritte Debattenstrang – par- tielle Herausforderungen und Probleme der Demokratie. So etwa Russell J. Dalton (2008), der ein abnehmendes Vertrauen in politische Autoritäten oder unzufriedene 1 Ob mit dieser Einschätzung auch Frauen, Afroamerikaner, ethnische oder sexuelle Minderheiten einverstanden wären, ist mehr als fraglich Die Herausforderungen der Demokratie 9 Demokraten konstatiert, oder Susan Pharr und Robert Putnam (2000), die von einer nachlassenden Leistungsfähigkeit demokratischer Institutionen sprechen (Pharr und Putnam 2000, S. 25ff.). Allerdings diagnostizieren sie keineswegs eine Krise der Demokratie insgesamt. Pippa Norris (1999, 2011) verneint selbst eine Vertrauenskrise der Demokratie und spricht von „trendless fluctuations in system support“ (Norris 2011, S. 241). Und wenn es doch ein, keineswegs existenzgefährdendes, demokra- tisches Defizit gäbe, sei dies auf eine Kombination aus wachsenden Erwartungen kritischer gewordener Bürger, dem Einfluss negativer Medienberichterstattung und der vor allem deshalb wahrgenommenen Performanzschwächen demokratischer Regierungen zurückzuführen. Ist also die Krise der Demokratie eine Erfindung komplex denkender, aber empirie- ferner Theoretiker, die zudem meist einem überzogenen normativen Demokratieideal folgen? Oder aber verbleiben die empirischen Analysen zu sehr einer Partialdiagnos- tik verhaftet, die sich mit der Oberfläche von Umfragedaten und Wähleranalysen zufriedengibt, ohne die tieferen Krisenphänomene zu erkennen, die sich gerade aus einer kumulierenden Interdependenz von singulären Krisenphänomenen ergeben? Die Frage nach einer Krise der Demokratie lässt sich weder allein mit empirie- abstinenten Theorien noch mit theoriefernen empirischen Analysen lösen. Beide Stränge müssen miteinander verknüpft werden. Dabei kommt es besonders darauf an, von Anbeginn präzise zu klären, was unter den beiden zentralen Begriffen Demokratie und Krise zu verstehen ist. Beides unterbleibt in den meisten Unter- suchungen. Dabei hängt die Antwort auf die Krisenfrage nicht zuletzt davon ab, welche Inhalte und Konturen den beiden Zentralbegriffen zugeschrieben werden. 2 Demokratie: Ein umstrittenes Konzept Demokratie ist ein umstrittenes Konzept. Der normative Diskurs über die (gute) Demokratie stand im politischen Denken der Antike stets im Zentrum. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat er erneut an Intensität gewonnen. Die Vielfalt der unterschiedlichen Demokratietheorien lässt sich kaum mehr überbli- cken (vgl. u. a. Held 1996; Schmidt 2010; Lembcke et al. 2012; Schaal et al. 2014). Für einen Überblick bieten sich unterschiedliche Ordnungsmuster an. Normative Demokratietheorien können historisch-chronologisch, ideologisch, prozedu- ral-institutionell oder über ihre Urheber2 geordnet werden. Meist entstehen dann 2 Natürlich gibt es auch Urheberinnen. Hier wie im gesamten Buch benutzen wir aus stilistischen und sprachkonventionellen Gründen in der Regel die männliche Ge- 10 Wolfgang Merkel Mischsystematiken, die sich wie ein langer Katalog der Demokratie mit Adjektiven lesen: die konservative, liberale, soziale, pluralistische, elitäre, dezisionistische, kommunitaristische, kosmopolitische, republikanische, deliberative, partizipative, feministische, kritische, postmoderne oder multikulturalistische Demokratie, um nur die wichtigsten zu nennen.3 Eine vereinfachte Systematik tut daher not. Im nie endenden Wettstreit um die Definitionshoheit über Begriff, Gehalt und Grenzen der Demokratie lassen sich drei Gruppen von Demokratietheorien unterscheiden: das minimalistische (elektorale), das mittlere (prozeduralistische) und das maxi- malistische (substanzialistische) Modell. 2.1 Das minimalistische Modell Minimalisten wie der einflussreiche Ökonom und Demokratietheoretiker Joseph A. Schumpeter (1883-1950) gehen davon aus, dass freie, gleiche und geheime Wahlen nicht nur der Kern der Demokratie, sondern diese selbst sind. Über Wahlen, so das marktanaloge Demokratiemodell Schumpeters, können die politischen Unter- nehmer – etwa Parteien – ihre programmatischen Produkte anbieten, die von den Wählern nachgefragt, geprüft, ausgewählt oder verworfen werden. Das Angebot mit der höchsten Nachfrage bekommt den Zuschlag und damit das Recht, auf Zeit die Präferenzen und Interessen der Wähler zu repräsentieren. In periodischen Abständen haben die Repräsentierten die Möglichkeit, die Repräsentanten für die zurückliegende Legislatur zur Verantwortung zu ziehen und sie je nach Beurteilung wieder zu wählen oder abzuwählen. Der Wesenskern der Demokratie wird damit von den Minimalisten, die sich selbst gern als Realisten bezeichnen, bewusst auf die „vertikale Verantwortlichkeit“ zwischen Regierten und Regierenden begrenzt (Przeworski 2007, S. 475). Schumpeters „realistische“ Demokratietheorie (1942) ist der Klassiker des mi- nimalistischen Demokratiemodells. Minimalisten betrachten sicherlich auch die Menschenrechte oder den Rechtsstaat als wichtige Voraussetzungen der Demokratie, aber nicht als ihr notwendig innewohnende Elemente. Zivilgesellschaftliche Kon- trollen gegenüber den Regierenden oder gar direktdemokratische Einmischungen des Volkes werden als unverträglich mit der rationalistisch-realistischen Demo- schlechtsform. Dass stets beide Geschlechter gemeint sind, ist selbstverständlich, soll hier aber dennoch noch einmal betont werden. 3 David Collier und Steven Levitsky (1997) haben nicht weniger als 550 verschiedene Adjektive für Demokratien gezählt.

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.